Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 15.04.2008
Aktenzeichen: 6 Sa 605/07
Rechtsgebiete: Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeit (TV ATZ)


Vorschriften:

Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeit (TV ATZ)
Der Hinweis auf die angespannte Finanzlage der Krankenhäuser kann nicht als dem tariflichen Anspruch auf Bewilligung von Altersteilzeit entgegenstehender betrieblicher Grund im Sinne von § 2 Abs. 3 TV ATZ gewertet werden (im Anschluss an LAG München vom 17. Juli 2007 - 6 Sa 1222/06).
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

6 Sa 605/07

Verkündet am: 15.04.2008

In dem Rechtsstreit

hat die sechste Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 18. März 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Staudacher sowie die ehrenamtlichen Richter Raimund Ell und Andreas Schild

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten vom 29. Juni 2007 gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Rosenheim vom 23. Mai 2007 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Für die Beklagte wird die Revision zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Gewährung von Altersteilzeit.

Die im Januar 1948 geborene Klägerin ist auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 17. Oktober 1972 (Blatt 4/5 der Akte) seit dem 9. Oktober 1972 als Krankenpflegehelferin im Krankenhaus P. beschäftigt. Ihr monatlicher Bruttolohn beläuft sich zuletzt auf € 1.755,30.

Mit Antrag vom 30. November 2005 hatte die Klägerin gebeten, ab dem 1. Februar 2006 Altersteilzeitarbeit im Blockmodell einbringen zu können. Dies ist von der Beklagten mit Schreiben vom 17. Januar 2006 (Blatt 6 der Akte) abgelehnt worden.

Daraufhin bat die Klägerin mit Schreiben vom 18. Dezember 2006 (Blatt 7 der Akte) erneut, nunmehr ab dem 1. Februar 2007 Altersteilzeit im Blockmodell einbringen zu können. Doch auch dieser Antrag wurde beklagtenseits durch Schreiben vom 21. Dezember 2006 (Blatt 8 der Akte) abgelehnt mit der Begründung, aufgrund der defizitären Lage des Kommunalunternehmens würden grundsätzlich keine Altersteilzeitvereinbarungen mehr abgeschlossen.

Die Klägerin ist mit dieser Haltung nicht einverstanden. Sie beruft sich auf § 2 Abs. 2 des Tarifvertrages zur Regelung der Altersteilzeit (TV ATZ). Danach stehe ihr ein Anspruch auf Gewährung von Altersteilzeit zu, die tarifvertraglichen Voraussetzungen seien bei ihr gegeben. Dringende dienstliche bzw. betriebliche Gründe stünden ihrem Antrag nicht entgegen.

Mit anwaltschaftlichem Schriftsatz vom 19. Februar 2007 hat sie ihr Begehren gerichtlich geltend machen lassen und war vor dem angerufenen Arbeitsgericht Rosenheim damit auch erfolgreich gewesen. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Endurteils vom 23. Mai 2007 wird Bezug genommen.

Mit der am 29. Juni 2007 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen Berufung gegen diese ihrem Prozessbevollmächtigten am 1. Juni 2007 zugestellte Entscheidung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Begründung dazu ist am 30. Juli 2007 eingegangen. Darin wird dem Erstgericht vorgehalten, § 2 Abs. 3 TV ATZ verkannt zu haben. Diese tarifliche Regelung beinhalte, dass der Arbeitgeber die Vereinbarung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses ablehnen könne, soweit dringende dienstliche bzw. betriebliche Gründe entgegenstehen. Durch die vom Erstgericht vertretene Interpretation werde der Anwendungsbereich des TV ATZ in unzulässiger Weise eingeengt. Eine Reduzierung der Ablehnung auf nichtwirtschaftliche Gründe könne weder auf den Wortlaut dieser Regelung gestützt noch dem mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien entnommen werden.

Mit der Ausnahmeregelung in § 2 Abs. 3 TV ATZ soll nach Ansicht der Beklagten jedenfalls auch der Abschluss solcher Altersteilzeitverträge verhindert werden, die in einer existenzbedrohenden finanziellen Lage zur wirtschaftlichen Gefährdung des Arbeitgebers erheblich beitragen würden. Bei korrekter Auslegung fielen darunter auch erhebliche finanzielle Mehrbelastungen durch objektiv gewichtige Gründe, die sich längerfristig oder mittelfristig auswirkten.

Zu Unrecht sei das Erstgericht zur Ansicht gekommen, dass auch im vorliegenden Fall die zu erwartenden Kostensteigerungen aufgrund der Altersteilzeitvereinbarung keinen dringenden dienstlichen oder betrieblichen Grund im Sinne von § 2 Abs. 3 TV ATZ darstellen könnten. Auf das in diesem Zusammenhang beklagtenseits vorgetragene und unter Beweis gestellte Ausmaß der finanziellen Mehrbelastung sei das Erstgericht dabei gar nicht näher eingegangen. Das Erstgericht habe auch nicht die Argumentation der Beklagten übernommen, dass in vorliegendem Fall das kumulierte fiskalische Interesse, die Kosten für das im Öffentlichen Dienst beschäftigte Personal niedrig zu halten, einen

dringenden betrieblichen Grund im Sinne von § 2 Abs. 3 TV ATZ darstelle. Dabei werde aber übersehen, dass das fiskalische Interesse an einer Personalkostenreduzierung im öffentlichen Dienst durchaus auch dann einen dringenden dienstlichen Grund darstellen könne, wenn keine Haushaltsbesetzungssperren bestehen. Hierbei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass die Beklagte als vom Landkreis Ro. getragenes Kommunalunternehmen von Gesetzes wegen zu einem wirtschaftlichen Umgang mit den zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen verpflichtet sei. Die Beklagte habe vorgetragen, dass der Landkreis Ro. der Beklagten das Erreichen einer ausgeglichenen Bilanz bis zum Jahr 2008 zwingend vorgegeben habe und dass bei Abweichungen von dem bereits eingeschlagenen Weg der finanziellen Konsolidierung letztlich den von den kommunalen Unternehmen betriebenen Kliniken teils Stilllegungen oder komplette Schließungen drohten. Sie habe durch umfangreiches und aussagekräftiges Zahlenmaterial ihre defizitäre Situation allgemein belegt und zudem Einzelfallberechnungen vorgelegt. Damit lautet der Berufungsantrag:

Die Klage wird unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Rosenheim vom 23. Mai 2007 - 3 Ca 242/07 - abgewiesen.

Die Klägerin lässt beantragen:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Den Überlegungen des Erstgerichts in der angefochtenen Entscheidung pflichtet sie bei, den Ausführungen in der Berufungsbegründung tritt sie entgegen. Auf die Entscheidung des vom Erstgericht bereits zitierten Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 29. November 2005 - 6 Sa 1066/05 - wird zur Stützung der eigenen Position hingewiesen. Einzelfallbezogene Kostensteigerungen durch eine Altersteilzeitvereinbarung können nach Ansicht der Klägerin keinen dringenden dienstlichen oder betrieblichen Grund im Sinne von § 2 Abs. 3 TV ATZ darstellen.

Die Beklagte hält demgegenüber weiterhin an ihren Ausführungen fest. Das derzeitige Krankenhausfinanzierungsrecht bewirke mit seiner strikten Bindung an die Einnahmen der Krankenkassen aus den Sozialversicherungsbeiträgen, dass für die Krankenhäuser eine dem vom LAG Düsseldorf entschiedenen Fall vergleichbare Lage bestehe. Sie hätten keine Möglichkeit mehr, eintretende Betriebskostenanhebungen - wie etwa durch Altersteilzeitanträge verursacht - in den Verhandlungen mit Krankenkassen budgetwirksam geltend zu machen.

Es wird weiterhin als nicht zulässig angesehen, den Rechtsbegriff der dringenden dienstlichen bzw. betrieblichen Gründe ausschließlich im Sinne dringender nichtwirtschaftlicher dienstlicher bzw. betrieblicher Gründe zu interpretieren. Auf diese Weise würden aus dem Anwendungsbereich der tariflichen Regelung letztlich auch alle Fallkonstellationen ausgeklammert, in denen die wirtschaftliche Gesamtsituation des Arbeitgebers durch den Abschluss des gegenständlichen Altersteilzeitarbeitsverhältnisses und in der unmittelbaren Folge, durch den Abschluss zahlreicher weiterer Altersteilzeitar-beitsverhältnisse, massiv beeinträchtigt wird. In letzter Konsequenz sei der Fortbestand des Kommunalunternehmens in seiner bisherigen Form gefährdet, weil die von den zuständigen Gremien beschlossenen Sanierungsziele wegen der erheblichen zusätzlichen Kosten neu abgeschlossener Altersteilzeitarbeitsverhältnisse nicht erreicht werden könnten.

Mit allgemeinen Ausführungen zur Auslegung von Tarifverträgen kommt die Beklagte schließlich zu der Ansicht, dass unter die Regelung des § 2 Abs. 3 TV ATZ auch rein finanzielle Gründe ohne unmittelbare Auswirkungen auf die Dienstorganisation als dringende dienstliche bzw. betriebliche Gründe zu werten sind.

Zur Ergänzung des Parteivorbringens in diesem Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 27. Juli 2007 (Blatt 100 bis 104 der Akte), auf die Berufungsbeantwortung vom 31. Oktober 2007 (Blatt 112 bis 115 der Akte), auf den Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 28. Februar 2008 (Blatt 128 bis 133 der Akte) sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 18. März 2008 (Blatt 134 bis 136 der Akte) und vom 15. April 2008 (Blatt 151/152 der Akte).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§ 64 Abs. 2 ArbGG) und auch sonst zulässige Berufung (§ 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 11 Abs. 2 ArbGG) mit dem Ziel, das klägerische Verlangen auf Bewilligung von Altersteilzeit abgewiesen zu bekommen, muss erfolglos bleiben. Die Klägerin kann gestützt auf § 2 Abs. 2 des Tarifvertrages zur Regelung der Altersteilzeit (TV ATZ) Gewährung von Altersteilzeit in der von ihr beantragten Form verlangen. Zu diesem Ergebnis war bereits das Erstgericht gelangt. Seiner zutreffenden Begründung schließt sich die Berufungskammer zunächst einmal an (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

Die tarifvertragliche Anspruchsgrundlage ist vom Erstgericht keineswegs verkannt worden. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 und 2 TV ATZ sind unstreitig erfüllt, warum die Vereinbarung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses mit der Klägerin die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Krankenhaus P. wesentlich beeinträchtigen oder unverhältnismäßige Kosten verursachen würde, kann dem Beklagtenvortrag nicht entnommen werden. Die schwierige finanzielle Lage der Krankenhäuser soll dabei keineswegs verkannt werden, der Klägerin steht aber ein tariflicher Anspruch zur Seite und die mit seiner Erfüllung verbundenen Mehrkosten sind vergleichsweise gering.

Die Klägerin hat schon in ihrer Klage auf die Frau Dr. med. K., Herrn H., Herrn S., Frau und Herrn Ra. sowie Frau B. gewährte Altersteilzeit hingewiesen. Die Erläuterungen der Beklagten dazu lassen nicht erkennen, warum das nicht auch bei der Klägerin möglich sein soll. Sie ist als Krankenpflegehelferin mit einem Bruttolohn von € 1.755,30 beschäftigt. Zu Recht hat das Erstgericht darauf hingewiesen, dass dem Beklagtenvortrag nicht entnommen werden kann, ob der klägerische Arbeitsplatz in ihrer Freistellungsphase wieder mit einer Ersatzkraft besetzt werden wird. Auch die mit der Erfüllung des klägerischen Verlangens verbundenen Mehrkosten für die Beklagte sind nicht offen gelegt worden.

Die Berufungskammer verweist auf ihre den Parteien bekannte Entscheidung vom 17. Juli 2007 - 6 Sa 1222/06 - zu einem vergleichbaren Sachverhalt. Bei der dortigen Klägerin mit einem monatlichen Bruttolohn von € 2.141,-- hätte die Erfüllung ihres Altersteilzeitwunsches bei Einstellung einer Ersatzkraft einen Mehraufwand von € 5.416,80 für vier Jahre zur Folge gehabt. Bei der Klägerin mit einem Bruttolohn von € 1.755,30 muss dieser Mehraufwand geringer sein. Wie dem letztlich auch sei, solche Mehrkosten können auch bei einer angespannten Finanzlage der Krankenhäuser nicht als dem tariflichen Anspruch entgegenstehender dringender betrieblicher Grund im Sinne von § 2 Abs. 3 TV ATZ gewertet werden. Die Erwartung weiterer Anträge auf Bewilligung von Altersteilzeit vermag die streitbefangene Ablehnung ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Der Klägerin steht jetzt ein tarifvertraglicher Anspruch auf Bewilligung ihrer Altersteilzeit zu und diesen hat die Beklagte zu erfüllen.

Verbleibt es nach alledem bei der angefochtenen Entscheidung, war die dagegen eingelegte Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

Gegen dieses Urteil wird für die Beklagte die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil kann die Beklagte Revision einlegen.

Für die Klägerin ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.



Ende der Entscheidung

Zurück