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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 11.11.2008
Aktenzeichen: 8 Sa 319/08
Rechtsgebiete: TVöD


Vorschriften:

TVöD § 21 Satz 2
TVöD § 22 Abs. 1
1. Eine Änderung der individuellen Arbeitszeit im Sinne der Protokollerklärung Nr. 1 Satz 3 zu § 21 Satz 2 TVöD liegt vor, wenn die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit geändert wird.

2. Die Änderung des Referenzzeitraums für die Bemessung der in die Entgeltfortzahlung einfließenden unsteten Entgeltbestandteile bei der Änderung der individuellen Arbeitszeit gemäß § 21 Satz 2 TVöD i.V.m der Protokollerklärung Nr. 1 Satz 3 hierzu ist rechtlich nicht zu beanstanden.


Landesarbeitsgericht München Im Namen des Volkes URTEIL

8 Sa 319/08

Verkündet am: 11.11.2008

In dem Rechtsstreit

hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 11. November 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Biebl und die ehrenamtlichen Richter Tolle und Endler

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 15.02.2008 - Az. 2a Ca 12209/07 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Revision wird für den Kläger zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Bemessungsgrundlage für die Entgeltfortzahlung nach § 21 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) vom 13.09.2005.

Der am 0.0.1958 geborene Kläger ist bei der Beklagten, die den Flughafen München betreibt, seit Juni 1997 als Arbeiter im Bodenverkehrsdienst (teilzeit-)beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Anwendung.

§ 21 TVöD bestimmt:

In den Fällen der Entgeltfortzahlung nach § 6 Abs. 3 Satz 1, § 22 Abs. 1, § 26, § 27 und § 29 werden das Tabellenentgelt sowie die sonstigen in Monatsbeträgen festgelegten Entgeltbestandteile weitergezahlt. Die nicht in Monatsbeträgen festgelegten Geldbestandteile werden als Durchschnitt auf Basis der dem maßgebenden Ereignis für die Entgeltfortzahlung vorhergehenden letzten drei vollen Kalendermonate (Berechnungszeitraum) gezahlt. Ausgenommen hiervon sind das zusätzlich für Überstunden gezahlte Entgelt (mit Ausnahme der im Dienstplan vorgesehenen Überstunden), Leistungsentgelte, Jahressonderzahlungen sowie besondere Zahlungen nach § 23. Protokollerklärungen zu den Sätzen 2 und 3:

1. Volle Kalendermonate im Sinne der Durchschnittsberechnung nach Satz 2 sind Kalendermonate, in denen an allen Kalendertagen das Arbeitsverhältnis bestanden hat. Hat das Arbeitsverhältnis weniger als drei Kalendermonate bestanden, sind die vollen Kalendermonate, in dem das Arbeitsverhältnis bestanden hat, zugrunde zu legen. Bei Änderungen der individuellen Arbeitszeit werden die nach der Arbeitszeitänderung liegenden vollen Kalendermonate zugrunde gelegt.

..."

Die Arbeitnehmer im Bodenverkehrsdienst der Beklagten arbeiten im Schichtbetrieb. Bei den zweimal jährlich erfolgenden Flugplanwechseln können sich die Schichten und damit die wöchentliche Arbeitszeit verändern. Die Schichten "vergibt" die Beklagte vorbehaltlich der Zustimmung des Betriebsrats an die Arbeitnehmer nach dem Senioritätsprinzip. So änderte sich die Arbeitszeit des Klägers ab 01.11.2006 von zuvor durchschnittlich 37 Wochenstunden auf durchschnittlich 36,50 Wochenstunden und ab 01.01.2007 auf durchschnittlich 34,50 Stunden.

Der Kläger war in dem Monat Januar 2007 sieben Tage arbeitsunfähig krank. Bei der Bemessung der Entgeltfortzahlung berücksichtigte die Beklagte keine unsteten Entgeltbestandteile i. S. v. § 21 Satz 2 TVöD. Diese hätten unter Zugrundelegung der der Arbeitsunfähigkeit vorhergehenden letzten drei vollen Kalendermonate € 79,73 brutto betragen.

Mit seiner am 04.09.2007 beim Arbeitsgericht München eingegangenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, ihm stünden auch bei einer Entgeltfortzahlung in den Monaten, in denen sich seine Arbeitszeit aufgrund einer durch den Flugplanwechsel bedingten Änderung seiner Schichtzeiten ändere, die unsteten Entgeltbestandteile gem. § 21 Satz 2 TVöD zu.

Der Kläger hat beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, bei der Berechnung des Durchschnittslohns gem. § 21 TVöD die letzten drei Monate als Berechnungsgrundlage heranzuziehen unabhängig davon, ob sich die Monatsarbeitszeit des Klägers in diesem Zeitraum ändert.

2. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger € 79,73 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat unter Berufung auf die Protokollerklärung Nr. 1 zu § 21 TVöD die Auffassung vertreten, bei einer Entgeltfortzahlung in dem Monat, in dem sich die Schichtzeiten des Klägers änderten, unstete Geldbestandteile nicht berücksichtigen zu müssen, weil sich jeweils die individuelle Arbeitszeit des Klägers ändere.

Das Arbeitsgericht hat mit Endurteil vom 15.02.2008 die Klage abgewiesen und seine Entscheidung unter Berufung auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts zu § 47 Abs. 2 Unterabs. 4 BAT (Urteil vom 13.06.1991 - 8 AZR 330/90 -, ZTR 1992, 156) darauf gestützt, bei Änderungen der individuellen Arbeitszeit könnten nach der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 21 TVöD nur die nach der Arbeitszeitänderung liegenden vollen Kalendermonate zugrunde gelegt werden. Das bedeute, dass im Monat der Änderung der individuellen Arbeitszeit keine vollen Kalendermonate zugrunde gelegt werden können, da es solche nicht gebe. Ergänzend wird wegen des weiteren erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien sowie den Ausführungen des Arbeitsgerichts auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Ersturteils Bezug genommen.

Gegen das ihm am 10.03.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 07.04.2008 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 10.06.2008 mit einem an diesem Tag eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Kläger rügt die fehlerhafte Anwendung des § 21 TVöD und meint, die Nichtberücksichtigung unsteter Entgeltbestandteile bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung für seine Arbeitsunfähigkeit im Januar 2007 sei weder vom Wortlaut der Tarifbestimmung noch von deren Sinn und Zweck gedeckt. Die Protokollerklärung Nr. 1 zu § 21 TVöD stelle auf eine Änderung der individuellen Arbeitszeit ab und meine damit die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit. Diese habe sich aber durch die flugplanwechselbedingte Änderung der Schichtzeiten nicht geändert, weil der Kläger keine Vereinbarung darüber getroffen habe, dass sich seine Arbeitszeit ändern solle.

Der Kläger beantragt unter Rücknahme des erstinstanzlichen Feststellungsantrags zuletzt:

1. Das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 15.02.2008, Az. 2a Ca 12209/07, wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger € 79,73 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.

Die Beklagte willigt in die Teilklagerücknahme ein und beantragt im Übrigen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und trägt vor, jedes Mal, wenn sich für den Kläger aus der neuen Schichtvergabe im Zusammenhang mit dem Flugplanwechsel eine Änderung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit ergeben habe, sei auch eine entsprechende arbeitsvertragliche Änderung der individuellen Arbeitszeit zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbart worden.

Ergänzend wird wegen des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz Bezug genommen auf den Schriftsatz des Klägers vom 09.06.2008 und den Schriftsatz der Beklagten vom 18.08.2008 sowie das Sitzungsprotokoll vom 11.11.2008.

Entscheidungsgründe:

I.

Die aufgrund der Zulassung durch das Arbeitsgericht nach § 64 Abs. 2 a) ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO) und daher zulässig.

Den Feststellungsantrag hat der Kläger in der Berufungsverhandlung mit Einwilligung der Beklagten wirksam zurückgenommen, § 269 Abs. 1 ZPO.

II.

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis mit Recht erkannt, dass bei der Bemessung der Entgeltfortzahlung für die Arbeitsunfähigkeit des Klägers in dem Monat Januar 2007 unstete Entgeltbestandteile nicht zu berücksichtigen sind. Das ergibt sich aus § 21 Abs. 2 TVöD i. V. m. der Protokollerklärung Nr. 1 hierzu.

1. Die gesetzliche Regelung zur Höhe des im Krankheitsfall fortzuzahlenden Arbeitsentgelts (§ 4 Abs. 1 EFZG) ist tarifdispositiv (§ 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG) und bemisst sich im Anwendungsbereich des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst nach § 21 TVöD, der u. a. für den Fall der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 22 Abs. 1 Satz 1 TVöD) bestimmt, dass das Tabellenentgelt sowie die sonstigen in Monatsbeträgen festgelegten Entgeltbestandteile weitergezahlt werden, § 21 Satz 1 TVöD. Die nicht in Monatsbeträgen festgelegten Entgeltbestandteile - sog. unstete Entgeltbestandteile - werden als Durchschnitt auf Basis der dem maßgebenden Ereignis für die Entgeltfortzahlung - vorliegend also dem Eintritt des Krankheitsfalls - vorhergehenden letzten drei vollen Kalendermonate gezahlt, § 21 Satz 2 TVöD. Allerdings macht von diesem Berechnungszeitraum Satz 3 der Protokollerklärung Nr. 1 zu den Sätzen 2 und 3 des § 21 TVöD eine Ausnahme und bestimmt, dass bei Änderungen der individuellen Arbeitszeit die nach der Arbeitszeitänderung liegenden vollen Kalendermonate zugrunde gelegt werden. Unstreitig lag aber zwischen dem Zeitpunkt der Änderung der Arbeitszeit in dem Monat Januar 2007 und der Erkrankung des Klägers in diesen Monaten noch kein voller Kalendermonat.

2. Individuelle Arbeitszeit im Sinne des Satz 3 der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 21 Satz 2 TVöD ist die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit, die entweder der regelmäßigen Arbeitszeit des § 6 Abs. 1 TVöD entsprechen oder gemäß § 11 TVöD geringer sein kann. Deshalb könnte - wie die Berufung zu Recht geltend macht - eine bloß faktische Arbeitszeitänderung z. B. durch die Einteilung in Schichten, die zeitlich unter der arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeit bleiben, eine Änderung des Berechnungszeitraums nach Satz 3 der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 21 Satz 2 TVöD nicht bewirken. Die Argumentation der Berufung geht aber deshalb fehl, weil sie von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht. Denn in der Berufungsverhandlung wurde unstreitig, dass die Parteien mit einer Arbeitszeitvereinbarung vom 11.12.2006 den Arbeitsvertrag änderten und die wöchentliche Arbeitszeit ab 01.01.2007 von bis dahin 36,50 Stunden neu auf durchschnittlich 34,50 festsetzten.

3. Dass die Tarifvertragsparteien bei einer Änderung der individuellen Arbeitszeit den Berechnungszeitraum nicht nach dem vor der Änderung der individuellen Arbeitszeit liegenden Zeitraum bemessen, sondern die nach der Arbeitszeitänderung liegenden vollen Kalendermonate zugrunde legen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Tarifvertragsparteien haben in § 21 TVöD die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall hinsichtlich des Tabellenentgelts und der sonstigen in Monatsbeträgen festgelegten Entgeltbestandteile nach dem Lohnausfallprinzip berechnet, während die Berechnung der Fortzahlung der nicht in Monatsbeträgen festgelegten Entgeltbestandteile dem Referenzprinzip folgt. Das ist ein nach § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG, der den Tarifvertragsparteien die Festlegung einer abweichenden Bemessungsgrundlage erlaubt, rechtlich möglicher Anknüpfungspunkt. "Bemessungsgrundlage" im Sinne dieser Vorschrift ist die Grundlage für die Bestimmung der Höhe der Entgeltfortzahlung. Hierzu gehören sowohl die Berechnungsmethode (Ausfall- oder Referenzprinzip) als auch die Berechnungsgrundlage, die sich aus Geld- und Zeitfaktor zusammen setzt. Die Berechnungsgrundlage betrifft Umfang und Bestandteile des der Entgeltfortzahlung zugrunde zu legenden Arbeitsentgelts (BAG 13.03.2002 - 5 AZR 648/00 - AP EntgeltFG § 4 Nr. 58) sowie die Arbeitszeit des Arbeitnehmers. Aufgrund der ihnen eingeräumten Gestaltungsmacht dürfen die Tarifvertragsparteien auch einzelne Vergütungsbestandteile wie Prämien oder alle tariflichen Zuschläge aus der Entgeltfortzahlung herausnehmen (BAG 24.03.2004 - 5 AZR 346/03 - BAGE 110, 90 = AP EntgeltFG § 4 Nr. 66 m. w. N.). Von dieser Möglichkeit haben die Tarifvertragsparteien in § 21 Satz 2 TVöD und Satz 3 der Protokollerklärung Nr. 1 hierzu Gebrauch gemacht und für die im Einzelnen geregelten Fallgestaltungen unterschiedliche Berechnungszeiträume für die Berechnung der während der Krankheit zu zahlenden unsteten Entgeltbestandteile bestimmt. Es ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Ausschluss nicht voller Kalendermonate in den Sätzen 2 und 3 der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 21 Satz 2 TVöD willkürlich oder nachteilig zulasten einzelner Arbeitnehmer vorgenommen worden wäre. Die Änderung des Referenzzeitraums bei einer Änderung der individuellen Arbeitszeit verhindert, dass die Bemessung der in die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall einfließenden unsteten Entgeltbestandteile auf einer Grundlage erfolgt, die wegen der Änderung der individuellen Arbeitszeit nicht mehr den tatsächlichen Verhältnissen entspricht. Das betrifft zwar Arbeitnehmer nachteilig, die im ersten Monat der Änderung ihrer individuellen Arbeitszeit arbeitsunfähig krank werden, die Tarifvertragsparteien verletzen damit aber die ihnen eingeräumte weitgehende Gestaltungsfreiheit nicht. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte zu prüfen, ob die Tarifvertragsparteien die gerechteste, vernünftigste oder zweckmäßigste Lösung für ein Regelungsproblem gefunden haben (BAG 24.03.2004 aaO., Rn. 41 m. w. N.). Hinzukommt, dass eine Änderung der individuellen Arbeitszeit im Sinne des Satzes 3 der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 21 Satz 2 TVöD eine Änderung der arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeit voraussetzt, die der Arbeitgeber gegen den Willen des Arbeitnehmers nur im Wege der Änderungskündigung durchzusetzen vermag, deren soziale Rechtfertigung durch eine Änderungskündigungsschutzklage nach § 2 KSchG zur Überprüfung durch die Arbeitsgerichte gestellt werden kann.

III.

Die Kosten der erfolglos gebliebenen Berufung fallen dem Kläger nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.

IV.

Die Revision war nach § 72 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG zuzulassen, weil die Auslegung des § 21 TVöD über den entschiedenen Fall hinaus grundsätzliche Bedeutung hat.

Ende der Entscheidung

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