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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 03.11.2006
Aktenzeichen: 9 Sa 56/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 626
Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Arbeitnehmer eine Treuepflichtverletzung begeht, wenn er über einen Zeitraum von mehr als 2 Jahren ohne Arbeitsleistung Arbeitsentgelt bezieht und Geschäftsführung nicht darüber informiert, dass er trotz mehrmaligen Angebot der Arbeitsleistung an den Personalleiter unter Fortzahlung der Vergütung nicht beschäftigt wird. Selbst wenn hierin eine Pflichtverletzung liegt, so ist vor Ausspruch einer Kündigung eine Abmahnung erforderlich.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

9 Sa 56/06

Verkündet am: 3. November 2006

In dem Rechtsstreit

hat die neunte Kammer des Landesarbeitsgerichts München aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. September 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Dunkl sowie die ehrenamtlichen Richter Ragaller und Birkner für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Teilurteil des Arbeitsgerichtes Passau vom 13.10.2005 - 1 Ca 522/05 - abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 07.04.2005 nicht aufgelöst wurde.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 19.05.2005 nicht aufgelöst wurde.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen weiterzubeschäftigen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen und einer vorsorglichen ordentlichen Kündigung, über die vorläufige Weiterbeschäftigung des Klägers, über Vergütungsansprüche des Klägers und über Schadensersatzansprüche der Beklagten und Widerklägerin.

Die Beklagte ist ein Bauunternehmen mit ca. 300 Mitarbeitern. In ihrem Betrieb in P. besteht ein Betriebsrat. Der Kläger, geboren 1949, verheiratet, ist seit 01.09.1987 -mit saisonalen Unterbrechungen - bei der Beklagten beschäftigt gewesen, zuletzt ab 22.03.1999 als Vorarbeiter (Polier) mit einer Vergütung in Höhe von € 15,55 brutto je Stunde und etwa € 2.519,-- brutto monatlich.

Seit 24.05.2000 ist der Kläger als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt.

Er hat zuletzt im Jahre 2001 für die Beklagte Arbeitsleistungen erbracht. Zu Beginn des Jahres 2002 bezog er zunächst Schlechtwettergeld, hatte Urlaub oder war arbeitsunfähig krank. Ab Mai 2002 bis einschließlich Januar 2005 erhielt der Kläger monatliche Lohnabrechnungen und Vergütungszahlungen, ohne eine Arbeitsleistung erbracht zu haben. Die näheren Umstände hierzu sind zwischen den Parteien streitig. Ab Februar 2005 hat der Kläger keine Vergütung mehr von der Beklagten erhalten.

Mit Schreiben vom 21.02.2005 (Bl. 14 d. A.) hat die Beklagte den Kläger gebeten, zur Klärung, ob noch ein reguläres Arbeitsverhältnis bestehe, in das Lohnbüro zu kommen. Nach diesem Gespräch am 23.02.2005 fand dann am 09.03.2005 - unter Beteiligung der Prozessbevollmächtigten der Parteien - ein weiteres Gespräch statt.

Mit Schreiben vom 17.03.2005 (Bl. 73 bis 76 d. A.) fasste die Beklagte aus ihrer Sicht aufgrund der gemeinsamen Besprechung vom 09.03.2005 den Sachverhalt zusammen und teilte dem Kläger mit, dass beabsichtigt sei, sowohl eine Tat- als auch eine Verdachtskündigung nach Anhörung des Betriebsrates sowie nach Einholung und Zustimmung des Integrationsamtes auszusprechen. Ferner wurde in diesem Schreiben dem Kläger die Möglichkeit eingeräumt, bis Freitag, den 18.03.2005, 12.00 Uhr schriftlich eine Stellungnahme abzugeben.

Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten haben mit Schriftsatz vom 22.03.2005 (Bl. 77 bis 80 d. A.) bei der Regierung von Niederbayern - Integrationsamt - die Zustimmung zur außerordentlichen fristlosen sowie vorsorglich ordentlichen Kündigung gegenüber dem Kläger beantragt.

Das Integrationsamt hat den Prozessbevollmächtigten beider Parteien jeweils mit Schreiben vom 06.04.2005 (Bl. 81 und 82 bzw. Bl. 83 bis 86 d. A.) bestätigt, dass die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung nach § 91 Abs. 3 SGB IX als erteilt gilt. Mit Bescheid vom 28.04.2005 (Bl. 87 bis 93 d. A.) erteilte das Integrationsamt auch die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 07.04.2005 (Bl. 12 und 13 d. A.), das dem Kläger am selben Tag zugegangen ist, das Arbeitsverhältnis fristlos mit sofortiger Wirkung gekündigt.

Gegen diese Kündigung hat der Kläger am 25.04.2005 Klage beim Arbeitsgericht Passau erhoben.

Mit Schreiben vom 19.05.2005, das dem Kläger am selben Tag zugegangen ist, hat die Beklagte "rein vorsorglich das Beschäftigungsverhältnis unter Einhaltung der tarifvertraglichen Bestimmungen nach dem Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe zum 30.11.2005" gekündigt.

Gegen diese Kündigung hat der Kläger am 08.06.2005 ebenfalls Klage zum Arbeitsgericht Passau erhoben.

Der Kläger hält beide Kündigungen für rechtsunwirksam und vertritt den Standpunkt, dass er keine Vertragsverletzungen begangen habe. In der Zeit ab Frühjahr 2002 bis Herbst 2004 habe er stets seine Arbeitskraft beim - mittlerweile verstorbenen - Personalleiter der Beklagten, Herrn H., angeboten. Dieser habe auf die Frage des Klägers, wann die Zuweisung einer Arbeit zu rechnen sei, stets mitgeteilt, er werde demnächst Nachricht erhalten und er kümmere sich darum. Die Beklagte habe sich demnach in Annahmeverzug befunden. Trotz mehrerer Anrufe und vielfältiger Zusagen des Personalleiters sei dem Kläger keine Arbeit zugewiesen worden. Wenn die Beklagte in ihrem Kündigungsschreiben ausführe, dass die Geschäftsleitung von den laufenden Lohnzahlungen an den Kläger nichts gewusst habe, so betreffe dies nicht die Sphäre des Klägers, sondern stelle ein innerorganisatorisches Problem der Beklagten dar. Der Kläger habe seine Arbeitskraft stets angeboten, sei jedoch nicht verpflichtet gewesen, die Geschäftsleitung über die nicht erfolgte Zuweisung von Arbeit zu informieren. Etwa 20 Anfragen in den Jahren 2002/2003 sowie etwa einmal im Jahr eine persönliche Vorsprache beim Personalleiter der Beklagten hätte nichts an der Situation geändert. Herr H. habe stets erklärt: "Ich kümmere mich darum." Ferner gebe es offenbar mehrere ähnlich gelagerte Fälle im Betrieb der Beklagten. So habe diese auch den bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer F. gekündigt. Diesem sei ebenfalls vorgeworfen worden, er habe über mehrere Monate Gehalt bezogen, ohne Arbeit zu leisten. Auch Herr F. habe mehrere Male - erfolglos - seine Arbeitskraft angeboten, jedoch bei voller Lohnzahlung ebenfalls keine Arbeit zugewiesen bekommen.

Die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grunde sei auch weiterhin unwirksam, weil sie verfristet erfolgt sei. Gem. § 626 Abs. 2 BGB könne diese nur wirksam innerhalb von zwei Wochen ausgesprochen werden. Die Frist beginne mit dem Zeitpunkt, zu dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen Kenntnis erlangt habe. Kenntnis habe die Beklagte von den für die Kündigung gegenüber dem Kläger wesentlichen Umständen spätestens seit 23.02.2005 gehabt, als dieser von ihr zu einem Gespräch geladen worden sei. Der Kläger sei bei diesem Gespräch zugegen gewesen, ebenso Herr E., Geschäftsführer der Beklagten. Die Kündigung der Beklagten sei dem Kläger am 07.04.2005 zugegangen. Zwischen Kenntniserlangung und Kündigung lägen somit mehr als zwei Wochen, auch unter Berücksichtigung der notwendigen Zeit zur Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes.

Ein Grund zur ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses bestehe ebenfalls nicht, da der Kläger keine Vertragsverletzungen begangen habe. Ferner bestreite er, dass der Betriebsrat vor den Kündigungen in ordnungsgemäßer Weise angehört worden sei.

Neben der Feststellung der Unwirksamkeit der außerordentlichen und der ordentlichen Kündigung begehrt der Kläger die Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.

Ferner begehrt er die Zahlung von € 5.660,20 brutto als Arbeitsentgelt für die Monate Februar 2005, März 2005 und bis zum 07.04.2005, dem Tag des Zuganges der außerordentlichen Kündigung.

Der Kläger beantragte zuletzt im ersten Rechtszug,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 07.04.2005, zugegangen beim Kläger am 07.04.2005 und beim Klägervertreter am 08.04.2005, nicht aufgelöst worden ist;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 19.05.2005, zugegangen beim Kläger am 19.05.2005 und beim Klägervertreter am 21.05.2005, nicht aufgelöst worden ist;

3. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. oder 2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen weiterzubeschäftigen;

4. die Beklagte zu verurteilen, € 5.660,20 nebst fünf Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit 15.04.2005 an den Kläger zu zahlen.

Die Beklagte beantragte dagegen

die kostenpflichtige Klageabweisung

und trug vor, die von ihr ausgesprochenen Kündigungen seien rechtswirksam. Nach dem Kenntnisstand der Beklagten habe zwischen dem Kläger und ihrem Personalleiter H. im Dezember 2001 ein Gespräch über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses stattgefunden. Deswegen sei Herr Sch., ehemaliger Betriebsratsvorsitzender der Beklagten, davon ausgegangen, dass das Beschäftigungsverhältnis mit dem Kläger durch Herrn H. gekündigt worden sei. Auf der Lohnliste sei der Kläger seit Juni 2002 nicht weitergeführt worden. Ab Mai 2002 bis Januar 2005 habe der Kläger die monatlichen Lohnabrechnungen und Zahlungen erhalten. Die Beträge würden aus den in den Lohnabrechnungen aufgelisteten Arbeitsstunden, u. a. Schlechtwettergeld und Urlaub, resultieren. Die Lohnabrechnungen seien insgesamt auf Veranlassung von Herrn H. übersandt worden. Die Geschäftsführung der Beklagten sei hierüber nicht informiert gewesen. Vielmehr sei sie davon ausgegangen, dass Herr H. den intern erteilten Auftrag ausgeführt und das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ab Mai 2002 gekündigt habe. Der Kläger habe sich weder bei seinem direkten Vorgesetzten noch bei der Geschäftsführung gemeldet, um auf die Situation aufmerksam zu machen. Zudem sei dem Kläger die Vorgehensweise bei der Lohnabrechnung in der Baubranche mit den entsprechenden täglichen Erfassungen der Arbeitszeit bekannt gewesen. Er hätte somit erkennen müssen, dass die aufgelisteten Arbeitsstunden auf den monatlichen Lohnabrechnungen nicht realistisch sein konnten. Zudem finde seit Mai 2003 im Betrieb der Beklagten ein Arbeitszeitmodell Anwendung, welches den Aufbau von Arbeitsstunden in den Sommermonaten vorsehe, die dann in den Wintermonaten abgebaut werden könnten. Sogar einen derartigen Stundenaufbau von monatlich bis zu rund 198 Stunden habe der Kläger hingenommen.

Sämtliche Stunden würden mit Anzahl und dazugehöriger Baustelle täglich erfasst. Das diene dazu, dass eine genaue Zuordnung der Arbeitnehmer auf den Baustellen erfolgen könne. Somit könnten auf jeder Baustelle die angefallenen Lohnkosten festgestellt werden. Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung, Fehlzeiten und pauschale Lohnsteuern würden automatisch auf der dazugehörigen Sozialkostenstelle belastet. Nach Erfassung aller Stunden und Lohnnebenkosten werde die Abrechnung durch den Personalleiter überprüft und freigegeben. Die Abrechnung erfolge dann durch eine Angestellte des Personalbüros. Diese drucke alle Auswertungen, Abrechnungen und Beitragsnachweise aus. Ebenso werde für jede Baustelle ein Einzelnachweis ausgedruckt. Dieser werde dem zuständigen Bauleiter zur Überprüfung gegeben. Evtl. Änderungen wegen Tipp- und Schreibfehlern etc. würden dann im Folgemonat korrigiert.

Eine Überprüfung der Einhaltung des Ablaufes in dem Zeitraum von Mai 2002 bis Januar 2005 habe bei der Beklagten ergeben, dass lediglich Herr H. und der Kläger von diesen Zahlungen Kenntnis gehabt hätten. Seitens der Finanzbuchhaltung, die der Ehefrau von Herrn H. oblegen habe, sei ebenso keine Meldung an die Geschäftsleitung erfolgt, dass Unregelmäßigkeiten vorgefallen seien. Auf dem Lohnkonto sei der Kläger von Herrn H. nicht geführt worden. Vielmehr habe dieser die Gehaltszahlungen an den Kläger auf ein sog. "Sozialkonto" verbucht, welches aber dazu diene, um die Personalzusatzkosten für die Kalkulation ermitteln zu können. Bei der Beklagten im Betrieb Passau würden, wie auch bei den übrigen zur Unternehmensgruppe gehörenden Zweigniederlassungen und Tochterfirmen, die Personalzusatzkosten auf dem betrieblichen Rechnungswesen basierend ermittelt. In der Kalkulation würden die Einzellohnkosten dann mit einem prozentualen Zuschlagssatz für Personalzusatzkosten beaufschlagt. Während des Jahres würden in der Kostenrechnung bei den einzelnen Baustellen aber die tatsächlichen Lohnkosten mit diesem Zuschlagssatz beaufschlagt. Durch die Anzahl der Einzelbuchungen sei eine Zusammenfassung nach Kontennummern zwingend erforderlich mit der Folge, dass für jede Kostenstelle jeweils nur die Summe einsehbar sei. Durch die Belastung des Klägers auf einer Sozialkostenstelle hätten die Bauleitung, Bereichsleitung und Geschäftsleitung nicht erkennen können, dass der Kläger Lohnzahlungen erhalte. Ein Einzelnachweis der Sozialkostenstellen werde nicht gedruckt, da auf diesem nur Lohnnebenkosten belastet würden und keine Stunden von Arbeitnehmern. Sämtliche Abrechnungen und Beitragsnachweise würden nach erfolgtem Ausdruck versandt.

Die Ehefrau von Herrn H. habe die Beklagte am 11.02.2005 kursorisch dahingehend in Kenntnis gesetzt, dass bei zwei Arbeitsverhältnissen die Lohnabrechnungen nicht in Ordnung seien. Aufgrund der Dimension des zugrunde liegenden Sachverhalts habe zwischen den Prozessparteien am 23.02.2005 ein erstes Gespräch stattgefunden. Am 09.03.2005 habe ein weiteres Gespräch zur Klärung des Sachverhaltes zwischen den Prozessparteien, vertreten durch die Prozessbevollmächtigten, stattgefunden. Mit Schreiben vom 17.03.2005 habe die Beklagte dem Kläger die Möglichkeit eingeräumt, vor der Anhörung des Betriebsrates eine Stellungnahme zum bis dahin bekannten Sachverhalt abzugeben.

Am 18.03.2005 sei der Betriebsrat sowohl mündlich als auch schriftlich zur beabsichtigten außerordentlichen sowie vorsorglich ordentlichen Kündigung aufgrund einer Tat- und einer Verdachtskündigung angehört worden. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe am 18.03.2005 nach Ablauf der Fristsetzung eine Stellungnahme abgegeben. Diese Stellungnahme sei ebenfalls dem Betriebsrat nachgereicht worden. Dieser habe am 21.03.2005 sowohl für die außerordentliche Kündigung als auch für die beabsichtigte hilfsweise ordentliche Kündigung das Anhörungsverfahren für abgeschlossen erklärt.

Die Beklagte ist weiter der Auffassung, sie habe gegenüber dem Kläger für den Zeitraum von Mai 2002 bis Januar 2005 einen Rückzahlungsanspruch aus §§ 326 Abs. 4, 346 Abs. 1 BGB in Höhe von € 102.922,84. Außerdem habe sie gegen ihn auch einen Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 i. V. mit § 241 Abs. 2 BGB. Der Schaden bestehe zum einen in der Auszahlung des Lohnes und zum anderen in der Vergütung der beauftragten Personaldienstleisterin, die Unregelmäßigkeiten aufdecken sollte; die Kosten hierfür würden sich auf € 6.472,80 belaufen. Soweit durch den Kläger für den Zeitraum von Februar 2005 bis 07.04.2005 ein Gesamtbetrag in Höhe von € 5.660,20 brutto geltend gemacht werde, hat die Beklagte hilfsweise eine Teilaufrechnung mit dem von ihr geltend gemachten Schadensersatzanspruch erklärt.

Die Beklagte und Widerklägerin hat im ersten Rechtszug beantragt,

den Kläger und Widerbeklagten zu verurteilen, an die Beklagte und Widerklägerin € 109.395,64 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.05.2005 zu zahlen.

Der Kläger und Widerbeklagte hat beantragt,

die Widerklage abzuweisen,

da er keinen Verstoß gegen arbeitsvertragliche Haupt- und Nebenpflichten begangen habe und eine Pflichtverletzung i. S. von § 280 Abs. 1 i. V. mit § 241 Abs. 2 BGB nicht gegeben sei.

Durch Teilurteil vom 13.10.2005 hat das Arbeitsgericht Passau über die außerordentliche Kündigung vom 07.04.2005 und die vorsorgliche ordentliche Kündigung vom 19.05.2005 sowie über den Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers entschieden. Es hat diese Anträge abgewiesen und ausgeführt, das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien sei bereits durch die außerordentliche Kündigung vom 07.04.2005 fristlos beendet worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt an sich geeignet sei, einen wichtigen Grund für die Kündigung abzugeben. Liege so ein Sachverhalt vor, so bedürfe es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar sei oder nicht.

Gem. § 241 BGB könne das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jedem Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teiles verpflichten. Aufgrund der sog. Treuepflicht sei der Arbeitnehmer gehalten, vom Betrieb und auch vom Arbeitgeber als Inhaber des Betriebes Schäden und andere Nachteile abzuwenden, soweit ihm dies möglich und zumutbar sei. Nach Auffassung der Kammer habe der Kläger diese arbeitsvertraglichen Nebenpflichten in besonders schwerem Maße verletzt. Er habe etwa drei Jahre lang von der Beklagten Arbeitsentgelt bezogen, ohne hierfür die vertraglich geschuldete Dienstleistung erbracht zu haben. Aufgrund der sog. Treuepflicht hätte er zumindest nach einer gewissen Zeit - spätestens nach etwa einem halben Jahr - die Geschäftsleitung der Beklagten von diesem Umstand in Kenntnis setzen müssen. Eine pflichtwidrige Unterlassung des Arbeitnehmers liege dann vor, wenn er erkenne, dass seinem Arbeitgeber bei der Vergütungszahlung ein Irrtum unterlaufen sei, der zu einer erheblichen Überzahlung geführt habe und wenn er die Überzahlung nicht anzeige. Dies gelte erst recht, wenn der Arbeitnehmer mehrere Monate oder gar Jahre lang Vergütungszahlungen erhalte, ohne hierfür eine Gegenleistung zu erbringen. Der Einwand des Klägers, eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung liege nicht vor, weil er seine Arbeitsleistung stets und wiederholt gegenüber dem - mittlerweile verstorbenen - Personalleiter der Beklagten angeboten habe, greife nicht durch. Dem Kläger solle nicht unterstellt werden, er habe mit dem Personalleiter H. "unter einer Decke gesteckt" und mit diesem kollusiv zum Nachteil der Beklagten zusammengewirkt. Doch selbst wenn ihm vom Personalleiter versichert worden sei, dieser werde sich um die Sache kümmern, hätte er, spätestens nachdem er etwa ein halbes Jahr die volle Vergütung ohne Arbeitsleistung bezogen hatte, die Geschäftsleitung der Beklagten hierüber informieren müssen. Es sei dann nämlich offenkundig gewesen, dass das Verhalten des Herrn H. nicht im Interesse der Beklagten liegen konnte und dieser seine Pflichten als Personalleiter vernachlässigt habe. Denn kein verständiger Arbeitgeber werde es sich leisten wollen, einen - nicht arbeitsunfähigen - Arbeitnehmer über Monate hinweg zu bezahlen, ohne dessen Dienste in Anspruch zu nehmen. Aufgrund der Treuepflicht hätte der Kläger daher - spätestens nach etwa einem halben Jahr - bei der Geschäftsleitung der Beklagten vorstellig werden und dieser anzeigen müssen, dass er bereits über einen längeren Zeitraum Vergütung ohne Arbeitsleistung erhalte. Er habe jedoch die Geschäftsleitung der Beklagten pflichtwidrig nicht darüber informiert, sondern die Augen vor dem offenkundigen Sachverhalt verschlossen. Die besondere Pflichtwidrigkeit des Klägers liege darin, dass er den offenkundig der Beklagten zum Nachteil gereichenden Zustand über einen Zeitraum von etwa zweieinhalb Jahren hingenommen habe, ohne bei der Geschäftsleitung der Beklagten vorstellig zu werden. Dies sei an sich geeignet, einen wichtigen Grund i. S. des § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung abzugeben.

Der Beklagten sei es auch unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsteile nicht zuzumuten, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der nach § 12 Nr. 1.2 des allgemeinverbindlichen Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe vom 04.07.2002 verlängerten Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Monatsende fortzusetzen. Die Kammer verkenne nicht, dass der 1949 geborene, verheiratete Kläger mehr als 15 Jahre im Dienst der Beklagten gestanden habe und wohl kaum noch eine neue Stelle finden werde. Es sei jedoch zum Nachteil des Klägers ausschlaggebend, dass die Beklagte ihn etwa zweieinhalb Jahre noch vergütet habe, ohne eine Arbeitsleistung erhalten zu haben und der Kläger den Eintritt dieses erheblichen wirtschaftlichen Nachteils für die Beklagte nicht durch eine frühzeitige Informationen an die Geschäftsleitung verhindert habe. Es sei somit nachvollziehbar, dass dadurch das Vertrauensverhältnis der Beklagten zum Kläger so schwer gestört sei, dass ihr die Einhaltung der sechsmonatigen Kündigungsfrist nicht angesonnen werden könne.

Auch die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt. Angesichts des der Kündigung zugrunde liegenden "unglaublichen" Sachverhaltes könne es der Beklagten nicht zum Nachteil gereichen, dass sie nach dem ersten Gespräch zwischen dem Geschäftsführer E. und dem Kläger am 23.02.2005 zum Zwecke der umfassenden Sachaufklärung noch ein Gespräch am 09.03.2005 herbeigeführt habe, und zwar unter Beteiligung der jetzigen beiderseitigen Prozessbevollmächtigten. Die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB habe somit erst nach diesem zweiten Gespräch zu laufen begonnen und mit Ablauf des 23.03.2005 geendet. Zwar sei die außerordentliche Kündigung erst am 23.03.2005 ausgesprochen worden. Nach § 91 Abs. 5 SGB IX könne aber die Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen auch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB erklärt werden, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamtes erfolge. Die Zustimmung zur Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen könne nach § 91 Abs. 2 S. 1 SGB IX nur innerhalb von zwei Wochen beantragt werden; maßgebend ist der Zeitpunkt des Einganges beim Integrationsamt. Die Frist beginne mit dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt habe. Die Beklagte habe am 22.03.2005, also noch innerhalb der Zwei-Wochen-Frist, den Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen und hilfsweisen ordentlichen Kündigung bei der Regierung von Niederbayern - Integrationsamt - eingereicht. Jeweils mit Schreiben vom 06.04.2005 habe das Integrationsamt den Prozessbevollmächtigten der Parteien mitgeteilt, dass die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung nach § 91 Abs. 3 SGB IX als erteilt gelte. Die außerordentliche Kündigung mit Schreiben vom 07.04.2005, dem Kläger zugegangen am selben Tage, sei jedenfalls unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamtes erfolgt.

Die Kündigung vom 07.04.2005 sei auch nicht wegen fehlender oder mangelhafter Anhörung des Betriebsrates gem. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam. Angesichts des Anhörungsschreibens vom 18.03.2005 (Bl. 184 bis 187 d. A.) sei davon auszugehen, dass die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung ihrer Mitteilungspflicht nachgekommen sei. Der Kläger habe insoweit auch keine substanziierten Einwendungen mehr erhoben. Zum Zeitpunkt des Ausspruches der außerordentlichen Kündigung vom 07.04.2005 sei die dreitägige Frist des § 102 Abs. 2 S. 3 BetrVG zur Mitteilung von Bedenken durch den Betriebsrat an den Arbeitgeber abgelaufen gewesen und eine Äußerung des Betriebsrates zur Kündigung offenbar nicht erfolgt. Nach alledem sei das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bereits durch die von der Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung vom 07.04.2005 fristlos beendet worden. Damit sei auch die Klage gegen die hilfsweise ordentliche Kündigung unbegründet.

Auch ein Anspruch des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Beendigung des Kündigungsschutzprozesses bestehe nach den Grundsätzen der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (GS vom 27.02.1985, NJW 1885, 2968) nicht.

Die Entscheidung über die restliche Klage, über die Widerklage sowie über die Kosten des gesamten Rechtsstreites bleibe dem Schlussurteil vorbehalten.

Bezüglich des Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug und der rechtlichen Erwägungen des Arbeitsgerichtes im Einzelnen wird auf den Inhalt des Teilurteils des Arbeitsgerichtes Passau vom 13.10.2005 (Bl. 200 bis 225 d. A.) verwiesen.

Der Kläger hat gegen dieses Urteil, das ihm am 21.12.2005 zugestellt wurde, am 11.01.2006 Berufung eingelegt und diese am 19.03.2006 innerhalb der bis 21.03.2006 verlängerten Frist auch begründet.

Er trägt im Berufungsverfahren vor, das Arbeitsgericht habe die Klage zu Unrecht abgewiesen. Rechtsirrig gehe es von einem schweren arbeitsvertraglichen Verstoß durch den Kläger und damit von einem wichtigen Grund i. S. von § 626 Abs. 1 BGB aus. Die Beklagte sei spätestens im Januar 2002 in Annahmeverzug geraten, als der Kläger seine Arbeitskraft im Zuge einer Vorsprache im Betrieb angeboten habe. Er habe beim Personalleiter H. persönlich vorgesprochen und seine Arbeitskraft angeboten und, wie jedes Jahr gegen Ende der Wintermonate, seine Arbeit fortführen wollen. Der Personalleiter habe ihm erklärt, dass er noch einige Zeit warten müsse, da noch keine Arbeit zugewiesen werden könne. Der Kläger habe in den folgenden Monaten seine Arbeitskraft in mehreren Telefongesprächen mit Herrn H. angeboten. Es liege in der Sphäre des Arbeitgebers, wenn er den Arbeitnehmer nicht zur Arbeit auffordere und ihm dennoch das Arbeitsentgelt bezahle. Das Arbeitsgericht hätte die Überlegung anstellen müssen, an wen sich ein Arbeitnehmer normalerweise wende, wenn es Probleme mit dem Arbeitsplatz gebe. Nach aller Regel melde sich ein Arbeitnehmer hier beim Personalleiter. Genau dies habe der Kläger getan. Falsch sei die Auffassung des Arbeitsgerichtes, der Kläger hätte die Geschäftsleitung der Beklagten informieren müssen. Hier trete der Rechtsanwendungsfehler des Arbeitsgerichtes klar zutage. Das Arbeitsgericht bürde dem Kläger zusätzlich neben dem klaren Bestehen eines Annahmeverzuges die Verpflichtung auf, auch die oberste Leitungsebene eines Unternehmens darauf hinzuweisen, wenn ihm keine Arbeit über einen längeren Zeitraum zugewiesen werde. Es liege im Einflussbereich des Arbeitgebers, den Betriebsablauf so zu organisieren, dass die Arbeitnehmer zur Arbeit eingeteilt werden und die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung auch erbringen. Der Arbeitnehmer könne nicht von einem Irrtum des Arbeitgebers ausgehen, wenn dieser ihm keine Arbeit zuweise und dennoch das Gehalt bezahle. Von einer irrtümlichen Zahlung könne hier nicht ausgegangen werden, denn die Beklagte habe für den Kläger erkennbar nicht irrtümlich, sondern mit Wissen und Wollen gehandelt. Es würde den hinter dem Grundsatz des Annahmeverzuges stehenden Rechtsgedanken auf den Kopf stellen, wenn ein Arbeitnehmer bei eindeutig bestehendem Annahmeverzug die Obliegenheit hätte, die von ihm während des Annahmeverzuges bezogene Vergütung als Überzahlung zu sehen und dies ständig beim Arbeitgeber zu melden. Da dem Kläger keine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Treuepflicht vorgeworfen werden könne, sei auch kein wichtiger Grund i. S. von § 626 BGB erkennbar.

Nicht richtig sei auch die Auffassung des Arbeitsgerichtes, die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt. Nach Auffassung des Klägers habe die Beklagte spätestens beim Gespräch vom 23.02.2005 alle notwendigen Umstände in Erfahrung gebracht. Dafür spreche auch die Tatsache, dass der Kläger Ende Januar 2005 eine Mitteilung erhalten habe, dass ihm kein Lohn mehr bezahlt werde. Das zweite Gespräch vom 09.03.2005 habe keine neuen Erkenntnisse erbracht, für zusätzliche Ermittlungen habe kein Anlass mehr bestanden. Zudem sei der Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Ermittlungen mit der gebotenen Eile innerhalb einer kurz bemessenen Frist durchzuführen. Da die Kündigung erst am 07.04.2005 ausgesprochen worden sei, sei die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB verstrichen und somit die von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche Kündigung unwirksam.

Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren,

1. das Urteil des Arbeitsgerichtes Passau vom 13.10.2005 - 1 Ca 522/05 - abzuändern und nach den Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen;

2. die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt

die kostenpflichtige Zurückweisung der Berufung

und trägt vor, das Urteil des Arbeitsgerichtes Passau sei zutreffend. Seine Rechtsanwendung sei nicht fehlerhaft. Der Kläger habe drei Jahre lang von der Beklagten Arbeitsentgelt bezogen, ohne die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbracht zu haben. Ob sich die Beklagte hierbei unter zivilrechtlichen Aspekten in Annahmeverzug befunden habe, sei im Zusammenhang mit dem Ausspruch der Kündigung unerheblich. Der Kläger vermenge hierbei den Rechtsstreit über den Bestand des Arbeitsverhältnisses mit der Widerklage auf Rückzahlung des unberechtigten erhaltenen Entgeltes. Zu widersprechen sei ausdrücklich seinem Vortrag, er habe in regelmäßigen Zeitabständen seine Arbeitskraft angeboten. Er habe am 23.02.2005 eingeräumt, er habe sich beim Personalleiter H. kaum gemeldet und zugegeben, Fehler gemacht zu haben. Erst in dem weiteren Gespräch am 09.03.2005 habe er behauptet, er habe sich öfters bei Herrn H. gemeldet. Im weiteren Verlauf des Vorverfahrens seien dann die behaupteten Zeitabstände, in denen der Kläger bei Herrn H. sich gemeldet haben wollte, immer kürzer geworden. Aufgrund seiner Treuepflicht wäre er gehalten gewesen, von der Beklagten Schäden und Nachteile abzuwenden. Es musste für jeden, auch für den Kläger, offenkundig sein, dass das Verhalten des Personalleiters H. nicht im Interesse der Beklagten liegen konnte und dieser offensichtlich seine Pflichten erheblich vernachlässigt habe. Wie das Arbeitsgericht überzeugend ausführe, werde kein verständiger Arbeitgeber es sich leisten wollen, einen nicht arbeitsunfähigen Arbeitnehmer über Monate oder sogar Jahre hinweg zu bezahlen, ohne dessen Dienste in Anspruch zu nehmen. Dem Kläger hätte es daher offenkundig sein müssen, bei der Geschäftsleitung vorstellig zu werden und sich nicht nur auf die angebliche Aussage von Herrn H. zu verlassen. Er habe die Geschäftsleitung der Beklagten pflichtwidrig nicht informiert, sondern die Augen vor dem offenkundigen Sachverhalt verschlossen.

Des Weiteren sei darauf hinzuweisen, dass die Beklagte sich nicht in Annahmeverzug befunden habe. Zu einer Leistungsbereitschaft gehöre auch der ernsthafte Wille, die angebotene Leistung, so wie geschuldet, zu erbringen. Hätte der Kläger den ernsthaften Willen gehabt, die Leistung zu erbringen, so wäre ihm zumutbar gewesen, die Gespräche über den Personalleiter hinaus auszudehnen und den Geschäftsführer zu kontaktieren. Auch die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt. Aufgrund des komplexen Sachverhaltes habe die Beklagte diesen zügig ermittelt und dem Kläger vor Ausspruch der Kündigung das Recht zur Stellungnahme eingeräumt, nicht auch zuletzt, um einen Sachverhalt in Erfahrung zu bringen, der für den Kläger hätte entlastend sein können. Auch sei zum Zwecke einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung am 09.03.2005 ein weiteres Gespräch zwischen den Prozessparteien erforderlich gewesen. Aus diesem Grunde habe die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB erst nach dem zweiten Gespräch vom 09.03.2005 zu laufen begonnen.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den Inhalt der Schriftsätze des Klägers vom 19.03.2006 (Bl. 266 bis 273 d. A.), vom 17.08.2006 (Bl. 306 bis 308 d. A.) und vom 04.10.2006 (Bl. 322 und 323 d. A.) sowie auf die Schriftsätze der Beklagten vom 08.05.2006 (Bl. 285 bis 291 d. A.), vom 04.09.2006 (Bl. 312 bis 314 d. A.) und vom 25.09.2006 (Bl. 319 bis 321 d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichtes Passau vom 13.10.2005 ist zulässig und auch begründet. Sowohl die außerordentliche Kündigung vom 07.04.2005 als auch die vorsorglich ordentliche Kündigung vom 19.05.2005 sind rechtsunwirksam; sie sind mangels einer vorherigen Abmahnung unverhältnismäßig.

1. Das Berufungsgericht hat bereits Zweifel, ob eine Vertragspflichtverletzung durch den Kläger vorliegt.

a) Der Kläger hat zwar unstreitig in der Zeit von Mai 2002 bis Januar 2005 von der Beklagten Arbeitsentgelt bezogen, ohne hierfür eine Arbeitsleistung erbracht zu haben. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass dies auf einem kollusiven Zusammenwirken des Klägers mit dem damaligen Personalleiter der Beklagten, Herrn H., beruht. Hierzu fehlt ein entsprechender substanziierter Sachvortrag der Beklagten, auch in Bezug auf einen begründeten Verdacht. Das Berufungsgericht hat aufgrund der Tatsachenlage, wie sie sich ihm darstellt, davon auszugehen, dass es allein vom Personalleiter H. veranlasst wurde, dass der Kläger - ohne eine Arbeitsleistung zu erbringen und ohne arbeitsunfähig krank zu sein - in der Zeit von Mai 2002 bis Januar 2005 monatliche Lohnabrechnungen und die entsprechend hierin aufgeführten Lohnzahlungen erhalten hat.

b) Das Arbeitsgericht hat angenommen, der Kläger sei - spätestens nach etwa einem halben Jahr - verpflichtet gewesen, die Geschäftsleitung der Beklagten von dem Umstand in Kenntnis zu setzen, dass er Lohn beziehe, ohne zur Arbeitsleistung herangezogen zu werden. Durch die pflichtwidrige Unterlassung der Mitteilung habe der Kläger seine Treuepflicht als Arbeitnehmer verletzt.

Das Berufungsgericht hat Bedenken, ob diese Rechtsansicht zutreffend ist. Die Treuepflicht des Arbeitnehmers ist gesetzlich nicht geregelt. Das Arbeitsverhältnis erschöpft sich nicht im bloßen Austausch von Leistung und Gegenleistung (Arbeit gegen Entgelt), sondern es ergeben sich aus dem personenrechtlichen Dauerschuldverhältnis für beide Seiten weitere Pflichten, die auf Arbeitgeberseite unter dem Begriff "Fürsorgepflicht" und auf Arbeitnehmerseite unter der Bezeichnung "Treuepflicht" zusammengefasst werden. Die Treuepflicht als Pflicht zur Berücksichtigung der Interessen des Vertragspartners hat ihre Grundlage in der schuldrechtlichen Generalklausel des § 242 BGB und hat nun auch im § 241 Abs. 2 BGB eine rechtliche Ausgestaltung erfahren (vgl. Palandt § 611 BGB Rz. 39). Die Nebenpflicht auf Rücksichtnahme gem. § 241 Abs. 2 BGB gilt zwar für alle Schuldverhältnisse, hat aber im Arbeitsverhältnis eine besonders starke Ausprägung erfahren. Über die primäre Leistungspflicht hinaus hat der Arbeitnehmer als Nebenpflicht zur Wahrung von Treu und Glauben persönliche Rücksichtsnahmen- und Loyalitätspflichten, nämlich die betrieblichen Interessen und die Interessen des Arbeitgebers zu wahren und Maßnahmen zu unterlassen, die den Arbeitgeber oder den Betrieb schädigen könnten (BAG AP Nr. 1 zu § 611 BGB Treuepflicht). Der Umfang und die Grenze der Treuepflicht sind - auch in § 241 Abs. 2 BGB - gesetzlich nicht definiert. Umfang und Inhalt dieser Pflichten hängen vom jeweiligen Vertragszweck, der Verkehrssitte und den Anforderungen des redlichen Geschäftsverhaltens ab (vgl. Palandt § 241 BGB Rz. 7).

Dogmatisch kann unterschieden werden zwischen den mit der Arbeitspflicht verknüpften Verhaltensanforderungen, d. h. den unselbstständigen Nebenleistungspflichten, und den darüber hinausgehenden selbstständigen Schutzpflichten, den Nebenpflichten, und weiter kann unterschieden werden zwischen den Unterlassungs- und Handlungspflichten (vgl. Münchner Handbuch des Arbeitsrechts, 1. Aufl., § 49 Rz. 18).

Im vorliegenden Falle ist zu bewerten, ob eine Verletzung einer Handlungspflicht bei einer Nebenpflicht besteht, da die Beklagte die Verletzung einer Mitteilungspflicht durch den Kläger geltend macht und die Pflicht zur Mitteilung, dass dieser die Arbeitsleistung zwar angeboten hatte, aber nicht eingesetzt wurde, nicht mit dem Inhalt der vom Kläger zu erbringenden Tätigkeit im Zusammenhang steht. In diesem Bereich wird eine Verpflichtung des Arbeitnehmers bejaht, eingetretene oder vsl. drohende Schäden oder Gefahren im eigenen Rechtsbereich dem Arbeitgeber oder seinem Vertreter (Vorgesetzten) anzuzeigen (vgl. Münchner Handbuch des Arbeitsrechts, 1. Aufl., § 53 Rz. 3 m. w. N.). Störungen und Schäden, die nicht dem eigenen Arbeitsbereich des Arbeitnehmers zuzurechnen sind, muss dieser, je nach den Umständen des Einzelfalles, ebenfalls den zuständigen Stellen anzeigen (vgl. Münchner Handbuch des Arbeitsrechts, 1. Aufl., § 52 Rz. 4).

Eine Anzeige oder Information darf unterbleiben, wenn die Störung bzw. der Schaden dem Arbeitgeber oder den dafür zuständigen Personen bereits bekannt ist (vgl. Münchner Handbuch des Arbeitsrechts, 1. Aufl., § 52 Rz. 3).

Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer im Rahmen der ihn treffenden Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht verpflichtet ist, seine persönlichen Interessen hintanzustellen. Demgemäß ist ein Arbeitnehmer nicht gehindert, seine Interessen mit den gesetzlich zulässigen Mitteln auf Kosten des Arbeitgebers zu verfolgen (vgl. Tschöpe, Anwaltshandbuch, 2. Aufl., Teil 2 A Rz. 182; Schaub, Handbuch des Arbeitsrechts, § 53 I. 2.).

Im vorliegenden Falle ist davon auszugehen, dass der Kläger gegenüber dem Personalleiter H. zumindest ab Mai 2002 nicht nur einmal, sondern mehrfach seine Arbeitsleistung angeboten hat. Die Beklagte hat dies zwar mit Nichtwissen bestritten, da sie insoweit Herrn H. nach seinem Ableben nicht mehr befragen konnte. Im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens hat jedoch der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für die Rechtswirksamkeit der von ihm ausgesprochenen Kündigung. Damit kann sich die Beklagte gegenüber dem Vortrag des Klägers, er habe Herrn H. mehrfach seine Arbeitsleistung angeboten, nicht auf ein ledigliches Bestreiten beschränken. Sie hätte vielmehr darlegen und unter Beweis stellen müssen, dass insoweit der Vortrag des Klägers unzutreffend und kein Arbeitsangebot durch ihn erfolgt ist. Da sie insoweit darlegungs- und beweisfällig geblieben ist, ist von wiederholten Arbeitsangeboten durch den Kläger gegenüber ihrem Personalleiter H. auszugehen. Es kann im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses dahingestellt bleiben, ob sich die Beklagte durch die Arbeitsangebote des Klägers in Annahmeverzug gem. § 293 BGB befunden hat, ob also ein tatsächliches Angebot durch ihn gem. § 294 BGB in der Weise erforderlich war und auch erfolgt ist, dass er seine Arbeitskraft in eigener Person, zur rechten Zeit, am rechten Ort und in der rechten Weise angeboten hat (vgl. zu diesen Erfordernissen BAG, GS AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG, EzA Nr. 77 zu § 615 BGB) oder ob ein wörtliches Angebot durch ihn gem. § 295 S. 1 BGB für den Annahmeverzug ausreichend war, weil die erforderliche Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers, nämlich dem Kläger eine Arbeitsstelle zuzuweisen, ausgeblieben ist. Selbst wenn rechtlich ein wirksames, den Annahmeverzug der Beklagten auslösendes Arbeitsangebot des Klägers nicht vorgelegen hätte, so konnte dieser dennoch von einem wirksamen Arbeitsangebot ausgehen, da er - unstreitig - die Arbeitsvergütung ohne Arbeitsleistung erhalten hat. Ihm kann also nicht unterstellt werden, er hätte die Arbeitsvergütung für die Zeit ab Mai 2002 bis Januar 2005 bezogen in dem Bewusstsein, er habe - gem. § 615 S. 1 BGB - keinen Rechtsanspruch auf die erhaltene Vergütung.

Die entscheidende Frage ist, ob im Laufe dieser Zeit von Mai 2002 bis Januar 2005 für den Kläger die Pflicht entstanden ist, der Geschäftsleitung mitzuteilen, dass er trotz mehrmaliger zumindest mündlicher Arbeitsangebote gegenüber dem Personalleiter regelmäßig Arbeitsvergütung bezieht, aber nicht zur Arbeitsleistung herangezogen wird. Bei der Beantwortung dieser Frage ist zu berücksichtigen, dass die Tatsache, dass der Kläger trotz seines Arbeitsangebotes nicht zur Arbeit herangezogen wurde und dennoch seinen Lohn weiter erhalten hat, nichts mit seinem eigentlichen Arbeitsbereich zu tun hat und auch nicht in seiner Sphäre lag. Dies lag in der Sphäre des Personalleiters, damit in der Sphäre eines anderen Arbeitnehmers und auch in der Sphäre des Arbeitgebers, also der Beklagten, denn der Personalleiter ist insoweit Repräsentant und Vertreter des Arbeitgebers und für das Arbeitsangebot eines Arbeitnehmers und dessen Einsatz zuständig.

Nachdem Herr H. von den Arbeitsangeboten des Klägers wusste, diesen aber nicht zur Arbeit eingeteilt hat, er aber dennoch die Lohnzahlungen an den Kläger veranlasste und insoweit als Vertreter der Beklagten gehandelt hat, sind diese Umstände der Kenntnis der Beklagten zuzurechnen. Kennt ein Vertreter des Arbeitgebers die Umstände, so müssen sie an sich nicht mehr zusätzlich dem Arbeitgeber selbst oder - bei einer juristischen Person - dem gesetzlichen Vertreter mitgeteilt werden. Eine Ausnahme hiervon kann nur dann angenommen werden, wenn es für den Arbeitnehmer klar oder erkennbar ist, dass der Vertreter des Arbeitgebers, also im vorliegenden Falle der Personalleiter Herr H., seine arbeitsvertragliche Pflicht verletzt, evtl. sogar weisungswidrig handelt und damit dem Arbeitgeber Schaden zufügt. Das Berufungsgericht hat erhebliche Bedenken, anzunehmen, dass dem Kläger bewusst war oder es hätte bewusst sein müssen, dass Herr H. eigenmächtig und ohne Kenntnis der Geschäftsführung ihm keine Arbeit zugewiesen und weiter die Lohnzahlung veranlasst hat. Es ist zwar durchaus äußerst ungewöhnlich, dass über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren der Lohn trotz Verzichts auf die Arbeitsleistung weiterbezahlt wird; es kann aber aus dem Umstand, dass dies ungewöhnlich ist, nicht einfach unterstellt werden, dass der hierfür zuständige Personalleiter dies unbefugt und ohne Kenntnis der Geschäftsleitung tut. Denn genauso ungewöhnlich ist, dass ein Personalleiter ohne erkennbaren Grund zugunsten eines Arbeitnehmers seinen Arbeitgeber durch Lohnzahlung schädigt und ohne Not seinen eigenen Arbeitsplatz und seine Existenz aufs Spiel setzt. Es ist also nicht zwangsläufig so, dass sich dem Kläger unbedingt Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Handelns von Herrn H. aufdrängen mussten. Derartige Zweifel und Überlegungen könnten sich durchaus einem wirtschaftlich und arbeitsrechtlich geschulten Arbeitnehmer aufdrängen, sie müssen sich aber nicht zwangsläufig - ohne Hinzutreten weiterer Umstände, aus denen sich das rechtswidrige Verhalten des Personalleiters ergibt - einem wirtschaftlich und arbeitsrechtlich nicht geschulten Bauarbeiter aufdrängen.

Es mag sein, dass der Kläger in der Besprechung vom 23.02.2005 eingeräumt hat, einen Fehler gemacht zu haben. Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass er den "Fehler" bereits vorher, also in der Zeit des Bezuges des Lohnes ohne Arbeitsleistung von Mai 2002 bis Januar 2005, erkannt hat. Der Fehler kann ihm auch erst in diesem Gespräch bewusst geworden sein, als er erfuhr, dass Herr H. insoweit ohne Absprache und ohne Kenntnis der Geschäftsführung gehandelt hat.

2. Aber selbst wenn man zugunsten der Beklagten unterstellt, der Kläger hätte erkennen müssen, dass Herr H. ohne Wissen und Kenntnis der Geschäftsführung handelt und somit eine Pflicht des Klägers zur Mitteilung an die Geschäftsführung bestand, die er fahrlässig verletzt hat, und wenn man weiter unterstellt, dass diese Verletzung der Mitteilungspflicht an sich geeignet ist, sowohl eine außerordentliche und erst recht eine ordentliche Kündigung zu rechtfertigen, so sind dennoch sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung nicht gerechtfertigt. Sowohl die vorsorglich ordentliche als auch erst recht die außerordentliche Kündigung ist unverhältnismäßig; es fehlt an einer vorherigen erfolglosen Abmahnung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt für eine verhaltensbedingte Kündigung - sowohl außerordentlich als auch ordentlich - das sog. Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht die Sanktion für eine Vertragspflichtverletzung, sondern eine Vermeidung von weiteren Vertragspflichtverletzungen. Die eingetretene Pflichtverletzung muss sich auch zukünftig noch belastend auswirken. Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der Prognose. Die Abmahnung ist zugleich auch Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist nicht gerechtfertigt, wenn es andere geeignete Mittel gibt, um eine zukünftige Vertragsstörung zu beseitigen und zu vermeiden. Diese Ansicht hat auch durch die gesetzliche Regelung des § 314 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung gefunden. Eine Abmahnung ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft - trotz Abmahnung - nicht erwartet werden kann oder es sich um eine solch schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei der eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen werden kann (so BAG vom 12.01.2006, 2 AZR 21/05 und 2 AZR 179/05).

Bei der Vornahme einer Prognose ist im vorliegenden Falle davon auszugehen, wenn die Beklagte dem Kläger statt der außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung eine Abmahnung ausgesprochen und ihn darauf hingewiesen hätte, dass er sich für den Fall, dass er trotz eines Arbeitsangebotes an den Personalleiter unter Fortzahlung der Vergütung nicht beschäftigt wird, an die Geschäftsleitung wenden muss, dass sich der Kläger in Zukunft an eine derartige Anweisung halten wird. Durch eine Abmahnung kann also eine zukünftige gleichartige Vertragsstörung durch den Kläger ausgeschlossen werden. Eine Abmahnung ist also sowohl gegenüber einer außerordentlichen als auch einer ordentlichen Kündigung ein geeignetes milderes Mittel, um eine zukünftige gleichartige Vertragsstörung durch den Kläger auszuschließen.

Eine Abmahnung war auch im vorliegenden Falle nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht entbehrlich. Zum einen sind keine Umstände ersichtlich, dass sich der Kläger in Zukunft trotz einer Abmahnung nicht an die Geschäftsführung wenden würde, wenn er weiterhin trotz eines Arbeitsangebotes und der Lohnzahlung vom Personalleiter nicht zur Arbeit eingeteilt würde. Zum anderen liegt keine derart schwere Pflichtverletzung vor, deren Rechtswidrigkeit dem Kläger ohne weiteres erkennbar und deren Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen war. Wie bereits oben ausgeführt, ist schon äußerst schwierig zu beurteilen, ob überhaupt eine Pflichtverletzung durch den Kläger vorlag; macht diese Beurteilung schon dem Gericht Schwierigkeiten, so kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine rechtswidrige Pflichtverletzung dem Kläger als juristischen Laien ohne weiteres erkennbar war.

Im Übrigen musste ihm selbst bei einer Pflichtverletzung nicht bewusst sein, dass diese zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt. Die Hauptverantwortlichkeit für den eingetretenen Schaden liegt im vorliegenden Falle beim Personalleiter H. und damit im Verantwortungsbereich der Beklagten. Diese kann sich durchaus im Wege des Schadensersatzes gegen Herrn H. bzw. dessen Erben darum bemühen, den ihr entstandenen Schaden ersetzt zu erhalten.

Sollte den Kläger eine fahrlässige Pflichtverletzung und damit ein Mitverschulden am Schadensantritt treffen, so kann die Beklagte auch versuchen - was sie mit der Widerklage tut -, den Schaden auch vom Kläger ersetzt zu erhalten. Damit ist aber nicht erforderlich, noch zusätzlich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger zu reagieren, da eben eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht als Sanktion für eine Vertragsverletzung dient und bereits eine Abmahnung einen weiteren Vertragsverstoß dieser Art vermeiden könnte.

Dieses Ergebnis ist für die Beklagte durchaus hart und finanziell weit reichend, aber Folge ihrer rechtlich falschen Reaktion auf den Vorfall mit einer außerordentlichen und einer ordentlichen Kündigung. Die Beklagte hatte es selbst in der Hand, angemessen und verhältnismäßig zu reagieren und hat sich "im ersten Zorn", der an sich den Personalleiter H. hätte treffen müssen, zu einer ungerechtfertigten Sanktion gegenüber dem Kläger verleiten lassen.

Damit ist sowohl die außerordentliche Kündigung vom 07.04.2005 als auch die vorsorglich ordentliche Kündigung vom 19.05.2005 nicht gerechtfertigt; deshalb sind die Feststellungsanträge gegen diese beiden Kündigungen begründet.

3. Der Kläger hat auch einen Weiterbeschäftigungsanspruch zu unveränderten Arbeitsbedingungen bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (GS vom 27.02.1985) besteht ein Weiterbeschäftigungsanspruch des gekündigten Arbeitnehmers dann, wenn ein die Unwirksamkeit feststellendes Instanzurteil vorliegt und keine besonderen Umstände vorliegen, die ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers ergeben (EzA Nr. 9 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht). Gründe für ein überwiegendes Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung des Klägers sind nicht vorgetragen worden.

4. Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, § 91 Abs. 1 ZPO.

Gegen dieses Urteil ist für die Beklagte das Rechtsmittel der Revision gegeben.

Ende der Entscheidung

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