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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 14.06.2005
Aktenzeichen: 6 Sa 807/04
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 Sa 807/04

Verkündet am: 14. Juni 2005

In dem Rechtsstreit

hat die Sechste Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 26. April 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Staudacher sowie die ehrenamtlichen Richter Gauglitz und Zinda für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten vom 19. Juli 2004 gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 3. Mai 2004 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung.

Der Kläger war auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 31. Juli/ 1. August 1996 (Blatt 5 bis 15 der Akte) in die Dienste von Rechtsvorgängern der Beklagten getreten. Beschäftigt zunächst als Senior Sales Engineer hatte sich sein zuletzt erzieltes Bruttomonatsgehalt auf € 17.500,00 belaufen.

Die Beklagte ist die Tochter eines weltweit tätigen US-amerikanischen Unternehmens. Als sie dem Kläger mit Schreiben vom 31. Oktober 2002 (Blatt 4 der Akte) zum 31. Dezember 2002 aus betriebsbedingten Gründen eine ordentliche Kündigung aussprach, ließ dieser mit anwaltschaftlichem Schriftsatz vom 1. November 2002 dagegen Kündigungsschutzklage erheben, die vor dem angerufenen Arbeitsgericht München erfolgreich geblieben ist. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Endurteils vom 3. Mai 2004 wird Bezug genommen.

Mit der am 19. Juli 2004 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Begründung dazu ist innerhalb der verlängerten Begründungsfrist am 24. September 2004 eingegangen. Darin wird vorgetragen, Geschäftsgegenstand der Beklagten seien jetzt die Entwicklung, Herstellung und der Vertrieb von sog. switches (intelligente Verteiler) für local area networks (LANs). Noch bis in das Jahr 2003 habe es bei der Beklagten zwei Geschäftsbereiche gegeben, nämlich BNC (Business Network Company) und CommWorks. Dementsprechend sei der zwischen den Parteien bestehende Arbeitsvertrag am 13. April 2000 auch dahin abgeändert worden, dass der Kläger ab 1. April 2000 als Sales Manager (Vertriebsleiter) Unternehmensbereich Carrier D/A/CH beschäftigt werde (Blatt 60 der Akte). Zuständig für das gesamte Geschäft im Betreuungsbereich Deutschland, Österreich und Schweiz seien ihm dabei alle Mitarbeiter dieses Bereichs, sowohl Vertriebsbeauftragte wie Techniker, unterstellt gewesen.

Im Dezember 2000 habe die Beklagte den Geschäftsbereich "Carrier" in "CommWorks" umbenannt. Die beiden Geschäftsbereiche BNC und CommWorks seien dabei in den Geschäftsräumen der Beklagten M.-P.-Str. 3 in A. räumlich getrennt untergebracht gewesen. Im Geschäftsbereich CommWorks habe es zwei weitere Beschäftigte gegeben, Herrn R. B. als Senior network Consultant und Herrn Th. K. als Major Account Manager; der Kläger sei beiden gegenüber fachlicher und personeller Vorgesetzter gewesen.

Seit 30. August 2000 hatte die Beklagte den Kläger nicht mehr beschäftigt, da sie ihm an diesem Tage eine außerordentliche fristlose und eine hilfsweise ordentliche Kündigung wegen unerlaubter Konkurrenztätigkeit ausgesprochen hatte, die aber letztendlich erfolglos geblieben sind. Seine Stelle hatte die Beklagte nach Ausspruch dieser Kündigungen mit Herrn H.-J. R. besetzt.

Mit Wirkung zum 25. März 2003 hatte die US-amerikanische Muttergesellschaft der Beklagten den von ihr in den USA betriebenen Geschäftsbereich CommWorks an die Firma xx verkauft. In diesem Zusammenhang sei die Unternehmensleitung der Beklagten im August 2002 von der weisungsberechtigten Konzernmutter angewiesen worden, den Bereich CommWorks in Deutschland schnellstmöglich einzustellen. Der damalige Geschäftsführer der Beklagten habe die entsprechenden Unternehmensentscheidungen dann auch getroffen und umgesetzt. Das alles habe geschehen müssen vor dem Hintergrund sich massiv negativ entwickelnder Umsätze der Beklagten und ihrer Mutter in den Fiskaljahren 1999 bis 2002.

Das Arbeitsverhältnis mit Herrn R. habe die Beklagte aufgrund ihrer Entscheidung, den Bereich CommWorks zu schließen, am 16. September 2002 zum 31. Dezember 2002 gekündigt mit seiner sofortigen Freistellung von der Arbeitsleistung. Die Abwicklung des Geschäftsbereichs CommWorks in Deutschland sei zum 25. März 2003 abgeschlossen worden.

Im Zeitpunkt des Ausspruchs der streitgegenständlichen Kündigung habe es im Unternehmen der Beklagten einen einzigen freien Arbeitsplatz, den eines "Account Managers Network Service Providers" gegeben. Diese Position eines Vertriebsbeauftragten für Netzwerkanbieter sei in der hierarchischen Struktur im Unternehmen die niedrigste im Vertriebsbereich, dotiert mit einem Bruttojahreszieleinkommen von € 80.000,--.

Dem Erstgericht wird vorgehalten, das Vorbringen der Beklagten mit Schriftsatz vom 14. April 2004 zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen zu haben. Wäre dieses Vorbringen noch berücksichtigt worden, hätte das Gericht nicht zum Schluss kommen können, es sei beklagtenseits nicht substantiiert dargelegt worden, welche Tätigkeiten im Bereich CommWorks angefallen und von den dort beschäftigten Mitarbeitern ausgeführt worden sind. Und auch die vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten bei Zugang der Kündigung habe die Beklagte in diesem Schriftsatz dargelegt mit der Folge, dass die zur Entscheidung anstehende Klage hätte abgewiesen werden müssen. Die nicht justiziable Unternehmerentscheidung habe die einstmals vom Kläger besetzte Position des Leiters des Geschäftsbereichs CommWorks ersatzlos wegfallen lassen. Eine soziale Auswahl sei dabei nicht durchzuführen gewesen; vergleichbare Positionen habe es nicht gegeben und der Beklagten wäre es auch nicht möglich gewesen, den Kläger mittels Direktionsrecht auf einen anderen Arbeitsplatz zu versetzen. Die Herren B. und K. seien auf einer zur Position des Klägers untergeordneten hierarchischen Ebene sowohl disziplinarisch als auch von der Höhe des Einkommens betrachtet angesiedelt und damit in die Sozialauswahl nicht einzubeziehen gewesen. Den freien Arbeitsplatz eines "Account Managers Network Service Providers" habe die Beklagte dem Kläger nicht anbieten müssen: der Vorrang einer Änderungskündigung beziehe sich nur auf freie Arbeitsplätze, die beiden Parteien zumutbar sind. Der Kläger habe sich zuletzt eine Hierarchiestufe unterhalb der Geschäftsleitungsebene befunden, der freie Arbeitsplatz liege im Vertriebsbereich auf der untersten Hierarchiestufe mit einem Bruttogehalt, das gerade einmal 38 % des bisherigen Einkommens des Klägers ausmacht. Auch sei der Beklagten nicht zumutbar gewesen, dem Kläger diesen Arbeitsplatz anzubieten, sei damals der Streit zwischen den Parteien über den Ausspruch einer Kündigung wegen unerlaubter Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen doch noch nicht abgeschlossen gewesen.

Die Berufungsanträge lauten damit:

Das Urteil des Arbeitsgerichts vom 4.5.2004 insgesamt abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger lässt beantragen:

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Den Überlegungen des Erstgerichts pflichtet er bei, den Ausführungen in der Berufungsbegründung tritt er entgegen. Im Folgenden lässt er zunächst seinen beruflichen Werdegang bei der Beklagten und ihren Rechtsvorgängern schildern bis zum "Sales Manager Unternehmensbereich Carrier D/A/CH" im Zusammenhang mit seiner (letzten) Gehaltsüberprüfung vom 13. April 2000. Als nächstes sei ihm dann am 30. August 2000 fristlos und ordentlich aus verhaltensbedingten Gründen - aber erfolglos - zum 30. September 2000 gekündigt worden.

Am 24. Oktober 2002 habe die Beklagte in einer Stellenanzeige einen "Account Manager Network Service Provider", unter anderem gerade zur Betreuung von Carriern, gesucht.

Nach Freistellung von Herrn R. (16. September 2002) habe der frühere Mitarbeiter des Klägers, Herr T. K., seine Stelle als Vertriebsleiter und die damit verbundene Personalverantwortung im "Unternehmensbereich Carrier D/A/CH" erhalten. Am 27. Januar 2003 sei ein Artikel erschienen, in dem sich Herr K. als neuer Vertriebsleiter im Bereich CommWorks habe zitieren lassen.

Im März 2003 sei bekannt gegeben worden, dass die Mutter der Beklagten ihre amerikanische Tochter mit allen Vermögensgegenständen und unter Mitnahme der wesentlichen Mitarbeiter an die Firma xx verkauft habe zu einem Preis von USD 100.000.000,--. Der Übergang sei Ende Mai 2003 vollzogen worden. Dabei habe es auch einen Wechsel der Herren K. und B. von der Beklagten zur Firma xx Deutschland gegeben.

Anfangs September 2003 sei der auf die Anzeige vom 24. Oktober 2002 eingestellte Herr J. K. Vertriebsleiter bei der Beklagten im Bereich "Enterprise-Kunden" (Großkunden) geworden.

Der Kläger bestreitet weiterhin, während seiner aktiven Zeit bei der Beklagten in einem eigenständigen Geschäftsbereich CommWorks tätig gewesen zu sein. Zum Zeitpunkt der ersten Kündigungen (30. August 2000) sei er zwar Vertriebsleiter der Beklagten, aber nicht eines Bereichs CommWorks gewesen. Damals seien alle Produkte unter der einheitlichen Marke "xx" vertrieben worden.

Eine Weisung der amerikanischen Muttergesellschaft an die Beklagte, den Bereich "CommWorks" in Deutschland schnellstmöglich einzustellen, wird weiterhin bestritten. Eine solche Weisung wäre aus Sicht des Klägers auch sinnlos gewesen, da CommWorks ja verkauft werden sollte.

Zur Position des Account Managers wird angemerkt, dass der auf diese Stelle eingestellte Herr K. bereits ab September 2003 den Posten eines Vertriebsleiters bei der Beklagten im Enterprise-Bereich, also bei Großkunden, übernommen habe. Der Kläger leitet daraus eine Vergleichbarkeit dieser Stelle mit seiner Stelle ab, zumal die Position des Vertriebsleiters wohl auch schon bei Einstellung von Herrn K. vakant gewesen sei. In diesem Zusammenhang wird schließlich auch eine fehlerhafte Sozialauswahl vor Ausspruch seiner Kündigung gerügt. Der Kläger nennt in diesem Zusammenhang die Herren B. und K. sowie die ihm im Vertrieb unterstellten Mitarbeiter.

Die Beklagte tritt diesen Ausführungen entgegen.

Die Berufungskammer hat nach Maßgabe ihres Beweisbeschlusses vom 26. April 2005 Frau M. B. vernommen. Ihre unbeeidigt gebliebene Aussage ist in der Sitzungsniederschrift vom 26. April 2005 (Blatt 192 bis 197 der Akte) festgehalten worden.

Zur Ergänzung des Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird ferner Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 23. September 2004 (Blatt 104 bis 113 der Akte), auf die Berufungsbeantwortung vom 26. November 2004 (Blatt 119 bis 137 der Akte) mit Anlagen, auf den Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 18. April 2005 (Blatt 179 bis 191 der Akte), auf den Schriftsatz der klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 6. Mai 2005 (Blatt 199 bis 210 der Akte) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 14. Juni 2005 (Blatt 216/217 der Akte).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§ 64 Abs. 2 ArbGG) und auch sonst zulässige Berufung (§ 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 11 Abs. 2 ArbGG) mit dem Ziel, die Kündigungsschutzklage abgewiesen zu bekommen, muss erfolglos bleiben. Das Erstgericht hat die streitbefangene Kündigung im Ergebnis zu Recht als sozial ungerechtfertigt im Sinne von § 1 KSchG angesehen. Die Beklagte hätte vor Ausspruch der streitbefangenen Kündigung eine soziale Auswahlentscheidung vornehmen müssen, zumindest Herr K. war mit dem Kläger vergleichbar gewesen. Die beklagtenseits eingewandte hierarchische Unterordnung machte soziale Auswahlentscheidungen nicht entbehrlich, können sich Mitarbeiter bei der Beklagten doch - wie die beruflichen "Karrieren" der Herren K. und K. zeigen - beruflich rasch verändern. Auch ein Anbieten der am 24. Oktober 2002 ausgeschriebenen Stelle eines "Account Manager Network Service Provider" wäre zumindest in Betracht gekommen, konnte der Kläger doch auf eine Betriebszugehörigkeit seit 1996 verweisen und stand vor dem Ausspruch einer weiteren, nunmehr betriebsbedingten Kündigung. In diesem Zusammenhang ist auf die im Anstellungsvertrag vom 31. Juli/1. August 1996 unter § 1 Abs 2 vereinbarte Verwendungsklausel hinzuweisen, die einem Direktionsrecht der Beklagten fast keine Grenzen setzt. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang das Angebot der Stelle eines "Account Manager Network Service Provider" als für sie unzumutbar bezeichnet, kann sie damit nicht durchdringen, hatten ihre am 30. August 2000 ausgesprochenen Kündigungen doch keinen Bestand gehabt und das zeichnete sich am 31. Oktober 2002 auch schon ab.

Die streitbefangene Kündigung war nach der Berufungsverhandlung über die Wirksamkeit der Kündigungen vom 30. August 2000 ausgesprochen worden ohne eine soziale Auswahlentscheidung vorzunehmen und auch ohne unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes an die freie Stelle eines "Account Manager Network Service Provider" zu denken. All das ist unterblieben, weil die zuständige Personalleiterin bei ihren damaligen Kündigungsentscheidungen wegen Stilllegung der Abteilung CommWorks den Kläger gar nicht mehr als Mitarbeiter geführt hatte. Und so sind die Herren K. und B. ungekündigt geblieben und im März 2003 dann zur xx übergewechselt.

Der Kläger wäre - hätte ihn die Beklagte nicht nach Ausspruch ihrer (ersten) Kündigungen am 30. August 2000 und seitdem fortlaufend von der Arbeitsleistung freigestellt - im Herbst 2002 im organisatorisch selbständigen Bereich CommWorks eingesetzt gewesen. Die Kammer folgt dabei den Bekundungen der glaubwürdigen Zeugin Frau B., die als ehemalige Personalleiterin bei der Beklagten für den Einsatz der Mitarbeiter in diesem Bereich zuständig gewesen war und auf Frage erklärt hatte, wenn der von ihr nicht mehr als Mitarbeiter geführte Kläger noch Mitarbeiter ist, wäre er in diesem Bereich gewesen. Frau B. hat ihre Aussage sachlich und nachvollziehbar zu Protokoll gegeben und erkennbar nur das bekundet, was sie noch in Erinnerung hatte (§ 286 ZPO). Bedenken gegen die Richtigkeit ihrer Bekundungen sind nicht angemeldet worden.

Dass der Kläger damals noch Mitarbeiter war, ist zwischen den Parteien nicht mehr im Streit; die von der Beklagten am 30. August 2000 ausgesprochenen Kündigungen waren letztendlich erfolglos geblieben.

Ist die streitbefangene Kündigung damit auch nach Ansicht der Berufungskammer sozial ungerechtfertigt im Sinne von § 1 Absätze 1 und 3 KSchG, muss das von der Beklagten eingelegte Rechtsmittel mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO erfolglos bleiben.

Für eine Zulassung der Revision besteht keine gesetzlich begründete Veranlassung (§ 72 Abs. 2 ArbGG). Auf § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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