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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 17.01.2008
Aktenzeichen: 6 Sa 658/07
Rechtsgebiete: BGB, SGB IX


Vorschriften:

BGB § 626 Abs. 2
SGB IX § 91
Vereinbaren die Parteien eines Arbeitsverhältnisses eine Freistellung des Arbeitnehmers bis zur endgültigen Klärung des Sachverhalts, zunächst vorläufig für die Dauer von sechs Wochen, von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Bezüge, so wird dadurch der Lauf der Kündigungserklärungsfrist weder hinausgeschoben noch gehemmt.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 Sa 658/07

Verkündet am: 17. Januar 2008

In dem Rechtsstreit

hat die Sechste Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 17. Januar 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Staudacher sowie die ehrenamtlichen Richter Baumann und Koehn für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten vom 17. Juli 2007 gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 4. Mai 2007 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Für die Beklagte wird die Revision zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Arbeitgeberkündigung.

Der im September 1955 geborene, verheiratete, zwei Kindern gegenüber unterhaltsverpflichtete und einem Schwerbehinderten gleichgestellte Kläger ist auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 28. Juli 1997 (Blatt 5 bis 7 der Akte) seit 1. August 1997 bei der Beklagten als Hausverwalter beschäftigt. Die Anrechnung seiner Vorbeschäftigungszeiten bei einem Schwesterunternehmen der Beklagten seit 1. Januar 1986 war dabei arbeitsvertraglich zugesagt worden. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft Vereinbarung die Tarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer der Wohnungswirtschaft Anwendung.

Zum klägerischen Aufgabengebiet gehörten Hausmeistertätigkeiten sowie Organisation und Überwachung der bei der Beklagten für die Betreuung der Wohnanlagen im Münchner H. beschäftigten circa 10 Hausmeister.

Am Freitag, dem 13. Januar 2006, führte die Beklagte im Bereich der Wohnanlagen, für die der Kläger zuständig war, eine Besichtigung durch. Über die dabei festgestellten Zustände und die Ergebnisse weiterer Nachforschungen der Beklagten herrscht zwischen den Parteien Streit. Zur Aufklärung des Sachverhalts führte die Beklagte ab Montag, den 16. Januar 2006, auch Einzelgespräche mit den Hausmeistern und dem Kläger. Dabei wurde der Kläger unter anderem mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe nicht dafür gesorgt, dass die ihm unterstellten Hausmeister im Dienst keinen Alkohol trinken und sich an die dienstlich geregelten Pausenzeiten halten. Außerdem war ihm vorgeworfen worden, nicht unterbunden zu haben, dass die Hausmeister Gegenstände aus den betreuten Anlagen, die im Eigentum der Beklagten standen, unbefugt verkauft und eine Gesamteinnahme von rund € 900,-- einer sog. Hausmeisterkasse zugeführt hätten.

Der Kläger wendet ein, mit der ganzen Sache nichts zu tun gehabt zu haben, die Beklagte möge sich an die Hausmeister halten. Die Parteien vereinbarten daraufhin unter dem 16. Januar 2006 eine sofortige Freistellung des Klägers von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung bis zur endgültigen Klärung des Sachverhalts, zunächst vorläufig bis zum 28. Februar 2006. Diese Freistellung erfolgte unter Fortzahlung der vertragsgemäßen Vergütung und unter Anrechnung bestehender Ansprüche auf Urlaub oder Überstunden (vgl. Blatt 50/51 der Akte).

Nachdem die Beklagte weitere Nachforschungen durchgeführt hatte, vereinbarte sie mit dem Kläger einen Termin für ein abschließendes Gespräch am 14. Februar 2006. Dabei wurde dem Kläger seitens der Beklagten angeboten, künftig anstelle der bisherigen Position eines Hausverwalters als Hausmeister mit reduziertem Gehalt weiterzuarbeiten. Andernfalls wurde dem Kläger eine Kündigung wegen seiner Verantwortung für die festgestellten Zustände in Aussicht gestellt.

Der Kläger hatte sich daraufhin eine Bedenkzeit erbeten und dieses Angebot nach Rücksprache mit seinen Prozessbevollmächtigten am 17. Februar 2006 abgelehnt.

Nun entschloss sich die Beklagte, ihr Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos zu beenden sowie die dazu erforderlichen Schritte einzuleiten. Mit Schreiben vom 22. Februar 2006 (Blatt 54 bis 60 der Akte) war von ihr beim zuständigen Integrationsamt der Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung gestellt worden. In ihrem Antragsschreiben findet man "Beendigungskündigung", "verhaltensbedingt, außerordentlich und zugleich hilfsweise ordentlich" sowie unter "Tat- und Verdachtskündigung": "außerordentlich und zugleich hilfsweise ordentlich" angekreuzt. Mit Schreiben vom 9. März 2006 (Blatt 64 der Akte) hatte das Integrationsamt einer außerordentlichen Kündigung des Klägers zugestimmt.

Am 10. März 2006, einem Freitag, übermittelte die Beklagte dem Betriebsrat ein Anhörungsschreiben gemäß § 102 BetrVG (Blatt 62 bis 69 der Akte). Angekreuzt waren wiederum "Beendigungskündigung", "verhaltensbedingt, außerordentlich und zugleich hilfsweise ordentlich" sowie unter "Tat- und Verdachtskündigung": "außerordentlich und zugleich hilfsweise ordentlich". Am 15. März 2006 gab der Betriebsrat dieses Anhörungsschreiben ohne Stellungnahme zurück.

Mit Schreiben vom 15. März 2006 (Blatt 9 der Akte), zugegangen am 16. März 2006, sprach die Beklagte dem Kläger eine außerordentliche fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt aus.

Der Kläger hat dagegen mit anwaltschaftlichem Schriftsatz vom 21. März 2006 Kündigungsschutzklage erheben lassen, die vor dem angerufenen Arbeitsgericht München auch erfolgreich war. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Endurteils vom 4. Mai 2007 wird Bezug genommen.

Mit der am 17. Juli 2007 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen Berufung gegen diese seinen Prozessbevollmächtigten am 20. Juni 2007 zugestellte Entscheidung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Begründung dazu ist innerhalb der verlängerten Begründungsfrist am 10. September 2007 eingegangen. Darin wird dem Erstgericht vorgehalten, der Beklagten angelastet zu haben, dass sie nach Ablauf der Anhörungsfrist des Betriebsrats nicht gleich am nächsten Arbeitstag, sondern einen Tag später erst die Kündigung ausgesprochen habe. Das soll nicht mehr "unverzüglich" gewesen sein. Die Beklagte tritt einer solchen Auslegung des Begriffs "unverzüglich" mit Nachdruck entgegen und beruft sich dabei auf jüngere obergerichtliche Rechtsprechung.

Beklagtenseits habe man auch den Hausmeistern gekündigt. In deren Kündigungsschutzverfahren sei dann aber auch vom Landesarbeitsgericht davon gesprochen worden, dass diese Kündigungen vom Sachverhalt her eigentlich gerechtfertigt wären, wenn nicht der Kläger als Vorgesetzter die Zustände hingenommen hätte, ohne dagegen einzuschreiten. Im Folgenden lässt die Beklagte das dem Kläger angelastete Verhalten noch einmal substantiiert und mit Beweisangeboten versehen darstellen und stützt darauf ihre vom Kläger angefochtene Kündigung. Ihre Berufungsanträge lauten:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 4. Mai 2007, Az. 17 Ca 3996/06, wird aufgehoben.

2. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger lässt beantragen:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Den Überlegungen des Erstgerichts in der angefochtenen Entscheidung pflichtet er bei, den Ausführungen in der Berufungsbegründung tritt er entgegen. Das Erstgericht habe zu Recht die Frist des § 91 Abs. 5 SGB IX als nicht mehr eingehalten angesehen. Auch die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei von der Beklagten versäumt worden. Ergänzend dazu wird daran festgehalten, dass diese Beendigungskündigung bereits am Vorrang einer Änderungskündigung scheitern müsse. Die Beklagte habe in der Betriebsratsanhörung auf S. 5 selbst davon gesprochen, dass sie die Weiterbeschäftigung des Klägers als Hausverwalter für unzumutbar halte, sie sich aber vorstellen könne, den Kläger auf einer freien Stelle als Hausmeister weiter zu beschäftigen.

Zur Ergänzung des Parteivorbringens in diesem Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 10. September 2007 (Blatt 151 bis 164 der Akte) mit Anlagen, auf die Berufungsbeantwortung vom 12. November 2007 (Blatt 245 bis 258 der Akte) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 17. Januar 2008 (Blatt 265 bis 267 der Akte).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§ 64 Abs. 2 ArbGG) und auch sonst zulässige Berufung (§ 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 11 Abs. 2 ArbGG) mit dem Ziel, die Kündigungsschutzklage abgewiesen zu bekommen, muss erfolglos bleiben. Zu diesem Ergebnis war bereits das Erstgericht richtigerweise gekommen. Die angefochtene Kündigung scheitert bereits an der nicht eingehaltenen Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB. Auch wäre der Beklagten bei der gebotenen Interessenabwägung die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar gewesen. Dass ihre hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung an der fehlenden Zustimmung des Integrationsamtes scheitern musste, kann nicht zulasten des Klägers gehen.

1. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Diese Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist ein gesetzlich konkretisierter Verwirkungstatbestand (BAG 6. Juni 1972 - 2 AZR 386/71 -BAGE 24, 341; 18. November 1999 - 2 AZR 852/98 - BAGE 93, 12). Nach allgemeinen Grundsätzen ist ein Anspruch oder Recht verwirkt, wenn der Berechtigte längere Zeit untätig geblieben ist und dadurch den Eindruck erweckt hat, er wolle das Recht nicht mehr geltend machen, sein Vertragspartner sich auf den dadurch geschaffenen Vertrauenstatbestand eingestellt hat und es ihm deshalb nicht mehr zugemutet werden kann, sich auf das verspätete Begehren des Berechtigten einzulassen. Ziel des § 626 Abs. 2 BGB ist es, für den betroffenen Arbeitnehmer rasch Klarheit darüber zu schaffen, ob der Kündigungsberechtigte einen Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung nimmt.

Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglicht, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (BAG 5. Dezember 2002 - 2 AZR 478/01 - AP BGB § 123 Nr. 63 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 1). Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Ohne die umfassende Kenntnis des Kündigungsberechtigten vom Kündigungssachverhalt kann sein Kündigungsrecht nicht verwirken (BAG 5. Dezember 2002 - 2 AZR 478/01 -aaO). Der Kündigungsberechtigte, der Anhaltspunkte für einen zur außerordentlichen Kündigung berechtigenden Sachverhalt hat, kann Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt. Denn es genügt nicht allein die Kenntnis des konkreten, die Kündigung auslösenden Anlasses, d. h. des "Vorfalls", der einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen soll. Bei einer vom Arbeitgeber erklärten außerordentlichen Kündigung gehören auch solche Aspekte zum Kündigungssachverhalt, die für den Arbeitnehmer und gegen die Kündigung sprechen. Deshalb kann der Kündigungssachverhalt regelmäßig nicht ohne eine Anhörung des Arbeitnehmers hinreichend vollständig erfasst werden (BAG 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9). Außerdem gehört es zu den maßgeblichen Umständen, die vom Kündigungsberechtigten zu ergründen und festzustellen sind, mögliche Beweismittel für die ermittelte Pflichtverletzung zu beschaffen und zu sichern (BAG 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - aaO) .

2. Im Streitfall hat die Kündigungserklärungsfrist spätestens Anfang Februar 2006 zu laufen begonnen. Die Beklagte hatte am 13. Januar 2006 im Bereich der Wohnanlage, für die der Kläger zuständig gewesen war, eine Besichtigung durchgeführt. Dabei festgestellte Zustände und Ergebnisse lösten Nachforschungen aus und so war es am 16. Januar 2006 auch zu einem Gespräch des Personalleiters, des wohnungswirtschaftlichen Bereichsleiters und eines Vertreters der Geschäftsleitung der Beklagten mit dem Kläger gekommen, in dessen Verlauf der Kläger mit den der Kündigung zu Grunde liegenden Vorwürfen und Vorhaltungen konfrontiert worden ist. Im Anschluss daran vereinbarten die Parteien eine Freistellung des Klägers ab sofort bis zur endgültigen Klärung des Sachverhalts, zunächst vorläufig bis zum 28. Februar 2006 von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Bezüge. Der Beklagten kann noch zugestanden werden, dass sie auch mit dem vom Kläger genannten Herrn R. sprechen wollte, dessen Reaktion ist nach Bekundung des Personalleiters der Beklagten Herrn T. vor der Berufungskammer am 17. Januar 2008 zwei- bis zweieinhalb Wochen nach dem 16. Januar 2006 erfolgt. Damit waren die Ermittlungen der Beklagten dann aber abgeschlossen, ein weiterer Aufklärungsbedarf ist weder ersichtlich noch nachvollziehbar vorgetragen worden. Die Freistellungsvereinbarung vom 16. Januar 2006 kann das Anlaufen der Erklärungsfrist nicht verhindern. Und auch das erneute abschließende Gespräch am 14. Februar 2006 mit dem Angebot der Beklagten an den Kläger, künftig anstelle der bisherigen Position (Hausverwalter) als Hausmeister mit reduziertem Gehalt weiterzuarbeiten, unterbricht oder hemmt den Lauf der Erklärungsfrist nicht. Beim Antrag vom 22. Februar 2006 an das zuständige Integrationsamt war die zweiwöchige Erklärungsfrist damit bereits abgelaufen.

3. Die Vorschrift des § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX (ehemals § 18 Abs. 2 SchwbG 1979 bzw. § 21 Abs. 2 SchwbG 1986) verdrängt die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht. Mit dem bestandskräftigen, zustimmenden Verwaltungsakt des Integrationsamtes steht auch nicht etwa zugleich fest, dass die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB gewahrt ist. Die Einhaltung dieser Erklärungsfrist wird vielmehr von den Gerichten für Arbeitssachen eigenständig geprüft.

Gemäß § 91 Abs. 1 SGB IX i.V.m. § 85 SGB IX bedarf die außerordentliche Kündigung eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Diese Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen beantragt werden. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt (§ 91 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB IX). Mit Entscheidung vom 15. November 2001 (2 AZR 380/00 - BAGE 99, 358, 365; nachfolgend 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 -BAGE 103, 277, 286) ist vom Bundesarbeitsgericht klargestellt worden, dass § 626 Abs. 2 BGB nicht durch die Regelung des § 18 Abs. 2 SchwbG 1979 (nachfolgend § 21 Abs. 2 SchwbG 1986 bzw. § 91 Abs. 2 SGB IX) verdrängt wird. Nur wenn die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nach Erteilung der Zustimmung durch das Integrationsamt bereits abgelaufen ist, will § 91 Abs. 5 SGB IX dem Umstand Rechnung tragen, dass es dem Arbeitgeber regelmäßig nicht möglich ist, bis zum Ablauf der zweiwöchigen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen (BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - BAGE 103, 277, 286; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - AP SGB IX § 91 Nr. 4 = EzA SGB IX § 91 Nr. 1) . Die Fristen des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB und § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bestehen somit selbständig nebeneinander und verdrängen einander nicht gegenseitig (so auch Düwell in LPK-SGB IX § 91 Rn. 9, 12; HaKo-Griebeling 2. Aufl. § 626 BGB Rn. 132; derselbe in Hauck/Noftz SGB IX Stand November 2005 § 91 Rn. 5, 8a; Braasch in Neumann Handbuch SGB IX § 19 Rn. 193; Fenski BB 2001, 570, 571; Joussen DB 2002, 2162, 2163).

Richtig ist, dass die Einhaltung der Frist des § 91 Abs. 2 SGB IX allein der Prüfungskompetenz der Integrationsämter unterfällt und im Falle der Anfechtung den Verwaltungsgerichten. An deren Entscheidung sind alle anderen Behörden und Gerichte wegen der sog. Tatbestandswirkung (vgl. Kopp/Ramsauer VwVfG 9. Aufl. § 43 Rn. 18 f.; Knack VwVfG 8. Aufl. § 43 Rn. 17 f.) gebunden, sofern die Entscheidung nicht ausnahmsweise nichtig ist (BAG 11. Mai 2000 - 2 AZR 276/99 - BAGE 94, 313, 323; 17. Februar 1977 - 2 AZR 687/75 - BAGE 29, 17, 25; BVerwG 2. Mai 1996 - 5 B 186/95 - Buchholz 436.61 SchwbG § 21 Nr. 7; KR-Etzel 7. Aufl. § 91 SGB IX Rn. 10; ErfK/Rolfs 6. Aufl. § 91 SGB IX Rn. 4 und § 85 SGB IX Rn. 15). Soweit die Arbeitsgerichte die Einhaltung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB als Voraussetzung der außerordentlichen Kündigung prüfen, steht nicht die Wirksamkeit des zustimmenden Verwaltungsaktes zur Kontrolle an. Die Überprüfung, ob der Verwaltungsakt rechtmäßig ist, insbesondere ob das Integrationsamt das Einhalten der Ausschlussfrist des § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zu Recht bejahte, wird durch die Prüfung der Ausschlussfrist nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB durch die Arbeitsgerichte nicht berührt (so auch Hauck/Noftz/Griebeling SGB IX Stand November 2005 § 91 Rn. 8a; Fenski BB 2001, 570, 571; Joussen DB 2002, 2162, 2163) .

Eine Feststellungswirkung, d. h. eine Bindung an die dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen oder die Beurteilung vorgreiflicher Inzidentfragen, ist dem Verwaltungsakt in der Regel nicht eigen (vgl. Kopp/Ramsauer VwVfG 9. Aufl. § 43 Rn. 26; Knack VwVfG 8. Aufl. § 43 Rn. 22) . Es bedarf vielmehr besonderer gesetzlicher Vorschriften, die diese Feststellungswirkung anordnen (BVerwG 16. Oktober 1969 - I C 20.66 - BVerwGE 34, 90 zu § 15 BVFG aF; 11. Juli 1985 - 7 C 44/83 - BVerwGE 72, 8 zu § 3 SchwbG 1979). § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX beinhaltet jedoch keine solche Regelung. Das folgt schon aus der vom Gesetz vorgegebenen Zweigleisigkeit des Sonderkündigungsschutzes für schwerbehinderte Menschen. Außerdem richtet sich § 91 Abs. 2 SGB IX nicht an die Parteien des arbeitsgerichtlichen Kündigungsschutzverfahrens, sondern an die Beteiligten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (Fenski BB 2001, 570, 571; Joussen DB 2002, 2162, 2163). Die zustimmende Entscheidung des Integrationsamtes beinhaltet deshalb zwar die Bejahung der Vorfrage, ob die Antragsfrist nach § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX von der Beklagten eingehalten wurde. Diese Beurteilung des Integrationsamtes ist jedoch für das Arbeitsgericht bei der Prüfung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht bindend.

4. Die Zustimmung des Integrationsamtes zur außerordentlichen Kündigung des Klägers war am 9. März 2006 bei der Beklagten eingegangen (Blatt 61 der Akte). Die Anhörung des Betriebsrats erfolgte mit Schreiben vom 10. März 2006 (Blatt 62 der Akte). Das alles liegt bereits nach Ablauf der zweiwöchigen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB. Der Anwendungsbereich des § 91 Abs. 5 SGB IX war gar nicht erst eröffnet, wenn die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB bereits vor Antragstellung beim Integrationsamt abgelaufen war. Auf die vom Erstgericht vertretene Ansicht, die Beklagte habe nach Ablauf der Drei-Tage-Frist des § 102 Abs. 2 S. 3 BetrVG die Kündigung nicht in der kürzestmöglichen Zeit, nicht bereits am ersten Arbeitstag nach Abschluss des Beteiligungsverfahrens ausgesprochen, kommt es damit nicht mehr an.

5. Unabhängig davon wäre der Beklagte zur Vermeidung einer fristlosen Beendigungskündigung die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar gewesen. Die Beklagte hatte vor Ausspruch der Kündigung bereits an eine Versetzung des Klägers auf die Position des Hausmeisters gedacht, kann er doch auf eine Betriebszugehörigkeit seit 1986 zurückblicken, auf Unterhaltspflichten und seinen Status als einem Schwerbehinderten gleichgestellt verweisen.

6. Dass die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 15. März 2006 an der fehlenden Zustimmungserklärung des Integrationsamtes scheitern muss, findet man in der angefochtenen Entscheidung zutreffend und sorgfältig dargestellt. Darauf kann Bezug genommen werden (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Für die Beklagte wird die Revision zugelassen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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