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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschluss verkündet am 06.03.2007
Aktenzeichen: 11 TaBV 101/06
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 94 Abs. 2
1. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 94 Abs. 2 letzter Halbs. BetrVG bei der Aufstellung von Beurteilungsgrundsätzen setzt nicht notwendig voraus, dass die vom Arbeitgeber angewandten allgemeinen Grundsätze schriftlich verkörpert sind. Es genügt, wenn der Arbeitgeber auf der Grundlage von formularmäßig erhobenen Leistungsdaten regelmäßig gegenüber Arbeitnehmern Rügen oder Belobigungen ausspricht, ohne die Kriterien dafür betrieblich offenzulegen.

2. Bei einem Verstoß des Arbeitgebers gegen § 94 Abs. 2 BetrVG steht dem Betriebsrat ein Unterlassungsanspruch zu. Dieser betrifft bereits das Erheben der Leistungdaten durch den Arbeitgeber.


LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

11 TaBV 101/06

In dem Beschlussverfahren

hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgericht Niedersachsen aufgrund der Anhörung am 6. März 2007 durch

den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Voigt, den ehrenamtlichen Richter Herrn Uphaus, den ehrenamtlichen Richter Herrn Heyer beschlossen:

Tenor:

Auf die Anschlussbeschwerde des Beteiligten zu 1) wird unter teilweiser Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Hannover vom 15.09.2006 - 13 BV 13/04 - der Beteiligten zu 2) untersagt, ohne Zustimmung des Betriebsrates bzw. Ersetzung der Zustimmung durch Entscheidung der Einigungsstelle von Beschäftigten im Verkauf zu verlangen, dass diese ihre täglichen Umsätze, gegliedert nach

- Kaufvertragsnummer

- Artikelbezeichnung

- Werbung

- Einzelpreise

- Lieferantennummer

- Anzahlung und Finanzierung

dem Hausleiter zu melden und die schriftlichen Umsatzmeldungen auszuhändigen haben.

Die weitergehende Anschlussbeschwerde wird zurückgewiesen.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darum, ob die Arbeitgeberin berechtigt ist, von den bei ihr beschäftigten Verkäuferinnen und Verkäufern eine arbeitstägliche Dokumentation der getätigten Umsätze zu verlangen und diese zur Grundlage individualrechtlicher Maßnahmen gegenüber den Arbeitnehmern zu machen. Die Beteiligte zu 2) betreibt in A-Stadt einen großen Möbeleinzelhandel. Im Verkauf werden etwa 100 Arbeitnehmer beschäftigt, die Vergütung nach einem Provisionssystem erhalten, das durch Betriebsvereinbarung geregelt ist.

Eine Betriebsvereinbarung vom 05.08.1998 (Bl. 33 - 35 d.A.) regelt Datenverarbeitung und Datenschutz an Bildschirmarbeitsplätzen einschließlich der Kassen. In Ziff. 3 dieser Betriebsvereinbarung ist detailliert geregelt, welche statistischen Daten bezüglich der Verkäufer die Geschäftsleitung nutzen und auswerten darf (sog. Verkäuferstatistiken vgl. Bl. 264 - 269 d.A.). In Ziff. 3.1 heißt es dort, dass aus den computergestützt gewonnenen statistischen Angaben keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen zum Nachteil des Verkäufers/der Verkäuferin gezogen werden dürfen. Die Betriebsvereinbarung ist vom Arbeitgeber unter dem 24.10.2005 gekündigt worden (Bl. 131 d.A.); eine Neuregelung ist bisher nicht erfolgt.

Neben den EDV-technisch gewonnenen Daten wurden in der Vergangenheit abteilungsbezogen in Formularen die kumulierten Umsätze jedes Verkäufers handschriftlich erfasst, ferner dazu Angaben bezüglich Kundenansprache, Beratungen, Abschlüsse usw. gemäß "... Umsatzoptimierungsprogramm" (Bl. 5 u. 6 d.A.). Bei der Erstellung der entsprechenden Formulare war der Betriebsrat nicht beteiligt worden. Ab August 2004 wies die Beteiligte zu 2) einzelne Arbeitnehmer schriftlich an, ihre täglichen Umsätze in einem neu vorgegebenen Formular - vom Arbeitgeber als Umsatzmatrix bezeichnet - einzutragen und jeden Abend der Hausleitung auszuhändigen. Als Rubriken waren darin vorgesehen Kaufvertragsnummer, Artikelbezeichnung, Werbung, Einzelpreise, Lieferantennummer, Anzahlung, Finanzierung (Bl. 7 - 8 d.A.). Zur Zeit der Einleitung des vorliegenden Verfahrens im September 2004 erging diese Weisung an etwa 8 Verkäufer, inzwischen ist die Zahl auf rund 30 angestiegen. Die praktische Handhabung hat sich dergestalt geändert, dass die Aufstellungen zwar weiter für jeden Tag erstellt, aber nur noch einmal monatlich abgeliefert werden müssen (Schreiben der Bet. zu 2. vom 21.6.05 - Bl. 83 d.A.).

Zumindest seit dem Jahr 2002 hat die Arbeitgeberin in persönlichen Anschreiben einzelne Mitarbeiter sowohl wegen guter Leistungen belobigt als auch wegen schlechter Leistungen kritisiert (vom Betriebsrat als "Lobesbriefe" und "Drohbriefe" bezeichnet, vgl. Bl. 36 - 40 d.A.). Daneben führt der Hausleiter persönliche Gespräche mit den Mitarbeitern über deren Umsatzdaten. Seit dem Jahr 2004 hat die Arbeitgeberin an mehrere Mitarbeiter Abmahnungen wegen zu geringer Leistungen erteilt (vgl. Herr P. Bl. 69 - 71, Frau K. Bl. 73 - 74, Herr K. Bl. 127 - 128 d.A.), die zum Teil aufgrund arbeitsgerichtlicher Entscheidungen wieder entfernt werden mussten.

Der antragstellende Betriebsrat nimmt ein Mitbestimmungsrecht unter mehreren rechtlichen Gesichtspunkten in Anspruch. Zum einen handele es sich bei der Anordnung um eine Regelung der betrieblichen Ordnung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Ferner ergebe sich aus dem Zusammenhang zwischen der Erfassung bestimmter Verkaufsdaten und den anschließenden Maßnahmen gegenüber einzelnen Arbeitnehmern, dass hier Beurteilungsgrundsätze im Sinn des § 94 Abs. 2 BetrVG aufgestellt worden seien, ohne den Betriebsrat zu beteiligen. Schließlich verstoße die Auswertung der Leistungsdaten, soweit sie in Relation zu den Gesamtumsätzen gesetzt werde, gegen das Verwertungsverbot aus der Betriebsvereinbarung vom 05.08.1998.

Der Beteiligte zu 1) hat beantragt,

1. der Antragsgegnerin zu untersagen, ohne Zustimmung des Betriebsrates bzw. der Ersetzung der Zustimmung durch Entscheidung der Einigungsstelle von Beschäftigten im Verkauf zu verlangen, dass diese ihre täglichen Umsätze gegliedert nach

- Kaufvertragsnummer

- Artikelbezeichnung

- Werbung

- Einzelpreise

- Lieferantennummer

- Anzahlung und Finanzierung

dem Hausleiter Herrn H. jeden Abend zu melden haben und die schriftlichen Umsatzmeldungen auszuhändigen haben,

2. hilfsweise zu untersagen, die von den Beschäftigten im Verkauf gemäß dem Hauptantrag gemeldeten Umsätze bis zu einer Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat oder Entscheidung einer Einigungsstelle zur Grundlage von individualrechtlichen Maßnahmen zu nehmen.

Die Beteiligte zu 2) hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Sie hat vorgetragen, sowohl die individuellen Umsatzzahlen als auch die Vergleichszahlen über den Abteilungsumsatz seien jedenfalls seit August 2004 per Hand ermittelt worden. Lediglich in der Zeit davor sei insoweit auf die Angaben aus der EDV zurückgegriffen worden (vgl. Umsatzübersichten Mitarbeiter P. vom 21.6.2004 Bl. 68 d.A.; vom 10.1.05 Bl. 72 d.A.). Es handele sich um gezielte einzelne Maßnahmen zur Kontrolle des Leistungsverhaltens der Arbeitnehmer. Eine Mitbestimmungspflicht sei unter keinem rechtlich erdenklichen Gesichtspunkt gegeben. Im Hinblick auf § 94 Abs. 2 BetrVG fehle gerade die Vorgabe von Vergleichsmaßstäben. Auch ein Zusammenhang zwischen der Umsatzerfassung und den Lob- bzw. Mahnbriefen bestehe nicht. Tatsächlich hätten nur die Hälfte der von der Anordnung betroffenen Mitarbeiter einen Brief erhalten (Übersicht Schriftsatz vom 21.3.2005 - Bl. 45 d.A.). Diese Schreiben stellten auch rechtlich kein "Sanktion" dar.

Das Arbeitsgericht Hannover hat mit Beschluss vom 15.09.2006 den Hauptantrag abgewiesen und dem Hilfsantrag stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Anordnung sei nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig, da sie das Arbeits- und Leistungsverhalten, aber nicht das Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer im Betrieb berühre. Auch ein Mitbestimmungsrecht nach § 94 Abs. 2 BetrVG scheide aus, da die dokumentierten Umsätze lediglich die Grundlage für eine Leistungsbeurteilung sein könnten, selbst aber noch nicht die Beurteilungsgrundsätze darstellten. Die Anordnung stelle sich (noch) als Konkretisierung der den Arbeitnehmern obliegenden Arbeitsleistung dar. Es sei jedoch der Beteiligten zu 2) nach § 94 Abs. 2 BetrVG verwehrt, die einzelnen gewonnen Daten als Grundlage für die Beurteilung von Arbeitnehmern zu machen. Das Versenden der "Drohbriefe" als auch der "Lobesbriefe" sowie die Erteilung von Abmahnungen zeige, dass die Arbeitgeberin bei der Verwendung der erlangten Umsätze allgemeine Beurteilungsgrundsätze aufstelle.

Gegen diesen ihr am 27.09.2006 zugestellten Beschluss hat die Beteiligte zu 2) am 27.10.2006 Beschwerde eingelegt und diese zugleich begründet. Der Antragsteller hat am 13.11.2006 Anschlussbeschwerde eingelegt.

Die Beteiligte zu 2) verteidigt den angefochtenen Beschluss insoweit, als er ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG verneint hat. Das Vorliegen eines Mitbestimmungsrechtes nach § 94 Abs. 2 BetrVG habe das Arbeitsgericht aber rechtsfehlerhaft angenommen. Gerade die Beurteilung des Arbeitnehmers im Einzelfall unterliege nicht dem Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates. Materielle Beurteilungsmerkmale, die für eine Vielzahl von Arbeitnehmern gelten sollten und ein entsprechendes Beurteilungsverfahren gebe es im Hause der Beteiligten zu 2) gerade nicht. Die in einigen Schriftstücken genannte "30-%-Grenze" habe nicht die Beteiligte zu 2) als Kriterium der Minderleistung aufgestellt, sondern gebe lediglich die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wieder. Im übrigen gelte das Mitbestimmungsrecht des § 94 Abs. 2 BetrVG nicht für die Verwendung von Daten, die bereits den Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG und § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG erfüllten.

Die Beteiligte zu 2) und Beschwerdeführerin beantragt,

1. den Beschluss des Arbeitsgerichts Hannover vom 15.09.2006 - 13 BV 13/04 - abzuändern

2. die Anträge des Beteiligten zu 1) zurückzuweisen.

Der Antragsteller und Anschlussbeschwerdeführer beantragt,

die Beschwerde der Beteiligten zu 2) zurückzuweisen und

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Beschlusses der Antragsgegnerin zu untersagen, ohne Zustimmung des Betriebsrats bzw. Ersetzung der Zustimmung durch Entscheidung der Einigungsstelle von Beschäftigten im Verkauf zu verlangen, dass diese ihre täglichen Umsätze gegliedert nach

- Kaufvertragsnummer

- Artikelbezeichnung

- Werbung

- Einzelpreise

- Lieferantennummer

- Anzahlung und Finanzierung

dem Hausleiter jeden Abend zu melden haben und die schriftlichen Umsatzmeldungen auszuhändigen haben.

Die Beteiligte zu 2) beantragt,

die Anschlussbeschwerde zurückzuweisen.

Der Antragsteller ist der Ansicht, die Verpflichtung, beim Hausleiter "Rechenschaft abzulegen", gehöre nicht zu den arbeitsvertraglichen Hauptpflichten und sei daher dem Ordnungsverhalten zuzuordnen. Es liege insoweit auch ein kollektiver Tatbestand vor. Betriebliche Belange bestünden insoweit jedenfalls nicht, da die betrieblich erforderlichen Daten auch dem Warenwirtschaftssystem entnommen werden könnten.

Er hält die Behauptung aufrecht, die Vergleichsdaten würden nach wie vor unter Verstoß gegen die Betriebsvereinbarung vom 05.08.1998 dem DV-System Moewe 400 entnommen.

Ferner hat der Antragsteller zur Dokumentation der Behauptung, dass die erteilten Abmahnungen auf den umstrittenen Umsatzmeldungen beruhen, ein Gesprächsprotokoll vom 30.03.2006 vorgelegt (Bl. 236 - 239 d.A.) sowie eine interne Mitteilung des Geschäftsführers der ..., Herrn F. vom 16.06.2005, die unter anderem an den Geschäftsführer der Beteiligten zu 2) gerichtet ist (Bl. 240 - 241 d.A.). Darin heißt es unter anderem: "In unserem Gesprächen über Umsatzleistungen in den Häusern sind die Hausleiter angewiesen worden, dass bei Umsatzbeurteilungen schlechter 4 (Note 5 und 6) Kritikgespräche durchzuführen sind". Weiter heißt es darin: "Dies setzt voraus:

1. Dass das Monitoring in allen Häusern, in allen Abteilungen, tatsächlich durchgeführt wird (nicht nur vordergründig formal sondern inhaltlich!).

2. Dass das Monitoring systematisch ausgewertet wird.

3. Dass bei allen Mitarbeitern mit einer unterdurchschnittlichen Leistung die Ergebnisse aus dem Monitoring in das Fördergespräch bei Note 4, bzw. in das Kritikgespräch bei Noten 5 und 6, einfließt.

...

Um den gewünschten Erfolg in unserer Personalenwicklung bei Schlechtleistern erzielen zu können, bitten wir Sie, das beschriebene Vorgehen noch einmal anzuweisen und die Umsetzung sicherzustellen."

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Protokollerklärungen Bezug genommen.

II.

Beschwerde und Anschlussbeschwerde sind zulässig. Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) ist unbegründet, die Anschlussbeschwerde des Antragstellers ist begründet. Die Anweisung zur individuellen Erfassung der Umsatzleistungen in Verbindung mit der daran anschließenden leistungsbezogenen Auswertung ist mitbestimmungspflichtig nach § 94 Abs. 2 BetrVG.

1.

Die Anweisung an Arbeitnehmer, ihre tägliche Verkaufsleistung nach bestimmten Rubriken aufgegliedert aufzulisten, ist nicht mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme nach dieser Vorschrift liegt nicht vor bei Maßnahmen des Arbeitgebers, die zwar das Verhalten der Arbeitnehmer betreffen, aber keinen Bezug zur betrieblichen Ordnung, d.h. zum Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer im Betrieb haben. Dies hat das Bundesarbeitsgericht mehrfach entschieden im Hinblick auf die Verwendung von Formularen (zur Erfassung der Arbeitszeit: etwa Beschluss vom 24.11.1981 - 1 ABR 108/97 - AP § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes Nr. 3; Beschluss vom 09.12.1980 - 1 ABR 1/78 - AP § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes Nr. 2; für Arztbesuche: Beschluss vom 21.01.1997 - 1 ABR 53/96 - AP § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes Nr. 27). Das Bundesarbeitsgericht hat dazu klargestellt, dass die Überwachung der Arbeitnehmer kein Tatbestandsmerkmal der Nr. 1 sei. Dies Merkmal findet sich allein in § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Beim handschriftlichen Ausfüllen von Formularen fehlt es jedoch an einer technischen Einrichtung (vgl. dazu BAG vom 18.4.00 - 1 ABR 22/99 NZA 00, 1176).

2.

Das angeordnete Ausfüllen der Formulare und deren anschließende Auswertung stellt aber insgesamt allgemeine Beurteilungsgrundsätze im Sinne des § 94 Abs. 2, 2. Halbs. BetrVG auf. Allgemeine Beurteilungsgrundsätze im Sinne dieser Vorschrift sind Regelungen, die die Bewertung des Verhaltens oder der Leistung eines oder mehrerer bestimmter Arbeitnehmer verobjektivieren und nach einheitlichen, für die Beurteilung jeweils erheblichen Kriterien ausrichten sollen. Mit ihnen soll ein einheitliches Vorgehen bei der Beurteilung und ein Bewerten nach einheitlichen Maßstäben ermöglicht und so erreicht werden, dass Beurteilungsergebnisse miteinander vergleichbar sind (BAG Beschluss vom 23.10.1984 - 1 ABR 2/83 - AP § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes Nr. 8; Beschluss vom 18.04.2000 - 1 ABR 22/99 - NZA 2000, 1176). Wie bei dem Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist auch hier eine Abgrenzung vorzunehmen zu mitbestimmungsfreien Maßnahmen, mit denen allein die Erfüllung der Arbeitsaufgaben der Mitarbeiter kontrolliert werden soll (etwa BAG vom 23.10.84 - 1 ABR 2/83 aaO.).

Zwar stellt im Bereich der Entgeltfindung § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG die vorrangige speziellere Vorschrift dar (Richardi/Thüsing BetrVG 10. Aufl. § 94 Rn. 58). Diesbezüglich haben die Beteiligten auch eine besondere Betriebsvereinbarung über die Provisionsregelungen abgeschlossen. Die im vorliegenden Verfahren streitigen Maßnahmen betreffen aber die Entgeltfindung nicht.

Ein erster Schritt der Objektivierung und Vergleichbarmachung bei der Leistungsbeurteilung liegt bereits darin, dass die Arbeitgeberin in dem Formular sechs Kategorien vorgibt, die auszufüllen sind. Die Aufstellung dieser Kategorien enthält zugleich umgekehrt die Aussage, dass das persönliche Verhalten des Arbeitnehmers, etwa Sozialverhalten gegenüber Kollegen, Kundenansprache, Eigeninitiative, Pflege des Arbeitsbereiches usw. - einschließlich des dafür erbrachten Zeitaufwandes - als Bewertungskriterien nicht vorgesehen sind.

Zielrichtung dieser Datenerhebung ist, wie sich aus den eigenen Erläuterungen der Arbeitgeberin ergibt, die Bewertung des Leistungsverhaltens der Arbeitnehmer. Die objektiven Verkaufszahlen liegen in der EDV-mäßig erfassten Kassenstatistik ohnehin vor. Die Betriebsvereinbarung darüber lässt auch eine statistische Auswertung bezogen auf einzelne Arbeitnehmer zu. Auch für die umsatzbezogenen Provisionsanteile der Vergütung liegen die entsprechenden Umsatzzahlen vor. Die Beteiligte zu 2) hat aber in dem Verfahren selbst erläutert, dass aufgrund des Verbotes individualrechtlicher Maßnahmen in Ziffer 3.1 der Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 1998 die gesonderte manuelle Erfassung von Leistungsdaten erforderlich sei. Daraus ergibt sich, dass die Zielrichtung der Maßnahme sich nicht darauf beschränkt, aus betrieblichen Gründen Verkaufsdaten zu erfassen, sondern das Leistungsverhalten einer größeren Zahl von Beschäftigten, inzwischen etwa 1/3 der Verkäufer systematisierend zu vergleichen und daraus im Rahmen der Personalführung positive und negative Schlussfolgerungen und Maßnahmen abzuleiten. Die Beteiligte zu 2) setzt ein gestuftes Instrumentarium ein, nämlich Personalgespräche, positive und negative Briefe in standardisierter Form und Abmahnungen.

Die Beteiligte zu 2) hat sich darauf berufen, dass gerade formalisierte Grundsätze einer vergleichenden Beurteilung aller Mitarbeiter nicht feststellbar seien. Vielmehr handele es sich jeweils um Einzelmaßnahmen gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern. Tatsächlich sind in dem Verfahren keine schriftlich verkörperten allgemeinen Grundsätze betreffend der Auswertung der erfassten Leistungsdaten vorgelegt worden. In der Literatur ist streitig, inwieweit der Mitbestimmungstatbestand des § 94 Abs. 2 BetrVG notwendig voraussetzt, dass die maßgeblichen Grundsätze in Schriftform gefasst sind (so GK-BetrVG/Kraft/Raab 8. Aufl. § 94 Rn. 46; anders Richardi/Thüsing BetrVG § 94 Rn. 70). Für ein solches Verständnis kann sprechen, dass die Regelung des § 94 Abs. 2, 2. Halbs. BetrVG über Beurteilungsgrundsätze an die Personalfragebögen in § 94 Abs. 1 BetrVG und Arbeitsvertragsformulare in § 94 Abs. 2, 1. Halbs. BetrVG anknüpft. Andererseits würde eine derartige strenge Anforderung den Mitbestimmungstatbestand des § 94 Abs. 2 BetrVG in der praktischen Bedeutung erheblich einschränken, wenn der Arbeitgeber zwar einheitlich Beurteilungsgrundsätze anwendet, diese aber nicht fixiert oder nicht kundtut. So ist vorliegend festzustellen, dass die Beteiligte zu 2) als Ergebnis der jeweiligen Auswertungen an die einzelnen Verkäuferinnen und Verkäufer lobende bzw. mahnende Briefe verschickt. Zwar reicht das Versenden dieser Briefe ausweislich der vorgelegten Beispielexemplare schon in die Zeit vor der streitgegenständlichen Anweisung zur Ausfüllung der Leistungsformulare zurück. Umgekehrt erhalten auch nach Angaben des Betriebsrats Arbeitnehmer derartige Briefe, denen eine gesonderte Leistungserfassung nicht auferlegt wurde. Es besteht aber jedenfalls seit dem Jahr 2004 ein innerer Zusammenhang zwischen den Tagesmeldungen der betroffenen Verkäuferinnen und Verkäufer und der Versendung der entsprechenden Schreiben durch die Arbeitgeberin dergestalt, dass die Arbeitgeberin auf Grundlage der gewonnenen Daten konkrete Maßnahmen nach einheitlichem Muster ergreift. Darauf hat auch das Arbeitsgericht zutreffend abgestellt. Dabei erfasst § 94 Abs. 2, 2. Halbs. BetrVG nicht nur Maßnahmen, die als "Sanktion" zu bezeichnen wären.

Aus der gegliederten Erfassung der Tagesleistung der Mitarbeiter und den daran anknüpfenden einheitlichen Personalführungsmaßnahmen muss ferner zwangsläufig geschlossen werden, dass die Beteiligte zu 2) die erfassten Daten tatsächlich systematisch und vergleichend auswertet. Auch wenn die Beteiligte zu 2) insoweit die von ihr maßgeblich zugrundegelegten Kriterien nicht offen legt genügen diesen Feststellungen gleichwohl, um anzunehmen, dass der Mitbestimmungstatbestand des § 94 Abs. 2 BetrVG erfüllt ist. Darüber hinaus hat der Betriebsrat erstmalig in der Beschwerde ein vertrauliches Rundschreiben des Leiters der ..., der zentralen Leitung, vorgelegt. Dies ist unter anderem an den Geschäftsführer der Beklagten gerichtet. Darin kommt eindeutig zum Ausdruck, dass auf der Grundlage der Umsatzzahlen Notenstufen gebildet werden und bei den Stufen schlechter als 4 personelle Maßnahmen zu ergreifen seien. Weiter heißt es darin, dass entsprechende Handlungsanweisungen an die jeweiligen Hausleitungen ergangen seien. Zu diesem Schriftstück hat die Beteiligte zu 2) schriftsätzlich überhaupt nicht Stellung genommen. In der mündlichen Anhörung hat sie jedenfalls keine konkreten Angaben gemacht, die die Eindeutigkeit des Dokuments ausgeräumt haben. Insbesondere von dem im Termin anwesenden Geschäftsführer der Beteiligten zu 2), der Empfänger dieses Rundschreibens gewesen ist, wäre insoweit eine eindeutige inhaltliche Erklärung zu erwarten gewesen. Die Festlegung von Notenstufen auf der Basis der gemeldeten Umsatzzahlen erfüllt aber zweifelsfrei die Anforderungen einer verobjektivierten Vergleichbarmachung der Mitarbeiter.

Das Mitbestimmungsrecht des § 94 Abs. 2 BetrVG erfasst vom Umfang her nicht nur die Aufstellung der Beurteilungsgrundsätze als solcher, sondern auch die dazugehörige verfahrensmäßige Ausgestaltung (Richardi/Thüsing BetrVG § 94 Rn. 65; Fitting BetrVG 23. Aufl. § 94 Rn. 30). Das bedeutet, dass - weitergehend als das Arbeitsgericht angenommen hat - bereits die Erhebung der Daten zum Zweck der systematischen Auswertung unter den Mitbestimmungstatbestand fällt.

Die Beteiligte zu 2) macht ferner geltend, dass mitbestimmungspflichtig alleine die Aufstellung der Beurteilungsgrundsätze, nicht aber deren Anwendung im Einzelfall sei. Dies entspricht der überwiegenden Meinung zu § 94 Abs. 2, 2. Halbs. BetrVG (GK-BetrVG/Kraft/Raab § 94 Rn. 47; Fitting BetrVG § 94 Rn. 28; ErfK/Kania 6. Aufl. § 94 BetrVG Rn. 4). Im vorliegenden Verfahren geht es aber gerade nicht um die Anwendung wirksam zustande gekommener Beurteilungsrichtlinien im Einzelfall, sondern darum, ob die Beteiligte zu 2) die Datenerhebung zum Zweck einheitlicher Beurteilung überhaupt durchführen darf.

Ob die Vergleichsdaten unter Verstoß gegen die Betriebsvereinbarung vom 5.8.1998 gewonnen wurden und oder werden, ist danach nicht mehr entscheidungserheblich.

3.

Der Betriebsrat kann die Unterlassung der mitbestimmungswidrig durchgeführten Erhebung der Tagesmeldungen verlangen. Es kann dahinstehen, ob angesichts der inzwischen mehrjährigen Handhabung und der großen Zahl der betroffenen Arbeitnehmer ein grober Verstoß des Arbeitgebers gegen betriebsverfassungsrechtliche Vorschriften im Sinn des § 23 Abs. 3 BetrVG vorliegt. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann jedenfalls bei Zuwiderhandlungen gegen die Mitbestimmungstatbestände der §§ 87 Abs. 1 und 95 Abs. 1 BetrVG der Betriebsrat die Unterlassung der zukünftigen Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte verlangen (Beschluß vom 3.5.94 - 1 ABR 24/93 - AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972; vom 26.7.05 - 1 ABR 20/04 - AP Nr. 43 zu § 95 BetrVG 1972). Andererseits kennt das Betriebsverfassungsgesetz einen allgemein ausgestalten Unterlassungsanspruch des Betriebsrates nicht. Es ist konkret auf den jeweiligen Mitbestimmungstatbestand bezogen zu prüfen, inwieweit ausreichender Rechtsschutz dadurch gewährleistet ist, dass der einzelne betroffene Mitarbeiter die Unwirksamkeit der Maßnahme geltend machen kann (dazu etwa Fitting BetrVG 23. Aufl. § 94 Rn. 34 f.; Richardi/Thüsing BetrVG § 94 Rn. 71 f.). Aufgrund der strukturellen Nähe zu den §§ 87 und 95 BetrVG ist ein von den Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG unabhängiger Unterlassungsanspruch aber auch für den Fall von Beurteilungsgrundsätzen nach § 94 Abs. 2 BetrVG zu bejahen (ebenso ErfK/Kania § 94 Rn. 4; GK-BetrVG/Kraft/Raab § 94 Rn. 58; Hess. LAG vom 5.7.01 - 5 TaBV 153/00 - DB 01, 2254).

4.

Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 92 Abs. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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