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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 22.05.2007
Aktenzeichen: 7 Sa 350/06
Rechtsgebiete: MTV


Vorschriften:

MTV § 9 Nr. 5 Abs. 2
§ 9 Nr. 5 Abs. 2 MTV (Ausschlussfrist von 3 Monaten) ist auch dann anzuwenden, wenn der Arbeitgeber ein Gehalt zahlt, das keiner Tarifgruppe entspricht (im Anschluss an BAG Urteil vom 16.01.1991 - 4 AZR 320/90).
LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

7 Sa 350/06

in dem Rechtsstreit

wegen: Arbeitsentgelt

Die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Prof. Dr. Dr. Holzer-Thieser und die ehrenamtlichen Richter Bachmann und Wissel aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Mai 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Bayreuth vom 11.04.2006 - Az. 1 Ca 1176/05 - abgeändert und die Klage im Umfang von EUR 4.153,49 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 18.10.2005 abgewiesen.

2. Von den Kosten erster Instanz tragen die Klägerin 72 %, die Beklagte 28 %.

3. Von den Gerichtskosten zweiter Instanz tragen die Klägerin 72 %, die Beklagte 28 %.

Die außergerichtlichen Kosten zweiter Instanz trägt die Klägerin, soweit sie nicht von der Beklagten durch Vergleich vom 22.05.2007 übernommen worden sind.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um restliche Lohnansprüche der Klägerin.

Die Klägerin ist bei der Beklagten in deren Einzelhandelsfiliale C... seit 01.03.2004 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von zwischen 10 und 14 Stunden als Angestellte beschäftigt. Der Einstellung der Klägerin liegt ein "Personalfragebogen/Einstellungsbogen" zugrunde, mit dem ein Stundenlohn von EUR 6,-- brutto vereinbart worden ist. Auf das Arbeitsverhältnis sind kraft beidseitiger Tarifbindung die Tarifverträge des Bayerischen Einzelhandels anzuwenden. Zwischen den Parteien ist im Laufe des Verfahrens unstreitig geworden, dass die Klägerin richtigerweise in die Beschäftigungsgruppe II, Ortsklasse II, 6. Berufsjahr des Gehaltstarifvertrags für die Angestellten im Einzelhandel in Bayern vom 25.07.2003 einzugruppieren ist, was einen Stundenlohn für die Monate März bis Juli 2004 von EUR 11,69, für die Monate August bis Dezember 2004 von EUR 11,91 und für die Monate Januar bis September 2005 von EUR 11,94 bedeutet.

Mit der beim Arbeitsgericht Bayreuth am 10.10.2005 eingegangenen Klage hat die Klägerin die Vergütung für 88 nicht bezahlte Stunden und außerdem die Differenz zwischen dem gezahlten Stundenlohn von EUR 6,-- zu den tariflichen Stundenlöhnen von EUR 11,69, EUR 11,91 bzw. EUR 11,94 in Höhe von insgesamt EUR 5.786,33 brutto geltend gemacht. Der Klage ist ein Geltendmachungsschreiben vom 13.09.2005 vorausgegangen.

Die Beklagte hat sich auf die Ausschlussfrist des § 9 Nr. 5 Abs. 2 des auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Einzelhandel in Bayern vom 25.07.2003 (im Folgenden: MTV) berufen und gemeint, dass die Ansprüche wegen verspäteter Geltendmachung überwiegend erloschen seien.

§ 9 Nr. 5 MTV lautet:

Der Einspruch gegen die Eingruppierung ist innerhalb einer Frist von drei Monaten zu erheben.

Ist ein Einspruch nicht rechtzeitig erfolgt, kann ein Anspruch für einen weiter als drei Monate zurückliegenden Zeitraum nicht geltend gemacht werden.

Das Arbeitsgericht hat mit Endurteil vom 11.04.2006 der Klage stattgegeben. Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien im Einzelnen, ihrer Anträge und der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil Bezug genommen (Bl. 169-175 d.A.).

Gegen das der Beklagten am 25.04.2006 zugestellte Urteil hat sie mit Schriftsatz vom 15.05.2006, beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am 18.05.2006 eingegangen, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 07.06.2006, beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am 09.06.2006 eingegangen, begründet.

Im Termin vom 22.05.2007 vor dem Berufungsgericht haben die Parteien einen Teilvergleich mit dem Inhalt geschlossen, dass die Beklagte an die Klägerin EUR 1.632,84 brutto bezahlt (Differenz von je EUR 5,94 für 186 im Zeitraum Juni 2005 bis September 2005 geleistete Stunden im Umfang von EUR 1.104,84 brutto und Vergütung für 88 offene Stunden im Zeitraum März 2004 bis September 2005 mit einem Stundensatz von EUR 6,-- im Umfang von EUR 528,--) und sie insoweit die Kosten erster und zweiter Instanz trägt.

Die Beklagte meint, dass die Ansprüche auf den Differenzlohn für Arbeitsstunden, die in den Monaten März 2004 bis Mai 2005 geleistet worden seien, wegen verspäteter Geltendmachung gemäß § 9 Nr. 5 MTV verfallen seien.

Die Beklagte beantragt:

Das Endurteil des Arbeitsgerichts Bayreuth vom 11.04.2006 (1 Ca 1176/05) wird im Umfang von EUR 4.153,49 brutto nebst Zinsen abgeändert und insoweit die Klage abgewiesen.

Die Klägerin beantragt

Zurückweisung der Berufung.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass mangels Vorliegens eines Eingruppierungsaktes die Ausschlussfrist des § 9 Nr. 5 MTV nicht anwendbar sei.

Wegen des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz im Einzelnen wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 07.06.2006 (Bl. 195-198 d.A.) und den Schriftsatz der Klägerin vom 11.07.2006 (Bl. 206-209 d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Berufung ist im Umfang von EUR 4.153,49 begründet (also in dem Umfang, in dem sich die Parteien nicht durch den am 22.05.2007 geschlossenen Teilvergleich geeinigt haben).

1. Die von der Klägerin geltend gemachte Teilforderung im Umfang von EUR 4.153,49 brutto beruht auf der Differenz des bezahlten Stundenlohnes (EUR 6,-- brutto) zum - unstreitig - zutreffenden Tariflohn der Beschäftigungsgruppe II, Ortsklasse II, 6. Berufsjahr, für die in der Zeit vom 01.03.2004 bis 31.05.2005 geleisteten Arbeitsstunden. Die Höhe dieser Teilforderung ist unstreitig.

2. Diese Teilforderung ist wegen verspäteter Geltendmachung untergegangen.

a) Auf das Arbeitsverhältnis ist - unstreitig - kraft beidseitiger Tarifbindung der MTV anzuwenden.

b) § 9 Nr. 5 Abs. 2 i.V.m. § 23 Nr. 2 Abs. 2, Abs. 3 MTV enthält eine Ausschlussfrist, deren Nichteinhaltung zum Untergang der sich aus der unrichtigen Eingruppierung ergebenden Differenzlohnansprüche führt (BAG Urteil vom 16.01.1991 - 4 AZR 320/90).

c) Gemäß § 9 Nr. 5 Abs. 2 MTV kann ein Zahlungsanspruch, der sich aus der unzutreffenden tariflichen Eingruppierung ergibt, nur für drei Monate rückwirkend geltend gemacht werden.

§ 9 Nr. 5 Abs. 2 MTV ist für den vorliegenden Fall einschlägig. Entgegen der Meinung der Klägerin und des Erstgerichts ist für die Anwendung dieser Tarifnorm keine Eingruppierungsentscheidung des Arbeitgebers erforderlich. Dies hat das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 16.01.1991 (4 AZR 320/90) klargestellt. Im Tatbestand des Urteils hat das Bundesarbeitsgericht den von ihm entschiedenen Sachverhalt aufgeführt: Die (dortige) Klägerin hat die Geltung der kurzen Ausschlussfrist ausdrücklich mit der Begründung verneint, "da eine Eingruppierung nicht vorgenommen worden sei"; die (dortige) Beklagte hat sich zur Stützung ihrer entgegengesetzten Rechtsansicht darauf berufen, dass es "nach dem Willen der Tarifvertragsparteien... unerheblich (sei), aufgrund welcher Überlegungen der Arbeitgeber das Gehalt in der Vergangenheit festgelegt habe und ob der Arbeitgeber bislang die Gehaltshöhe aus dem Beschäftigungsgruppenkatalog abgeleitet habe". Diese vom Bundesarbeitsgericht wiedergegebenen Erklärungen der (dortigen) Parteien ergeben nur einen Sinn, wenn das Bundesarbeitsgericht einen Sachverhalt entscheiden wollte, wonach die (dortige) Beklagte eine Vergütung zahlte, die keiner Gehaltsgruppe entsprach.

Auch in den Entscheidungsgründen wird der vom Bundesarbeitsgericht entschiedene Sachverhalt deutlich, wenn z.B. ausgeführt wird, dass die Rechtsansicht des Landesarbeitsgerichts, "die Verfallfrist beginne erst dann zu laufen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer ausdrücklich oder konkludent eingruppiert (habe)", unzutreffend sei (III. der Entscheidungsgründe). Eine konkludente Eingruppierung liegt vor, wenn der Arbeitgeber keinen ausdrücklichen Eingruppierungsakt vornimmt, sondern nach einer bestimmten Vergütungsgruppe bezahlt. Aus den Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts ergibt sich also, dass nicht einmal ein solcher konkludenter Eingruppierungsakt erforderlich ist.

Auch der Hinweis des Bundesarbeitsgerichts, dass "die Forderung eines über die Gehaltszahlung hinausgehenden Eingruppierungsaktes zu widersprüchlichen Ergebnissen führt" (III. 1. c) der Entscheidungsgründe), kann nur dahingehend verstanden werden, dass es auf einen irgendwie gearteten Eingruppierungsakt nicht ankommt.

Die Kammer folgt der Rechtsansicht des Bundesarbeitsgerichts und der Entscheidungsbegründung in vollem Umfang. Von besonderer Bedeutung bei der Auslegung des § 9 Nr. 5 Abs. 2 MTV ist, dass es zu unangemessenen widersprüchlichen Ergebnissen führen würde, wenn bei einer fehlerhaften Eingruppierung in eine bestimmte Beschäftigungsgruppe die kurze Ausschlussfrist des § 9 Nr. 5 Abs. 2 MTV gelten würde, bei Zahlung einer nicht einer Beschäftigungsgruppe entnommenen Gehaltshöhe ein Anspruchsuntergang aber erst drei Monate nach Vertragsende gemäß § 23 Nr. 2 Abs. 2 MTV eintreten würde.

d) Da die Klägerin ihre sich aus der zutreffenden Eingruppierung ergebenden Ansprüche erstmals mit Schreiben vom 13.09.2005 geltend gemacht hat, sind die Ansprüche auf einen höheren Stundenlohn für Arbeiten, die bis 31.05.2005 geleistet worden sind, verfallen.

Im Umfang von EUR 4.153,49 brutto nebst Zinsen ist damit das Ersturteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

II. Durch den am 22.05.2007 geschlossenen Teilvergleich hat sich die Beklagte zur Zahlung von EUR 1.632,84 verpflichtet und insoweit die Gerichtskosten erster Instanz übernommen. Im Umfang von EUR 4.153,49 hat die Klägerin die Kosten gemäß § 91 Abs. 1 ZPO zu tragen. Damit ist die Kostenentscheidung des Endurteils vom 11.04.2006 abzuändern. Von den Kosten erster Instanz haben - bei einem Streitwert von EUR 5.786,33 - die Klägerin 72 %, die Beklagte 28 % zu tragen (§§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO).

III. Von den Kosten der Berufungsinstanz tragen - entsprechend dem Umfang des Prozessverlustes - die Klägerin 72 %, die Beklagte - entsprechend dem Umfang der durch den Teilvergleich vom 22.05.2007 übernommenen Kosten - 28 %. Diese Kostenquote gilt sowohl für die gerichtlichen als auch die außergerichtlichen Kosten, da sich die Beklagte im Teilvergleich im rechnerischen Umfang von 28 % zur Tragung aller Kosten verpflichtet hat und der Abschluss eines Teilvergleichs zu keiner Befreiung von den Gerichtskosten führt.

Ende der Entscheidung

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