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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 09.06.2004
Aktenzeichen: 7 Ta 89/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 91 Abs. 1
1. Rechtsgrundlage für die Erstattung der Reisekosten des Rechtsanwalts ist bei Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten § 91 Abs. 1 ZPO (nicht: § 91 Abs. 2 ZPO).

2. Kosten des nicht am Gerichtsort und nicht am Wohnort/Sitz der Partei ansässigen Rechtsanwalts wegen Reisen zum Gericht sind erstattungsfähig, wenn ein Informationsgespräch zwischen Partei und Rechtsanwalt erforderlich ist und durch die Anreise keine Mehrkosten entstehen im Vergleich zu den sich bei einer (fiktiven) Anreise vom Wohnort/Sitz der Partei ergebenden Kosten.


LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG IM NAMEN DES VOLKES Beschluss

7 Ta 89/04

in Sachen

wegen Kündigung

Die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Prof. Dr. Dr. Holzer-Thieser ohne mündliche Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 01.03.2004 - 9 Ca 7001/02 - wird auf Kosten des Beschwerdeführers zurückgewiesen. 2. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf EUR 592,83 festgesetzt. 3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

A.

Der Kläger hat beim Arbeitsgericht Nürnberg Kündigungsschutzklage gegen die Beklagte erhoben, die ihren Sitz in Hannover hat. Der von der Beklagten mit ihrer Vertretung beauftragte Rechtsanwalt hat seinen Kanzleisitz in Düsseldorf. Er hat den Verhandlungstermin vor dem Landesarbeitsgericht Nürnberg am 28.08.2003, 09.30 Uhr wahrgenommen. Nach dem rechtskräftigen Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 18.09.2003 hat der Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Die Beklagte hat unter anderem die Festsetzung folgender Kosten für die Wahrnehmung des Verhandlungstermins vom 28.08.2003 durch ihren Prozessbevollmächtigten begehrt:

 Flugkosten Düsseldorf-Nürnberg-Düsseldorf EUR 451,83
Übernachtungskosten EUR 85,--
Abwesenheitsgeld EUR 56,--.

Mit Beschluss vom 01.03.2004 hat der Rechtspfleger des Arbeitsgerichts Nürnberg dem Antrag voll entsprochen. Gegen diesen dem Klägervertreter am 10.03.2004 zugestellten Beschluss hat dieser mit Schriftsatz vom 17.03.2004, beim Arbeitsgericht Nürnberg am selben Tag eingegangen, sofortige Beschwerde eingelegt, und diese damit begründet, Übernachtungs- und Flugkosten sowie das Abwesenheitsgeld seien nicht notwendig gewesen. Die Beklagte hätte einen am Gerichtsort Nürnberg ansässigen Anwalt beauftragen können und müssen. Dies gelte insbesondere deshalb, weil nach Ausspruch einer Vielzahl von mit einer Betriebsstilllegung begründeten Kündigungen ca. 40 Kündigungsschutzklagen eingereicht worden seien, so dass es unproblematisch möglich gewesen wäre, einen Rechtsanwalt "vor Ort" umfassend zu informieren.

Der Rechtspfleger hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

B.

I. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht erhoben und damit zulässig.

Das Fehlen einer Antragsstellung im Beschwerdeverfahren ist unschädlich, da durch Auslegung des Vorbringens des Klägers sich sein prozessuales Begehren mit hinreichender Deutlichkeit ergibt: Er will die Abänderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses insoweit, als das Arbeitsgericht Flug- und Übernachtungskosten und Abwesenheitsgeld festgesetzt hat. II. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

1. Rechtsgrundlage für die Erstattungspflicht ist § 91 Abs. 1 ZPO. § 91 Abs. 2 Satz 2 oder § 91 Abs. 2 Satz 1 HS 2 ZPO scheiden aus, da beide Vorschriften von der Zulassung des Rechtsanwalts bei einem bestimmten Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit ausgehen (vgl. näher Sächsisches LAG Beschluss vom 07.02.1997, LAGE Nr. 28 zu § 91). Da aber vor den Landesarbeitsgerichten jeder bei einem deutschen Gericht zugelassene Rechtsanwalt zur Vertretung berechtigt ist (§ 11 Abs. 2 ArbGG) und eine ausdrückliche Zulassung für eine Vertretung vor einem Landesarbeitsgericht nicht vorgesehen ist, ist § 91 Abs. 2 ZPO insgesamt nicht einschlägig (Sächsisches LAG a.a.O. m.w.N.).

Grundlage der Prüfung der Erstattungsfähigkeit von Reisekosten ist damit im vorliegenden Fall § 91 Abs. 1 ZPO. Danach hat die unterliegende Partei dem Gegner die Kosten zu erstatten, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. 2. Die vom rechtsanwaltschaftlichen Vertreter der Beklagten geltend gemachten Flug- und Übernachtungskosten sowie Abwesenheitsgelder waren notwendig. a) Der vorliegende Fall ist dadurch geprägt, dass der von der Beklagten beauftragte Rechtsanwalt weder am Gerichtsort (Nürnberg) noch am Sitz der Beklagten (Hannover) seine Kanzlei unterhält oder wohnt. Reisekosten eines an einem dritten Ort ansässigen Rechtsanwalts sind zu erstatten, wenn durch seine Anreise keine Mehrkosten entstehen im Vergleich zur Anreise vom Wohnort/Sitz der Partei (Zöller/Herget, ZPO-Komm., 24. A., § 91 Rdnr. 13 Stichwort "Reisekosten des Anwalts"; KG JurBüro 2002, 152, mit der Einschränkung, dass der an einem dritten Ort kanzleinansässige Anwalt bereits in die vorprozessuale Auseinandersetzung eingeschaltet und von der Partei mündlich informiert worden war). Ein solcher Vergleich setzt notwendigerweise voraus, dass im konkreten Fall die fiktive Beauftragung eines am Wohnort/Sitz der Partei ansässigen Rechtsanwalts als notwendig im Sinn des § 91 Abs. 1 ZPO angesehen werden müsste. b) Im vorliegenden Fall wären die Reisekosten eines in Hannover ansässigen Rechtsanwalts als notwendig im Sinn des § 91 Abs. 1 ZPO anzusehen gewesen.

In seiner grundlegenden Entscheidung vom 16.10.2002 (NJW 2003, 898) hat der BGH im Wege der Prüfung des § 91 Abs. 2 Satz 1 HS 2 ZPO den Grundsatz aufgestellt, dass die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen Rechtsanwalts regelmäßig zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig ist. Er hat dies damit begründet, dass anzuerkennen sei, dass eine Partei regelmäßig einen in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsorts ansässigen Rechtsanwalt zu persönlichen Gesprächen aufsuchen wolle. Eine ihre Belange vernünftig und kostenbewusst wahrnehmende Partei dürfe für das zur Verfolgung ihrer Interessen notwendige Beratungsgespräch den für sie einfacheren und naheliegenden Weg wählen und einen an ihrem Wohn- oder Geschäftsort ansässigen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten beauftragen. Dafür sprächen auch praktische Erwägungen. Einem Prozess gehen in vielen Fällen vorgerichtliche Auseinandersetzungen voraus, bei denen sich eine oder beide Parteien bereits durch in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsorts ansässige Rechtsanwälte haben vertreten lassen. Wäre eine der beiden Parteien in dem dann sich daraus entwickelnden Prozess vor einem auswärtigen Gericht zur Kostenersparnis gehalten, einen am Prozessgericht ansässigen Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten zu beauftragen, so müsste sie auf den bereits mit der Sache vertrauten Rechtsanwalt verzichten und außerdem weitere Mühen zur Unterrichtung des neuen Rechtsanwalts auf sich nehmen. Dies könne von einer kostenbewussten Partei auch im Interesse der erstattungspflichtigen Gegenpartei nicht erwartet werden. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die für eine vorgerichtliche Tätigkeit bereits entstandene Anwaltsgebühr nach § 118 Abs. 2 BRAGO auf die Prozessgebühr angerechnet werde, während bei einem Wechsel zu einem Anwalt am Prozessgericht zwar Reisekosten erspart werden, aber für die Prozessführung eine weitere Gebühr anfalle. Ausnahmen von diesem Grundsatz seien nur anzuerkennen, wenn ein eingehendes Mandantengespräch nicht erforderlich sei, was z.B. vorliegen könne, wenn die Partei über eine eigene Rechtsabteilung verfüge, die die Angelegenheit bearbeite, oder wenn die Gegenpartei erklärt habe, sie werde sich nicht verteidigen (vgl. auch BGH Beschluss vom 12.12.2002, NJW 2003, 901; OLG Düsseldorf Beschluss vom 05.02.2003, JurBüro 2003, 258; OLG Koblenz Beschluss vom 11.02.2003, JurBüro 2003, 258). c) Die vom BGH zu § 91 Abs. 2 Satz 1 HS 2 ZPO aufgestellten Grundsätze gelten auch bei einer nach § 91 Abs. 1 ZPO zu prüfenden Kostenerstattung. Dies folgt daraus, dass der Wortlaut beider Vorschriften, soweit er den im vorliegenden Fall interessierenden Umfang der zu erstattenden Kosten betrifft, identisch ist ("zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig") und nicht erkennbar ist, dass der Gesetzgeber den identischen Worten einen unterschiedlichen Inhalt beimessen wollte. d) Die Gleichstellung des vom BGH entschiedenen Falls (Auftreten des am Wohn- oder Geschäftsort der Partei am auswärtigen Gericht) mit dem hier vorliegenden Sachverhalt (Auftreten eines weder am Gerichtsort noch am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwalts) ist bei der zu beachtenden Obergrenze (Kosten, die bei einer Anfahrt vom Wohnort/Sitz der Partei entstanden wären) interessengerecht: Die mandatierende Partei bleibt in ihrer Entscheidung frei, einen Rechtsanwalt ihres Vertrauens entweder aus dem Kreis der an ihrem Wohnort/Sitz ansässigen Rechtsanwälte oder aus dem Kreis auswärtiger Rechtsanwälte auszuwählen. Durch diese Entscheidungsfreiheit wird die erstattungspflichtige Partei nicht gesondert belastet, da sie nach der hier vertretenen Rechtsmeinung keine höheren Reisekosten zu tragen hat als bei einer Anreise vom Wohnort/Sitz der Beklagten entstehen.

Entgegen der Meinung des Kammergerichts (a.a.O.) ist es dabei nicht erforderlich, dass die Partei den an einem dritten Ort kanzleiansässigen Anwalt bereits vorprozessual über den Streitstoff informiert hat. e) Ein die Erstattungspflicht ausschließender Ausnahmefall der fehlenden Notwendigkeit eines Mandantengesprächs ist im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht gegeben.

Der Hinweis des Klägers auf insgesamt 40 Klagen wegen der Betriebsstilllegung schließt ein für die Verteidigung im vorliegenden Kündigungsschutzverfahren notwendiges Mandantengespräch nicht aus. Denn bei jeder Kündigung ist eine individuelle Einzelfallprüfung anzustellen. Dies war auch im vorliegenden Fall notwendig, zumal sich der Kläger auf eine fehlerhafte Sozialauswahl und eine konkludente Weiterbeschäftigungszusage berufen hat. Beide Einwendungen bedingen ein individuelles Mandantengespräch. Diese Notwendigkeit ist auch nicht deshalb zu verneinen, weil noch von anderen ehemaligen Mitarbeitern Verfahren eingeleitet worden sind. f) Damit hätte der Kläger die Flug- und Übernachtungskosten sowie Abwesenheitsgelder eines in Hannover ansässigen Rechtsanwalts erstatten müssen. Dann muss er auch die Kosten des in Düsseldorf ansässigen Vertreters der Beklagten für die Wahrnehmung des beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am 28.08.2003 stattgefundenen Verhandlungstermins erstatten, da Hannover (als Sitz der Beklagten und Ort, an dem über Einstellungs- und Entlassungsfragen ausschließlich entschieden werden, wie der Kläger schon mit der Klageschrift vorgetragen hat) nicht näher an Nürnberg liegt als Düsseldorf und nicht erkennbar ist, dass für die Reise des rechtsanwaltschaftlichen Vertreters der Beklagten zum Verhandlungstermin des Landesarbeitsgerichts Nürnberg am 28.08.2003 höhere Kosten angefallen sind, als wenn die Fahrt in Hannover angetreten worden wäre. g) Da der Kläger bezüglich der Höhe der vom Beklagtenvertreter angesetzten Flug- und Übernachtungskosten sowie des Abwesenheitsgeldes keine Einwendungen erhoben hat, ist die Entscheidung des Rechtspflegers des Arbeitsgerichts Nürnberg auch in der konkret festgesetzten Höhe der erstattungspflichtigen Kosten nicht zu beanstanden.

Die sofortige Beschwerde ist zurückzuweisen.

III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. IV.

Die Rechtsbeschwerde wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG). V. Der Streitwert ergibt sich aus der Differenz zwischen dem begehrten Erstattungsbetrag und dem vom Arbeitsgericht Nürnberg im Beschluss vom 01.03.2004 festgesetzten Betrag.

Die Streitwertfestsetzung ist unanfechtbar (§ 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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