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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 22.10.2008
Aktenzeichen: 7 Ta 191/08
Rechtsgebiete: GVG, ArbGG, BGB


Vorschriften:

GVG § 17 a
ArbGG § 2
ArbGG § 5
BGB § 133
BGB § 157
Enthält die tatsächliche Ausgestaltung eines Beschäftigungsverhältnisses sowohl Anhaltspunkte für ein Arbeitsverhältnis als auch Elemente, die für ein freies Mitarbeiterverhältnis sprechen, kommt es zunächst darauf an, ob nach dem Willen der Parteien die eine oder die andere Vertragsform gewollt war.
Landesarbeitsgericht Nürnberg

7 Ta 191/08

In dem Beschwerdeverfahren

erlässt das Landesarbeitsgericht Nürnberg durch die Vorsitzende der Kammer 7, Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Weißenfels, ohne mündliche Verhandlung folgenden

Beschluss:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg - Kammer Schweinfurt - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um die Vergütung für geleistete Arbeit aus einem beendeten Beschäftigungsverhältnis.

Die Parteien schlossen unter dem 01.10.2007 einen Vertrag. Danach wurde die Klägerin ab 01.10.2008 unbefristet als Telefonagentin eingestellt. Gemäß Ziffer 2 des Vertrags oblag der Klägerin die telefonische Rückgewinnung von Fördermitgliedern, die telefonische Akquisition von Spenden, das Nachtelefonieren von Stornierungen und Rücklastschriften sowie die wöchentliche Übergabe der abgearbeiteten Datenblätter an die Agentur.

Nach Ziffer 3 des Vertrags sollten jeweils 10 Nettokontakte als eine Arbeitsstunde gerechnet werden.

Ziffer 4 des Vertrags regelt eine Rahmenarbeitszeit von Montag bis Freitag von 8.00 Uhr bis 20.00 Uhr und am Samstag von 10.00 bis 16.00 Uhr. Die wöchentliche Arbeitszeit war auf 30 Stunden festgelegt. Weiter heißt es in Ziffer 4: Die konkrete Lage der Arbeitszeit wird von der Agentur im Einvernehmen mit dem Mitarbeiter festgelegt.

Ziffer 5 des Vertrags enthält die Regelung der Vergütung. Danach sollte die Klägerin Provision, mindestens 900,00 € monatlich erhalten. Der letzte Satz der Ziffer 5 lautet: Die Bruttovergütung unterliegt den gesetzlichen Abzügen und wird zum Monatsende ausbezahlt.

Mit Schreiben vom 26.11.2007 errechnete die Beklagte für die Monate Oktober und November jeweils eine Bruttovergütung. Erläuternd führte sie aus, die nachgewiesenen Nettokontakte im Oktober entsprächen 8,26 Arbeitstagen. Das Fixum von 900,00 € beziehe sich im Oktober auf 21 Arbeitstage. Deshalb habe die Klägerin nur Anspruch auf ein Fixum von 345,00 €. Für November habe die Klägerin 300 Nettokontakte = 5 Arbeitstage nachgewiesen. Da die Klägerin bis 25.11.07 8 Krankheitstage nachgewiesen habe, müsse sie, die Beklagte, drei Tage unbezahlten Urlaub anrechnen. Somit stehe der Klägerin ein reguläres Fixum für fünf Tage zu und Lohnfortzahlung für 13 Tage. Für Dezember 2007 zahlte die Beklagte an die Klägerin für 11 Arbeitstage Lohnfortzahlung.

Mit Schreiben vom 10.12.2007 kündigte die Beklagte "das in der Probezeit befindliche Arbeitsverhältnis".

Die Klägerin erhob am 19.02.2008 die vorliegende Klage.

Auf die in der Gütesitzung am 19.03.2008 erhobene Rüge der Beklagten, die Klägerin sei aus ihrer Sicht nicht Arbeitnehmerin gewesen, hat das Erstgericht den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten als gegeben angesehen. Der entsprechende Beschluss wurde am 21.05.2008 verkündet.

Der vollständige Beschluss wurde dem Prozessvertreter der Beklagten am 03.07.2008 zugestellt.

Die Beklagte legte am 05.06.2008 gegen den Beschluss sofortige Beschwerde ein.

Die Klägerin macht geltend, die Handhabung des Beschäftigungsverhältnisses deute auf ein Arbeitsverhältnis hin. Sie trägt vor, sie hätte sich nie auf ein Nichtarbeitsverhältnis eingelassen und habe dies der Beklagten auch so gesagt.

Die Beklagte trägt vor, die Klägerin habe zu Beginn der Tätigkeit frei zwischen einem HGB-Vertrag und einem BGB-Vertrag wählen können. Sie habe zunächst freiberuflich gearbeitet, den Umsatz aber im nächsten Monat ins Angestelltenverhältnis buchen lassen. Die Beklagte trägt vor, die Klägerin habe Mitgliedschaften für den Verein "D... e.V." sowie für den Verein "E... e.V." vermittelt. Sie habe ihre Tätigkeit im Wesentlichen frei gestalten und ihre Arbeitszeit bestimmen können. Deshalb sei sie als selbständige Handelsvertreterin und nicht als Arbeitnehmerin anzusehen. Es habe kein Arbeitsplan und keine Mindestarbeitszeit bestanden. Sie habe die Risiken der Geschäftstätigkeit tragen und nach Ermittlungserfolg vergütet werden sollen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft, § 17 a Absatz 4 Satz 3 GVG, sowie form- und fristgerecht eingelegt worden, § 78 Satz 1 ArbGG iVm § 569 ZPO.

Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.

Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist eröffnet, §§ 2 Absatz 1 Ziffer 3 a), 5 Absatz 1 ArbGG.

Die Klägerin war bei der Beklagten als Arbeitnehmerin beschäftigt. Insbesondere war sie nicht als Handelsvertreterin tätig. Handelsvertreter ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen, § 84 Absatz 1 HGB.

Es bestehen bereits Zweifel, ob die Klägerin überhaupt damit betraut war, für einen anderen Geschäfte zu vermitteln oder abzuschließen. Die Beklagte bietet nach ihrem Briefkopf public relations, Telekommunikation und fundraising an. Inwieweit die Klägerin für sie Geschäfte vermittelt oder in ihrem Namen abgeschlossen hat, ergibt sich aus dem Vorbringen der Beklagten nicht. Ebenso ist offen, ob die Klägerin eventuell als Untervertreterin aufgetreten ist.

Letztlich kann dahinstehen, ob die Klägerin im Sinne des § 84 Absatz 1 HGB Geschäfte vermittelt oder abgeschlossen hat. Sie war jedenfalls nicht als Selbständige, sondern als Arbeitnehmerin tätig.

Bezüglich der allgemeinen rechtlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses wird auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts verwiesen.

Gemessen an diesen Grundsätzen enthielt das Beschäftigungsverhältnis sowohl Elemente, die für ein Arbeitsverhältnis sprechen, als auch Umstände, aus denen zu folgern ist, dass die Klägerin freie Mitarbeiterin war.

Mit der Klägerin war eine Rahmenarbeitszeit bestimmt. Dies allein steht der Annahme, die Klägerin habe ihre Arbeitszeit frei bestimmen können, nicht entgegen. Insbesondere ist insoweit der Argumentation der Beklagten zu folgen, dass sich dieser Zeitkorridor aus der Natur der Aufgabe ergab und es der Klägerin ermöglichte, die Zeiten, in denen sie tatsächlich tätig werden wollte, in ausreichendem Maße selbst zu bestimmen. Die Rahmenarbeitszeit umfasste wöchentlich 66 Stunden. Dieser Rahmen ließ der Klägerin einen erheblichen zeitlichen Spielraum. Dass die Beklagte entsprechend Ziffer 4 des Vertrags die konkrete Lage der Arbeitszeit mit der Klägerin festgelegt habe, behauptet die Klägerin selbst nicht.

Es bestanden im Beschäftigungsverhältnis auch Regelungen, die für ein Arbeitsverhältnis sprechen.

So hatte die Klägerin einen bestimmten Arbeitsumfang zu erbringen. Die Parteien hatten eine wöchentliche Arbeitszeit von 30 Stunden vereinbart. Diese schriftliche Vereinbarung wurde auch umgesetzt. Dies erfolgte zum einen bei der Berechnung der Arbeitszeit, die als erbracht galt. Nach Ziffer 3 des Vertrags wurden 10 Nettokontakte als eine Arbeitsstunde gewertet. Es bestand darüber hinaus ein Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen Vergütung und zu leistender Arbeitszeit. Aus der Vereinbarung eines monatlichen Fixums von 900,00 € folgt die Verpflichtung der Klägerin, 30 Stunden wöchentlich zu arbeiten. So verstand es auch die Beklagte selbst. Dies ergibt sich aus den Schreiben der Beklagten vom 26.11.2007 und 19.12.2007, in denen die Beklagte das Fixum mit der Begründung, die Klägerin habe die vertragliche Arbeitszeit nicht erbracht, gekürzt hat.

Ist streitig, ob zwischen dem zur Dienstleistung Verpflichteten und dem Berechtigten ein Arbeitsverhältnis oder ein Mitarbeiterverhältnis besteht und sprechen nach den objektiven Gegebenheiten ebenso viele Gründe für die eine wie für die andere Vertragsform, kommt es zunächst darauf an, ob nach dem Willen beider Parteien die eine oder die andere Vertragsform gewollt war (vgl. Bundesarbeitsgericht - Urteil vom 14.02.1974 - Az: 5 AZR 298/73 = BAGE 25/505 und AP Nr. 12 zu § 611 Abhängigkeit; Landesarbeitsgericht Mecklenburg - Vorpommern - Urteil vom 06.10.1997 - Az: 5 Sa 326/96).

Zwar gilt der Grundsatz, wie er auch vom Erstgericht dargestellt wurde, dass der wirkliche Geschäftsinhalt eines Beschäftigungsverhältnisses den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen ist. Diese Grundsätze gelten indes nur für die Fälle, in denen die Parteien ihr Rechtsverhältnis gerade nicht als Arbeitsverhältnis bezeichnet haben. Haben die Parteien dagegen ein Arbeitsverhältnis vereinbart, so ist es auch als solches einzuordnen. Dieses Recht steht ihnen aufgrund der Vertragsfreiheit zu (vgl. Bundesarbeitsgericht - Urteil vom 12.09.1996 - Az: 5 AZR 1066/94 = BAGE 84/108 und NZA 97/194; Germelmann/Matthes/Prütting/ Müller/Glöge, Arbeitsgerichtsgesetz, 6. Auflage, Rdnr. 12 zu § 5).

Vorliegend haben die Parteien ein Arbeitsverhältnis vereinbart.

Gemäß den §§ 133, 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Dabei ist der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen. Bei der Auslegung sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklärungen zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein können, welchen Willen die Erklärenden bei ihrer Erklärung jeweils hatten und wie die Erklärungen für den Erklärungsempfänger zu verstehen war.

Gemessen an diesen Grundsätzen kommt das erkennende Gericht zu dem Ergebnis, dass die Parteien ein Arbeitsverhältnis vereinbaren wollten.

Die Klägerin hat vorgetragen, für sie sei nur der Abschluss eines Arbeitsvertrags in Betracht gekommen, was sie der Beklagten auch mitgeteilt habe. Die Beklagte hat dieses Vorbringen nicht nur nicht bestritten, sondern selbst ausgeführt, dass die Klägerin die freie Wahl zwischen einem HGB-Vertrag und einem BGB-Vertrag gehabt habe und den Umsatz ins Angestelltenverhältnis habe umbuchen lassen.

Daraus ergibt sich, dass auch seitens der Beklagten Einverständnis mit einem Arbeitsverhältnis bestand. Dies steht insbesondere auch mit der Handhabung des Beschäftigungsverhältnis durch die Beklagte im Einklang. So hat die Beklagte der Klägerin Bruttobezüge gezahlt, d.h., sie hat Lohnabrechnungen gefertigt und die sich daraus ergebende Steuer sowie die Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. Dass auch die Beklagte von einem Arbeitsverhältnis ausging, ergibt sich zudem daraus, dass sie der Klägerin für die Krankheitstage im November und Dezember 2007 Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gewährte und unter dem 10.12.2007 "das Arbeitsverhältnis" kündigte. Dies ergibt sich aus den Schreiben der Beklagten vom 26.11.2007, 19.12.2007 und 10.12.2007 (Bl. 25, 26 und 58 d.A.).

Danach entsprach es dem Willen der Parteien, dass die Klägerin im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt wurde. Die Klägerin war demnach Arbeitnehmerin. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist deshalb gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Als Streitwert erachtet das erkennende Gericht 1/4 des Regelwerts als angemessen, § 23 Absatz 3 RVG.

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht keine Veranlassung, § 17 a Absatz a Satz 4 und 5 GVG, §§ 78 Satz 2, 72 Absatz 2 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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