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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Beschluss verkündet am 11.02.2003
Aktenzeichen: 6 TaBV 19/02
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 99
BetrVG § 101
Der Betriebsrat hat auch bei der Umgruppierung sogenannter Tarifkräfte in den sogenannten AT (außertariflichen)-Bereich ein Beteiligungsrecht nach § 99 BetrVG
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

6 TaBV 19/02

Verkündet am: 11. Februar 2003

In dem Beschlussverfahren

hat die Sechste Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Anhörung vom 14. Januar 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Staudacher sowie die ehrenamtlichen Richter Högele und Sturm für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Beschwerde des Betriebsrats vom 8.4.2002 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 15.2.2002 - 35 BV 260/01 abgeändert:

1. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, bezüglich der Eingruppierung des Betriebsangehörigen Dr. M. die Zustimmung des Antragstellers zur Umgruppierung aus dem tariflichen in den außertariflichen Bereich einzuholen und im Zustimmungsverweigerungsfall das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG einzuleiten.

2. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, bezüglich der Eingruppierung des Betriebsangehörigen Dr. E. die Zustimmung des Antragstellers zur Umgruppierung aus dem tariflichen in den außertariflichen Bereich einzuholen und im Zustimmungsverweigerungsfall das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG einzuleiten.

3. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, bezüglich der Eingruppierung des Betriebsangehörigen P. St. die Zustimmung des Antragstellers zur Umgruppierung aus dem tariflichen in den außertariflichen Bereich einzuholen und im Zustimmungsverweigerungsfall das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG einzuleiten.

II. Antrag III. der Beschwerde vom 8.4.2002 ist erledigt.

III. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Beteiligungsrechte des Betriebsrats beim Wechsel von Mitarbeitern aus dem Tarifbereich in den außertariflichen Bereich.

Die Arbeitgeberin (Antragsgegnerin und Beteiligte zu 2.) betreibt ein technisch-wissenschaftliches Dienstleistungsunternehmen mit etwa eintausend Mitarbeitern. Sie ist Mitglied des Vereins der Bayerischen Metallindustrie (VBM).

Antragsteller ist der bei der Antragsgegnerin gebildete Betriebsrat.

Unter dem 4. Dezember 1997 hatten die Beteiligten eine Betriebsvereinbarung über Funktions-/Tätigkeitsbeschreibungen, Gehaltsbänder und Eingruppierung für außertarifliche Mitarbeiter abgeschlossen, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Blatt 35 bis 39 der Akte).

Mit Schreiben vom 23. August 2001 (Blatt 5 der Akte) informierte die Arbeitgeberin den Betriebsrat "der guten Ordnung halber" darüber, dass vorbehaltlich einer endgültigen Klärung des Mitbestimmungsrechtes beim Wechsel von Tarif- in den AT-Bereich die nachstehend aufgeführten Mitarbeiter (= Dr. M., B., Dr. E. und P.St.) rückwirkend zum 1.7.2001 von T VII/4 nach AT aufgrund individueller Erhöhung ihrer Bezüge kommen sollen. Entsprechende Verträge wurden ausgestellt.

Der Betriebsrat ist der Auffassung, die Arbeitgeberin hätte ihn hier nicht lediglich informieren, sondern nach Maßgabe des § 99 BetrVG beteiligen müssen. Es gehe um eine mitbestimmungspflichtige Umgruppierung. Innerbetrieblich finde der Bayerische Metalltarif mit einem festgelegten Lohn- und Gehaltsgruppensystem Anwendung. Daneben gebe es die durch Betriebsvereinbarung geschaffene Gehaltsgruppenordnung für außertarifliche Kräfte. Die Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers in diesem Zusammenhang sei eine Eingruppierungsentscheidung i. S. v. § 99 BetrVG.

Da die Arbeitgeberin an ihrer Auslegung festhält, hat der Betriebsrat mit anwaltschaftlichem Schriftsatz vom 12. September 2001 das vorliegende Beschlussverfahren einleiten lassen mit den Anträgen:

I. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, bezüglich der Eingruppierung des Betriebsangehörigen Dr. M. die Zustimmung des Antragstellers zur Umgruppierung (Umgruppierung aus dem tariflichen in den außertariflichen Bereich) einzuholen und im Zustimmungsverweigerungsfall das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 IV BetrVG einzuleiten.

II. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, bezüglich der Eingruppierung des Betriebsangehörigen B. die Zustimmung des Antragstellers zur Umgruppierung (Umgruppierung aus dem tariflichen in den außertariflichen Bereich) einzuholen und im Zustimmungsverweigerungsfall das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 IV BetrVG einzuleiten.

III. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, bezüglich der Eingruppierung des Betriebsangehörigen Dr. E. die Zustimmung des Antragstellers zur Umgruppierung (Umgruppierung aus dem tariflichen in den außertariflichen Bereich) einzuholen und im Zustimmungsverweigerungsfall das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 IV BetrVG einzuleiten.

IV. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, bezüglich der Eingruppierung des Betriebsangehörigen P. St. die Zustimmung des Antragstellers zur Umgruppierung (Umgruppierung aus dem tariflichen in den außertariflichen Bereich) einzuholen und im Zustimmungsverweigerungsfall das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 IV BetrVG einzuleiten.

Vor dem angerufenen Arbeitsgericht München sind diese Begehren erfolglos geblieben; auf die Gründe seines Beschlusses vom 15. Februar 2002 wird Bezug genommen.

Mit der am 10. April 2002 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen und zugleich begründeten Beschwerde gegen diese seinen Verfahrensbevollmächtigten am 26. März 2002 zugestellte Entscheidung verfolgt der Betriebsrat seine Anträge weiter. Der Arbeitgeberin wird weiterhin vorgehalten, das betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrecht aus § 99 BetrVG bei Ein- und Umgruppierung zu verkennen; hier gehe es um die Beteiligung des Betriebsrats an einem Akt der Rechtsanwendung. Die Information der Arbeitgeberin vom 23. August 2001 könne in diesem Zusammenhang noch nicht genügen, es wäre vielmehr die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen gewesen. Zur Beurteilung dieser Umgruppierung hätten außerdem Unterlagen wie der Arbeitsvertrag und Arbeitsplatzbeschreibungen vorgelegt werden müssen.

Das Arbeitsgericht habe bei seiner gegenteiligen Entscheidung den Begriff der betrieblichen Entgeltordnung verkannt. Ein "Korridor", der eine Schwankungsbreite in der Vergütung zulasse, sei typisch für innerbetriebliche Entgeltordnungen im außertariflichen Bereich; im Übrigen finde innerbetrieblich der Bayerische Metalltarif in seiner Gesamtheit einheitlich für Tarifkräfte Anwendung.

Damit lauten die Beschwerdeanträge:

I. Der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 15.2.2002 - zugestellt am 26.3.2002 - Gz. 35 BV 260/01 wird abgeändert.

II. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, bezüglich der Eingruppierung des Betriebsangehörigen Dr. M. die Zustimmung des Antragstellers zur Umgruppierung (Umgruppierung aus dem tariflichen in den außertariflichen Bereich) einzuholen und im Zustimmungsverweigerungsfall das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 IV BetrVG einzuleiten.

III. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, bezüglich der Eingruppierung des Betriebsangehörigen B. die Zustimmung des Antragstellers zur Umgruppierung (Umgruppierung aus dem tariflichen in den außertariflichen Bereich) einzuholen und im Zustimmungsverweigerungsfall das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 IV BetrVG einzuleiten.

IV. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, bezüglich der Eingruppierung des Betriebsangehörigen Dr. E. die Zustimmung des Antragstellers zur Umgruppierung (Umgruppierung aus dem tariflichen in den außertariflichen Bereich) einzuholen und im Zustimmungsverweigerungsfall das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 IV BetrVG einzuleiten.

V. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, bezüglich der Eingruppierung des Betriebsangehörigen P. St. die Zustimmung des Antragstellers zur Umgruppierung (Umgruppierung aus dem tariflichen in den außertariflichen Bereich) einzuholen und im Zustimmungsverweigerungsfall das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 IV BetrVG einzuleiten.

Die Arbeitgeberin lässt beantragen:

Die Beschwerde zurückzuweisen.

Den Überlegungen des Erstgerichts in der angefochtenen Entscheidung pflichtet sie bei, den Ausführungen in der Berufungsbegründung tritt sie entgegen. Eine mitbestimmungspflichtige Ein-/Umgruppierung liegt aus ihrer Sicht auch dann nicht vor, wenn Mitarbeiter nicht mehr einer (tariflichen) Vergütungsgruppe zuzuordnen seien, vielmehr gänzlich aus dem (tariflichen) Vergütungssystem herausfallen. Gerade so sei es aber hier gewesen, die Tätigkeit dieser Arbeitnehmer habe sich dabei nicht geändert.

Zu Herrn B. wird angemerkt, sein ursprünglich angedachter Wechsel in den AT-Bereich sei nicht vollzogen worden, womit das in Anspruch genommene Beteiligungsrecht auch deshalb nicht in Betracht kommen könne. Der Betriebsrat lässt seinen Antrag III. (Herrn B. betreffend) daraufhin für erledigt erklären, die Arbeitgeberin hat dem zugestimmt.

Zur Ergänzung des Beteiligtenvorbringens im Beschwerdeverfahren wird Bezug genommen auf den Beschwerdeschriftsatz vom 8. April 2002 (Blatt 81 bis 92 der Akte) mit Anlagen, auf die Beschwerdebeantwortung vom 21. Mai 2002 (Blatt 103 bis 109 der Akte), auf den Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin vom 27. Dezember 2002 (Blatt 126/127 der Akte), auf den Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats vom 21. Januar 2003 (Blatt 141 a der Akte) mit Anlage sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 14. Januar 2003 (Blatt 124/125 der Akte) mit Anlagen und vom 11. Februar 2003 (Blatt 142 bis 144 der Akte).

II.

Das statthafte und auch sonst zulässige Rechtsmittel (§§ 87, 89, 11 Abs. 2 ArbGG) hat - soweit Antrag III. nicht übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist - Erfolg.

Die verbleibenden Anträge finden in § 101 BetrVG eine tragfähige Rechtsgrundlage. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 99 Abs. 1 BetrVG ist ein Mitbeurteilungsrecht, es soll die zutreffende Anwendung der maßgeblichen Vergütungsordnung sichern. Außerdem dient dieses Beteiligungsrecht des Betriebsrats der einheitlichen und gleichmäßigen Anwendung der Vergütungsordnung in vergleichbaren Fällen, der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit und der Transparenz der vorgenommenen Ein-/Umgruppierungen.

Die Mitarbeiter Dr. M., Dr. E. und P. St. sind mit Wirkung zum 1. Juli 2001 von einer Beschäftigung als sog. Tarifkräfte (eingruppiert in VergGr VII des Manteltarifvertrages für die Angestellten der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie) in den sog. AT-Bereich gewechselt. Nach § 1 Nr. 3 Abs. 2 d dieses Manteltarifvertrages gilt er nicht für Angestellte, deren Gehalt auf außertariflicher Grundlage über den Rahmen des höchsten Tarifsatzes der Gruppe VII um 25 v.H. hinausgehend geregelt ist. Die Zuordnung dieser Mitarbeiter in eine Gehaltsgruppe der hier Anwendung findenden Betriebsvereinbarung über Funktions-/Tätigkeitsbeschreibungen, Gehaltsbänder und Eingruppierung für außertarifliche Mitarbeiter vom 4. Dezember 1997 ist als mitbestimmungspflichtige Umgruppierung i. S. v. § 99 Abs. 1 BetrVG zu bewerten. Ein solcher Wechsel vom Tarifbereich in den AT-Bereich macht(e) jedenfalls im Streitfall eine neue Ein-/Umgruppierungsentscheidung nach § 99 Abs. 1 BetrVG erforderlich. Das ergibt sich zwar nicht schon daraus, dass diese Angestellten nun nicht mehr vom persönlichen Geltungsbereich des Manteltarifvertrages erfasst sind. Das Herauswachsen aus dem Geltungsbereich des Manteltarifvertrages folgt nur aus dem vereinbarten Gehalt und nicht aus einer geänderten Tätigkeit. Damit stellte sich der Arbeitgeberin auch keine Beurteilungsfrage etwa dahin, ob die ausgeübte Tätigkeit nunmehr die Qualifikationsmerkmale der höchsten tariflichen Vergütungsgruppe übersteigende Anforderungen stellt. Bei der Arbeitgeberin gibt es jedoch für den AT-Bereich eine Vergütungsordnung, geregelt in der Betriebsvereinbarung vom 4. Dezember 1997 und den Anlagen dazu. Sie erfasst nach ihrem Geltungsbereich Mitarbeiter, die nach dem persönlichen Geltungsbereich gemäß I. § 1, Ziffer 3. Abs. II. lit. d) MTV für Angestellte der Bayerischen Metallindustrie nicht dem Tarifbereich zuzurechnen (und die auch nicht Leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG) sind und verweist unter Ziffer 2. auf die in der Anlage 1 aufgeführten Funktions-/Tätigkeitsbeschreibungen für außertarifliche Mitarbeiter.

Ziffer 4. dieser Betriebsvereinbarung spricht unter der Überschrift: Ein- und Umgruppierung zunächst davon, dass AT-Mitarbeiter gemäß den Funktions-/Tätigkeitsbeschreibungen und Anforderungen an die Berufserfahrung in die jeweiligen Gehaltsgruppen gemäß Anlage 1 eingruppiert werden; die erstmalige Eingruppierung erfolge nach Inkrafttreten dieser Betriebsvereinbarung, ... . Und in Abs. 2 dieser Ziffer 4. haben die Betriebsparteien - aus Sicht der Berufungskammer rechtlich zutreffend - festgelegt: Ein- und Umgruppierungen sind personelle Einzelmaßnahmen, die im Rahmen der Personalentwicklung unter Berücksichtigung von § 99 BetrVG durchgeführt werden. Wenn sich das Gehalt eines Arbeitnehmers aufgrund einer individuellen Entscheidung des Arbeitgebers unter oder über die jeweiligen Grenzwerte des Gehaltsbandes verändert, so ist der Arbeitnehmer neu einzugruppieren.

Soweit die Arbeitgeberin einwenden lässt, es fehlten Tätigkeitsbeschreibungen und entgegen Ziffer 1. der Zusatzvereinbarung zu dieser Betriebsvereinbarung seien die bisherigen Funktions-/Tätigkeitsbeschreibungen nicht überarbeitet worden, kann das dem gesetzlichen Beteiligungsrecht des Betriebsrats aus § 99 BetrVG die Grundlage nicht entziehen. Die Tätigkeitsbeschreibungen sind vom Betriebsrat im Anhörungstermin vorgelegt worden (Blatt 132 bis 137 der Akte). Die zusätzlich vorgesehenen Gehaltsbänder ergänzen diese Tätigkeitsbeschreibungen nur, lassen die Ein- oder Umgruppierungsentscheidung aber nicht entfallen. Und nichts anderes gilt, soweit diese Funktions-/Tätigkeitsbeschreibungen nicht überarbeitet worden sind. Auch eine nicht mehr zeitgemäße Vergütungsordnung bleibt solange bestehen, bis sie aufgehoben oder außer Kraft gesetzt wird. Das ist bezogen auf die Betriebsvereinbarung vom 4. Dezember 1997 bislang nicht geschehen. Und da der antragstellende Betriebsrat bei diesen von der Arbeitgeberin bereits durchgeführten Umgruppierungen weder ausreichend beteiligt worden ist noch er den Maßnahmen zugestimmt hat, war antragsgemäß zu erkennen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 12 Abs. 5 ArbGG).

Für die Arbeitgeberin wird die Rechtsbeschwerde zugelassen (§ 92 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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