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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschluss verkündet am 04.06.2007
Aktenzeichen: 12 TaBV 56/06
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 80
BetrVG § 92
Wird in einem Unternehmen eine monatliche Personalstatistik geführt, die einen Abgleich des Soll-Personalstandes mit dem Ist-Stand vornimmt, hat der Betriebsrat einen Anspruch aus § 80 II S. 2 BetrVG und aus § 92 BetrVG auf Vorlage dieser Statistik.
LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

12 TaBV 56/06

In dem Beschlussverfahren

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgericht Niedersachsen aufgrund der Anhörung am 4. Juni 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Mestwerdt und die ehrenamtlichen Richter Reiser und Brandhorst beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 22.06.06 - 1 BV 4/06 - unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen teilweise abgeändert und klarstellend wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die Antragsgegnerin verpflichtet ist, dem Antragsteller die Personalstatistik für die Einrichtungen D.-Klinik, Rehabilitationsklinik C-Stadt, Ambulanter Pflegedienst der AWO C-Stadt, Pflegezentrum C-Stadt, Dialyse C-Stadt, Verwaltung C-Stadt sowie Hauswirtschaft und Küche C-Stadt jeweils monatlich bis spätestens zum 15. des nachfolgenden Monats zur Verfügung zu stellen.

Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über den Umfang von Auskunftspflichten.

Die Antragsgegnerin betreibt in der Rechtsform der gGmbH als privat organisierter Gesundheitsdienst mit karitativer Zwecksetzung verschiedene Einrichtungen in C-Stadt, so die D.-Klinik, die Rehabilationsklinik C-Stadt, den ambulanten Pflegedienst der AWO C-Stadt, das Pflegezentrum C-Stadt, die Dialyse C-Stadt sowie die Bereiche Verwaltung C-Stadt und Hauswirtschaft und Küche C-Stadt. Der Antragsteller ist der in diesen Einrichtungen gewählte Betriebsrat.

Bis zum Jahr 2004 erhielt der Antragsteller die monatliche Personalstatistik aus den vorgenannten Einrichtungen sowie die Monats- und Auslastungsberichte. Seit Mai 2004 gibt die Antragsgegnerin die vorbeschriebenen Unterlagen nicht mehr heraus. Der Antragsteller hat von seinem Betriebsratsbüro allerdings unmittelbaren Zugriff auf das im Betrieb bestehende Zeiterfassungs- und Dienstplanungssystem "SP-Expert". Aus diesem System generiert die Antragsgegnerin die monatliche Personalstatistik (vgl. Bl. 231 f. d. A.) jeweils heruntergebrochen auf die einzelnen Einrichtungen.

Der Antragssteller hat die Auffassung vertreten, nur unter Hinzuziehung der Personalstatistiken und der Monats- und Auslastungsberichte der einzelnen Einrichtungen könne er seine Aufgaben bewältigen. Ein Abgleich der Arbeitszeitkonten mit den Personalstatistiken sowie den Monats- und Auslastungsberichten lasse erst Rückschlüsse über Überstunden, Ausfallzeiten sowie einen kontinuierlich schleichenden Abbau von Stellen zu. Ohne die Angaben könne nicht überprüft werden, ob die einrichtungsbezogenen Stellenpläne eingehalten würden.

Der Antragsteller hat beantragt,

1. die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller für den Zeitraum Mai 2004 bis März 2006 für die Einrichtungen D.-Klinik, Rehabilitationsklinik C-Stadt, ambulanter Pflegedienst der AWO C-Stadt, Pflegezentrum C-Stadt, Dialyse C-Stadt, Verwaltung C-Stadt und Hauswirtschaft und Küche C-Stadt (betreffend die gestellten Mitarbeiter) die folgenden Unterlagen vollständig herauszugeben:

a) Personalstatistik der Betriebe

b) Monats- und Auslastungsberichte

2. festzustellen, dass die Antragsgegnerin verpflichtet ist, dem Antragsteller die in Ziffer 1 des Antrags genannten Unterlagen für die dort genannten Einrichtungen jeweils monatlich, und zwar spätestens bis zum 15. des nachfolgenden Monats vollständig (ggf. in Kopie) herauszugeben.

Die Antragsgegnerin ist im Anhörungstermin vor dem Arbeitsgericht nicht erschienen. Sie hat sich auf ihre karikative Zielsetzung berufen und vorgetragen, die Unterlagen seien dem Antragsteller ohne Kenntnis der Geschäftsführung zur Verfügung gestellt worden. Anhand des EDV-gestützten Zeiterfassungssystems sei eine vollständige Information möglich.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag vollumfänglich entsprochen und darauf abgestellt, ohne die Unterlagen könne der Betriebsrat seinen Überwachungsaufgaben nicht gerecht werden. Gegen den am 24.07.2006 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 31.07.2006 Beschwerde eingelegt und diese am 15. September 2006 begründet.

Die Antragsgegnerin beruft sich auf den Tendenzschutz nach § 118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Die Informationspflicht in wirtschaftlichen Angelegenheiten obliege dem Unternehmer gegenüber dem Wirtschaftsausschuss. Ein solcher sei nach der klaren gesetzlichen Regelung im Betrieb der Antragsgegnerin aber nicht zu bilden. Die Unterlagen hätten auch keinen Bezug zu den Aufgaben des Antragstellers; die Herausgabe sei auch nicht erforderlich zur Erfüllung der Aufgaben im Sinne von § 80 Absatz 2 Satz 2 BetrVG. Ein Vorlageanspruch bestehe auch nicht aus § 92 BetrVG, da das Stadium der Personalplanung mit der Erstellung von Personalstatistiken nicht erreicht werde.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Hameln vom 22. Juni 2006 - 1 BV 4/06 - abzuändern und den Antrag zurückzuweisen.

Der Antragsteller hat im Anhörungstermin vom 04.06.2007 den Antrag zu 1. zurückgenommen und beantragt im Übrigen,

die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen.

Allein anhand des EDV-Systems SP-Expert könne der Antragsteller sich über den konkreten Personaleinsatz und die Personalstruktur nicht ausreichend informieren. Der in diesem System hinterlegte Stellenplan sei nicht aktuell. Er komme häufig nicht zur Anwendung. Die Dienstpläne würden fast täglich handschriftlich umgeschrieben. Der verbindliche Dienstplan sei dann nicht mehr in SP-Expert hinterlegt. Zudem würden im System auch Fehlzeiten, Überstunden und Mehrarbeitsstunden nicht aktuell und ausreichend eingepflegt. Auch in den Monatsgesprächen erfolge keine ausführliche Information.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Beschwerdebegründung vom 1. August 2006 sowie die weiteren Schriftsätze der Antragsgegnerin vom 10. Januar 2007 und 4. Juni 2007 und die Erwiderung des Antragstellers vom 24.11.2006 sowie den Schriftsatz vom 03.05.2007

II.

Der nach Rücknahme des Antrages zu 1) noch zum Spruch gestellte Antrag zu 2) ist zulässig. Das erforderliche Feststellungsinteresse besteht, da der Antrag die zwischen den Beteiligten streitige Frage über den Umfang der Unterrichtungspflichten einer Klärung zuführt.

Der Antrag ist begündet, soweit der Antragsteller die monatliche Herausgabe der im Betrieb der Antragsgegnerin für die einzelnen Einrichtungen geführten Personalstatistiken begehrt (1.). Der Antrag ist unbegründet, soweit sich das Herausgabeverlangen auf die Herausgabe der monatlichen Monats- und Auslastungsberichte bezieht (2.); insoweit war der Beschluss des Arbeitsgerichts abzuändern und der Antrag zurückzuweisen.

1. Der Antragsteller hat gegen den Antragsgegner aus § 80 Abs. 2 Satz 2, 92 Abs. 1 Satz 1 BetrVG einen Anspruch auf Vorlage der Personalstatistiken für die einzelnen Einrichtungen in dem monatlichen Rhythmus, wie die Antragsgegnerin diese Personalstatistik erstellt.

a). Nach § 80 Abs. 2 Satz 2 sind dem Betriebsrat jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen; nach § 92 Abs. 1 Satz 1 hat der Arbeitgeber den Betriebsrat über die Personalplanung, insbesondere über den gegenwärtigen und künftigen Personalbedarf sowie über die sich daraus ergebenden personellen Maßnahmen anhand von Unterlagen rechtzeitig und umfassend zu unterrichten.

Soweit es den Unterrichtungsanspruch nach § 80 Abs. 2 BetrVG betrifft, ist ein solcher Anspruch dann gegeben, wenn grundsätzliche Aufgaben des Betriebsrates tangiert sind und im Einzelfall die begehrte Information bzw. die Hergabe von Unterlagen erforderlich ist (ständige Rechtsprechung BAG, Beschluss vom 19.10.1999 - 1 ABR 75/98 - AP § 80 BetrVG 1972 Nr. 58). Soweit der spezielle Auskunftsanspruch nach § 92 Abs. 1 BetrVG betroffen ist, hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat grundsätzlich die Unterlagen zur Personalplanung vorzulegen. Dies hat allerdings erst dann zu geschehen, wenn die Überlegungen das Stadium der Planung erreicht haben; erst in diesem Moment stellen sich für den Betriebsrat Aufgaben, zu deren Erfüllung die erforderlichen Unterlagen vom Arbeitgeber vorzulegen sind (BAG, Beschluss vom 27.06.1989 - 1 ABR 19/88).

b). Dem geltend gemachten Anspruch auf Vorlage der Personalstatistik steht nicht die unstreitige Tendenzeigenschaft der Beklagten nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG (FESTL BetrVG § 118 Rn. Rn 18) entgegen. Die allgemeinen personellen Angelegenheiten sind tendenzneutral (FESTL BetrVG § 118 Rn. 33 m.w.N.), auch in Bezug auf die allgemeinen Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats wie vorliegend die Unterrichtungs- und Vorlagepflicht aus § 80 Abs. 2 BetrVG ergibt sich vorliegend keine Einschränkung.

c). Es besteht nach vorstehenden Grundsätzen sowohl nach § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG wie auch nach § 92 Abs. 1 BetrVG ein Anspruch des Antragstellers auf Vorlage der Personalstatistik.

Der Antragsteller hat im Hinblick auf Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen, der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage und damit im Hinblick auf die Erstellung der Dienstpläne wie auch in Bezug auf die vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 ein Mitbestimmungsrecht. Schutzzweck dieser Mitbestimmungsrechte ist es, die Interessen der Arbeitnehmer an der Lage ihrer Arbeitszeit und damit zugleich ihrer Freizeit für die Gestaltung ihres Privatlebens zur Geltung zu bringen und darauf zu achten, dass die Einteilung und Lage des geschuldeten Arbeitszeitvolumens eine sinnvolle Gestaltung der freien Zeit überhaupt noch erlaubt (FESTL BetrVG, 23. Auflage § 87 BetrVG Rn. 101 m.w.N.). Soweit es die Anordnung von Mehrarbeit betrifft, gehört der Schutz der Arbeitnehmer vor überlangen, psychisch und physisch belastenden und ihren berechtigten Interessen an Erholung zuwiderlaufenden Arbeitszeiten zu den Aufgaben des Antragstellers. Zur sachgerechten Ausübung des Mitbestimmungsrecht bedarf es der Auskunft darüber, ob in einer Einrichtung ein Personaldefizit - einhergehend mit der Gefahr häufiger Heranziehung zu Mehrarbeit - besteht oder aber der Personalbestand dem Sollstellenplan entspricht und damit möglicherweise nur eine vorübergehende Heranziehung von Mehrarbeit erforderlich ist. Eine sinnvolle - sowohl den Interessen der Arbeitnehmer wie auch der Antragsgegnerin Rechnung tragenden - Ausübung des Mitbestimungsrechtes setzt die Informationen voraus, die für jede einzelne Einrichtung in der Personalstatistik aufgeführt sind.

Nach Auffassung der Kammer besteht der Auskunftsanspruch auch aus § 92 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Die Antragsgegnerin hat zwar in Abrede genommen, dass die Personalstatistik zur Grundlage der Personalplanung gemacht wird bzw. dass es eine aktuelle Personalplanung gibt. Dieser Vortrag findet in den vorgelegten aktuellen Personalstatistiken (Bl. 211 bis 254 d. A.) jedoch keine Stütze. In den Personalstatistiken wird detalliert bezogen auf einzelne Beschäftigungsgruppen und auf einzelne Einrichtungen ein Abgleich des personellen Ist-Bestand mit dem personellen Soll-Bestand vorgenommen. Der personelle Soll-Bestand ist Ergebnis einer Personalplanung. Die Personalstatistik dient dazu, die Personalplanung mit dem Ist-Zustand abzugleichen. Auch dieser monatliche Abgleich ist ein Element der Personalplanung, so dass der Anspruch des Antragstellers auch aus § 92 Abs. 1 BetrVG besteht.

2. Der Antragsteller hat keinen Anspruch aus § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG auf Vorlage der Monats- und Auslastungsberichte.

Die Monats- und Auslastungsberichte (Bl. 255 - 257 d. A.) beinhalten ausschließlich betriebswirtschaftliche Kennziffern wie Fallzahlen und Erlöse bzw. setzen betriebswirtschaftliche Kennzahlen in Bezug zueinander wie etwa in Form des Casemixindex. Unabhängig davon, dass nach § 118 Abs. 1 BetrVG ein Wirtschaftsausschuss nach § 106 BetrVG, dem gegenüber die Antragsgegnerin gegebenenfalls nach § 106 Abs. 2 BetrVG auskunftspflichtig wäre, nicht zu bilden ist, ist auch nicht erkennbar, welchen Bezug die in den Monats- und Auslastungsberichten enthaltenen Kennziffern zu den Aufgaben des Betriebsrates haben. Ein solcher Bezug ist seitens des Antragstellers auch nicht ausreichend dargelegt. Für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 bzw. im personellen Bereich nach § 99 f. BetrVG sind sie nach Auffassung der Kammer nicht erforderlich. Insoweit war der Beschluss des Arbeitsgerichts abzuändern und der Antrag zurückzuweisen.

Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, bestehen nicht.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde findet die Beschwerde statt.



Ende der Entscheidung

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