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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 11.09.2009
Aktenzeichen: 10 Sa 1588/08
Rechtsgebiete: BGB, ArbGG


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 157
BGB § 242
BGB § 611
ArbGG § 69 Abs. 2
1. Empfangsbedürftige Willenserklärungen sind so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste.

2. Bei der Auslegung dürfen nur solche Umstände berücksichtigt werden, die bei Zugang der Erklärung für den Empfänger erkennbar waren. Unter dieser Voraussetzung kommen als auslegungsrelevante Umstände z. B. in Betracht: Äußerungen der Parteien über den Inhalt des Rechtsgeschäfts, der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck oder die bestehende Interessenlage.


LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

10 Sa 1588/08

In dem Rechtsstreit

hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 11. September 2009 durch

den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dreher, den ehrenamtlichen Richter Herrn Clementsen, den ehrenamtlichen Richter Herrn Pröttel

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 4. September 2008 - 3 Ca 541/07 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Erteilung einer Auskunft zur Berechnung von Zahlungsansprüchen.

Der Kläger stand bis 2006 als Chefarzt in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Am 20. Januar 2005 schlossen die Parteien eine Aufhebungsvereinbarung, wegen deren genauen Inhaltes auf Anlage K 1 zur Klageschrift (Bl. 9 bis 11 d. A.) verwiesen wird. Sie lautet, soweit vorliegend von Belang:

"§ 4

Herr B. leitet bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses die Abteilung Physikalische Therapie des Krankenhauses. Ihm stehen insoweit 10% der hieraus erzielten Einnahmen zu, wobei die von ihm selbst erbrachten und abgerechneten Leistungen hierin nicht enthalten sind. Im übrigen wird Herr B. KV-Leistungen im ambulanten Bereich im bisherigen Umfang erbringen und abrechnen. Dies betrifft auch den Bereich der Knie."

Die Beklagte erteilte dem Kläger im Mai 2007 die Auskunft, die Erlöse der Physikalischen Therapie in der Zeit vom 20. Januar 2005 bis zum 28. Februar 2006 hätten 239.184,57 Euro betragen, und zahlte dem Kläger 10 v. H. dieses Betrages. Die von der Beklagten genannte Summe bezieht sich nur auf die Erlöse aus der ambulanten Therapie der Physikalischen Abteilung.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die von der Beklagten vorgenommene Begrenzung sei vom Vertragswortlaut nicht gedeckt. Vielmehr seien auch diejenigen Erlöse der Abteilung Physikalische Therapie zu berücksichtigen, die aus Leistungen im stationären Bereich resultierten.

Er hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, ihm Auskunft über die Erlöse der Abteilung Physikalische Therapie des gesamten Krankenhauses der Beklagten unter Einschluss sämtlicher Fachabteilungen und Fachbereiche im vor-, nach- und teilstationären Bereich sowie im stationären Bereich für die Zeit vom 20. Januar 2005 bis zum 28. Februar 2006 zu erteilen,

2. die Beklagte zu verurteilen, ihm 10 v. H. der sich aus der Auskunft zu 1. ergebenden Summe der Erlöse zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, über die erteilte Auskunft hinausgehende Auskunftsansprüche bestünden nicht. Über die Einbeziehung von Erlösen aus dem stationären Bereich sei niemals gesprochen worden; sie sei auch systemwidrig, denn hierfür erhalte der Arzt bereits sein Gehalt. Es sei immer wieder von einer Gesamtlösung auf Grundlage einer Zahlung von etwa 25.000,00 Euro die Rede gewesen.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens wird auf den Tatbestand des Teilurteils des Arbeitsgerichts Lingen vom 4. September 2008 verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat dem Auskunftsantrag stattgegeben. Es hat § 4 der Vereinbarung vom 20. Januar 2005 dahin ausgelegt, dass sich der Anteil des Klägers an den Erlösen der Abteilung Physikalische Therapie auf den Gesamtbereich des Krankenhauses beziehe. Die von der Beklagten vorgenommene Beschränkung auf den ambulanten Bereich sei dem Wortlaut der Vereinbarung nicht zu entnehmen. Es sei im Gegenteil ausdrücklich von der Abteilung Physikalische Therapie "des Krankenhauses" die Rede. Aus dem Gesamtzusammenhang des § 4 folge, dass es sich um eine abschließende Regelung handele, die eine weitere Einschränkung der Berechnungsgrundlage für die Einnahmen nicht zulasse. Eine solche Berechnungsweise sei auch nicht systemwidrig. Es handele sich nicht um einen Arbeitsvertrag, sondern um eine Abwicklungsvereinbarung. Dort sei die Interessenlage gänzlich anders, und auch atypische Regelungen könnten hier im Hinblick auf das feststehende Ausscheiden des Arbeitnehmer im Interesse der Parteien sein. Gegenteilige Absprachen, insbesondere die von der Beklagten genannte Berechnungsgrundlage, seien nicht substantiiert vorgetragen worden.

Gegen das ihr am 26. September 2008 zugestellte Teilurteil hat die Beklagte am 21. Oktober 2008 Berufung eingelegt und diese, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 24. Dezember 2008 verlängert worden war, am 23. Dezember 2008 begründet.

Die Berufung führt aus, der Anteil der Physikalischen Therapie an den stationären Leistungen sei bereits mit dem Dienstvertrag abgegolten. Diese Leistungen aus sämtlichen stationären Leistungen herauszurechnen belaste die Beklagte unbillig, weil dies die Buchhaltung über Tage oder Monate lähme. Grundlage der Vergleichsgespräche sei gewesen, dass ein Betrag von etwa 25.000,00 Euro an die Stelle der Abfindung treten sollte. Es sei um jedes Wort gerungen worden; hierzu passe es nicht, eine Klausel zu vereinbaren, die Ansprüche in unübersehbarer Höhe eröffne. Die Auslegung der Vereinbarung nach dem Wortlaut ergebe, dass die Erlöse aus der Institutsambulanz Berechnungsgrundlage seien, welche im Hause "Ambulante physikalische Therapie" genannt werde. Der Zusatz "des Krankenhauses" in § 4 sei vielleicht nur aus sprachlichen Gründen erfolgt. Die Tenorierung des erstinstanzlichen Urteils entspreche nicht dem Wortlaut der Vereinbarung und überdehne ihn. Sinn der Vereinbarung sei gewesen, dass der Kläger ohne Gesichtsverlust weiterbeschäftigt, aber von der stationären Versorgung ausgeschlossen werden sollte. Auch vorher habe der Kläger Anteile an Einnahmen "quer durchs Haus" niemals geltend gemacht.

Die Beklagte beantragt,

das Teilurteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 4. September 2008 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er macht geltend, bei dem Verständnis der Beklagten von § 4 der Vereinbarung handele es sich allenfalls um einen unbeachtlichen Motivirrtum. Die Erlösstruktur des Krankenhauses sei kein taugliches Auslegungskriterium. Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von nur 25.000,00 Euro wäre kaum realisierbar gewesen. Folge man der Beklagten darin, dass um jedes Detail der Vereinbarung gerungen worden sei, so müsse sich die Auslegung erst recht am Wortlaut orientieren. Dass die vom Kläger selbst erbrachten Leistungen bei der Berechnung außer Betracht blieben, sei ein zusätzliches Indiz dafür, dass auch die sonstigen stationären Leistungen als Berechnungsgrundlage dienen sollten. Auch die Berechnung nach dieser Grundlage stelle nur eine geringe Kompensation der erheblichen Verluste dar, die der Kläger durch die im Abwicklungsvertrag vereinbarte Modifikation seiner Tätigkeit habe hinnehmen müssen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen; sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung muss erfolglos bleiben.

I.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist von dieser fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§ 66 Abs. 1 und 2 ArbGG, §§ 515, 520 Abs. 1 und 3 ZPO) und damit insgesamt zulässig. Der Umstand, dass die Beklagte zunächst einen falschen Antrag, nämlich die Zurückweisung der Berufung, angekündigt hatte, hindert die Zulässigkeit nicht; der korrekte Antrag konnte noch im Termin zur Berufungsverhandlung gestellt werden.

II.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

1.

Das Arbeitsgericht hat der Klage hinsichtlich des Auskunftsanspruchs zu Recht und mit durchweg zutreffender Begründung stattgegeben. Das Berufungsgericht macht sich die Gründe des angefochtenen Teilurteils zu eigen und schließt sich ihnen nach eigener Prüfung ausdrücklich an (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

2.

Lediglich ergänzend bemerkt das Berufungsgericht: Die Berufung gibt keinen Anlass, zu einem anderen Ergebnis zu gelangen. Die Formel des angegriffenen Urteils gibt das zutreffende Auslegungsergebnis wieder, so dass der Einwand der Berufung fehlgeht, der Tenor weiche vom Vertragstext ab.

a)

Empfangsbedürftige Willenserklärungen sind so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste (BGH 24.2.1988 - VIII ZR 145/87 - BGHZ 103, 275 = NJW 1988, 1378). Bei der Auslegung dürfen nur solche Umstände berücksichtigt werden, die bei Zugang der Erklärung für den Empfänger erkennbar waren (BGH 24.6.1988 - V ZR 49/87 - NJW 1988, 2878). Entscheidend ist im Ergebnis nicht der innere Wille des Erklärenden, sondern der durch normative Auslegung zu ermittelnde objektive Erklärungswert seines Verhaltens (BGH 5.10.1961 - VII ZR 207/60 - BGHZ 36, 30 = WM 1961, 1276). Nach der Ermittlung des Wortsinnes sind in einem zweiten Auslegungsschritt die außerhalb des Erklärungsaktes liegenden Begleitumstände in die Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen (BAG 27.8.1970 - 2 AZR 519/69 - BAGE 22, 424 = AP BGB § 133 Nr. 33 = EzA BGB § 119 Nr. 3; 29.11.1973 - 5 AZR 207/73 - AP BUrlG § 3 Rechtsmißbrauch Nr. 8 = EzA BUrlG § 1 Nr. 14). Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen sind aber nur die Umstände zu berücksichtigen, die dem Erklärungsempfänger bekannt oder erkennbar waren. In Betracht kommen beispielsweise Äußerungen der Parteien über den Inhalt des Rechtsgeschäftes (RG Recht 30 Nr. 1228), der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck (BGH 23.2.1956 - II ZR 207/54 - BGHZ 20, 109 = NJW 1956, 665) und die bestehende Interessenlage (BGH 14.7.1956 - V ZR 223/54 - BGHZ 21, 319; 10.10.1989 - VI ZR 78/89 - BGHZ 109, 19 = NJW 1990, 441).

b)

Daran gemessen erweist sich die durch das Arbeitsgericht vorgenommene Auslegung auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens als zutreffend.

aa)

Die Auslegung nach dem Wortlaut lässt es lediglich zu, von sämtlichen Einnahmen der Abteilung Physikalische Therapie ohne Einschränkung auf ambulante Leistungen auszugehen. Insoweit ist dem arbeitsgerichtlichen Urteil nichts hinzuzufügen. Soweit die Berufung meint, die Tenorierung überdehne den Wortlaut von § 4 der Vereinbarung, ist dem entgegenzuhalten, dass das Arbeitsgericht lediglich den zwischen den Parteien streitigen Punkt bei der Auslegung dieser Vertragsnorm klarstellt. Ebendies war die Aufgabe des Arbeitsgerichts.

bb)

Die Begleitumstände der Vereinbarung führen zu keinem anderen Ergebnis. Ebenso wenig wie im ersten Rechtszuge hält die Beklagte im Berufungsverfahren substantiierten Sachvortrag zu Begleitumständen des Vertragsschlusses, die geeignet wären, zu einem anderen Auslegungsergebnis zu führen.

Die Beklagte wiederholt zunächst, nach der Vorstellung der Parteien hätte ein Betrag von etwa 25.000,00 Euro an die Stelle einer Abfindung treten sollen. Es ist aber nicht ersichtlich, weshalb dem Kläger bekannt gewesen sein soll, dass die Beklagte sich vorstellte, einen Betrag nur in dieser Höhe versprechen zu wollen. Bei der Benennung des Zeugen M. handelt es sich daher um einen prozessual unzulässigen Ausforschungsbeweis. Schließlich stellt sich die von der Beklagten nicht ansatzweise beantwortete Frage, weshalb bei so genauen betragsmäßigen Vorstellungen nicht von vornherein ein fester Betrag von beispielsweise 25.000,00 Euro statt der komplizierten Beteiligungsregelung vereinbart wurde. Diese Fragen drängen sich um so mehr auf, als, wie die Beklagte selbst vorträgt, die beiden - dabei anwaltlich vertretenen - Parteien bei den Verhandlungen "um jedes Wort und um jedes Detail gerungen" haben. Dann hätte es nahe gelegen, auch die ungefähre Größenordnung als Grundlage zu fixieren. Übrigens verträgt sich das beiderseits durch Rechtsanwälte unterstützte "Ringen um jedes Wort und um jedes Detail" auch nicht mit der nunmehr geäußerten Vermutung der Beklagten, die Formulierung "Physikalische Therapie des Krankenhauses" sei wohl (nur) auf sprachliche Gründe zurückzuführen.

cc)

Das Vorbringen der Beklagten, der mit der Auskunftserteilung verbundene Aufwand belaste sie unbillig, stellt keinen tauglichen Einwand gegen die Klageforderung dar. Die Beklagte hatte es in der Hand, vor Abschluss der Vereinbarung zu prüfen, ob sie aus ihrer Sicht sinnvoll ist; wenn es die Beklagte nunmehr reut, den Vertrag wie geschehen abgeschlossen zu haben, so führt diese Reue, wie nicht näher erörtert zu werden braucht, nicht zur Unwirksamkeit des Vertrages.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

IV.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung zu einer nicht typischen Vertragsklausel. Die Auslegung hält sich im Rahmen der obergerichtlichen Rechtsprechung, wie sich aus den zitierten Entscheidungen ergibt.

Ende der Entscheidung

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