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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 29.08.2006
Aktenzeichen: 1 Sa 1016/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 123
1. Nach § 123 BGB kann ein gerichtlicher Vergleich angefochten werden, wenn eine Partei vom Prozessgegner durch arglistige Täuschung zum Abschluss des Vergleichs bestimmt worden ist.

2. Eine bewusste Täuschung über die Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers ist nicht anzunehmen, wenn dieser die im Vergleich ausgewiesene Abfindung gezahlt hat. Dem Ausfall von Zahlungen aus einem neben dem Arbeitsverhältnis bestehenden Pachtverhältnisses kommt dabei keine Bedeutung zu, da der Kläger bei Vergleichsabschluss von der zwischenzeitlichen Betriebseinstellung des beklagten Arbeitgebers Kenntnis hatte und die Pachtzinszahlungen nicht zum Gegenstand des gerichtlichen Vergleichs gemacht wurden.


LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 Sa 1016/06

In dem Rechtsstreit

hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 29. August 2006 durch

den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts Prof. Dr. Lipke, den ehrenamtlichen Richter Herrn Henkenberens, die ehrenamtliche Richterin Frau Rübke für Recht erkannt:

Tenor:

Der Rechtsstreit ist durch Vergleich vom 31. Mai 2005 - 1 Sa 1433/04 - erledigt.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens 2. Instanz.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob sich ihr Kündigungsrechtsstreit mit dem Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs vom 31. Mai 2005 zum Aktenzeichen 1 Sa 1433/04 erledigt hat oder das Verfahren nach Anfechtung dieses Vergleichs durch den Kläger fortzusetzen ist.

Der Kläger war als Kundendienstmeister seit dem 1. Januar 2002 im Kfz-Betrieb der Beklagten beschäftigt. Der Kläger war zugleich Verpächter der Werkstatt der Beklagten in B.. Das Pachtverhältnis hat zum 31. Dezember 2005 sein Ende gefunden. Nach dem eine erste betriebsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger vom 18. November 2002 zum 31. Dezember 2002 als rechtsunwirksam erkannt worden war (ArbG Hildesheim 2 Ca 454/02; LAG Niedersachsen 5 Sa 956/03), sprach die Beklagte mit Schreiben vom 11. August 2003 dem Kläger gegenüber eine weitere betriebsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 2003 aus. Der Kläger obsiegte mit seiner dagegen erhobenen Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Hildesheim 1 Ca 496/03 (Bl. 109 bis 115 d. A. 1 Sa 1433/04). In der Berufungsverhandlung schlossen die Parteien auf Vorschlag des Gerichts unter dem 31. Mai 2005 folgenden Vergleich:

1.

Die Parteien sind darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis auf Grund arbeitgeberseitiger betriebsbedingter Kündigung der Beklagten vom 11. August 2003 zum 30. September 2003 sein Ende gefunden hat.

2.

Die Beklagte zahlt an den Kläger für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung entsprechend §§ 9, 10 KSchG i. V. m. § 3 Nr. 9 EStG in Höhe von 7.200,00 €.

3.

Hinsichtlich der Kosten verbleibt es für die erste Instanz bei der Entscheidung des Arbeitsgerichts. Die Kosten der zweiten Instanz werden gegeneinander aufgehoben.

4.

Damit sind der Rechtsstreit 1 Sa 1433/04 und der Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Hildesheim 1 Ca 475/04 erledigt.

Die Beklagte zahlte die vergleichsweise ausgewiesene Abfindung in Höhe von 7.200,00 € an den Kläger aus und entrichtete für die Monate Juni und Juli 2005 den vereinbarten Pachtzins für die Werkstatt in B.. Weitere Zahlungen erfolgten nicht. Die Beklagte stellte im September einen Antrag auf Eröffnung der Insolvenz, der mangels Masse zurückgewiesen wurde. Die vom Kläger im Verfahren 1 Ca 564/04 (ArbG Hildesheim) gegenüber der Beklagten verfolgten Zahlungsansprüche für die Zeit von Januar bis September 2003 in Höhe von 34.082,10 € brutto nebst Zinsen scheiterten nach der rechtskräftigen Erkenntnis des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 26. September 2005 11 Sa 595/05 an den zur rechtzeitigen Geltendmachung nicht eingehaltenen tarifvertraglichen Verfallfristen. Der Kläger hat daraufhin schriftsätzlich gegenüber der Beklagten am 2. März 2006 den im Verfahren 1 Sa 1433/04 geschlossenen gerichtlichen Vergleich wegen arglistiger Täuschung angefochten.

Mit der am 26. Mai 2006 erhobenen Klage behauptet der Kläger, dass der gerichtliche Vergleich vom 31. Mai 2005 durch Täuschung der Beklagten zu Stande gekommen sei. Grundlage des Vergleichs sei unter anderem gewesen, dass die Pachtzinszahlungen für die Werkstatt bis Ende 2005 an ihn geleistet würden. Mit der Einstellung der Pachtzahlungen ab August 2005 habe er einen Verlust von 10.379,75 € erlitten. Die Beklagte habe die Einstellung der Zahlungen bereits bei Vergleichsabschluss beabsichtigt und ihn über die ihr noch zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel getäuscht. Dafür spreche, dass die Beklagte nach Einstellung des Betriebs im Sommer 2003 seit dem 1. Januar 2004 keine Umsätze mehr habe tätigen können, sie also zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses wissen musste, dass sie zur vollständigen Erfüllung des Vergleichs nicht mehr in der Lage gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

unter Fortsetzung des Rechtsstreits die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 10. August 2004 - 1 Ca 496/03 - zurückzuweisen.

Die Beklagte stellt den Antrag,

festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 31. Mai 2005 zum Az. 1 Sa 1433/04 erledigt worden ist.

Sie führt aus, dass der Abschluss des Vergleichs im Termin vom 31. Mai 2005 an keinerlei Vorbedingungen geknüpft worden sei. Sie habe auch gegenüber dem Kläger keinerlei Zusicherung der Pachtzahlungen bis zum Dezember 2005 abgegeben. Immerhin seien - insoweit unstreitig - dem Kläger die vergleichsweise zugesprochene Abfindung und 2 Pachtzahlungen für Juni und Juli 2005 zugeflossen. Die Beklagte habe sehr wohl nach dem 1. Januar 2004 noch Umsätze getätigt, indem sie offene Forderungen eingetrieben habe. Der Kläger habe - insoweit ebenfalls unstreitig - immerhin seit diesem Zeitpunkt noch 19 Monate Pachtzahlungen erhalten. Die Einstellungen der Zahlungen auf den Pachtzins ab August 2005 rühre daher, dass die P. GmbH als Gesellschafterin und Hauptgläubigerin der Beklagten ihre Forderungen eintrieb, nach dem sie sich zuvor im Verhältnis zu anderen Gläubigern zurückgehalten gehabt habe.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze vom 24. Mai und 8. Juni 2006 sowie auf den Inhalt der Verhandlungsniederschrift vom 29. August 2006 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Fortsetzungsklage nach Anfechtung des gerichtlichen Vergleichs ist in der Sache unbegründet.

1.

Nach § 123 Abs. 1 BGB kann ein gerichtlicher Vergleich angefochten werden, wenn eine Partei vom Prozessgegner oder einem Dritten, dessen Verhalten sich der Prozessgegner zurechnen lassen muss, durch arglistige Täuschung zum Abschluss des Vergleichs bestimmt worden ist. Das folgt aus der Doppelnatur des Prozessvergleichs (BAG Urteil vom 15. Mai 1997 2 AZR 43/96 = EzA § 123 BGB Nr. 48 mwN). Damit bildet einen Anfechtungsgrund jede arglistige Täuschung, die den Getäuschten zum Abschluss eines Vergleichs bestimmt hat, den er mit diesem Inhalt ohne die Täuschung nicht abgeschlossen haben würde. Dabei kann eine arglistige Täuschung durch positives Tun oder auch durch Unterlassen begangen werden. Die Täuschung muss widerrechtlich sein und erfordert im subjektiver Hinsicht Arglist. Im Verschweigen von Tatsachen oder im Unterlassen einer Aufklärung kann allerdings eine zur Anfechtung berechtigende Täuschung nur dann liegen, wenn eine Offenbarungspflicht besteht etwa weil das Verschweigen gegen Treu und Glauben verstößt und der Vertragspartner unter den gegebenen Umständen die Mitteilung der verschwiegenen Tatsachen hätte erwarten dürfen (BAG aaO). Es ist nämlich grundsätzlich Sache jeder Partei, ihre eigenen Interessen selbst wahrzunehmen. Es besteht daher keine allgemeinen Pflicht, alle Umstände zu offenbaren, die für die Entschließung des anderen Teils von Bedeutung sein könnten (Palandt/Heinrichs BGB 65. Aufl. § 123 Rz. 5 f. mwN).

2.

Der Kläger hat zwar in der einzuhaltenden Jahresfrist des § 124 BGB die Anfechtung erklärt, konnte zur Überzeugung des Gerichts aber nicht darlegen und beweisen, dass er von der Beklagten zum Abschluss des gerichtlichen Vergleichs vom 31. Mai 2005 1 Sa 1433/04 arglistig bestimmt worden ist.

a)

Ein solcher Sachverhalt kann gegeben sein, wenn der Arbeitgeber bei Abschluss des Vergleichs den Arbeitnehmer über seine Zahlungsfähigkeit bewusst täuscht und ihn dabei veranlasst sein Arbeitsverhältnis ohne Gegenleistung einvernehmlich zu beenden (vgl. ArbG Darmstadt Urteil vom 23. Dezember 1987 5 Ca 135/87 = DB 1988, 918 = RzK I 9 j Nr. 7). Einen derartigen Sachverhalt kann der Kläger aber nicht belegen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger von der Beklagten die für den Verlust des Arbeitsplatzes ausgewiesene Abfindung in Höhe von 7.200,00 € erhalten hat. Streitgegenstand war die betriebsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Gegenstand des damaligen Verfahrens waren weder die Zahlungsansprüche aus dem Pachtverhältnis noch die offenen Zahlungsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis vom 1. Januar bis zum 30. September 2003 (hierzu LAG Niedersachsen vom 26. September 2005 11 Sa 595/05). Etwas Anderes lässt sich auch nicht der Verhandlungsniederschrift vor Protokollierung des Vergleichs vom 31. Mai 2005 im Verfahren 1 Sa 1433/04 entnehmen. Dem Passus "Die Parteien tragen übereinstimmend vor, dass der zwischen ihnen geschlossene Pachtvertrag über die Räumlichkeiten der Werkstatt in B. infolge seiner Befristung zum 31. Dezember 2005 sein Ende finden wird" ist nicht zu entnehmen, dass damit die Beklagte eine Garantie übernehmen wollte die fälligen Pachtzinsforderungen bis zum Vertragsende auch tatsächlich zu erfüllen. Eine derartige Zusicherung hätte im Vergleichstext oder im Vorspann zum Vergleich deutlich niedergelegt werden müssen. Das ist nachweisbar nicht geschehen.

b)

Soweit der Kläger von der Beklagten erwartet hat, dass diese bei Vergleichsabschluss ihre Vermögenssituation zutreffend einschätzt und/oder verpflichtet gewesen wäre, mögliche Risiken für die Pachtzinszahlungen aufzuzeigen, überzieht er die Anforderungen an eine mögliche Aufklärungsverpflichtung. Da die Abfindungszahlung- alleiniger Streitgegenstand des Verfahrens 1 Sa 1433/04 war der Bestandsschutz- von der Beklagten tatsächlich geleistet wurde, bestanden zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses keine Umstände, die die Beklagte gegenüber dem Kläger hätten offenbaren müssen. Dem Kläger war außerdem geläufig, dass die Beklagte seit dem Sommer 2003 den Betrieb der Kfz-Werkstatt eingestellt hatte und nicht mehr aktiv am Markt tätig war. Wenn er gleichwohl auf die Abfindungszahlung der Beklagten vertraute, ist er bewusst ein wirtschaftliches Risiko eingegangen. Allein der zeitliche Abstand zwischen dem Abschluss des gerichtlichen Vergleiches am 31. Mai 2005 und dem nach Zahlung der Abfindung und zweier Pachtzinsraten erst im September gestellten Antrag auf Eröffnung der Insolvenz zeigt, dass es aus Sicht der Beklagten keine Veranlassung gab, den Kläger im Blick auf sein Pachtverhältnis auf eventuell zukünftig eintretende wirtschaftliche Risiken hinzuweisen (vgl. auch LAG Hamm 7. Oktober 2005 10 Sa 747/05). Der Verfahrensbevollmächtigte der Beklagten hat hierzu in der Verhandlung zu Protokoll gegeben, wie es ab August 2005 zur Zahlungsunfähigkeit der Beklagten gekommen ist. Dieser Darstellung ist der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten. Eine arglistige Täuschung der Beklagten bei Vergleichsabschluss am 31. Mai 2005 lässt sich daher nicht annehmen.

3.

Bei Streit um die Wirksamkeit eines Vergleichs ist das Verfahren in der Instanz fortzusetzen, in der der Vergleich geschlossen wurde (BAGE 9, 319; BAG 15. Mai 1997 aaO). Die nach Abschluss des Vergleichs anfallenden Verfahrenskosten sind deshalb dem Kläger aufzuerlegen.

4.

Eine Zulassung der Revision war nicht in Betracht zu ziehen, da die erkennende Kammer der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt und entgegenstehende Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts oder des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes nicht geläufig sind.

Ende der Entscheidung

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