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Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 15.05.2009
Aktenzeichen: 10 Sa 1584/08
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 150 Abs. 2 | |
BGB § 305 c |
2. Bei der Auslegung von Verträgen im Rahmen des öffentlichen Dienstes ist das Gebot der sparsamen Haushaltsführung zu berücksichtigen.
LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 15. Mai 2009 durch
den Direktor des Arbeitsgerichts Dreher, die ehrenamtliche Richterin Frau Hoffmann-Merten, die ehrenamtliche Richterin Frau Becker für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 17. September 2008 - 2 Ca 641/07 - abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um Zahlung einer tariflichen Zuwendung und von Urlaubsgeld.
Der Kläger wurde seit dem 1. September 2003 bei der Dienststelle der Beklagten in M. ausgebildet. Das Ausbildungsverhältnis endete am 28. Februar 2006.
Bereits im Februar 2003 hatte die Beklagte dem Kläger den noch nicht unterzeichneten Vordruck eines Berufsausbildungsvertrages übersandt; wegen des genauen Inhaltes wird auf die Anlage zum Schriftsatz vom 18. Januar 2008 (Bl. 16 d. A.) verwiesen. Unter Buchstabe H des Vertrages findet sich der vorgedruckte Text: "Hinweis auf anzuwendende Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen; sonstige Vereinbarungen". Das darunter befindliche freie Feld wurde maschinenschriftlich von der Beklagten mit dem Hinweis "siehe Anlage!" versehen. Die von der Beklagten dem Schreiben beigefügte Anlage hatte folgenden Wortlaut:
"Das Berufsausbildungsverhältnis richtet sich nach dem Berufsbildungsgesetz ... sowie den Vorschriften des Manteltarifvertrages für Auszubildende vom 06.12.74 und der diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge.
Für Jugendliche beträgt die regelmäßige tägliche Arbeitszeit z. z. Mo. - Do. 8 Std.
Die Tarifverträge über die Gewährung von Beihilfen an Angestellte bzw. Arbeiter, Lehrlinge und Anlernlinge des Bundes ... finden keine Anwendung."
Der Kläger unterzeichnete den Ausbildungsvertrag und sandte ihn spätestens im März 2003 an die Beklagte zurück. Eine von einem Vertreter der Beklagten unterzeichnete Vertragsausfertigung wurde dem Kläger im September 2003 ausgehändigt. Er enthielt jedoch eine von der früheren Fassung abweichende Anlage mit u. a. folgender Klausel:
"Die gekündigten Tarifverträge über eine Zuwendung, über ein Urlaubsgeld und über die Gewährung von Beihilfen finden keine Anwendung."
Bereits im Juni 2003 hatten der Bund die Tarifgemeinschaft deutscher Länder die Tarifverträge über eine Zuwendung für Auszubildende und über ein Urlaubsgeld für Auszubildende zum Ende Juni bzw. Juli 2003 gekündigt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Parteien hätten den Ausbildungsvertrag bereits abgeschlossen, als die Tarifverträge gekündigt worden seien. Sie wirkten daher im Ausbildungsverhältnis der Parteien nach.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 420,58 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 255,65 Euro brutto seit dem 1. August 2004 und auf weitere 164,93 Euro brutto ab dem 1. Dezember 2004 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, ihr Vertreter habe den Ausbildungsvertrag erst am 1. September 2003 gegengezeichnet. An diesem Tage sei er dem Kläger auch ausgehändigt worden. Dabei habe der Vertreter der Beklagten ausdrücklich auf die Änderung der Anlage und den dadurch hervorgerufenen Anspruchsausschluss hingewiesen. Die Gegenzeichnung sei erst im September 2003 erfolgt, weil der Kläger im Februar die Einstellungsvoraussetzungen, nämlich den Abschluss der Schule bzw. des Berufsgrundbildungsjahres, noch nicht erfüllt habe; auch das spreche dagegen, dass der Vertrag schon damals geschlossen worden sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und ausgeführt, der Vertrag sei zu den Bedingungen der ursprünglichen Anlage zum Ausbildungsvertrag zustande gekommen. Zwar habe die Beklagte das Angebot des Klägers, das in der Rücksendung des von ihm unterzeichneten Vertragsformulars gelegen habe, nicht unverändert angenommen. Sie habe den Kläger aber nicht klar und unzweideutig darauf hingewiesen, dass sein Wille vom Angebot abweiche. Das habe zur Folge, dass nach Treu und Glauben der Austausch der Anlage durch die Beklagte unbeachtlich sei. Auch wenn der zuständige Sachbearbeiter am Einstellungstag dem Kläger gesagt hätte, dass ihm aus den gekündigten Tarifverträgen keine Ansprüche mehr zustünden, genüge dies allein nicht. Somit fänden kraft Nachwirkung die gekündigten Tarifverträge Anwendung, so dass dem Kläger Urlaubsgeld und Zuwendung in der beantragten Höhe nebst Zinsen zustünden.
Gegen das ihr am 7. Oktober 2008 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte am 20. Oktober 2008 Berufung eingelegt und diese am Montag, den 8. Dezember 2008 begründet.
Die Berufung führt aus, am 1. September 2003 habe der Zeuge T. noch vor Beginn der eigentlichen Ausbildung den unterschriebenen Vertrag nebst der neuen Anlage dem Kläger mit dem Hinweis übergeben, dass die Tarifverträge über Urlaubsgeld und Zuwendung gekündigt seien und auf ihn keine Anwendung fänden. Dies stelle ein neues Angebot dar, welches der Kläger durch Aufnahme der Ausbildung konkludent angenommen habe. Selbst wenn aber der Ausbildungsvertrag mit der ursprünglichen Anlage zustande gekommen wäre, ergebe sich der Anspruch nicht. Auch die Auslegung der ursprünglichen Anlage führe nämlich nicht dazu, dass solche Tarifverträge in Bezug genommen wurden, die lediglich kraft Nachwirkung auf das Vertragsverhältnis Anwendung fänden. Zweck der Klausel sei eine Gleichstellungsabrede, nicht aber die Einbeziehung lediglich nachwirkender Tarifverträge gewesen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 17. September 2008 - 2 Ca 641/07 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er macht geltend, der Vertrag sei ihm erst 14 Tage nach Ausbildungsbeginn ausgehändigt worden, und zwar ohne jeden Hinweis. Dass sein Anspruch durch ein solches Vorgehen ausgeschlossen werde, sei mit dem Transparenzgebot des § 305 c BGB nicht zu vereinbaren. Die ursprüngliche Anlage habe eine dynamische Verweisung enthalten, die auch nachwirkende Tarifverträge einbeziehe. Dies gelte auch für später begründete Vertragsverhältnisse.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
I.
Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte, vom Arbeitsgericht zugelassene Berufung der Beklagten ist von ihr frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 und 2 ArbGG) und damit insgesamt zulässig.
II.
Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die geltend gemachten Leistungen, denn es fehlt insofern an einer Abrede im Ausbildungsvertrag.
1.
Zutreffend hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass der Ausbildungsvertrag nicht schon mit Zugang des vom Kläger unterschriebenen Exemplars bei der Beklagten zustande gekommen ist, denn es war zu jenem Zeitpunkt seitens der Beklagten noch nicht unterzeichnet worden.
a)
Als der Vertragsentwurf dem Kläger zuging, enthielt er zwar schon die persönlichen Daten des Klägers und, soweit vorgesehen, die individuellen Vertragsbedingungen. Die nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages ebenfalls vorgesehene Unterschrift eines Vertreters der Beklagten fehlte jedoch. Aus der Zusendung des Formulars geht hervor, dass für die Wirksamkeit des Ausbildungsvertrages die Schriftform eingehalten werden sollte (§ 127 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 126 Abs. 1 BGB); als Konsequenz aus dieser gewillkürten Schriftform konnte erst die Unterschrift auch der Beklagten zum Vertragsschluss führen.
b)
Mithin ist dem Arbeitsgericht darin zu folgen, dass die Übersendung des Vertragsentwurfs an den Kläger noch kein Angebot darstellte, sondern die Aufforderung an den Kläger, seinerseits ein Angebot abzugeben (invitatio ad offerendum). Dies hat der Kläger mit der Rücksendung des unterschriebenen Exemplars getan. Zu einer Annahme durch die Beklagte kam es nicht, denn zwischen den Parteien ist außer Streit, dass deren Vertreter die Anlage zur Vertragsurkunde austauschte. Es handelt sich um eine Annahme unter Änderungen, hier in der Form von Einschränkungen. Als solche gilt sie gemäß § 150 Abs. 2 BGB grundsätzlich als Ablehnung des Angebotes verbunden mit einem neuen Antrag.
2.
Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts findet diese Vorschrift vorliegend Anwendung, so dass ein Vertrag unter Einschluss der streitbefangenen Zuwendungen nicht zustande gekommen ist. Zwar trifft es zu, dass die Auslegungsregel des § 150 Abs. 2 BGB Ausnahmen kennt und unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben steht (BGH 18.11.1982 - VII ZR 223/80 - WM 1983, 313). Die Beklagte hat sich dem Kläger gegenüber jedoch nicht treuwidrig verhalten.
a)
Der Umstand, dass dem Kläger erst etwa ein halbes Jahr, nachdem er die Vertragsurkunde unterschrieben zurückgesandt hatte, der nunmehr auch seitens der Beklagten unterzeichnete Vertrag zuging, stellt sich nicht als treuwidrig dar. Bei der Vielzahl der Auszubildenden im öffentlichen Dienst im Allgemeinen und in der Dienststelle im Besonderen ist es nicht treuwidrig, wenn die Beklagte den Auszubildenden ihre Verträge einheitlich zu Beginn des Ausbildungsverhältnisses aushändigt. Das Ausbildungsverhältnis begann erst im September 2003, so dass zuvor kein Regelungs- und damit Handlungsbedarf bestand. Außerdem ist die von der Beklagten abgegebene Erklärung für ihr Zuwarten plausibel. Es erscheint sachgerecht, zunächst abzuwarten, bis die potentiellen Auszubildenden die Ausbildungsvoraussetzungen, also den Abschluss der Schule oder des Berufsgrundbildungsjahres, erfüllten.
b)
Auch wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, dass die Anlage zum Ausbildungsvertrag ohne ausdrücklichen Hinweis seitens der Beklagten ausgetauscht wurde, führte das nicht zur Annahme eines treuwidrigen Verhaltens der Beklagten mit der Rechtsfolge, dass das Angebot des Klägers als angenommen zu betrachten wäre. Im Unterschied zu der vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fallgestaltung (Urteil vom 18.11.1982 - VII ZR 223/80 - WM 1983, 313) schob vorliegend die Beklagte dem Kläger nicht eine geänderte Fassung mit einer "vom verkehrsüblichen Inhalt erheblich abweichende(n)" Änderung mit einem "ganz ungewöhnlichen Inhalt" (BGH ebd.) unter. Vielmehr wollte die Beklagte lediglich auf die inzwischen eingetretene Veränderung der äußeren Umstände, nämlich die Kündigung der Tarifverträge, reagieren. Erklärlich ist dies mit dem Gebot der sparsamen Haushaltsführung, das auch im Übrigen bei der Auslegung von Verträgen im Rahmen des öffentlichen Dienstes vermuten lässt, der Arbeitgeber wolle sich lediglich normgemäß verhalten und seinen Bediensteten über das gesetzlich oder tariflich Geschuldete keine weiteren Leistungen zukommen lassen, auf die an sich kein Anspruch besteht (st. Rspr., vgl. nur BAG 20.9.2000 - 5 AZR 20/99 - AP BMTG-II § 8 Nr. 1 = ZTR 2001, 220 mwN). Sollte die Beklagte es, wie der Kläger behauptet, versäumt haben, ihn auf die geänderte Anlage hinzuweisen, so wäre dies wohl kein empfehlenswertes Vorgehen gewesen. Als treuwidrig wäre ein derartiges Verhalten der Beklagten angesichts der vorstehend ausgeführten, nicht zu missbilligenden Motive jedoch nicht zu werten.
3.
Die vom Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts vertretene Rechtsmeinung, ein Anspruch könne sich unter dem Gesichtspunkt der Rechtsprechung zur Personalratsbeteiligung bei der Änderung eines Entgeltschemas ergeben, führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar besteht nach der Rechtsprechung ein Anspruch, wenn es sich bei der Zahlung um den Vollzug eines in der Dienststelle geltenden kollektiven, abstrakten Vergütungsschemas handelt, von dem nunmehr ohne Beteiligung der Personalvertretung abgewichen wird (vgl. hierzu BAG 15.4.2008 - 1 AZR 65/07 - AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 133 = EzA BetrVG 2001 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 15; auch zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen). Der Kläger hat aber die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs unter diesem Gesichtspunkt nicht ansatzweise vorgetragen. Er hat weder behauptet, die Zahlung entspreche den in der Dienststelle geltenden Entlohnungsgrundsätzen, noch dass eine zuständige Personalvertretung existierte noch dass diese bei der Einführung der neuen Entlohnungsgrundsätze (ohne die Zuwendungen) nicht beteiligt wurde (BAG ebd.). Hierbei handelt es sich um anspruchsbegründende Tatsachen, zu denen aber im gesamten Verfahren nichts vorgetragen worden ist. Daher konnte es das Gericht auch dahingestellt bleiben lassen, ob das Mitbestimmungsrecht des Personalrats nicht ohnehin mangels anderweiter Regelungsmöglichkeiten ausgeschlossen war (vgl. dazu BAG ebd., zu II. 3. a) dd) (2) der Entscheidungsgründe).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
IV.
Gründe, die Revision zuzulassen, lagen nicht vor. Als Zulassungsgrund kommt insbesondere nicht eine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG in Betracht. Sie setzt das Vorliegen einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage voraus. Hieran fehlt es, denn alle entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind bereits höchstrichterlich geklärt.
Ende der Entscheidung
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