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Gericht: Landesarbeitsgericht München
Beschluss verkündet am 22.12.2004
Aktenzeichen: 8 Ta 454/04
Rechtsgebiete: BetrVG, RVG
Vorschriften:
BetrVG § 37 Abs. 2 | |
BetrVG § 37 Abs. 6 | |
RVG § 23 Abs. 3 S. 2 | |
RVG § 23 Abs. 3 S. 2 2. Hs. | |
RVG § 23 Abs. 3 S. 2 2. Alt. |
2. Die verlangte Freistellung eines Betriebsratsmitglieds von der Arbeit gem. § 37 Abs. 6 i. V. mit Abs. 2 BetrVG hat zwar durchaus grundsätzlich Folgen für dessen individualrechtlichen Entgeltanspruch, den die genannte Norm auch zu seinen Gunsten aufrechterhält. Dies ändert jedoch nichts daran, dass mit der Freistellung dieses Betriebsratsmitglieds prinzipiell ein ganz bestimmter weitergehender Zweck verfolgt wird, nämlich das vom Gesetzgeber anerkannte Schulungsinteresse des § 37 Abs. 6 BetrVG, d. h. die Vermittlung von Kenntnissen, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind, zu gewährleisten. Gerade dieses anerkannte Informationsinteresse des Betriebsrats ist nichtvermögensrechtlicher Natur.
3. Liegt weder ein besonderer Umfang noch eine besondere Bedeutung der Sache für die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Verfahrensbeteiligten vor noch ist eine besondere Bedeutung oder ein besonderer Umfang der Angelegenheit oder eine besondere Schwierigkeit der anwaltschaftlichen Tätigkeit erkennbar, besteht kein Anlass, für die Bewertung des Gegenstandswerts einer Streitigkeit über einen Freistellungsanspruch eines Betriebsratsmitglieds für eine Schulung gem. § 37 Abs. 6 i. V. mit § 37 Abs. 2 BetrVG vom Orientierungswert des § 23 Abs. 3 S. 2, 2. Hs. RVG in Höhe von € 4.000,-- auszugehen.
4. Der Wert des Informationsinteresses des Betriebsrats, den der Freistellungsanspruch des § 37 Abs. 6 i. V. mit Abs. 2 BetrVG gewährleisten soll, ist dessen obere Grenze und einzelfallbezogen zu ermitteln. In der Formulierung des § 37 Abs. 6 i. V. mit Abs. 2 BetrVG, dass der Arbeitgeber das Betriebsratsmitglied in dem Umfang von seiner beruflichen Tätigkeit zu befreien hat, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung seiner Aufgaben erforderlich ist, kommt allerdings eine Bewertung i. S. einer Begrenzung des Informationsinteresses zum Ausdruck. Es darf nicht höher angenommen werden, als der Arbeitgeber dafür keine Gegenleistung für die ausgefallene Arbeitsleistung des Betriebsratsmitglieds erhält. Deshalb ist die Bewertung des Freistellungsanspruchs eines Betriebsratsmitglieds für die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung gem. § 37 Abs. 6 i. V. mit Abs. 2 BetrVG in Höhe des Werts der dadurch ausgefallenen Arbeitsleistung in Gestalt der entsprechenden Vergütung durch das Arbeitsgericht nicht zu beanstanden.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN BESCHLUSS
In dem Beschlussverfahren
hat die Achte Kammer des Landesarbeitsgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Kagerer am 22. Dezember 2004 ohne mündliche Verhandlung beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 22. September 2004 - Gz.: 36 BVGa 48/04 - wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Der Beteiligte zu 1) (Betriebsrat) wollte im einstweiligen Verfügungsverfahren erreichen, dass der Beteiligten zu 2) (Arbeitgeberin) aufgegeben wird, die Vorsitzende des Betriebs der Niederlassung München, Frau G., für die Teilnahme an dem Betriebsrätekurs "Der Aufhebungsvertrag" des Schulungsveranstalters "I." in der Zeit vom 8. bis 13. August 2004 in München-Unterhaching von der Arbeit freizustellen und die Kosten der Schulung zu übernehmen.
Die Schulungskosten sollten € 950,-- zuzüglich Mehrwertsteuer betragen.
Nach Rücknahme dieses Antrags hat das Arbeitsgericht auf Antrag des Verfahrensvertreters des Betriebsrats den Gegenstandswert auf € 1.768,17 festgesetzt, sich zusammensetzend aus € 950,-- Schulungskosten und € 818,17 für die begehrte Freistellung; als Gegenstandswert der Freistellung hat es ein Wochenentgelt des Betriebsratsmitglieds angenommen, das die Schulung wahrnehmen sollte. Dieser Beschluss ist der Arbeitgeberin am 6. Oktober 2004 zugestellt worden.
Dagegen hat diese mit einem am 20. Oktober 2004 am Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Dabei rügte sie zum einen die Höhe des für die Freistellung angenommenen wöchentlichen Entgelts des betroffenen Betriebsratsmitglieds und zum anderen die Bewertung der Freistellung an sich mit der Begründung, es seien weder die Kosten der Schulung noch deren zeitliche Lage noch die Freistellung für den Lehrgang selbst, "sondern lediglich die grundsätzliche Erforderlichkeit dieses speziellen Lehrgangs" umstritten.
Dieser Beschwerde hat das Arbeitsgericht im Hinblick auf die Höhe des Gegenstandswerts für die Freistellung insoweit abgeholfen, als es dafür nur noch ein zwischenzeitlich unstreitig gewordenes Wochenentgelt in Höhe von € 555,-- angesetzt hat, ist jedoch im Übrigen bei seiner Rechtsauffassung geblieben, die begehrte Freistellung des Betriebsratsmitglieds bedürfe einer eigenen Bewertung in der zuletzt angenommenen Höhe und hat sie dem Landesarbeitsgericht insoweit zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Beschwerde ist gem. § 33 Abs. 3 S. 1 und 3 RVG zulässig, jedoch unbegründet.
1. Auf Antrag des Verfahrensvertreters des Betriebsrats ist gem. § 33 Abs. 1 RVG der Gegenstandswert festzusetzen; gem. § 22 Abs. 1 RVG werden die Werte mehrerer Gegenstände zusammengerechnet. Hier besteht hinsichtlich des Wertansatzes für die Schulungskosten keine Divergenz, sondern nur hinsichtlich desjenigen der begehrten Freistellung.
2. Das Arbeitsgericht hat richtig erkannt, dass der vom Betriebsrat gestellte Antrag zwei Gegenstände umfasst, nämlich zum einen die Kostentragung für die Schulung und zum anderen die für das betroffene Betriebsratsmitglied begehrte Freistellung von der Arbeit. Ob dieses Betriebsratsmitglied bereits "faktisch" von der Arbeitgeberin von der Arbeit freigestellt war, ist ohne Bedeutung, weil der Betriebsrat vorgetragen hat, sie sei "um eine entsprechende Freistellung ersucht" worden, doch habe sie die "Maßnahme" nicht genehmigt; darin kommt nämlich zum Ausdruck, dass sie nicht nur mit der Schulung der betroffenen Arbeitnehmerin nicht einverstanden war, sondern dies impliziert auch die Ablehnung der begehrten Freistellung gerade dafür.
Dieser geltend gemachte Freistellungsanspruch ist, ungeachtet seines rechtlichen Bestandes, zu bewerten.
- Dabei handelt es sich allerdings nicht um einen vermögensrechtlichen Gegenstand, sondern gerade um einen nicht vermögensrechtlichen. Nach herrschender Meinung (vgl. Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 11. Aufl., Rn. 3385 und Schulich in Anmerkung zu EzA § 64 ArbGG Nr. 28, jeweils m. w. N.) sind nicht vermögensrechtliche Streitigkeiten solche, die nicht auf Geld oder Geldeswert gerichtet sind und nicht aus vermögensrechtlichen Verhältnissen entspringen, wobei es dabei auf die Rechtsnatur des Anspruchs, den der Betriebsrat geltend macht, ankommt.
Die verlangte Freistellung eines Betriebsratsmitglieds von der Arbeit gem. § 37 Abs. 6 i. V. mit Abs. 2 BetrVG hat zwar durchaus grundsätzlich Folgen für dessen individualrechtlichen Entgeltanspruch, den die genannte Norm auch zu seinen Gunsten aufrecht erhält. Dies ändert jedoch nichts daran, dass mit der Freistellung dieses Betriebsratsmitglieds prinzipiell ein ganz bestimmter weitergehender Zweck verfolgt wird, nämlich das vom Gesetzgeber anerkannte Schulungsinteresse des § 37 Abs. 6 BetrVG, d. h. die Vermittlung von Kenntnissen, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind, zu gewährleisten. Gerade dieses anerkannte Informationsinteresse des Betriebsrats ist nicht vermögensrechtlicher Natur.
- Deshalb ist insoweit die Bewertungsvorschrift des § 23 Abs. 3 S. 2, 2. Hs. RVG heranzuziehen.
Anhand welcher Kriterien die Wertfestsetzung bei nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten im Rahmen des § 23 Abs. 3 S. 2, 2. Hs. RVG vorzunehmen ist, sagt das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz selbst nicht. Hinweise enthalten jedoch § 48 Abs. 2 S. 1 GKG (Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Beteiligten, die nach Ermessen zu bestimmen sind) oder § 37 Abs. 2 S. 2 i. V. mit § 14 Abs. 1 RVG, wo vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Verfassungsgericht eines Landes daneben auch noch der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit heranzuziehen sind (vgl. grundsätzlich dazu den Beschluss des LAG München vom 7. Dezember 1995 - 3 Ta 10/95 - LAGE § 8 BRAGO Nr. 29).
Unter Berücksichtigung dieser Umstände besteht kein Anlass, für diesen Antrag vom Orientierungswert des § 23 Abs. 3 S. 2, 2. Hs. RVG in Höhe von € 4.000,-- auszugehen, denn hier liegt weder ein besonderer Umfang noch eine besondere Bedeutung der Sache für die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Verfahrensbeteiligten vor, noch ist eine besondere Bedeutung oder ein besonderer Umfang der Angelegenheit oder eine besondere Schwierigkeit der anwaltschaftlichen Tätigkeit erkennbar.
Der Wert des Informationsinteresses des Betriebsrats, den der Freistellungsanspruch des § 37 Abs. 6 i. V. mit Abs. 2 BetrVG gewährleisten soll, ist dessen obere Grenze und einzelfallbezogen zu ermitteln. In der Formulierung des § 37 Abs. 6 i. V. mit Abs. 2 BetrVG, dass der Arbeitgeber das Betriebsratsmitglied in dem Umfang von seiner beruflichen Tätigkeit zu befreien hat, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung seiner Aufgaben erforderlich ist, kommt allerdings eine Bewertung i. S. einer Begrenzung des Informationsinteresses zum Ausdruck. Es darf nicht höher angenommen werden, als der Arbeitgeber dafür keine Gegenleistung für die ausgefallene Arbeitsleistung des Betriebsratsmitglieds erhält. Deshalb ist die Bewertung des Freistellungsanspruchs eines Betriebsratsmitglieds für die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung gem. § 37 Abs. 6 i. V. mit Abs. 2 BetrVG in Höhe des Werts der dadurch ausgefallenen Arbeitsleistung in Gestalt der entsprechenden Vergütung durch das Arbeitsgericht nicht zu beanstanden.
Daran ändert es nichts, dass das Betriebsratsmitglied, das hier geschult werden sollte, "faktisch" bereits von der Arbeit freigestellt war, denn es ist anzunehmen, dass diese "faktische" Freistellung bereits gem. § 37 Abs. 2 BetrVG nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung seiner Arbeit erforderlich war, sonst wäre sie entgegen den Grundsätzen des § 38 BetrVG nicht erfolgt.
Zwar erscheint es nicht ausgeschlossen, dass mit einer "faktischen" Freistellung eines Betriebsratsmitglieds von der Arbeit gem. § 37 Abs. 2 BetrVG auch diejenige für die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung gem. § 37 Abs. 6 BetrVG abgedeckt sein sollte, was deren Bewertung ganz erheblich reduzieren würde, doch sind dafür keinerlei Anhaltspunkte erkennbar.
Gegen diesen Beschluss findet keine Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht statt (§ 33 Abs. 4 S. 3 RVG).
Ende der Entscheidung
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