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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 17.04.2007
Aktenzeichen: 8 Sa 1096/06
Rechtsgebiete: BMT-G II, Bezirks-TV, ArbZG


Vorschriften:

BMT-G II
Bezirks-TV Nr. 4 zum BMT-G II
ArbZG § 4
ArbZG § 4 S. 1
1. Die Wegezeiten eines Omnibusfahrers, auf dessen Arbeitsverhältnis der BMT-G II i. V. mit dem Bezirkstarifvertrag Nr. 4 hierzu für Arbeiter im Fahrdienst bei Nahverkehrsbetrieben im Bereich des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Bayern zur Anwendung kommt, sind, soweit es sich dabei um die Zeiten handelt, in denen er sich von der ersten Ablösestelle (nach Beendigung seiner Arbeit im ersten Schichtteil) zur zweiten (Aufnahme seiner Arbeit zu Beginn des zweiten Schichtteils) begibt, keine vergütungspflichtigen Arbeitszeiten.

2. Für das Tatbestandsmerkmal der im Voraus feststehenden Ruhepausen des § 4 S. 1 ArbZG genügt es, dass zu Beginn der täglichen Arbeitszeit ein bestimmter zeitlicher Rahmen feststeht, innerhalb dessen die Ruhepause genommen werden kann, ohne dass es dazu einer konkreten kollektiven Regelung oder Absprachen des Klägers mit Kollegen bedarf. Damit ist der Schutzzweck des § 4 ArbZG durchaus gewahrt, denn es liegt nicht in der Hand der Beklagten, sondern allein des Klägers, wann er in diesem vorgegebenen zeitlichen Rahmen seine Ruhepausen nehmen will.


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 Sa 1096/06

Verkündet am: 17. April 2007

In dem Rechtsstreit

hat die Achte Kammer des Landesarbeitsgerichts München aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. März 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Kagerer sowie die ehrenamtlichen Richter Aicham-Bomhard und Weinzierl für Recht erkannt:

Tenor:

1. Das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 2. August 2006 - Gz.: 7 Ca 3928/06 - wird geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Gegen dieses Urteil wird seitens des Klägers die Revision zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die vergütungs- und arbeitszeitrechtliche Behandlung von Wegezeiten, die dadurch entstehen, dass sich der Kläger im Rahmen einer Dienstschicht von einer Ablösestelle, an der er den ersten Schichtteil beendet hat, zur weiteren Ablösestelle begibt, an der er den zweiten Schichtteil beginnt.

Er ist am 0.0.1959 geboren und seit 1. September 1981 auf der Basis seines schriftlichen Arbeitsvertrages vom selben Tag bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Omnibusfahrer in einer 38,5-Stundenwoche gegen ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von ca. € 3.000,-- beschäftigt.

Beide Parteien sind tarifgebunden; darüber hinaus bestimmt § 2 S. 1 und 2 ihres Arbeitsvertrages, dass sich "das Arbeitsverhältnis nach den Bestimmungen des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe vom 31. Januar 1962 (BMT-G II) in ihrer jeweils geltenden Fassung bzw. nach den an deren Stelle tretenden tariflichen Bestimmungen regelt" und "die für den Bereich der Stadtverwaltung M. jeweils in Kraft befindlichen sonstigen Tarifverträge daneben Anwendung finden".

Die Omnibusfahrer der Beklagten, wie der Kläger, werden in Schichten tätig. Die Beklagte deckt das tägliche Fahrgastaufkommen infolge unterschiedlicher Nachfrage nach den Transportleistungen in den jeweiligen Tageszeiten nach einem entsprechenden Turnusplan. Darin ist der Kläger in einem Schicht- und Dienstplan in Schichten mit einer Schichtfolge von vier Tagen Arbeit - zwei Tagen dienstfrei - vier Tagen Arbeit - ... ohne Rücksicht auf Sonntage eingesetzt. Der Dienstplan basiert darauf, dass jeweils einem Dienst acht Stunden (in der Regel sieben Stunden und 50 Minuten einschließlich der Wendezeiten plus zehn Minuten Vorbereitungs- und Abschlusszeiten) zugrunde gelegt werden. Er unterteilt sich in zwei Teile von jeweils ca. vier Stunden. Der Kläger erbringt seine Arbeit zwar in einem sog. ungeteilten Dienst, jedoch in zwei Teilen einer Schicht, die die unterschiedliche Nachfrage nach den Transportleistungen berücksichtigt. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Sachvortrag der Beklagten beruht dieser Linienwechsel auch "auf dem erklärten Wunsch des Betriebsrats, der damit der Forderung der Fahrerschaft Rechnung trägt, die die Bedienung einer Linie über die gesamte Schicht hinweg als zu eintönig empfindet". Der Kläger ist nicht ständig auf derselben Transportlinie eingesetzt. Er befährt zunächst in der ersten Teilschicht eine bestimmte Buslinie und stellt das Fahrzeug nach Ende dieser Teilschicht an einer bestimmten Ablösestelle ab. In der unmittelbaren Nähe dieser Ablösestelle gibt es Pausenräume der Beklagten, die von ihm jedoch nicht benutzt werden müssen. Im zweiten Schichtteil übernimmt dann der Kläger entweder an derselben Ablösestelle oder an einer anderen den Omnibus einer anderen Linie und fährt den zweiten Teil seiner Schicht. In letzterem Falle begibt er sich von der ersten Ablösestelle zur zweiten und genau um diese vergütungsrechtliche und sonstige arbeitsrechtliche Behandlung der dadurch erforderlichen Wegezeit geht es im hier zu entscheidenden Rechtsstreit. Bei der Beklagten gibt es unstreitig das Zeiterfassungs- und -verwaltungssystem "Pro-Fahr", das im Rahmen einer Dienstschicht Zeiten von Ablösestelle zu Ablösestelle enthält. Diese Zeiten orientieren sich an den Fahrplänen der öffentlichen Verkehrsmittel der Beklagten vom einen zum anderen Ablöseort. Der Kläger ist jedoch nicht verpflichtet, bei seinem Weg vom ersten zum zweiten Ablöseort die öffentlichen Verkehrsmittel der Beklagten zu nutzen; tut er dies, so wird ihm insoweit der Fahrpreis ersetzt.

In der Zeit vom 1. Januar bis 30. April 2006 weist das vorerwähnte System "Pro-Fahr" 23,40 Stunden als Wegezeiten aus, die die Beklagte jedoch seinem Arbeitszeitkonto nicht gutgeschrieben hat. Sie weigert sich, entsprechende Wegezeiten auch für die Zukunft als vergütungspflichtige Arbeitszeit seinem Arbeitskonto gutzuschreiben.

Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es auf die folgenden tariflichen Bestimmungen an:

- BMT-G II

§ 2 Abs. 1 lit. a:

Für Arbeiter, die beschäftigt sind im Betriebs- und Verkehrsdienst von Nahverkehrsbetrieben, ... gilt dieser Tarifvertrag mit den Sondervereinbarungen der Anlagen 1 bis 10 a. Die Sondervereinbarungen sind Bestandteile dieses Tarifvertrages.

§ 14 Abs. 1 und 6:

(1) Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen durchschnittlich 38 1/2 Stunden wöchentlich ... (6) Der Weg zu und von der Arbeitsstelle (dem Sammelplatz) wird in die regelmäßige Arbeitszeit nicht eingerechnet. Abweichungen können betrieblich vereinbart werden.

§ 15 Abs. 1:

Die Arbeitszeit beginnt und endet an dem vorgeschriebenen Arbeitsplatz, bei wechselnden Arbeitsplätzen an dem jeweils vorgeschriebenen Arbeits- oder Sammelplatz.

- Sondervereinbarung gem. § 2 Abs. 1 S. 1 Buchst. a BMT-G II für Arbeiter im Betriebs- und Verkehrsdienst von Nahverkehrsbetrieben (künftig: SV-Bund)

§ 28:

Diese Sondervereinbarung gilt nicht im Bereich des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Bayern.

- Bezirkstarifvertrag Nr. 4 zum BMT-G II als Sondervereinbarung gem. § 2 Buchst. a BMT-G II für Arbeiter im Fahrdienst bei Nahverkehrsbetrieben im Bereich des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Bayern vom 8. November 1962 (künftig: BTV Nr. 4)

§ 1:

Die dienstplanmäßige tägliche Arbeitszeit darf acht Stunden und dreißig Minuten, in Ausnahmefällen neun Stunden und dreißig Minuten, in der Dienstschicht nicht übersteigen ...

§ 2:

Arbeitsplatz im Sinne des § 15 Abs. 1 BMT-G II ist das Fahrzeug oder der angewiesene Aufenthaltsplatz.

§ 3:

Wenn die Betriebsverhältnisse es zulassen, sollen möglichst ungeteilte Dienste eingerichtet werden. Andernfalls soll die Dienstschicht nur einmal geteilt werden. Dabei soll jeder Teil der Dienstschicht mindestens zwei Stunden betragen.

§ 4:

(1) Für Vorbereitungs- und Abschlussdienst sind zehn Minuten in die Arbeitszeit einzurechnen. Für Abrechnung und Einzahlung sind ggf. zusätzlich

a) bei täglicher Einzahlung 15 Minuten,

b) bei nicht täglicher Einzahlung 10 Minuten in die Arbeitszeit einzurechnen.

(2) Wendezeiten werden in die Arbeitszeit eingerechnet. Soweit planmäßige Wendezeiten innerhalb der Dienstschicht zwei Stunden - bei Kraftverkehrsbetrieben im Land- und Überlandverkehr eine Stunde - überschreiten, gilt die über diese Zeit hinausgehende Zeit als Arbeitsbereitschaft.

(3) Für die Regelung der Pausen gelten die Vorschriften der AZO bzw. der Fahrpersonalverordnung.

Protokollerklärung:

Für den Bereich der S. GmbH kann örtlich eine von Satz 1 abweichende Regelung vereinbart werden. Die Zeitspanne von zehn Minuten darf dabei nicht überschritten werden.

§ 5:

(1) Die Dienstschicht umfasst die reine Arbeitszeit, die Pausen und die Wendezeiten. Sie soll innerhalb eines Zeitraums von zwölf Stunden liegen. In betriebsnotwendigen Fällen kann dieser Zeitraum bis auf 14 Stunden ausgedehnt werden ...

Alle drei vorgenannten Tarifverträge traten am 1. April 1962 in Kraft.

- Örtliche Tarifvereinbarung Nr. B 54 zu § 14 Abs. 6 Satz 2 BMT-G II zwischen der L. als Rechtsvorgängerin der Beklagten und der Gewerkschaft ÖTV vom 20. Mai 1977 (künftig: örtliche Tarifvereinbarung Nr. B 54)

§ 1:

Arbeiter im Fahrdienst der S.-Verkehrsbetriebe erhalten eine Wegezeitentschädigung. Die Wegezeitentschädigung wird aus betrieblichen Gründen (u. a. Fahr- und Dienstplangestaltung) in Form entschädigter Wegezeiten und entschädigter Arbeitspausen gewährt. Es handelt sich jedoch um eine einheitlich zu bewertende Entschädigung für das Zurücklegen des Weges von der Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück und von einer Arbeitsstelle zur anderen.

§ 2 Pauschale Entschädigung der Wegezeiten:

1. Die Entschädigung einer Wegezeit setzt voraus, dass die Ablösestelle mehr als drei Kilometer in der Luftlinie vom zuständigen Betriebshof, bei der U-Bahn von der Betriebshofverwaltung (z. Zt. S.-Platz) entfernt liegt. Bei besonders ungünstigen Wegeverbindungen kann im Ausnahmefall statt der Luftlinie der kürzeste, dem öffentlichen Verkehr dienende, ggf. der von öffentlichen Verkehrsmitteln befahrene Weg zugrunde gelegt werden, wenn die Entfernung der Ablösestelle vom Betriebshof, bei der U Bahn von der Betriebshofverwaltung mindestens 4 Kilometer beträgt.

2. Bei Beginn oder Ende des Dienstes an Ablösestellen außerhalb des 3-kilometer-Umkreises bzw. im Sonderfall der 4-kilometer-Entfernung werden pauschal 20 Minuten Wegezeit entschädigt.

a) bei Beginn des ersten Dienstteiles,

b) bei Beendigung des ersten Dienstteiles, wenn anschließend eine Unterbrechung der Arbeitszeit von mehr als 75 Minuten folgt,

c) bei Beginn des zweiten Dienstteiles nach einer Unterbrechung der Arbeitszeit von mehr als 75 Minuten,

d) bei Beendigung des zweiten Dienstteiles.

3. Beginnt und endet die Arbeitspause von nicht mehr als 75 Minuten an verschiedenen Ablösestellen und liegen beide oder eine davon außerhalb der maßgebenden Entfernungen (3 bzw. 4 km), so wird einmal eine Wegezeit bis zu 20 Minuten entschädigt. Die Pauschale von 20 Minuten gilt für Pausen von 50 bis einschließlich 75 Minuten. Dauert die Pause weniger als 50 Minuten, wird nur die 30 Minuten übersteigende Zeit entschädigt.

(4) Für den Dienstbeginn und die Beendigung des Dienstes im Betriebshof, bei der U-Bahn bei der Betriebshofverwaltung und an Ablösestellen innerhalb von 3 km bzw. 4 km Entfernung wird keine Wegezeitentschädigung gewährt.

(5) Es wird auch keine Wegezeit entschädigt, wenn die Beendigung des ersten Dienstteiles und der Beginn des zweiten Dienstteiles bei Pausen von höchstens 75 Minuten an ein und derselben Ablösestelle erfolgen.

Protokollnotiz zu § 2:

Ablösestellen sind Orte außerhalb des Betriebshofes, bei der U-Bahn außerhalb der Betriebshofverwaltung, an denen der Dienst bzw. Dienstteil beginnt oder endet oder Arbeitspausen beginnen oder enden.

§ 5 Inkrafttreten, Kündigung:

Diese Tarifvereinbarung tritt am 1. Juni 1977 in Kraft. Sie kann mit einer Frist von vier Wochen eines Kalendervierteljahres schriftlich gekündigt werden.

Protokollerklärung:

Die Vertragspartner erklären sich bereit, ohne Kündigung der Tarifvereinbarung über eine Änderung der Wegezeitentschädigung zu verhandeln, wenn die erwartete Erweiterung des städtischen U-Bahn-Netzes zu erheblichen Änderungen im Fahrverkehr bei Bus oder Straßenbahn führt. Die evtl. Auflösung eines der Betriebshöfe Ost, West, zwei oder drei wird z. B. als erhebliche Veränderung angesehen.

Tarifvertrag S. Nr. 204 vom 16. Dezember 2003 (künftig: TV S. Nr. 204)

§ 1 Geltungsbereich:

Dieser TV gilt für alle Beschäftigten des Unternehmensbereiches Verkehr der S. GmbH, die unter den Geltungsbereich des BMT-G II bzw. des BAT fallen.

§ 2 Örtliche Tarifvereinbarung Nr. B 54 vom 20.05.1977:

(1) Die örtliche Tarifvereinbarung B 54 zu § 14 Abs. 6 Satz 2 BMT-G II vom 20.05.1977 ... wird zum 31. Dezember 2003 durch die vorstehende Tarifvereinbarung vollständig abgelöst.

(2) Für die Abgeltung von Wegezeiten wird für Arbeiter und Arbeiterinnen im Fahrdienst ab 01.01.2004 eine Pauschale von 3,50 Euro je geleisteten Dienst bezahlt ...

(3) Als Ausgleich erhalten Beschäftigte, die am 01.06.2000 in einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis gestanden sind und am 31.12.2003 Wegegeld nach der örtlichen Tarifvereinbarung B 54 bezogen haben, im März 2004 eine einmalige Abfindung (Brutto). Diese entspricht je Arbeitnehmer 62,5 % des im Jahre 2003 ausbezahlten Wegegeldes.

§ 4 Inkrafttreten, Laufzeit:

Der Tarifvertrag tritt am 01.01.2004 in Kraft und kann mit einer Frist von drei Monaten zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden, frühestens zum 31.12.2005. Die Nachwirkung wird ausgeschlossen.

Der BTV Nr. 4 war vom Kommunalen Arbeitgeberverband Bayern e. V. zum 30. Juni 2004 gekündigt worden, der TV S. Nr. 204 zum 31. Dezember 2005.

Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht vorgetragen,

die Zeit, um von der ersten Ablösestelle (nach Abschluss des ersten Schichtteils) zur zweiten Ablösestelle (Beginn des zweiten Schichtteils) zu gelangen, sei, da sie innerhalb der gleichen Schicht erfolge und erforderlich sei, um seine Arbeitsleistung zu erbringen, als Arbeitszeit zu qualifizieren und daher auch entsprechend zu vergüten. Arbeitszeit sei nicht lediglich diejenige Zeit, die am Arbeitsplatz selbst, d. h. auf dem jeweiligen Fahrzeug verbracht werde. Insbesondere ergebe die Auslegung des BTV Nr. 4 in Ermangelung einer ausdrücklichen Regelung, dass die vorerwähnten Wegezeiten als Arbeitszeiten zu werten seien. Insoweit verweist er auch auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 9. März 2006 (3 Sa 48/05). Da die Beklagte mit ihrem Zeiterfassungs- und -verwaltungssystem "Pro-Fahr" diese Wegezeiten für die Zeit vom 1. Januar bis 30. April 2006 in Höhe von 23,40 Stunden erfasst habe, seien ihm diese auch als Arbeitszeit auf seinem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben. Im Übrigen müsse prinzipiell festgestellt werden, dass sie verpflichtet sei, seine im vorgenannten Zeiterfassungs- und -verwaltungssystem erfassten Wegezeiten während einer Dienstschicht von Ablösestelle zu Ablösestelle als vergütungspflichtige Arbeitszeit seinem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben. Für den Fall seines Unterliegens insoweit bedürfe es der Feststellung, dass er bei geteilten Dienstschichten jedenfalls nach Beendigung der ersten Teilschicht und vor Beginn der zweiten nach § 4 ArbZG nicht verpflichtet sei, Anweisungen der Beklagten, sich an eine andere Ablösestelle zu begeben, Folge zu leisten.

Der Kläger hat daher vor dem Arbeitsgericht zuletzt folgende Anträge gestellt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto des Klägers für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. April 2006 Wegezeiten in Höhe von 23,40 Stunden als Arbeitszeit gutzuschreiben.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die im Zeiterfassungs- und -verwaltungssystem "Pro-Fahr" erfassten Wegezeiten des Klägers während einer Dienstschicht von Ablösestelle zu Ablösestelle als vergütungspflichtige Arbeitszeit dem Arbeitszeitkonto des Klägers gutzuschreiben.

Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit Antrag 2:

Es wird festgestellt, dass der Kläger bei geteilten Dienstschichten nach Beendigung der ersten Teilschicht und vor Beginn der zweiten Teilschicht nach § 4 ArbZG nicht verpflichtet ist, Anweisungen der Beklagten, insbesondere der Anweisung, sich an eine andere Ablösestelle zu begeben, Folge zu leisten, es sei denn, es liegt ein außergewöhnlicher Fall nach § 14 ArbZG vor. Die Beklagte hat beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

Sie hat vorgetragen,

die Wegezeiten zwischen der ersten Ablösestelle (nach Beendigung des ersten Schichtteils) und der zweiten Ablösestelle (Beginn des zweiten Schichtteils) seien keine Arbeitszeit für den Kläger. Dies ergebe sich aus den tarifvertraglichen Regelungen über die zu vergütende Arbeitszeit, worin gerade diese Wegezeiten nicht genannt seien; die tariflichen Regelungen seien insoweit abschließend. Im Übrigen wird auf ihre Ausführungen mit Schriftsatz ihrer erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom 26. Mai 2006 (Bl. 16 - 24 d. A.) verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat mit Endurteil vom 2. August 2006, das der Beklagten am 22. September 2006 zugestellt worden ist, den beiden Hauptanträgen der Klage vollinhaltlich entsprochen. Auf die darin getroffenen tatsächlichen Feststellungen und angestellten rechtlichen Erwägungen wird verwiesen.

Dagegen hat die Beklagte mit einem am 4. Oktober 2006 am Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und sie, nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 22. Dezember 2006, mit einem hier am Vortag eingegangenen Schriftsatz begründet.

Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrags führt sie insbesondere aus, es bleibe dabei, dass die Wegezeiten, die der Kläger von der ersten Ablösestelle (nach Beendigung seiner Arbeitszeit im ersten Schichtteil) bis zur zweiten Ablösestelle (Beginn seiner Arbeitszeit im zweiten Schichtteil) zurücklege, keine zu vergütende Arbeitszeit sei. Dies gelte jedenfalls für die Zeit, ab der der Kläger seine Ansprüche nunmehr geltend mache. Lediglich in der örtlichen Tarifvereinbarung Nr. B 54 sei in § 1 grundsätzlich und in § 2 eine pauschale Entschädigung der Wegezeiten geregelt gewesen, doch sei diese durch § 2 Abs. 1 und 2 des TV S. Nr. 204 abgelöst worden und für die Abgeltung der Wegezeiten ab 1. Januar 2004 eine Pauschale von € 3,50 je geleisteten Dienst vorgesehen gewesen, die auch gewährt worden sei. Mit Kündigung dieses Tarifvertrages zum 31. Dezember 2005 entfalle auch diese Entschädigungsregelung zum 1. Januar 2006; eine Nachwirkung sei durch § 4 S. 2 dieses Tarifvertrages ausgeschlossen. Es bleibe daher dabei, dass infolge der abschließenden tariflichen Regelung, was als Arbeitszeit zu qualifizieren sei, die vom Kläger genannte Wegezeit nicht als Arbeitszeit zu vergüten sei.

Im Übrigen sei seine Klage in Ziff. 1. deshalb unbegründet, weil er für die von ihm behaupteten 23,40 Stunden Wegezeit beweisfällig geblieben sei, obgleich ihn die Darlegungs- und Beweislast treffe. Er könne insoweit nicht auf die im Dienstplan ausgewiesenen Zeiten verweisen, weil dieser lediglich von ihren, der Beklagten, Vorstellungen ausgehe, nicht aber von den tatsächlich entstandenen Zeiten.

Deshalb stellt sie folgenden Antrag:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 2. August 2006 - Gz.: 7 Ca 3928/06 - abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger beantragt:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Er hält das angegriffene Urteil für richtig und wiederholt und vertieft ebenfalls seinen erstinstanzlichen Sachvortrag.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsprotokolle, die Schriftsätze der Parteien und den sonstigen Akteninhalt beider Rechtszüge verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und auch begründet, weshalb das angegriffene arbeitsgerichtliche Urteil entsprechend zu ändern und die Klage abzuweisen ist.

I.

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist statthaft, denn sie richtet sich gegen ein arbeitsgerichtliches Urteil, gegen das nicht nach § 78 ArbGG das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist und der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt € 600,-- (§ 64 Abs. 1 und Abs. 2 lit. b ArbGG).

Sie ist auch in der richtigen Form und rechtzeitig eingelegt und begründet worden (§ 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, §§ 519 Abs. 2, 520 Abs. 3 ZPO, § 66 Abs. 1 S. 1, 2 und 5 ArbGG).

II.

Die Berufung ist auch begründet, denn die Wegezeit von der ersten Abholstelle des Klägers (nach Beendigung seiner Arbeit im ersten Schichtteil) zu seiner zweiten (Aufnahme seiner Arbeit zu Beginn des zweiten Schichtteils) stellt keine vergütungspflichtige Arbeitszeit dar, weshalb die Klage in den Hauptanträgen unbegründet ist.

Es erscheint allerdings geboten, darauf hinzuweisen, dass der Kläger seinen zuletzt erstinstanzlich gestellten Hilfsantrag in der Berufung nicht ausdrücklich wiederholt hat, sich jedoch aus Ziff. II. 2. seines Berufungsbeantwortungsschriftsatzes ergibt, dass er ihn infolge seines Unterliegens weiterverfolgt, wobei erstinstanzlich darüber nicht entschieden zu werden brauchte, weil den beiden Hauptanträgen entsprochen worden war. In einem derartigen Fall ist der Hilfsantrag des Klägers ohne weiteres in der Berufungsinstanz angefallen, ohne dass es einer Anschlussberufung bedarf. Das Berufungsgericht hat deshalb, wenn es den Hauptantrag abweisen will, auch über den Hilfsantrag zu befinden (BGH vom 29. Januar 1964 - V ZR 23/63 - BGHZ 41, 38 (39, 40)).

1. Die Berufung der Beklagten ist deshalb begründet, weil die Wegezeiten zwischen der ersten Ablösestelle (am Ende des ersten Schichtteils) zur zweiten Ablösestelle (Aufnahme der Arbeit des Klägers im zweiten Schichtteil) keine vergütungspflichtige Arbeitszeit darstellt. Deshalb sind die vom Kläger verlangten 23,40 Stunden Wegezeiten im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. April 2006 ihm auch nicht auf sein Arbeitszeitkonto gutzuschreiben und es ist auch nicht festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, seine in ihrem Zeiterfassungs- und -verwaltungssystem "Pro-Fahr" erfassten Wegezeiten während der Dienstschicht von Ablösestelle zu Ablösestelle der vergütungspflichtigen Arbeitszeit auf seinem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben.

1.1 Insbesondere bestehen keine Bedenken gegen den Feststellungsantrag in Ziff. 2. der Klage, denn das gem. § 256 Abs. 1 ZPO zu fordernde Feststellungsinteresse ist hier schon deshalb anzuerkennen, weil, wie das Arbeitsgericht richtig erkannt hat, eine Verweisung des Klägers auf eine Leistungsklage nicht erforderlich erscheint, da davon auszugehen ist, dass sich die Beklagte an das Feststellungsurteil halten werde und so für den Streitgegenstand eine endgültige Klärung herbeigeführt werden kann.

1.2 Die Klage ist jedoch deshalb unbegründet, weil die Wegezeiten zwischen der ersten Abholstelle (Ende der Arbeitszeit im ersten Schichtteil) und der zweiten Abholstelle (Aufnahme der Arbeit zu Beginn des zweiten Schichtteils) keine vergütungspflichtige Arbeitszeit darstellt und deshalb auch keinen entsprechenden Anspruch begründen kann. Ein derartiger Anspruch ergibt sich weder aus § 611 Abs. 1 BGB i. V. mit einer ausdrücklichen Regelung im schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien, noch einer solchen aufgrund einer mündlichen Zusage, noch aufgrund beiderseitiger Tarifbindung, noch aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung entsprechender Tarifverträge.

1.2.1 Eine ausdrückliche Verpflichtung der Beklagten zur Vergütung derartiger Wegezeiten in arbeitsvertraglichen Vereinbarungen oder tarifvertraglichen Regelungen behauptet der Kläger nicht einmal selbst.

1.2.2 Lediglich in der örtlichen Tarifvereinbarung Nr. B 54 und im TV S. Nr. 204 ist allerdings von Wegezeitentschädigungen für die hier streitigen Wegezeiten die Rede. Allerdings wird gerade die vorgenannte örtliche Tarifvereinbarung Nr. B 54 durch § 2 Abs. 1 des vorgenannten TV S. Nr. 204 vollständig abgelöst. Nach dessen Abs. 2 erhalten die Arbeiter im Fahrdienst für die Abgeltung von Wegezeiten ab 1. Januar 2004 eine Pauschale in Höhe von € 3,50 je geleisteten Dienst; nach § 2 Abs. 3 TV S. Nr. 204 erhalten darüber hinaus die Beschäftigten, die am 1. Juni 2000 in einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis gestanden und am 31. Dezember 2003 Wegegeld nach der örtlichen Tarifvereinbarung Nr. B 54 bezogen haben, im März 2004 eine einmalige Abfindung in Höhe von 62,5 % des im Jahre 2003 ausgezahlten Wegegeldes. Damit ist nach dem TV S. Nr. 204 eine abschließende Neuregelung über eine Entschädigung hinsichtlich der hier streitigen Wegezeiten getroffen worden, eine Regelung, die jedoch hinter den hier vom Kläger geltend gemachten Anspruch zurückfällt.

Der Tarifvertrag S. Nr. 204 ist allerdings unstreitig wirksam zum 31. Dezember 2005 gekündigt worden und aus seinem § 4 l. S. ergibt sich, dass eine Nachwirkung ausgeschlossen ist. Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 3. September 1986 (5 AZR 319/85 - AP Nr. 12 zu § 4 TVG Nachwirkung) wirkt ein gekündigter Tarifvertrag entgegen § 4 Abs. 5 TVG nicht nach, wenn die Tarifvertragsparteien die Nachwirkung ausschließen; dies ist hier der Fall. Das aber bedeutet, dass nicht einmal etwaige Ansprüche aufgrund § 2 Abs. 2 TV S. Nr. 204 in Gestalt einer Pauschale in Höhe von € 3,50 je geleisteten Dienst für entsprechende Wegezeiten der Arbeiter nach dem 31. Dezember 2005 (= Zeitpunkt, zu dem dieser Tarifvertrag gekündigt worden ist) gezahlt werden müssen. Von einer ausdrücklichen Vergütung dieser Wegezeiten als Arbeitszeit - oder wie eine solche - ist in den beiden vorerwähnten Tarifverträgen mit keinem Wort die Rede.

1.2.3 Eine Auslegung des Arbeitsvertrages dahingehend, diese Wegezeiten wie Arbeitszeit zu vergüten, scheidet ebenfalls aus, denn er enthält, wie bereits erwähnt, überhaupt keine ausdrückliche Vergütungsregelung.

Wie das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 21. Dezember 2006 (6 AZR 341/06 - AP Nr. 10 zu § 611 BGB Wegezeit) erkannt hat, ist im Unterschied zu der Wegezeit von der Wohnung zur Betriebsstätte und von der Betriebsstätte zur Wohnung, die nicht als Arbeitszeit zu vergüten ist, ein Dienstgang, um an einen außerhalb des Betriebes der Arbeitgeberin liegenden Arbeitsplatz zu gelangen, normalerweise zu vergütende Arbeitszeit, allerdings sofern keine gegenteilige tarif- oder einzelvertragliche Regelung getroffen worden ist, denn ein Arbeitnehmer schuldet nicht allein die Aufwendung von Arbeitskraft, sondern braucht diese auch nur in einem bestimmten zeitlichen Rahmen für die Arbeitgeberin einzusetzen. Verbraucht er diesen zeitlichen Rahmen durch Weg und Zeit und damit dadurch, dass die Arbeitgeberin die Arbeitsstätte des Arbeitnehmers an einen Ort außerhalb des Betriebes legt, so ist die in ihrem Interesse für ihn verbrachte Wegezeit zwischen Betrieb und Arbeitsplatz seine Arbeitsleistung. Er befriedigt damit weisungsgebunden die Arbeitsbedürfnisse, die aus unternehmerischen Anlässen an einem außerhalb des Betriebes gelegenen Ort auftauchen. Dies gilt erst recht für Wegezeiten, die auf Weisung der Arbeitgeberin innerhalb des Betriebes anfallen.

1.2.3.1 Von entscheidender Bedeutung ist daher, ob es eine gegenteilige tarifvertragliche Regelung überhaupt gibt.

Als derartige Regelung käme hier allenfalls, wenn sie nicht bereits durch die örtliche Tarifvereinbarung Nr. B 54 und den TV S. Nr. 204 ausgeschlossen wäre, der BTV Nr. 4 als eine der Sondervereinbarungen, die in § 2 Abs. 1 lit. a BMT-G II genannt sind, in Betracht. Da darin auch nicht ausdrücklich die hier in Streit stehenden Wegezeiten der vergütungspflichtigen Arbeitszeit zuzuordnen sind, kommt es darauf an, ob dies nicht eine Auslegung dieses Tarifvertrages ergibt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln, wonach zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen ist, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften und bei nicht eindeutigem Wortlaut der Wille der Tarifvertragsparteien nur mit zu berücksichtigen ist, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Dabei ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert, weil nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Erst, wenn auch dann keine zweifelsfrei Auslegungsergebnisse erzielt werden können, können weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages oder auch seine praktische Tarifübung zur Auslegung ergänzend herangezogen werden. Im Zweifel ist derjenigen Tarifauslegung der Vorzug zu geben, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG vom 21. Dezember 2006, a. a. O.).

1.2.3.2 Diese Maßstäbe zugrunde gelegt ergibt sich, dass der BTV Nr. 4, obgleich er keine ausdrückliche enumerative Aufzählung von Zeiten enthält, die als Arbeitszeit voll zu vergüten sind, dennoch eine abschließende Regelung enthält, ähnlich der Anlage 3 zum Bezirkstarifvertrag kommunaler Nahverkehrsbetriebe für die St. AG, die insoweit vom Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 21. Dezember 2006 (a. a. O.) entsprechend ausgelegt worden ist.

Die Berufungskammer teilt nicht die Rechtsauffassung der Beklagten, dass es entscheidungserhebliche Unterschiede dieser Regelung im Verhältnis zum BTV Nr. 4 gibt.

In beiden ist die Arbeitszeit als solche nicht ausdrücklich definiert. § 2 Abs. 1 S. 1 der vorgenannten Anlage 3 ist bis auf den dortigen Klammerzusatz ("einschließlich der in § 4 Abs. 1 Satz 1 genannten Zeiten"), dem keine entscheidende Bedeutung zukommt, identisch mit § 5 Abs. 1 S. 1 BTV Nr. 4, wenn es darin heißt, dass die Dienstzeit die reine Arbeitszeit, die Pausen und die Wendezeiten umfasst. In beiden Vorschriften wird nämlich lediglich der Begriff der Dienstschicht lediglich als ein äußerer zeitlicher Rahmen umschrieben, innerhalb dessen der Arbeitnehmer der Arbeitgeberin zur Verfügung stehen muss. Er umfasst Zeiten von der Vollarbeit bis hin zu arbeitsschutzrechtlichen Ruhepausen, ohne eine Regulierung zur Vergütung zu treffen. Lediglich in § 4 Abs. 1 S. 1 BTV Nr. 4 wird bestimmt, dass für Vorbereitungs- und Abschlussdienst zehn Minuten und in dessen S. 2 für Abrechnung und Einzahlung weitere genau bestimmte Zeiten sowie nach dessen Abs. 2 Wendezeiten in die Arbeitszeit eingerechnet werden. Gerade die Formulierung der Einrechnung dieser Zeiten in die Arbeitszeit lässt deutlich einen Zusammenhang mit der Arbeitszeit erkennen, die am Arbeitsplatz entsteht, der durch § 2 BTV Nr. 4 definiert ist als das "Fahrzeug oder der angewiesene Aufenthaltsplatz".

Die Wegezeiten, um die es hier geht, nämlich die Zeiten, die der Arbeitnehmer braucht, um von einer Ablösestelle zur nächsten zu gelangen, sind damit nicht nur nicht erwähnt, sondern aus ihrer fehlenden Nennung ist zu schließen, dass sie nach dem Willen der Tarifvertragsparteien nicht zu vergüten sind.

Die Tarifgeschichte, insbesondere die örtliche Tarifvereinbarung Nr. B 54 und der TV S. Nr. 204 bestätigen letztlich dieses Auslegungsergebnis, denn unter der Anwendung des BMT-G II waren die hier vom Kläger geltend gemachten Wegezeiten nicht zu vergüten, was sich aus dessen § 15 Abs. 1 i. V. mit § 2 BTV Nr. 4, wortgleich mit § 7 SV-Bund, ergibt. Erst über die örtliche Tarifvereinbarung Nr. B 54 wurden die vom Kläger geltend gemachten Wegezeiten positiv i. S. einer Wegezeitentschädigung zugunsten der Arbeiter geregelt, jedoch nach § 2 des TV S. Nr. 204 in eine Pauschalregelung modifiziert und entfielen dann ersatzlos infolge Ausschlusses der Nachwirkung dieses Tarifvertrages nach dessen Kündigung zum 31. Dezember 2005 gem. § 4 S. 2 TV S. Nr. 204.

1.3 Den Tarifvertragsparteien steht im Hinblick auf einen tatsächlichen Regelungsbedarf z. B. der Vergütungspflicht derartiger Wegezeiten eine Einschätzungsprärogative zu. Insoweit wird auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 11. Juli 2006 (9 AZR 519/05 - AP Nr. 10 zu § 611 BGB Dienstreise) verwiesen. Deshalb ist es nicht Aufgabe der Gerichte für Arbeitssachen zu prüfen, ob die Tarifvertragsparteien die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung für das Regelungsproblem gefunden haben, sondern es genügt regelmäßig, wenn sich für ihre sachverhaltsbezogene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund ergibt. Unwidersprochen aber deckt der Turnusplan, im Rahmen dessen der Kläger in einem sog. Normaldienstplan in einem ungeteilten Dienst in zwei Schichtteilen eingesetzt ist, nicht nur die unterschiedliche Nachfrage nach den Transportleistungen der Beklagten entsprechend den einzelnen Tageszeiten ab und wahrt dadurch deren Interessen, sondern beruht auch auf dem erklärten Wunsch des Betriebsrats, dass die Fahrer die Bedienung einer Linie über eine gesamte Schicht hinweg größtenteils als zu eintönig empfinden und nimmt so auch Rücksicht auf deren Interessen. Finanzielle Aufwendungen dafür, dass die Fahrer von einer Ablösestelle zur nächsten kommen, entstehen ihnen nur dann, wenn sie das Angebot der Beklagten zur kostenfreien Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel nicht annehmen. Von einer groben Ungerechtigkeit infolge deren fehlenden Vergütungspflicht kann daher nicht die Rede sein.

Nach alledem aber besteht von vorneherein kein Anspruch des Klägers darauf, dass die Beklagte seine in ihrem Zeiterfassungs- und -verwaltungssystem "Pro-Fahr" erfassten Wegezeiten während einer Dienststelle von Ablösestelle zu Ablösestelle als vergütungspflichtige Arbeitszeit seinem Arbeitszeitkonto gutschreibt (Klageantrag Ziff. 2.), weshalb ihm auch die hier auf diese Weise festgestellten 23,40 Stunden für die Zeit vom 1. Januar bis 30. April 2006 (Klageantrag Ziff. 1.) nicht gutzuschreiben sind, und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um bloße Rechnungsgrößen oder tatsächliche Wegezeiten handelt; daher kommt es gerade im Hinblick auf Letztere gar nicht mehr darauf an, wen hier die Darlegungs- und Beweislast trifft.

2. Auch soweit die Klage in ihrem Hilfsantrag aufgrund der Entscheidung der Berufungskammer, das angegriffene Urteil zu ändern und sie in ihren Hauptanträgen abzuweisen, in die Berufungsinstanz gelangt ist, ist sie unbegründet. Über diesen Antrag konnte das Arbeitsgericht aufgrund ihres Hilfscharakters gar nicht entscheiden, weil es den Hauptanträgen entsprochen hatte.

Es ist jedoch zwischen den Parteien unstreitig, dass der Kläger seine Arbeit im Rahmen einer Schicht mit zwei Schichtteilen zu verrichten hat. Dies macht es zwingend notwendig, dass er von der Ablösestelle am Ende des ersten Schichtteils zur Ablösestelle des zweiten Schichtteils kommt, wenn diese von der ersten entfernt ist. Dazu bedarf es gar keiner entsprechenden Anweisungen der Beklagten. Soweit der Kläger in seinem Hilfsantrag offensichtlich eine Kollision zwischen einerseits seinem Recht auf Ruhepausen und andererseits seiner Pflicht, von einer Ablösestelle zur anderen zu gelangen, sieht, ist dies nicht einsichtig. Zwar ist eine derartige Kollision durchaus grundsätzlich möglich, falls die Addition der ihm zustehenden Ruhepause einschließlich der anfallenden Wegezeit höher ist als der Zeitraum zwischen dem Ende des ersten und dem Beginn des zweiten Schichtteils. Dies ist jedoch nach dem unwidersprochen gebliebenen Sachvortrag der Beklagten regelmäßig nicht der Fall. Falls der Kläger sich insoweit darauf berufen will, dass seine Ruhepausen gem. § 4 ArbZG im Voraus feststehen müssen, so genügt es dieser Anforderung, dass sie jedenfalls nach dem ersten Schichtteil in einem dann bestehenden zeitlichen Rahmen, in dem noch zusätzlich Wegezeiten anfallen, genommen werden können. Soweit ersichtlich hat dies das Bundesarbeitsgericht zwar noch nicht ausdrücklich zu § 4 S. 1 ArbZG entschieden, doch verweist BT-Drucksache 12/5888 vom 13. Oktober 1993, S. 24 auf die Rechtsprechung zu § 18 AZO, wonach es auf die Vorhersehbarkeit der Ruhepausen für den Arbeitnehmer ankommt. Dabei genügt es, dass zu Beginn der täglichen Arbeitszeit ein bestimmter Rahmen feststeht, innerhalb dessen die Ruhepause genommen werden kann, ohne dass es dazu einer konkreten kollektiven Regelung oder Absprachen des Klägers mit Kollegen bedarf. In seiner Entscheidung vom 28. September 1972 (5 AZR 198/72 - AP Nr. 9 zu § 12 AZO) hat es einen zeitlichen Rahmen von zwei Stunden für zulässig erklärt, der hier gewahrt ist.

Damit ist der Schutzzweck des § 4 ArbZG durchaus gewahrt, denn es liegt nicht in der Hand der Beklagten, sondern allein des Klägers, wann er in diesem vorgegebenen zeitlichen Rahmen seine Ruhepausen nehmen will.

Das Gleiche gilt im Übrigen auch dafür, wann und wie er von einer Ablösestelle zur anderen gelangt.

Nach alledem aber ist die Klage auch im Hilfsantrag unbegründet und daher abzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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