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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 09.08.2006
Aktenzeichen: 9 Sa 1251/05
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 102 Abs. 1
Von einer Empfangsbotenstellung eines einfachen Betriebsratsmitgliedes ist dann auszugehen, wenn der Betriebsratsvorsitzende und sein Stellvertreter im Betrieb nicht anwesend sind.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

9 Sa 1251/05

Verkündet am: 9. August 2006

In dem Rechtsstreit

hat die Neunte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 26. Juli 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Dunkl sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Wenzler und Hofmann für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichtes München vom 12.10.2005 - 19a Ca 9859/04 - wird zurückgewiesen.

II. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichtes München vom 12.10.2005 - 19a Ca 9859/04 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 2.6.2004 und durch die Kündigung vom 7.6.2004 nicht aufgelöst wurde.

2. Der Auflösungsvertrag der Beklagten wird abgewiesen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens bei unveränderten Arbeitsbedingungen als Kraftfahrer für die Direktion und für den Betrieb oder in einer gleichwertigen Position weiter zu beschäftigen.

4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.

5. Der Streitwert wird auf € 10.428,- festgesetzt.

III. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier fristloser, hilfsweise ordentlicher Kündigungen, einen Auflösungsantrag des Arbeitgebers, sowie über einen Weiterbeschäftigungsanspruch.

Der Kläger, geboren am , verheiratet, ist seit 1.3.2000 gemäß dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 24.1.2000 (Fotokopie Bl. 5 - 7 d. A.) als "Kraftfahrer für die Direktion und für den Betrieb" beschäftigt gegen ein Bruttomonatsentgelt von zuletzt € 2.607,59.

Nach dem Vortrag des Klägers ist dieser am 27.2.2004 im Hof der Beklagten aufgrund der winterlichen Verhältnisse gestürzt und hat sich hierbei das Knie und den Knöchel links verletzt. Zwischen den Parteien ist streitig, wann der Kläger dies der Beklagten mitgeteilt hat, ob sofort am 27.2.2004 (so der Kläger) oder erst im Mai 2004; Tatsache ist, dass die Unfallanzeige durch die Beklagte an die Berufsgenossenschaft erst mit Schreiben vom 11.5.2004 (Bl. 89 d. A.) erfolgte.

Der Kläger hat sich für die Zeit 10. bis 12.3.2004 und 19.4. bis 2.5.2004 arbeitsunfähig krank gemeldet. Für den 3.5.2004 hat der Kläger Urlaub beantragt, der auch erteilt wurde. Ab 6.5.2004 meldete sich der Kläger wiederum arbeitsunfähig krank und zwar zuerst bis 6.6.2004. Er war nach seinem Vortrag weiter arbeitsunfähig krank bis 16.8.2004, wobei er sich nach seinem Vortrag am 2.6.2004 einer Operation am Kniegelenk unterzogen hat. Auf eine Anfrage der Beklagten beim Kreisverwaltungsreferat München wurde ihr mit Schreiben vom 25.5.2004 mitgeteilt, dass die Kleingaststätte T. in M., mit der täglichen Betriebszeit 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr seit 30.4.2004 vom Kläger betrieben wird (Fotokopie Bl. 36 d. A.).

Die Beklagte hat daraufhin am 27.5.2004 eine Detektei beauftragt herauszufinden, ob und in welchem Umfang der Kläger in diesem Lokal tätig ist. Nach dem Vortrag der Beklagten hat ein Mitarbeiter der Detektei den Kläger am Freitag, den 28.5.2004 eine Stunde lang im Lokal observiert; der Kläger sei "hinter der kleinen Bar" gestanden und habe Getränke eingeschenkt. Kurz nach dem der Detektiv an einem der Tische Platz genommen hatte, habe der Kläger die Bestellung aufgenommen und ihn mit dem bestellten Getränk bedient. In gleicher Weise habe der Kläger auch andere Gäste bedient, die zwischenzeitlich das Lokal betreten hätten und bei denen er offensichtlich sehr gut bekannt zu sein schien; jedenfalls hätten ihn alle neuen Gäste herzlich begrüßt. In der Zwischenzeit habe der Kläger gemeinsam mit seiner hinzugekommenen Ehefrau den Geschirrspüler geleert, eine Kochstandfigur ins Cafe getragen, Speisekarten eingesammelt usw., also Tätigkeiten durchgeführt, die üblicherweise von Kellnern oder Betreibern solcher Lokale erledigt würden. Nach dem weiteren Vortrag der Beklagten wurde sie am 1.6.2004 von der Detektei über die Beobachtungen informiert. Im Auftrag des Vorstandes, Herrn H., hat dann Frau B., Mitarbeiterin in der Personalabteilung der Beklagten, mit dem Kläger telefoniert; der genaue Inhalt dieses Telefonates ist zwischen den Parteien streitig.

Unmittelbar nach dem Telefonat hat Herr H. - nach dem Vortrag der Beklagten - am 1.6.2004 mit den Betriebsratsmitgliedern Dr. S., L., Frau V. und Dr. R. ein Gespräch geführt, in welchem er diese über den "Sachverhalt" informierte und ihnen zugleich die beiden Anhörungsschreiben vom 1.6.2004 über die beabsichtigte außerordentliche und ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger übergab (Fotokopie Bl. 94/95 d. A.). Der Betriebsratsvorsitzende, Herr D., und die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende, Frau B., waren am 1.6.2004 nicht anwesend; Frau B. war zu dieser Zeit arbeitsunfähig krank und Herr D. ist Außendienstmitarbeiter und kommt nur sporadisch, insbesondere für Betriebsratssitzungen nach München.

Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger durch Schreiben vom 2.6.2004, dem Kläger zugegangen am 3.6.2004, außerordentlich, hilfsweise fristgerecht zum 31.7.2004 gekündigt. Denn nach dem Gespräch vom 1.6.2004 habe sich - so der Vortrag der Beklagten - das Betriebsratsmitglied Dr. S. Herrn H. gegenüber in der Weise geäußert, dass dieser den Schluss gezogen habe, der Betriebsrat habe sich bereits nach interner Beratung abschließend geäußert und stimme der Kündigung zu.

Am Freitag, den 4.6.2004 hat dann eine Betriebsratssitzung stattgefunden, die vom Betriebsratsvorsitzenden, Herrn D., geleitet wurde. Dieser hat auf den beiden Anhörungsschreiben das maschinenschriftlich eingetragene Datum 1.6.2004 für die Empfangsbestätigung und für die Unterschriftsleistung des Betriebsratsvorsitzenden handschriftlich jeweils auf den 4.6.2004 abgeändert. Nach Zugang der schriftlichen Stellungnahme des Betriebsrates vom 4.6.2004 hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger erneut durch Schreiben vom 7.6.2004 (Bl. 9 d. A.), dem Kläger zugegangen am selben Tage, fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.7.2004 gekündigt.

Der Kläger hat gegen beide Kündigungen am 18.6.2004 Klage zum Arbeitsgericht München erhoben.

Der Kläger hält beide Kündigungen für ungerechtfertigt und bestreitet bei beiden Kündigungen die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates.

Der Kläger beantragte im ersten Rechtszug:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 2.6.2004, zugegangen am 3.6.2004, weder außerordentlich zum 2.6.2004, noch fristgerecht zum 31.7.2004 beendet wird.

2. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 7.6.2004, zugegangen am 7.6.2004, weder außerordentlich zum 7.6.2004, noch fristgerecht zum 31.7.2004 beendet wird.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens bei unveränderten Arbeitsbedingungen als Kraftfahrer für die Direktion und für den Betrieb oder in einer anderen gleichwertigen Position weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragte dagegen

die Klageabweisung und hilfsweise die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung, die € 3.476,78 nicht übersteigen sollte.

Der Kläger beantragte die Abweisung des Auflösungsantrages.

Das Arbeitsgericht München hat durch Endurteil vom 12.10.2005 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 2.6.2004 und 7.6.2004 nicht aufgelöst wurde; den Antrag auf Weiterbeschäftigung und den Auflösungsantrag der Beklagten hat es abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die beiden Kündigungen seien bereits wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG rechtsunwirksam. Die Kündigung vom 2.6.2004 sei bereits deshalb unwirksam, weil sie noch vor Ablauf des Anhörungsverfahrens, das mit der Übergabe des Anhörungsschreibens am 1.6.2004 begonnen habe, erfolgt sei. Die Anhörungsfrist des § 102 Abs. 3 BetrVG sei zum Zeitpunkt des Zuganges des Kündigungsschreibens an den Kläger am 3.6.2004 noch nicht abgelaufen gewesen. Letztlich ziehe die Beklagte die Unwirksamkeit der Kündigung vom 2.6.2004 gar nicht in Zweifel, da sie ansonsten nicht nochmals mit Schreiben vom 7.6.2004 eine weitere Kündigung ausgesprochen hätte. Die Beklagte trage selbst vor, dass sie bei Ausspruch der ersten Kündigung einem Irrtum unterlegen sei, nämlich der Annahme, dass der Betriebsrat sich abschließend geäußert habe. In diesem Zusammenhang sei auch zulasten der Beklagten festzustellen, dass in keiner Weise ein nachvollziehbarer Sachvortrag vorliege, aufgrund welcher Umstände der Vorstandsvorsitzende Herr H. zu der irrigen Auffassung gekommen sein soll, dass eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrates vorliege. Weiter stehe aber auch fest, dass zur Kündigung vom 7.6.2004 keine weitere bzw. nochmalige Anhörung des Betriebsrates erfolgt sei. Die Beklagte habe vielmehr ausschließlich ihre zweite Kündigung auf das Anhörungsschreiben vom 1.6.2004 gestützt, wobei dieses Anhörungsverfahren aber durch die ausgesprochene Kündigung vom 2.6.2004 bereits abgebrochen gewesen sei. Auf das Anhörungsverfahren nach § 102 Abs. 1 BetrVG würden sich Mängel, die in den Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Betriebsrates fallen, grundsätzlich selbst dann nicht auswirken, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung weiß, oder nach den Umständen vermuten könne, dass die Behandlung der Angelegenheit durch den Betriebsrat nicht fehlerfrei erfolgt sei. Unterlaufe hingegen dem Arbeitgeber bei der ihm obliegenden Einleitung des Anhörungsverfahrens ein Fehler, so liege darin eine Verletzung des § 102 Abs. 1 BetrVG mit der Folge der Unwirksamkeit der Kündigung. Im vorliegenden Falle sei nicht einzusehen, warum, obwohl die Beklagte das Anhörungsverfahren durch Ausspruch der ersten Kündigung abgebrochen habe, genau dieses Verfahren für die zweite Kündigung wieder aufleben solle, obwohl es für die Beklagte keine Schwierigkeit oder unvertretbare Zumutung gewesen sei, ein neues Anhörungsverfahren einzuleiten. Es sei kein Formalismus, ob eine oder zwei fristlose Kündigungen erfolgten, und dass dazu das richtige Gremium beteiligt werde. Dies ergebe sich nicht zuletzt auch aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Dem Auflösungsantrag der Beklagten sei nicht stattzugeben. Ein Auflösungsantrag des Arbeitgebers könne nur für die ordentliche Kündigung Erfolg haben. Dem stehe aber entgegen, dass die streitgegenständlichen Kündigungen nicht allein sozialwidrig, sondern aus anderen Gründen unwirksam seien. Das Bundesarbeitsgericht halte in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt aufrecht, dass das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitgebers nur dann aufgelöst werden könne, wenn die Kündigung allein sozialwidrig sei. Dem Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers sei nicht stattzugeben; nach den im Kündigungsschutzprozess gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwürfen, seien diese jedenfalls aus der subjektiven Sicht des Arbeitgebers geeignet, das Vertrauen in ihn ganz wesentlich zu erschüttern. Bei dieser Konstellation sei es unzumutbar vor rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens die Beklagte zu einer Weiterbeschäftigung zu verpflichten. Jedenfalls überwiege das Interesse des Klägers an einer Beschäftigung nicht das Interesse der Beklagten an einer Nichtbeschäftigung. Bei dieser Pattsituation sei daher der Weiterbeschäftigungsantrag zurückzuweisen.

Bezüglich des Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug und der rechtlichen Erwägungen des Arbeitsgerichtes im Einzelnen wird auf den Inhalt des Endurteils des Arbeitsgerichtes München vom 12.10.2005 (Bl. 191 - 204 d. A.) verwiesen.

Dieses Urteil wurde den Parteien am 1.12.2005 zugestellt. Die Beklagte hat gegen dieses Urteil am 14.12.2005 Berufung eingelegt und sie am 1.3.2006 innerhalb der verlängerten Frist begründet. Der Kläger hat am 28.12.2005 Berufung eingelegt und sie am 1.2.2006 begründet.

Die Beklagte trägt im Berufungsverfahren vor, sie verfolge den Klageabweisungsantrag sowie den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag weiter. Die Anhörung des Betriebsrates sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die Wirksamkeit der Kündigungen vom 2. bzw. 7.6.2004 hänge davon ab, wann das Anhörungsverfahren beim Betriebsrat begonnen bzw. geendet habe. Folge man der Auffassung des Arbeitsgerichtes, die einfachen Betriebsratsmitglieder seien empfangsberechtigt gewesen, so sei das Anhörungsverfahren am 1.6.2004 eingeleitet gewesen. Dann komme aber der Äußerung des Betriebsratsmitgliedes Dr. S. gegenüber Herrn H. die Vermutung einer abschließenden Stellungnahme zu, die dieser so verstanden habe und verstehen durfte, als würde der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung zustimmen. Ob dabei in der Zeit zwischen der Information und der Äußerung des Dr. S. eine Betriebsratssitzung stattgefunden habe, könne dahingestellt bleiben, da sich Mängel des Anhörungsverfahrens, die in den Zuständigkeitsbereich des Betriebsrates fallen, grundsätzlich nicht auf die Wirksamkeit der Kündigung auswirken würden. Unter dieser Voraussetzung sei das am 1.6.2004 eingeleitete Verfahren am selben Tage beendet gewesen, so dass die am 3.6.2004 zugegangene Kündigung nicht gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam sei.

Gehe man dagegen davon aus, dass der Zugang des Anhörungsbogens, wie vom Betriebsratsvorsitzenden vermerkt, erst am 4.6.2004 erfolgt sei, so könne die erste Kündigung vom 2.6.2004 dieses Anhörungsverfahren begrifflich nicht unterbrochen haben, weil die erste Kündigung bereits am 3.6.2004 dem Kläger zugegangen sei. Eine erneute Anhörung nach dem 4.6.2004 und vor dem 7.6.2004 wäre somit eine überflüssige Förmelei gewesen. Soweit der Kläger rüge, die Beklagte habe den Betriebrat nicht sachlich zutreffend oder zumindest lückenhaft informiert, bedürfe es insoweit keiner gesonderten Stellungnahme, da das Arbeitsgericht hierauf zu Recht nicht eingegangen sei. Diesbezüglich werde auf den erstinstanzlichen Vortrag, insbesondere im Schriftsatz vom 4.10.2005 verwiesen. Wie dort vorgetragen, habe das Betriebsratsmitglied Dr. S. das von Frau B. geführte Telefonat selbst mitverfolgt und damit mithören können, dass diese den Kläger nicht nur allgemein gefragt habe, ob er im Terrassencafe Laim arbeite, sondern sich diese Frage konkret auf den 28.5.2004 bezogen habe. Gleiches gelte für den Umstand, dass die Beklagte die auszusprechende Kündigung auch auf den Gesichtspunkt der Verdachtskündigung stützen wollte. Falsch oder irreführend sei auch nicht, den observierenden Detektiv nur als sehr vertrauenswürdige Person bezeichnet zu haben. Der Kläger verkenne überdies, dass es nach dem Grundsatz der subjektiven Determinierung genüge, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat die ihm aus seiner Sicht tragenden Umstände unterbreitet habe.

Aus seiner Sicht konsequent habe das Arbeitsgericht nicht geprüft und insoweit auch nicht Beweis erhoben, ob für die verfahrensgegenständlichen Kündigungen ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB vorliege bzw. ein verhaltensbedingter Grund für die jeweiligen ordentlichen Kündigungen. Diese Voraussetzungen lägen jedoch vor. Insoweit werde auf den erstinstanzlichen Vortrag verwiesen.

Das Arbeitsgericht habe dem Auflösungsantrag der Beklagten deshalb nicht stattgegeben, weil nach ständiger Rechtsprechung des BAG das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitgebers nur aufgelöst werden dürfe, wenn die Kündigung allein sozialwidrig sei. Insoweit wirke sich die irrige Auffassung des Arbeitsgerichtes in Bezug auf die vermeintlich fehlerhafte Betriebsratsanhörung gleichfalls aus. Zur Begründung des Auflösungsantrages werde auf das erstinstanzliche Vorbringen Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt im Berufungsverfahren:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichtes München vom 12.10.2005, Az.: 19a Ca 985904 wird abgeändert:

2. Es wird nach den Schlussanträgen erster Instanz erkannt, also die Klage abgewiesen, hilfsweise das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichtes gestellt wird, aber € 3.476,78 nicht übersteigen sollte, zum Ablauf des 31.7.2004 aufzulösen.

Sowie die Berufung des Klägers vom 28.12.2005 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt dagegen im Berufungsverfahren

1. Das Urteil des Arbeitsgerichtes München vom 12.10.2005 - Az.: 19a Ca 9859/04 - wird abgeändert.

2. Es wird nach den Schlussanträgen der ersten Instanz erkannt.

3. Die Beklagte/Berufungsbeklagte trägt die Kosten des Rechtsstreites sowie die Berufung der Beklagten ist zurückzuweisen und trägt vor, beide Kündigungen seien bereits gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam, wie das Arbeitsgericht zutreffend entschieden habe. Es bestehe weiter auch kein Grund für die beiden Kündigungen. Die Tatsache, dass die Konzession für das Cafe auf den Kläger laute, habe seine Ursache darin, dass der Kläger bereits seit 1991 im Besitz einer Ausschankgenehmigung sei. Das Cafe werde jedoch tatsächlich ausschließlich von der Ehefrau des Klägers betrieben. Der Kläger arbeite in diesem Cafe nicht. Er habe sich während der Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit teilweise im Cafe seiner Ehefrau aufgehalten. Er habe dort keine Kellnertätigkeiten ausgeübt. Am 28.5.2004 gegen circa 11.30 Uhr sei er im Cafe eingetroffen. Aufgrund eines Termins bei der Physiotherapie habe der Kläger das Cafe bereits vor 13.00 Uhr wieder verlassen. In der Zeit, in der er sich im Cafe aufhielt, habe er sich und seiner Ehefrau eine Apfelschorle eingeschenkt und diese an den Tisch gebracht. Auf dem Rückweg zur Theke habe er einen Gast gefragt, was er trinken wolle. Er habe lediglich diese Bestellung entgegengenommen. Bedient habe er den Gast nicht, genau so wenig wie er andere Kellnertätigkeiten verrichtet habe. Er habe lediglich, nachdem seine Ehefrau und er selbst ihr Mittagessen eingenommen hatten, deren leere Gläser wieder in die Küche zurückgebracht.

Die Arbeitsunfähigkeit sei auf einen Arbeitsunfall bei der Beklagten zurückzuführen. Der Kläger sei auf dem Hof der Berufungsbeklagten am 27.2.2004 ausgerutscht und habe sich dabei eine Knieverletzung zugezogen. Er habe noch am selben Tage den Vorfall seinem Vorgesetzten, Herrn M., gemeldet. Er sei am 1.3.2004 bei Frau K., die bei der Beklagten für diese Angelegenheiten zuständig sei, vorstellig geworden und habe sie über den Unfall und die Verletzung unterrichtet. Frau K. habe sich sinngemäß geäußert: "Wenn es nicht länger als zwei Wochen dauere, müssen wir es nicht melden." Am 10.3.2004 habe er dann einen Arzt aufgesucht, weil seine Beschwerden nicht nachließen. Von diesem Arzttermin habe er ebenfalls Frau K. unterrichtet. Da der Kläger trotz dieser Verletzung aufgefordert wurde, weiter zu arbeiten, habe sich eine Entzündung im Kniegelenk entwickelt. Daraufhin habe er am 6.5.2004 erneut seinen Arzt aufgesucht, der ihm erklärte, dass nun eine Operation des Knies nicht mehr zu vermeiden sei. Der Kläger sei daher ab dem 6.5. bis einschließlich 6.6.2004 arbeitsunfähig krank geschrieben worden. Erst nachdem er über diese Tatsache die Beklagte unterrichtete, sei der Arbeitsunfall durch Frau K. bei der Berufungsgenossenschaft gemeldet worden. Aufgrund der verspäteten Meldung sei die Kostenübernahme für die notwendige Operation zunächst ungeklärt gewesen und der Kläger habe nicht bereits am 24.5.2004 operiert werden können, sondern habe einen OP-Termin erst für den 2.6.2004 erhalten. Diese Operation sei sodann auch tatsächlich durchgeführt worden. Die Entscheidung des Arbeitsgerichtes hinsichtlich der Feststellungsanträge und des Auflösungsantrages sei richtig. Jedoch gehe das Arbeitsgericht fehl in der Annahme, dass ein Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers nicht bestehe. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes stehe dem Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers kein überwiegendes schutzwertes Interesse der Beklagten an der Nichtweiterbeschäftigung entgegen.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den Inhalt der Schriftsätze des Klägers vom 1.2.2006 (Bl. 251 - 267 d. A.) und vom 3.4.2006 (Bl. 288 - 302 d. A.) und auf die Schriftsätze der Beklagten vom 28.2.2006 (Bl. 269 - 286 d. A.) und vom 17.7.2006 (Bl. 318 - 326 d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichtes München vom 12.10.2005 ist zulässig, aber unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass die beiden Kündigungen vom 2. und 7.6.2004 bereits gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG rechtsunwirksam sind und hat ferner zu Recht den Auflösungsantrag der Beklagten abgewiesen.

1. Die Kündigung vom 2.6.2004 ist bereits gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG rechtsunwirksam.

Nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Voraussetzung ist damit zunächst, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat - schriftlich oder mündlich - von der beabsichtigten Kündigung unterrichtet und ihm hierbei neben den Personalien des Arbeitnehmers mit den grundlegenden sozialen Daten die Art der Kündigung und den Kündigungszeitpunkt, zu dem gekündigt werden soll, mitteilt, sowie die Gründe für die Kündigung (vgl. BAG AP Nr. 30, 56, 58 und 64 zu § 102 BetrVG 1972). Weitere Voraussetzung für ein wirksames Anhörungsverfahren ist, dass der Arbeitgeber den Abschluss des Anhörungsverfahrens abwartet, bevor er die Kündigung ausspricht. Eine vor Abschluss des Anhörungsverfahrens ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unheilbar nichtig (BAG EzA Nr. 23 zu § 102 BetrVG 1972)

Das Anhörungsverfahren hat mit der Übergabe des Anhörungsschreibens am 1.6.2004 an die Betriebsratsmitglieder Dr. S., L., Frau V. und Dr. R. begonnen. Gemäß § 26 Abs. 2 S. 3 BetrVG ist zur Entgegennahme von Erklärungen, die dem Betriebsrat gegenüber abzugeben sind, der Vorsitzende des Betriebsrates und im Falle seiner Verhinderung sein Stellvertreter zuständig. Im vorliegenden Falle kann von einer Verhinderung des Betriebsratsvorsitzenden D. am 1.6.2004 nicht ausgegangen werden. Dieser ist nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien Außendienstmitarbeiter und deshalb nur sporadisch am Betriebssitz in München anwesend. Für die Beantwortung der Frage, wann der Vorsitzende als verhindert anzusehen ist, gelten die nach § 25 Abs. 1 S. 2 BetrVG maßgebenden Grundsätze entsprechend (vgl. Fitting u.a. § 26 BetrVG Rz. 39). Eine zeitweilige Verhinderung liegt nur vor, wenn das Betriebsratsmitglied vorübergehend aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht in der Lage ist seine betriebsverfassungsrechtlichen Amtsobliegenheiten auszuüben (vgl. BAG AP Nr. 6 zu § 8 BetrVG 1972; Fitting u.a. § 25 BetrVG Rz. 17). Bei der Beantwortung der Frage der Verhinderung ist abzustellen auf die jeweils anstehende betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit, bei welcher die Mitwirkung des Betriebsrates erforderlich ist. Dies war im vorliegenden Falle die Anhörung des Betriebsrates zur beabsichtigten Kündigung gemäß Rz. 33; KR-Etzel § 102 BetrVG Rz. 84 m.w.N.) vertreten, dass dann, wenn während eines ganzen Arbeitstages sämtliche empfangsberechtigten Personen verhindert sind und der Betriebsrat für diesen Fall keine Vertretungsregelung getroffen hat, der Arbeitgeber an diesem betreffenden Arbeitstag die Mitteilung an jedes Betriebsratsmitglied machen kann; in einem solchen Falle ist jedes Betriebsratsmitglied befugt und verpflichtet, Erklärungen des Arbeitgebers für den Betriebsrat entgegenzunehmen. Da am 1.6.2004 der Betriebsratsvorsitzende D. ebenso wie seine Stellvertreterin Frau B. nicht im Betrieb anwesend waren, war somit der Zugang der Kündigungsinformation durch Übergabe des Anhörungsschreibens an die einfachen Betriebsratsmitglieder Dr. S., L. und Frau V. bewirkt. Der Umstand, dass das Zugangsdatum vom Betriebsratsvorsitzenden später auf 4.6.2004 abgeändert wurde, ändert hieran nichts, denn eine Rechtslage kann durch Ausbessern eines Datums nicht verändert werden. Das Ausbessern des Datums beruht auf der unrichtigen Beurteilung der Rechtslage durch Herrn D..

Bei einem Zugang der Information am 1.6.2004 ist bei Zugang der Kündigung am 3.6.2004 weder die dreitätige Anhörungsfrist gemäß § 102 Abs. 2 S. 3 BetrVG für die außerordentliche Kündigung noch die einwöchige Anhörungsfrist gemäß § 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG für die ordentliche Kündigung gewahrt.

Es liegt auch keine vorherige abschließende Stellungnahme des Betriebsrates vor. Teilt der Betriebsrat vor Ablauf der Anhörungsfrist dem Arbeitgeber mit, er stimme der beabsichtigten Kündigung zu, so ist das Anhörungsverfahren abgeschlossen und der Arbeitgeber kann die Kündigung aussprechen, ohne den Ablauf der Anhörungsfrist abwarten zu müssen (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. AP Nr. 24 zu § 102 BetrVG 1972). Für die Mitteilung der Zustimmung zuständig ist der Betriebsratsvorsitzende bzw. im Verhinderungsfalle sein Stellvertreter, denn gemäß § 26 Abs. 2 BetrVG vertritt der Betriebsratsvorsitzende oder im Falle seiner Verhinderung sein Stellvertreter den Betriebsrat im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse (BAG AP Nr. 24 zu § 102 BetrVG 1972). Die Stellungnahme des Betriebsrates bedarf eines Beschlusses des Betriebsratsgremiums (BAG AP Nr. 2 zu § 102 BetrVG 1972).

Damit ist auch die Mitteilung der Zustimmung des Betriebsrates zur beabsichtigten Kündigung nur rechtsverbindlich und wirksam, wenn sie vom Betriebsratsvorsitzenden bzw. im Verhinderungsfalle von dessen Stellvertreter abgegeben wird. Teilt ein einfaches Betriebsratsmitglied die Zustimmung mit - ohne dass er hierzu beauftragt oder bevollmächtigt wurde - ist die Mitteilung nicht wirksam (vgl. Fitting u.a. § 102 BetrVG Rz. 52). Da auch der Arbeitgeber die Vorschrift des § 26 Abs. 2 BetrVG kennt, kann er sich bei Mitteilung der Zustimmung der Kündigung durch ein einfaches Betriebsratsmitglied auch nicht darauf verlassen, dass tatsächlich eine Zustimmung durch den Betriebsrat erfolgt ist. Dies ist allenfalls eine unverbindliche Information ohne rechtlichen Erklärungswert.

Im Übrigen kommt hinzu, dass aus dem Vortrag der Beklagten nicht entnommen werden kann, dass das Betriebsratsmitglied Dr. S. Herrn H. ausdrücklich die Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung mitgeteilt hat. Die Beklagte bleibt insoweit in ihrem Vortrag mehr als nebulös. Im Schriftsatz vom 14.7.2005 trug die Beklagte vor: "Nach besagtem Gespräch [vom 1.6.2004] äußerte sich das Betriebsratsmitglied Dr. S. dem Personalvorstand der Beklagten, H., gegenüber in einer Weise, aus der dieser - wie sich später herausstellte irrig - den Schluss zog, der Betriebsrat habe sich bereits nach interner Beratung abschließend geäußert und stimme der Kündigung zu." Die Beklagte gibt aber die Äußerung des Herrn Dr. S. nicht wieder, so dass die Wertung des Herrn H. vom Gericht nicht nachvollzogen werden kann. Dasselbe im Schriftsatz vom 4.10.2005. Hier trägt die Beklagte vor: "Ob die anwesenden Betriebsratsmitglieder nachfolgend eine Sitzung abgehalten hatten, bzw. einen Beschluss gefasst hatten, entzog sich naturgemäß dem Wissen und der Kenntnis des Personalvorstandes, der jedenfalls, wie vorgetragen, eine Äußerung des Betriebsratsmitgliedes Dr. S. dahingehend verstanden hat, der Betriebsrat stimmt der außerordentlichen wie ordentlichen Kündigung zu." Auch hier fehlt die Wiedergabe der konkreten Äußerung des Herrn Dr. S..

Im Berufungsbegründungsschriftsatz vom 28.2.2006 trägt nun die Beklagte vor: "Zu einem späteren Zeitpunkt äußerte sich ihm [Herrn H.] gegenüber das Betriebsratsmitglied Dr. S. sinngemäß, dass er seitens des Betriebsrates gegen die außerordentliche sowie die ordentliche Kündigung keine Bedenken hätte." Nimmt man diesen Vortrag ernst, so kann in dieser sinngemäßen Mitteilung des Betriebsrates ebenfalls keine Zustimmung des Betriebsratsgremiums liegen, sondern allenfalls die persönliche Meinung des Herrn Dr. S., dass er gegen die Kündigung keine Bedenken habe. Auch hier kann insoweit von einer Mitteilung der Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung durch das gesamte Betriebsratsgremium nicht ausgegangen werden.

Da somit bei Zugang der Kündigung vom 2.6.2004 am 3.6.2004 an den Kläger das Anhörungsverfahren noch nicht abgeschlossen war, ist die - außerordentliche und hilfsweise ordentliche - Kündigung vom 2.6.2004 gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG rechtsunwirksam.

2. Auch die Kündigung vom 7.6.2004 ist gemäß § 102 Abs. 3 S. 1 BetrVG rechtsunwirksam. Das Berufungsgericht teilt die Auffassung des BAG, dass grundsätzlich ein Anhörungsverfahren nur für die Kündigung Wirksamkeit entfaltet, für die es eingeleitet worden ist. Ist die Kündigung, zu der der Betriebsrat "angehört" worden ist, dem Arbeitnehmer zugegangen, so ist das Gestaltungsrecht der Kündigung ausgeübt und verbraucht. Damit muss der Arbeitgeber den Betriebsrat, wenn er erneut kündigen will, auch vor der erneuten Kündigung erneut anhören (BAG vom 16.9.1993 NZA 1994, 311). Diese erneute Anhörung vor der erneuten Kündigung vom 7.6.2004 ist jedoch unterblieben; damit ist die Kündigung vom 7.6.2004 - als außerordentliche und als ordentliche Kündigung - ebenfalls gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG rechtsunwirksam.

3. Der Auflösungsantrag der Beklagten wurde vom Arbeitsgericht zu Recht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BAG abgewiesen. Auch hier teilt das Berufungsgericht die Auffassung des BAG, dass Voraussetzung für einen Auflösungsantrag des Arbeitgebers gemäß § 9 Abs. 1 KSchG ist, dass die Kündigung allein sozialwidrig nach § 1 Abs. 2 KSchG ist (vgl. BAG EzA Nr. 9 und 43 zu § 1 KSchG n.F.). Da die beiden Kündigungen vom 2. und 7.6.2004 wegen § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG rechtsunwirksam sind, so kann das Arbeitsverhältnis auf Antrag der Beklagten nicht aufgelöst werden.

Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichtes München vom 12.10.2005 hat somit insgesamt keinen Erfolg.

II.

Dagegen hat die zulässige Berufung des Klägers Erfolg. Das Arbeitsgericht hat den Antrag auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu Unrecht abgewiesen. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG (vgl. GS EzA Nr. 9 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) besteht ein Weiterbeschäftigungsanspruch - außer im Falle der offensichtlichen Unwirksamkeit der Kündigung - dann, wenn ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Instanzurteil ergeht und keine besonderen Umstände vorliegen, die ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers begründen, den Arbeitnehmer nicht weiter beschäftigen zu müssen. Nach einem der Kündigungsschutzklage stattgebenden Instanzurteil besteht also grundsätzlich ein Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers, auch wenn die Kündigung nicht offensichtlich unwirksam ist (vgl. auch KR-Etzel § 102 BetrVG Rz. 275).

Es mag sein, dass die Beklagte "Zweifel an der persönlichen Integrität des Klägers hat, und diese auch durch das Ersturteil nicht ausgeräumt sind". Wenn die ausgesprochenen Kündigungen bereits aus formalen Gründen rechtsunwirksam sind, so besteht das Arbeitsverhältnis fort und die Beklagte hat diesen Rechtszustand hinzunehmen. Sind die Kündigungen bereits aus formalen Gründen unwirksam und wird deshalb der Kündigungsvorwurf nicht aufgeklärt und bleibt er weiter streitig, so kann die Beklagte den Kläger nicht einfach so behandeln, als wäre der Vorwurf zutreffend und die Kündigung gerechtfertigt. Selbst wenn es der Vorstandsvorsitzende der Beklagten als unzumutbar ansieht, dass ihn der Kläger weiterhin als Kraftfahrer chauffiert, so mag die Beklagte den Kläger mit anderen Fahrten beauftragen, oder ihn in einer anderen gleichwertigen Position beschäftigen. Damit kann sie unter Umständen auch die befürchtete Doppelbesetzung der Stelle als Kraftfahrer für den Vorstandsvorsitzenden vermeiden.

Es wird nicht verkannt, dass es der Beklagten widerstrebt, den Kläger bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiterzubeschäftigen und es ihr eventuell organisatorische Probleme bereitet; dies hat sie aber nach der arbeitsgerichtlichen Entscheidung, dass die ausgesprochenen Kündigungen rechtsunwirksam sind, hinzunehmen, genauso wie es der Kläger bis zu dieser Entscheidung hinzunehmen hatte, dass er nicht beschäftigt wurde.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 91 Abs. 1 ZPO.

Gegen dieses Urteil kann die Beklagte Revision zum Bundesarbeitsgericht einlegen.

Die Revision muss innerhalb einer Frist von einem Monat eingelegt und innerhalb einer Frist von zwei Monaten begründet werden. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteiles, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Urteiles.

Ende der Entscheidung

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