Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 14.11.2006
Aktenzeichen: 12 Sa 773/06
Rechtsgebiete: BAT, EfzG, ArbGG


Vorschriften:

BAT § 15 Abs. 6 a Unterabsatz 2
BAT § 15 Abs. 6 a Unterabsatz 3
BAT § 37
BAT § 37 Abs. 2 Satz 1
BAT § 47
BAT § 47 Abs. 2
BAT § 47 Abs. 2 Satz 2
EfzG § 3
EfzG § 3 Abs. 1
EfzG § 4
EfzG § 4 Abs. 1
EfzG § 4 Abs. 1 a
EfzG § 4 Abs. 4
ArbGG § 64 Abs. 2 a)
ArbGG § 64 Abs. 2 b)
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

12 Sa 773/06

In dem Rechtsstreit

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 14. November 2006 durch

den Richter am Arbeitsgericht Walkling, den ehrenamtlichen Richter Herrn Deichmüller, den ehrenamtlichen Richter Herrn Kehr für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 22.03.2006 - 3 Ca 493/05 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, dem Arbeitszeitkonto des Klägers acht Stunden gutzuschreiben.

Auf Basis des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 29.06.1993 ist der Kläger seit dem 01.08.1993 zunächst beim Landkreis A. als vollbeschäftigter Angestellter beschäftigt gewesen. Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinbarung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung. Außerdem finden die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung (Bl. 67 d. A.).

Das Arbeitsverhältnis des Klägers mit dem Landkreis A. ist auf die jetzige Beklagte übergegangen, ohne dass die Parteien einen neuen Arbeitsvertrag abgeschlossen haben.

Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus. Der Kläger wird dort regelmäßig zu ca. fünf Bereitschaftsdiensten pro Monat eingeplant. Die Lage der Bereitschaftsdienste bestimmt sich nach einem monatsweise im Voraus erstellten Dienstplan. Darin fest eingeplant sind sowohl die Bereitschaftsdienste als auch der dafür zu gewährende Freizeitausgleich.

Der für Februar 2005 erstellte Dienstplan sah für den Kläger für den 16.02.2005 einen Bereitschaftsdienst vor. Am 16.02.2005 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt und konnte den Bereitschaftsdienst deshalb nicht ableisten. Dennoch stellte die Beklagte zu Lasten des Klägers für den 17.02.2005 acht Arbeitsstunden als "Freizeitausgleich" zum Soll. Mit Rundschreiben vom 28.02.2005 teilte die Beklagte den Beschäftigten ihren Rechtsstandpunkt mit, wonach der krankheitsbedingte Ausfall von Bereitschaftsdiensten zu Minusstunden auf den Arbeitszeitkonten führen müsse (Bl. 6 d. A.). Mit Schreiben vom 27.04.2005 verlangte der Kläger die Gutschrift von acht Stunden wegen des am 16.02.2005 krankheitsbedingt ausgefallenen Bereitschaftsdienstes (Bl. 5 d. A.) Diesen Anspruch verfolgt der Kläger mit der am 10.08.2005 bei Gericht eingegangenen Leistungsklage weiter.

Der Kläger hat vorgetragen, dass das Vorgehen der Beklagten sowohl gegen § 47 Abs. 2 BAT als auch gegen die § 3 und 4 Entgeltfortzahlungsgesetz verstoße. Die Beklagte versuche in rechtswidriger Weise ihre Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung zu unterlaufen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, dem Arbeitszeitkonto des Klägers acht Stunden gutzuschreiben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, dass es sich bei dem Bereitschaftsdienst nicht um Arbeitszeit handele. Insbesondere vergütungsrechtlich stehe es dem Arbeitgeber frei, diese Zeiten auch anders zu bewerten. So gelte auch im Beamtenrecht, dass nicht geleistete Mehrarbeit jeglicher Art ohne Rücksicht auf die Ursache ihres Ausfalls nicht als Arbeitszeit angerechnet oder entschädigt werde.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass es sich bei den fraglichen Bereitschaftsdiensten um regelmäßige Arbeitszeit im Sinne von § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz handele. Im Falle des Ausgleiches von Bereitschaftsdiensten durch Freizeitausgleich erstrecke sich das Lohnausfallprinzip auch auf den Stand des für den Arbeitnehmer geführten Arbeitszeitkontos. Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat das Arbeitsgericht die Berufung zugelassen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 22.03.2006 ist der Beklagten am 13.04.2006 zugestellt worden. Hiergegen hat die Beklagte mit am 08.05.2006 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 13.06.2006 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagte beruft sich darauf, dass das Bundesarbeitsgericht auch in der zeitlichen Nachfolge der SIMAP-Entscheidung des EuGH klargestellt habe, dass dem Bereitschaftsdienst unter den als Arbeitszeit zu betrachtenden Leistungen des Arbeitnehmers ein besonderer Charakter zukomme und eine rechtliche Differenzierung zwischen der regulären arbeitsvertraglichen Arbeitszeit und dem Bereitschaftsdienst zulässig sei. Es handele sich bei den Bereitschaftsdiensten nicht um regelmäßige Arbeitszeiten im Sinne von § 4 Entgeltfortzahlungsgesetz. Zudem lasse sich weder dem Entgeltfortzahlungsgesetz noch den einschlägigen Vorschriften des BAT ein Anspruch auf Arbeitszeitgutschrift wegen ausgefallener Bereitschaftsdienste entnehmen. Ein etwaiger Anspruch des Klägers auf Vergütung eines krankheitsbedingt ausgefallenen Bereitschaftsdienstes führe nicht zwingend zu einem entsprechenden Anspruch auf Freizeitausgleich.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 22.03.2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger trägt vor, dass sich der Anspruch auf entsprechende Arbeitszeitgutschrift unmittelbar aus den §§ 37 Abs. 2 Satz 1 BAT i. V. m. § 47 Abs. 2 BAT ergebe. Dort sei ausdrücklich geregelt, dass in den Aufschlag nach § 47 Abs. 2 Satz 2 BAT auch die Vergütungen für Bereitschaftsdienste des vorangegangenen Kalenderjahrs einzubeziehen seien. Sofern der Arbeitgeber Bereitschaftsdienste nicht auszahle, sondern Freizeitausgleich gewähre, müsse dieser auch für krankheitsbedingt ausgefallene und damit vergütungspflichtige Bereitschaftsdienste bei der Bemessung des Arbeitszeitkontos berücksichtigt werden.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und insgesamt zulässig. Trotz Nichterreichung des Wertes des Beschwerdegegenstandes nach § 64 Abs. 2 b) ArbGG ergibt sich die Statthaftigkeit der Berufung aus § 64 Abs. 2 a) ArbGG, da das Arbeitsgericht die Berufung in seiner Entscheidung vom 22.03.2006 ausdrücklich zugelassen hat.

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

1.

Der Kläger hat aus seinem Arbeitsvertrag i.V.m. §§ 37 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 2 BAT einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihm für den am 16.02.2005 krankheitsbedingt ausgefallenen Bereitschaftsdienst acht Stunden als Freizeitausgleich seinem Arbeitszeitkonto gutschreibt. Da die Parteien mit Arbeitsvertrag vom 29.06.1993 die Anwendbarkeit des BAT und seiner Nachfolgetarifverträge vereinbart haben, muss die Beklagte den Kläger nach Maßgabe dieser tariflichen Vorschriften behandeln und seine Arbeitszeit entsprechend abrechnen. Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urt. v. 28.01.2004, 5 AZR 530/02, EzA § 611 BGB 2002 Arbeitsbereitschaft Nr. 2) in der zeitlichen Nachfolge der SIMAP-Entscheidung des EuGH (Urt. v. 03.10.2000, C-303/98, EzA § 7 ArbZG Nr. 1) eröffnet den Arbeitsvertrags- oder Tarifvertragsparteien die Möglichkeit, eine unterschiedliche Bewertung und Bezahlung von Bereitschaftsdiensten im Gegensatz zur regulären Arbeitszeit zu vereinbaren. Im vorliegenden Fall gibt es im BAT eine solche Vereinbarung an die sich die Beklagte nur zu halten braucht.

Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 BAT erhält der Angestellte bis zur Dauer von sechs Wochen Krankenbezüge in Höhe der Urlaubsvergütung, die ihm zustehen würde, wenn er Erholungsurlaub hätte. Nach § 47 Abs. 2 BAT werden als Urlaubsvergütung die Vergütung (§ 26 BAT) und die Zulagen, die in Monatsbeträgen festgelegt sind, weitergezahlt. Für den Teil der Bezüge, der nicht in Monatsbeträgen festgelegt ist, wird ein nach einem bestimmten Modus zu berechnender Aufschlag gezahlt. Bei der Berechnung dieses Aufschlages sind ausdrücklich Vergütungen für Bereitschaftsdienste und Rufbereitschaft des vorangegangenen Kalenderjahres zu berücksichtigen. Aus dieser tariflichen Regelung folgt zwingend, dass im Bereich des BAT Bereitschaftsdienste bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu berücksichtigen sind. Einwendungen hinsichtlich der Höhe - etwa der Gestalt, dass im vergangenen Jahr deutlich weniger Bereitschaftsdienste für den Kläger angefallen wären - hat die Beklagte nicht erhoben. Der Kern der tariflichen Regelung ist, dass im Krankheitsfall das durchschnittliche Entgelt für die im Referenzzeitraum geleisteten Bereitschaftsdienste fortzuzahlen ist.

2.

Das gleiche Ergebnis ergäbe sich für den vorliegenden Fall auch aus § 4 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz. § 4 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz legt der Entgeltfortzahlung ein modifiziertes Lohnausfallprinzip zu Grunde. Bei Schwankungen der individuellen Arbeitszeit ist zur Bestimmung der "regelmäßigen" Arbeitszeit eine vergangenheitsbezogene Betrachtung zulässig und geboten. Maßgebend ist der Durchschnitt der vergangenen zwölf Monate. Überstunden im Sinne von § 4 Abs. 1 a EfzG liegen nur vor, wenn die individuelle regelmäßige Arbeitszeit des Arbeitnehmers überschritten wird. Überstunden werden wegen bestimmter besonderer Umstände vorübergehend zusätzlich geleistet (BAG vom 26.06.2002, 5 AZR 511/00, zitiert nach JURIS). § 4 Absatz 1 a EfzG erfasst nach seinem Wortlaut sowie Sinn und Zweck auch wiederholt geleistete Überstunden. Leistet der Arbeitnehmer jedoch ständig eine bestimmte Arbeitszeit, die mit der betriebsüblichen oder tariflichen Arbeitszeit nicht übereinstimmt, kann von Überstunden nicht gesprochen werden (BAG v. 24.03.2004, 5 AZR 346/03, EzA § 4 EfzG Nr. 12).

Dass die vom Kläger zu leistenden Bereitschaftsdienste keine "Mehrarbeit im Sinne von § 4 Abs. 1 a EfzG sind, folgt im vorliegenden Fall schon daraus, dass die Beklagte das gesamte Pflegepersonal nach einem einheitlichen System regelmäßig zu Bereitschaftsdiensten heranzieht. Bei diesen Bereitschaftsdiensten handelt es sich um einen Teil der "regelmäßigen" Arbeitszeit im Sinne von § 4 Abs. 1 EfzG, da der Kläger in der Regel zu fünf Bereitschaftsdiensten pro Monat herangezogen wird. Diese Regelmäßigkeit wird auch nicht dadurch durchbrochen, dass der Kläger möglicherweise in einem Monat nur zu drei oder vier und in einem anderen Monat zu sechs Bereitschaftsdiensten herangezogen wird. Maßgebend wäre nach der zitierten BAG-Rechtsprechung der Durchschnitt der vergangenen zwölf Monate. Diese Regelung wird aber vorliegend ohnehin durch die speziellere tarifvertragliche Regelung in den §§ 37, 47 BAT verdrängt. § 4 Abs. 4 EfzG bestimmt ausdrücklich, dass von den Absätzen 1, 1 a und 3 hinsichtlich der Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts durch Tarifvertrag abgewichen werden kann (vgl. dazu BAG v. 24.03.2004, 5 AZR 346/03, EzA § 4 EfzG Nr. 12). Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages kann zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern die Anwendung der tarifvertraglichen Regelung über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle vereinbart werden. Dies ist vorliegend geschehen.

3.

Der arbeitsvertraglichen und gesetzlichen Verpflichtung der Entgeltfortzahlung für infolge Krankheit ausgefallener regelmäßiger Bereitschaftsdienste vermag sich die Beklagte auch nicht durch den Hinweis zu entziehen, dass die im Entgeltfortzahlungsgesetz und im BAT getroffenen Regelungen allein die Frage der Vergütung und nicht die Behandlung eines Arbeitszeitkontos regeln. Nach § 15 Abs. 6 a Unterabsatz 2 BAT wird die Zeit des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit gewertet und mit der Überstundenvergütung vergütet. Nach § 15 Abs. 6 a Unterabsatz 3 BAT kann die danach errechnete Arbeitszeit stattdessen bis zum Ende des dritten Kalendermonats auch durch entsprechende Freizeit abgegolten werden (Freizeitausgleich). Damit tritt der Freizeitausgleich an die Stelle der geschuldeten Vergütung. Für die Zeit des Freizeitausgleichs werden die Vergütung (§ 26 BAT) und die in Monatsbeträgen festgelegten Zulagen fortgezahlt (§ 15 Abs. 6a Unterabsatz 3 Satz 3). Vergütung für geleistete Bereitschaftsdienste oder der entsprechende Freizeitausgleich stellen gleichsam zwei Seiten derselben Medaille dar: Die Höhe des vom Arbeitgeber geschuldeten Freizeitausgleichs folgt den Regelungen über die an sich geschuldete Vergütung.

Die Beklagte hat daher dem Kläger diejenigen acht Arbeitsstunden wieder gutzuschreiben, welche sie ihm zuvor mit Hinweis auf den am 16.02.2005 krankheitsbedingt ausgefallenen Bereitschaftsdienst abgezogen hat.

II.

Die Berufung der Beklagten war daher mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen. Die Revisionszulassung erfolgt gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG mit Rücksicht darauf, dass die unter I. 3. der Entscheidungsgründe vorgenommene Gleichsetzung des Schicksals des Freizeitausgleichsanspruchs mit dem Vergütungsanspruch für Bereitschaftsdienste im Geltungsbereich des BAT. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 20.07.1989 (6 AZR 774/87, ZTR 1990, 155 - 156) entschieden, dass das tariflich vorgesehene Wahlrecht zwischen. Freizeitausgleich und der Zahlung von Überstundenvergütung dem Arbeitgeber zusteht und mit Urteil vom 19.09.1991 (6 AZR 165/89, NV, zitiert nach JURIS)den Unterschied zwischen der "Abgeltung" von Arbeitszeit und dem "Ausgleich" von Überstunden herausgestellt. Weitere Fragen des Gleichlaufes von Vergütung und Freizeitausgleich für Bereitschaftsdienste sind daneben noch offen.

Ende der Entscheidung

Zurück