Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 21.01.2002
Aktenzeichen: 10 Sa 350/00
Rechtsgebiete: TV Allg., StGB, BAT, ZPO


Vorschriften:

TV Allg. § 6
StGB § 64
BAT § 22
ZPO § 256 Abs. 1
ZPO § 91
Die Vollzugszulage nach § 6 TV All. Zulage steht Angestellten in geschlossenen Abteilungen oder Stationen bei Psychiatrischen Krankenanstalten für die Zeit ihrer überwiegenden Beschäftigung in diesem Bereich zu. Bei der Berechnung der Zeiten "in" einer geschlossenen Abteilung oder Station sind dabei alle Zeiten zu berücksichtigen, die der Angestellte (hier: Arzt) entweder auf der geschlossenen Station oder mit Probanden dieser Station außerhalb (z. B. in seinem Dienstzimmer) verbringt. Nicht zu berücksichtigen sind dagegen Zeiten für Tätigkeiten ohne persönlichen Kontakt mit Pröbanden, selbst wenn es sich dabei um Zusammenhangstätigkeiten (z. B. Verwaltungsarbeiten) handelt.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen

10 Sa 350/00

Verkündet am: 21. Januar 2002

URTEIL IM NAMEN DES VOLKES

In dem Rechtsstreit

hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 21. Januar 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Kiel und die ehrenamtlichen Richter Schmeckebier und Kelle

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des beklagten Landes vom 18.02.2002 wird das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 13.01.2000 - 1 Ca 1073/99 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Weitergewährung einer Vollzugszulage.

Der Kläger ist seit 1987 als Arzt beim beklagten Land im Niedersächsischen Landeskrankenhaus W in der Fachabteilung B beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundes-Angestellten-Tarifvertrag (BAT) nebst diesen ergänzenden Tarifverträgen in der jeweiligen Passung Anwendung. Mit Schreiben vom 07.01.1998 wurde dem Kläger die so genannte Vollzugszulage nach § 6 des Tarifvertrages über Zulagen an Angestellte (TV Allg. Zulage) in Höhe von 186,84 DM brutto zuerkannt. Diese Tarifbestimmung hat folgenden Wortlaut:

"Angestellte bei Justizvollzugseinrichtungen, in abgeschlossenen Vorführbereichen der Gerichte sowie in geschlossenen Abteilungen oder Stationen bei Psychiatrischen Krankenanstalten, die ausschließlich dem Vollzug von Maßregeln der Sicherung und Besserung dienen, erhalten für die Zeit ihrer überwiegenden Beschäftigung in diesen Einrichtungen, Bereichen bzw. Abteilungen oder Stationen eine Vollzugszulage."

In der Fachabteilung des Krankenhauses in B sind von insgesamt 200 Betten 75 Betten dem Maßregelvollzug nach § 64 StGB zugeordnet, der auf 4 Stationen durchgeführt wird. Die Stationen 1 bis 3 sind geschlossene Abteilungen, Station 4 wird seit 1992/1993 nach dem "open-door-system" geführt. Bis zum 30.04.1999 war der Kläger als Oberarzt für die Stationen 1 bis 4 zuständig. Seit dem 01.05.1999 leitet er die Stationen 1 bis 3 mit 55 Patienten. Zu seinen Aufgaben gehören u. a. die Durchführung von Gesprächen mit Probanden und körperliche Untersuchungen, die Behandlung von Beschwerden sowie Kontrolle der Dokumentation und Aktenführung, ferner die Anleitung des Personals. Die Einzelgespräche und Untersuchungen finden teilweise im Dienstzimmer des Klägers statt, das durch mehrere verschlossene Türen getrennt ungefähr 50 Meter von der Station 3 entfernt liegt. Auf dem Weg zu den Gesprächen werden die Probanden begleitet und bewacht.

Der Kläger führte im Verlaufe des Rechtsstreits über seine einzelnen Tätigkeiten für die Dauer von vier Wochen (10.09. bis 12.10.2001) Protokolle, auf die das Gericht Bezug nimmt. Die Protokolle wurden täglich vom Chefarzt Dr. H gegengezeichnet.

Inhaltlich differenzierte der Kläger bei den Eintragungen, die er in 10-Minuten-Schritten vornahm, zwischen folgenden Kategorien, wobei er sich über die Dokumentationsmethode und den -zeitraum mit dem Chefarzt Dr. H abgestimmt hatte:

VT - Verwaltungstätigkeiten mit Patientenbezug (z. B. Stellungnahmen, Anträge, Dokumentationen)

AT - Aktivitäten außerhalb der Klinik (Begleitung bei Ausführung, Transport, Hausbesuch etc.)

PB - Patientenbesprechung (Team, Supervision, Frühbesprechung, Übergabe)

PK - Tätigkeit mit Patientenkontakt

gS - Tätigkeit auf der geschlossenen Station

B - Tätigkeit wird im eigenen Büro ausgeübt

Zeiten von Personalratstätigkeiten zog der Kläger ebenso ab wie Ambulanztätigkeiten mit Patiententätigkeiten, während er Notalarmierungen hinzurechnete.

Bei einer sich danach ergebenden Gesamtarbeitszeit von 9.315 Minuten arbeitete der Kläger

- 3.995 Minuten (entsprechend 42,9 %) außerhalb geschlossener Stationen und ohne patientenbezogene Zusammenhangstätigkeiten,

- 1.720 Minuten (entsprechend 18,5 %) außerhalb geschlossener Stationen ohne Patientenkontakt mit patientenbezogenen Zusammenhangstätigkeiten,

- 3.600 Minuten (entsprechend 38,6 %) in geschlossenen Stationen oder direktem Patientenkontakt.

Mit Wirkung ab 01.09.1999 stellte das beklagte Land die Zahlung der Zulage ein, ohne dass sich der Arbeitsbereich geändert hatte. Mit Schreiben vom 24.08.1999 machte der Kläger seinen Anspruch auf Weitergewährung der Vollzugszulage geltend.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, er erfülle unverändert die Voraussetzungen zur Zahlung der Vollzugszulage. An ihn würden durch den ständigen Umgang mit Straffälligen erhöhte Anforderungen gestellt, weil er seinen Dienst unter schwierigen äußeren und psychischen Bedingungen leisten müsse. Von ihm würde eine erhöhte Wachsamkeit verlangt. Es werde vorausgesetzt, dass er bei Bedrohungen, Belästigungen und Angriffen durch Probanden einschreite. Der Kläger hat deshalb gemeint, ihm stünde die Vollzugszulage zu, obwohl sich sein Dienstzimmer außerhalb der geschlossenen Station befinde.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, ihm über den 01.09.1999 hinaus die Justizvollzugszulage gemäß § 6 des Tarifvertrages über Zulagen an Angestellte monatlich zu gewähren.

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

und zur Begründung vorgetragen, der Kläger sei nicht überwiegend in der geschlossenen Station tätig. Die nach § 6 TV Allg. Zulage erforderliche Aufenthaltsdauer des Klägers auf den geschlossenen Stationen sei erheblich geringer als 50 % seiner regelmäßigen Arbeitszeit. Den weitaus überwiegenden Teil seiner Dienstgeschäfte erledige er im Dienstzimmer außerhalb der Station. Auch wenn es in der Einrichtung für alle Beschäftigten im Maßregelungsvollzug zu kritischen Situationen kommen könne und Bedrohungen sowie Belästigungen nicht auszuschließen seien, könne diese Beschwer die Zahlung einer Vollzugszulage nicht rechtfertigen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage durch Urteil vom 13.01.2000 im Wesentlichen mit folgender Begründung stattgegeben: Der Kläger sei im Tarifsinne mit mehr als der Hälfte seiner Arbeitszeit in geschlossenen Stationen tätig und erfülle damit die Voraussetzungen für die Gewährung der Vollzugszulage. Maßgeblich sei, dass an den Kläger beim ständigen Umgang mit Straftätern erhöhte körperliche und psychische Anforderungen gestellt würden. Die tariflichen Voraussetzungen für die Zulage seien deshalb durch alle Tätigkeiten erfüllt, die unmittelbar der Betreuung der im geschlossenen Maßregelvollzug befindlichen Straftäter dienten und den unmittelbaren Umgang mit ihnen erforderten und so unmittelbar der Einrichtung zugeordnet seien. Gespräche und Untersuchungen mit den Straftätern erfüllten die Voraussetzungen ebenso wie Verwaltungs- und Laborarbeiten, soweit es sich dabei um Zusammenhangstätigkeiten im tariflichen Sinne handele.

Das Urteil ist dem beklagten Land am 19.01.2000 zugestellt worden, das seinen Klageabweisungsantrag mit der am 18.02.2000 eingelegten und begründeten Berufung weiterverfolgt und zur Begründung seinen erstinstanzlichen Vortrag vertieft. Das beklagte Land vertritt die Auffassung, der Kläger habe nicht schlüssig vorgetragen, dass er sich mit mehr als der Hälfte seiner regelmäßigen Arbeitszeit auf den geschlossenen Maßregelvollzugsstationen aufhalte. Dies sei für die Zahlung der Vollzugszulage aber erforderlich, denn nach dem eindeutigen Wortlaut der tariflichen Bestimmung müsse die Tätigkeit überwiegend "in geschlossenen Abteilungen oder Stationen bei psychiatrischen Krankenanstalten" erbracht werden und sei damit eindeutig räumlich zugeordnet. Die tariflich als wesentlich angesehenen erhöhten Belastungen lägen schon begrifflich lediglich innerhalb der geschlossenen Station vor, weshalb auch Arbeitszeiten außerhalb der geschlossenen Station mit Patientenkontakt den Voraussetzungen der Tarifnorm nicht genügten. Anders als in § 22 BAT sei in § 6 TV Allg. Zulage nicht von Tätigkeit, Tätigkeitsmerkmalen und Arbeitsvorgängen die Rede, sondern von der ganz konkreten Beschäftigung. Eine analoge Anwendung auf Tätigkeiten außerhalb des geschlossenen Bereichs komme mangels Regelungslücke nicht in Betracht. Eine andere Auslegung und Anwendung der Tarifnorm könne auch nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts begründet werden. Die tarifliche Regelung unterscheide sich systematisch von der Bestimmung für Beamte, die nicht von der überwiegenden Tätigkeit ausgehe, sondern den Anspruch zuerkenne, wenn der Dienstposten der Beamten generell durch die zulagenberechtigenden Funktionen "geprägt" sei.

Das beklagte Land beantragt,

in Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und verteidigt die angefochtene Entscheidung. Im Gegensatz zum beklagten Land vertritt er die Meinung, dass Tätigkeiten in einer geschlossenen Station einer psychiatrischen Krankenanstalt im tariflichen Sinne alle Tätigkeiten seien, die innerhalb einer solchen Einrichtung erfüllt würden und im ursächlichen Zusammenhang mit Tätigkeiten "in" der geschlossenen Abteilung stünden. Dazu zählten die in den Dienstzimmern geführten Untersuchungen, Gespräche, Dokumentationen und ähnliche Verwaltungsarbeiten. Aus der Dokumentation ergebe sich, dass er - der Kläger - bei 9.315 Gesamtarbeitsminuten lediglich 3.995 Minuten und somit nur 42,9 % ohne direkten Patientenkontakt oder nicht auf der geschlossenen Station und ohne patientenbezogene Zusammenhänge gearbeitet habe. Mit 57,1 % und damit überwiegend sei er auf der Station oder mit Zusammenhangstätigkeiten im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts befasst. Es bestehe auch kein Unterschied, ob mit dem Wortlaut der Tarifnorm für Angestellte eine überwiegende Beschäftigung oder nach der entsprechenden beamtenrechtlichen Bestimmung eine überwiegende Prägung des Dienstpostens gefordert werde. Deshalb habe die Mitgliederversammlung der Tarifgemeinschaft der Länder am 18.01.1999 festgestellt, dass die Anspruchsvoraussetzungen für die Zahlung der Vollzugszulage im Tarifbereich denen im Besoldungsbereich entsprächen.

Einheitlich bestehe der Zweck der Zulage darin, besondere Gefährdungen abzugelten, denen der Angestellte ausgesetzt sei.

Entscheidungsgründe:

I.

Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist begründet. Sie führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und Abweisung der Klage.

1.

Die Klage ist zulässig. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist durch die am 11.01.2000 vor dem Arbeitsgericht zu Protokoll abgegebene Erklärung des beklagten Landes begründet, es werde bereits auf ein Peststellungsurteil hin leisten.

2.

Die Klage ist jedoch unbegründet.

Der Kläger hat über den 01.09.1999 hinaus keinen Anspruch auf Gewährung der Vollzugszulage nach § 6 TV Allg. Zulage.

a)

Der Kläger betreut zwar seit dem 01.05.1999 als leitender Arzt Probanden der geschlossenen Stationen 1 bis 3 im Niedersächsischen Landeskrankenhaus W, Fachabteilung B. Bei diesen Stationen handelt es sich um "geschlossene Abteilungen" im Sinne von § 6 TV Allg. Zulage. Die Bezeichnung "geschlossene Abteilung oder Station" ist in Arzt- und sonstigen Fachkreisen ein feststehender Begriff, mit dem Abteilungen angesprochen sind, in denen die Patienten sich in verschlossenen Räumen befinden, die sie nicht nach freiem Entschluss und ohne Mitwirkung der Pflegepersonen verlassen können (BAG 07.06.2000 - 10 AZR 423/99 unter II. 2. c) bb) der Gründe m. w. N.).

Die Stationen 1 bis 3 der Fachabteilung dienen ausschließlich dem Vollzug von Maßregeln der Sicherung und Besserung nach § 64 StGB und erfüllen damit die Voraussetzungen im Sinne des § 6 TV Allg. Zulage. Es ist nicht erforderlich, dass die Krankenanstalt als Ganze dem Vollzug von Maßregeln der Sicherung und Besserung zu dienen hat. Wäre dies der Fall, liefe die tarifliche Regelung teilweise leer. Maßregelvollzug findet in der Regel außerhalb der Justizvollzugsanstalten und nur zum Teil in speziellen Maßregelkrankenhäusern statt (vgl. BT-Drucksache, 7/918, S. 930 sowie BAG 07.06.2000 a.a.O. unter II. 2. c) dd) der Gründe).

b)

Der Kläger ist jedoch nicht überwiegend "in" einer geschlossenen Abteilung oder Station bei einer psychiatrischen Krankenanstalt tätig.

Eine überwiegende Tätigkeit im tariflichen Sinne liegt vor, wenn der Angestellte mit mehr als der Hälfte seiner Arbeitszeit die tariflich verlangten Tätigkeiten verrichtet (Böhm/Spiertz, § 6 Allg. Zulage Rn. 7). Bei der Berechnung der Zeiten "in" einer geschlossenen Abteilung oder Station sind alle Zeiten zu berücksichtigen, die der Kläger entweder auf den Stationen 1 bis 3 selbst, also im abgeschlossenen Bereich, oder mit Probanden dieser Station außerhalb (z. B. in seinem Dienstzimmer) verbringt. Nicht zu berücksichtigen sind dagegen alle sonstigen Zeiten, in denen er außerhalb der abgeschlossenen Abteilung oder Station Tätigkeiten (z. B. Verwaltungsarbeiten) ohne Kontakt mit Probanden verrichtet, selbst wenn es sich dabei um Zusammenhangstätigkeiten handelt. Dies ergibt die Auslegung der Tarifnorm.

aa)

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Die Tarifauslegung hat zunächst vom Wortlaut auszugehen. Über den reinen Wortlaut hinaus ist aber auch der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm zu berücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, weil häufig nur daraus und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur so bei Mitberücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend beurteilt werden kann. Verbleiben bei entsprechender Auswertung des Tarifwortlauts und des tariflichen Gesamtzusammenhangs noch Zweifel, so kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien - ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge - auf weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages zurückgegriffen werden. Ferner gilt es, die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG 05.02.1997 - 10 AZR 639/96 - AP Nr. 14 zu § 33 a BAT m. w. N.; BAG 07.06.2000 a.a.O. unter II. 2. c) aa) der Gründe).

bb)

Nach diesen Grundsätzen ist bei der Auslegung stets am Wortlaut der Bestimmung anzusetzen. Die Präposition "in" spricht dafür, dass grundsätzlich nur Beschäftigungszeiten für die Vollzugszulage zu berücksichtigen sind, die räumlich innerhalb der geschlossenen Abteilungen oder Stationen erbracht werden. Dies wird bestätigt durch das von den Tarifvertragsparteien in derselben Vorschrift verwendete Wort "bei" psychiatrischen Krankenanstalten. Durch die Gegenüberstellung der Präpositionen "bei" und "in" wird deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Tarifvertragsparteien nicht sämtliche Tätigkeiten von Angestellten in einer psychiatrischen Krankenanstalt als zulagenrelevant angesehen haben, sondern nur solche Tätigkeiten, die in der geschlossenen Abteilung oder Station erbracht werden. In diesem Sinne wird die Vollzugszulage im internen Verwaltungssprachgebrauch auch als "Gitterzulage" bezeichnet. Bei einer auf den reinen Wortlaut reduzierten Auslegung würde also viel dafür sprechen, dass die Tätigkeit zwingend "hinter Gittern" geleistet werden muss.

Betreut der Angestellte außerhalb des abgeschlossenen Bereichs Probanden, indem er z. B. in seinem Dienstzimmer Einzelgespräche führt oder sie auf Ausflügen begleitet, würde diese Auslegung dem Zweck der Vollzugszulage indes nur unvollkommen gerecht. Bei Einbeziehung des tariflichen Regelungsziels zählen deshalb zur überwiegenden Beschäftigung "in" geschlossenen Abteilungen bzw. Stationen - entgegen der Auffassung des beklagten Landes - auch Tätigkeiten im unmittelbaren Umgang mit Probanden außerhalb des abgeschlossenen Bereichs. Entgegen der Ansicht des Klägers gehören dazu allerdings nicht die "Zusammenhangstätigkeiten" außerhalb geschlossener Abteilungen bzw. Stationen ohne Patientenkontakt, zu denen z. B. Verwaltungs- und Vorbereitungsarbeiten oder Labortätigkeiten zählen. Denn die Zulage soll in erster Linie die besondere Gefährdung abgelten, denen Angestellte im Umgang mit Straftätern ausgesetzt sind, die in geschlossenen Abteilungen oder Stationen untergebracht sind. Deshalb war die Vollzugszulage ursprünglich auch als eine Art Gefahrenzulage konzipiert (Uttlinger/Breier u. a. BAT Stand 7/2000 C 1.2.1, S. 13 Erläuterungen 3.6). Neben diesem (ursprünglichen) Ziel sollen die Belastungen einer Arbeit im abgeschlossenen Bereich, die sich durch die Einschränkung der Bewegungsfreiheit ergeben, ausgeglichen werden.

Beide Regelungszwecke sind an der entsprechenden beamtenrechtlichen Bestimmung nach der Vorbemerkung Nr. 12 zu den Besoldungsordnungen A und B nachzuvollziehen. Sie erschließen sich aus der Stellungnahme des Bundesrates zu dem Entwurf eines 2. Gesetzes zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern. Danach sollen durch die Vollzugszulage "schwierige äußere und psychische Bedingungen" ausgeglichen werden (BT-Drucksache 7/1906, S. 114 Nr. 15 a). In der Gegenäußerung der Bundesregierung sind zudem die "besonderen Belastungen des unmittelbaren dauernden Umgangs mit Anstaltsinsassen" herausgestellt (BT-Drucksache 7/ 1906, S. 135 zu 15 a). Das Bundesverwaltungsgericht hat den honorierten Zulagenzweck dahin definiert, dass an die in den bezeichneten Einrichtungen beschäftigten Beamten besondere Anforderungen gestellt würden, die mit der Tätigkeit in abgeschlossenen Bereichen und dem ständigen Umgang mit Straffälligen verbunden seien; vorausgesetzt werde eine ständige erhöhte Wachsamkeit, um Ausbruchsversuche und Übergriffe zu verhindern (23.04.1998 - 2 C 1/97 - ZTR 1998, 475 f.). Einerseits sind die Angestellten in geschlossenen Abteilungen bzw. Stationen während ihrer Arbeitszeit selbst von der Freiheitsentziehung betroffen, der die Gefangenen im geschlossenen Maßregelungsvollzug unterliegen. Zudem werden die erhöhten Anforderungen abgegolten, die mit dem ständigen Umgang mit straffällig gewordenen Personen verbunden sind (OVG Rheinland-Pfalz 19.09.1997 - 10 A 12838/96).

Diese vom Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) bzw. vom OVG Rheinland-Pfalz (a.a.O.) festgestellte Zweckbestimmung zu der Regelung für Beamte gilt entsprechend auch für die Regelung in § 6 TV Allg. Zulage (BAG 07.05.2000 - a.a.O. unter II. 2. c) dd) der Gründe mit zahlreichen weiteren Nachweisen zum Schrifttum). Die tarifliche und gesetzliche Entwicklung der Zulagenregelungen ist in der Vergangenheit in Wesentlichen parallel verlaufen. Die von dem beklagten Land herausgestellten terminologischen und systematischen Unterschiede, wonach tariflich eine überwiegende Beschäftigung und beamtenrechtlich die Prägung des Dienstpostens vorausgesetzt wird, ändern nichts an der gemeinsamen Zweckrichtung; beide Vorschriften sind deshalb gleich auszulegen. Die Tarifvertragsparteien wollten für Angestellte eine entsprechende Rechtslage schaffen, was zumindest indiziell auch dadurch deutlich wird, dass die Vollzugszulage jeweils den Erhöhungen im Besoldungsrecht angeglichen worden ist, zuletzt aufgrund des Änderungstarifvertrages Nr. 16 mit. Wirkung ab 01.03.1997.

Der Zulagenzweck ist somit auch dann erfüllt, wenn sich ein Angestellter (z. B. ein Sozialarbeiter oder Arzt) außerhalb einer geschlossenen Abteilung mit Probanden beschäftigt. Er ist bei dieser Tätigkeit nicht nur in seiner persönlichen Bewegungsfreiheit beeinträchtigt, weil er den straffällig gewordenen Probanden nicht alleine lassen darf. Von ihm wird in diesen Situationen - sogar in besonderem Maße - erhöhte Wachsamkeit verlangt. Ein Ausbruchsversuch, der innerhalb des abgeschlossenen Bereichs weitgehend aussichtslos ist, weil der Proband die verschlossenen Türen nicht passieren kann, ist im Bereich des allgemeinen Krankenhauses von ungleich größerer Chance. Angesichts der gesteigerten Möglichkeit eines Ausbruchs dürften sich auch die Risiken erhöhen. Jedenfalls wird vom Kläger innerhalb wie außerhalb des abgeschlossenen Bereichs erwartet, dass er sofort reagiert, um Übergriffe und Ausbruchsversuche zu vereiteln, wobei er psychisch wie physisch schwierigen und gefährlichen Situationen ausgesetzt sein kann.

cc)

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze erfüllt der Kläger die Voraussetzungen des § 6 TV Allg. Zulage nicht.

Nach den über einen Zeitraum von vier Wochen (10.09. bis 12.10.2001) geführten und mit Schriftsatz vom 15.11.2001 ausgewerteten Protokollen ist er bei einer erfassten Gesamtarbeitszeit von 9.315 Minuten lediglich 3.600 Minuten und damit unterhalb der Hälfte (38,6 %) seiner Arbeitszeit mit Tätigkeiten befasst, die in geschlossenen Stationen oder mit direktem Patientenkontakt zu leisten sind. Entgegen der Auffassung des Klägers können die weiteren Zusammenhangstätigkeiten im Umfang von 1.720 Minuten (= 18,5 %), die er weder in geschlossenen Stationen noch mit Probanden dieser Stationen leistet, nicht berücksichtigt werden. Die Dokumentation wird von beiden Parteien als ausreichend repräsentativ angesehen und kann deshalb der Feststellung zugrunde gelegt werden. Die Erfassungsmethode hat der Kläger mit dem Chefarzt Dr. H abgestimmt, der die inhaltliche Richtigkeit der Aufzeichnungen durch seine Unterschrift bestätigt hat.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Tarifauslegung zuzulassen.

Ende der Entscheidung

Zurück