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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 23.04.2002
Aktenzeichen: 13 Sa 1702/01
Rechtsgebiete: BAT, GG


Vorschriften:

BAT § 29 Abs. 2 Nr. 4
BAT § 29 Abs. 3
GG Art. 3 Abs. 1
Der Angestellte im öffentlichen Dienst hat für Kinder seiner Lebensgefährtin, die im gemeinsamen Haushalt leben, keinen Anspruch auf den kinderzogenen Teil des Ortszuschlages. Die daraus folgende Ungleichbehandlung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft im Verhältnis zur ehelichen Lebensgemeinschaft verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen

13 Sa 1702/01

Verkündet am: 23. April 2002

URTEIL IM NAMEN DES VOLKES

In dem Rechtsstreit

hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 23.04.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenkötter und die ehrenamtlichen Richter Lührs und Decker

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 11.10.2001, 4 Ca 203/01, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 6.242,75 € festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt den kinderbezogenen Anteil des Ortszuschlages für zwei Kinder seiner Lebensgefährtin. Er ist nicht Vater dieser Kinder.

Er ist in der Anästhesieabteilung der Beklagten beschäftigt, auf das Arbeitsverhältnis findet nach vertraglicher Vereinbarung der Bundesangestelltentarifvertrag Anwendung.

Der Kläger lebt mit seiner Lebensgefährtin in einem Haushalt zusammen. Zum Haushalt gehören vier Kinder, nämlich zwei 1999 bzw. 2000 geborene gemeinsame Kinder und zwei 1994 bzw. 1996 geborene Kinder der Lebensgefährtin. Die Beklagte zahlt Ortszuschlag der Stufe 4, sie berücksichtigt dabei nur die beiden gemeinsamen Kinder des Klägers und seiner Lebensgefährtin.

Die Lebensgefährtin ist nicht berufstätig. Sie versorgt den gemeinsamen Haushalt und betreut die vier Kinder. Sie bezieht Kindergeld, 500,00 DM Mietzuschuss und hat gegen ihren Ehemann - die Ehe ist offenbar noch nicht geschieden - einen Gesamtunterhaltsanspruch für sich und die beiden älteren Kinder in Höhe von 1.500,00 DM. Nach Darstellung des Klägers wird der Unterhaltsanspruch nur unregelmäßig erfüllt, es seien Rückstände aufgelaufen.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, auch für die beiden älteren Kinder, mit denen er nicht verwandt ist, habe er Anspruch auf den kinderbezogenen Teil der Ortszuschlages. Dieser Anspruch ergebe sich aus § 29 B Abs. 2 Ziff. 4 BAT. Diese beiden Kinder seien in seinem Haushalt aufgenommen worden, er erfülle ihnen gegenüber eine sittliche Unterhaltsverpflichtung, es bestehe ein vaterähnliches Verhältnis. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft sei allgemein als Lebensform anerkannt, so dass gemäß § 29 B Abs. 2 Ziff. 4 BAT der Anspruch begründet sei.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, rückwirkend ab 01.08.2000 einen Kinderanteil im Ortszuschlag für die Kinder J, geboren am und P, geboren am zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, gegenüber den beiden älteren Kindern bestehe keine sittliche Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung. Diese Kinder hätten Unterhaltsansprüche gegen ihren Vater und könnten deshalb einen Anspruch auf kinderbezogenen Anteil am Ortszuschlag nicht auslösen. Für einen solchen Anspruch sei im Übrigen nicht § 29 B Abs. 2 Nr. 4 BAT einschlägig, abzustellen sei vielmehr auf die Absätze 3 und 4. Danach bestehe aber kein Anspruch.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Tenor und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.

Mit Berufung wiederholt der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen und meint, auf Grund der nichtehelichen Lebensgemeinschaft und der Unterhaltspflicht gegenüber seiner Lebensgefährtin ergebe sich zwangsläufig, dass er die beiden älteren Kinder mit zu unterhalten habe. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung.

Der Kläger beantragt:

1.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 11.10.2001, Akz. 4 Ca 203/01, wird abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, rückwirkend ab 01.08.2000 einen Kinderanteil im Ortszuschlag für die Kinder J, geb. am, und P, geb. am, zu bezahlen.

2.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholt ihre erstinstanzlich vorgetragene Rechtsauffassung und verteidigt nach Maßgabe der Berufungserwiderung das arbeitsgerichtliche Urteil.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet, das Arbeitsgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen.

Der vom Kläger beanspruchte kinderbezogene Teil des Ortszuschlages (Stufen 5 und 6) ist nicht in § 29 B Abs. 2 Nr. 4 BAT geregelt. Diese Vorschrift enthält die Voraussetzungen für die Stufe 2, die von der Beklagten unstreitig gewährt wird. Einschlägig ist § 29 B Abs. 3 BAT, der für die Stufe 3 und die folgenden Stufen als Anspruchsvoraussetzung das Bestehen eines Anspruches auf Kindergeld nach Einkommenssteuergesetz beinhaltet.

In §§ 62, 63 EStG sind die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch geregelt. § 64 regelt das Zusammentreffen mehrerer Ansprüche auf Kindergeld. Weil § 29 B Abs. 3 BAT bestimmt, dass § 64 EStG unberücksichtigt bleibt, ist nicht maßgebend, ob dem Kläger Kindergeld gezahlt wird. Entscheidend ist, dass er die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch erfüllt.

Berücksichtigt werden nach § 53 Abs. 1 EStG Kinder im Sinne des § 32 Abs. 1 EStG (Nr. 1), im Haushalt aufgenommene Kinder des Ehegatten (Nr. 2) und im Haushalt aufgenommene Enkel (Nr. 3). Keine dieser Voraussetzungen ist erfüllt. Nr. 2 scheidet aus, weil der Kläger und seine Lebensgefährtin nicht verheiratet sind, es handelt sich auch nicht um Enkel im Sinne der Nr. 3. Schließlich wird der Anspruch nicht geltend gemacht für Kinder im Sinne des § 32 Abs. 1 EStG. Der Kläger ist nicht mit den Kindern im ersten Grad verwandt (§ 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Es handelt sich auch nicht um Pflegekinder (§ 31 Abs. Nr. 2 EStG). Entsprechend dem Gesetzeswortlaut liegt ein Pflegekindschaftsverhältnis nur vor, wenn das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht. Dabei ist die erforderliche Loslösung des Kindes von den leiblichen Eltern nicht erfolgt, wenn auch nur zu einem Elternteil ein intaktes Verhältnis besteht (BSG vom 06.08.1992, 10 RKg 7/91, NJW 1993, S. 1159; Bundesverwaltungsgericht vom 13.09.1990, 2 C 4/88, EzBAT § 29 BAT Nr. 14 auch zur Änderung der Rechtslage 1989). Die Annahme von Pflegekindschaftsverhältnissen scheitert hier daran, dass ein intaktes Verhältnis jedenfalls zu einem Elternteil, der Lebensgefährtin des Klägers, besteht.

Der Kläger ist damit für die hier fraglichen Kinder nicht kindergeldberechtigt, er hat damit keinen Anspruch auf den kindergeldbezogenen Ortszuschlag für diese Kinder.

Die Regelung des § 29 B Abs. 3 BAT verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1 GG. Es besteht deshalb auch keine Notwendigkeit oder Möglichkeit zur verfassungskonformen Interpretation etwa durch Gleichstellung von nichtehelicher und ehelicher Lebensgemeinschaft oder durch Berücksichtigung sittlicher Unterhaltspflichten, soweit Kinder des Lebenspartners in die Gemeinschaft aufgenommen sind.

Eine gegen Artikel 3 Abs. 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung liegt nur dann vor, wenn sich für die vorgenommene Differenzierung ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie einleuchtender Grund nicht finden lässt, wenn also die Regelung als willkürlich anzusehen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Tarifvertragsparteien einen weitgehenden Gestaltungsspielraum haben (BAG vom 18.01.2001, 6 AZR 492/99, DB 2001, S. 1672).

Soweit § 63 Abs. 1 Nr. 2 EStG die Berücksichtigung von Kindern des Partners von der Eheschließung abhängig macht, also für die Anspruchsberechtigung für Kindergeld eheliche und nicht eheliche Gemeinschaft ungleich behandelt, ist dies verfassungsrechtlich unbedenklich. Weil die Kinder des Partners in den gemeinsamen Haushalt aufgenommen sind, weil nur ein Anspruch auf Kindergeld besteht (§ 64 EStG), fließt das Kindergeld sowohl bei ehelicher als auch bei nichtehelicher Lebensgemeinschaft in den gemeinsamen Haushalt und steht für den Unterhalt der Kinder zur Verfügung. Bei nichtehelicher Lebensgemeinschaft ist anspruchsberechtigt der Elternteil des Kindes, bei ehelicher Lebensgemeinschaft besteht Anspruchsberechtigung beider Ehegatten, die gemäß § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG den Materiellanspruchsberechtigten bestimmen können. Bei nichtehelicher Lebensgemeinschaft beschränkt sich die Benachteiligung darauf, dass nur der Partner, der Elternteil ist, anspruchsberechtigt ist. Der Gemeinschaft steht aber wie der Ehegemeinschaft zum Unterhalt der Kinder das Kindergeld in vollem Umfang zur Verfügung. Beim Bezug des Kindergeldes ist die Benachteiligung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft derart gering, dass die Differenzierung mit der jederzeitigen möglichen Trennung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft ohne weiteres sachlich begründet ist.

Durch die Anknüpfung des kinderbezogenen Teils des Ortszuschlages an die Anspruchsberechtigung für Kindergeld ergeben sich für den Ortszuschlag aber weitreichende negative Folgen für die nichteheliche Partnerschaft. Ist der Partner, der Elternteil ist, nicht berufstätig oder nicht im öffentlichen Dienst beschäftigt, ist der andere Partner dagegen im öffentlichen Dienst tätig, bekommt die eheliche Lebensgemeinschaft den kinderbezogenen Teil des Ortszuschlages, die nichteheliche Lebensgemeinschaft dagegen nicht. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft ist damit nicht nur formell in der Anspruchsberechtigung eines Partners beschränkt, sondern auch materiell benachteiligt. Der Anspruch auf den kinderbezogenen Anteil des Ortszuschlages entfällt. Für diese Benachteiligung, die aus der tariflichen Regelung der Anknüpfung an die Kindergeldberechtigung folgt, sind aber ausreichende sachliche Gründe gegeben.

Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 28.10.1993, 2 C 39/91, NJW 1994, S. 1168) hat bei Zusammenleben in eheähnlicher Lebensgemeinschaft einen Anspruch auf Ortszuschlag der Stufe 2 verneint und damit eine Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Gemeinschaft abgelehnt. Das BAG hat im Urteil vom 15.05.1997, 6 AZR 26/96, EzBAT Nr. 22 zu § 29 BAT, einen Anspruch auf Ortszuschlag der Stufe 2 bei gleichgeschlechtlicher Partnerschaft abgelehnt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil nicht angenommen (Beschluss vom 21.05.1999, 1 BvR 726/98, EzBAT § 29 BAT, Nr. 27). Im Urteil vom 18.01.2001, 6 AZR 492/99, hat das BAG einen Anspruch eines Angestellten auf bezahlte Freistellung aus Anlass der Niederkunft der Lebensgefährtin abgelehnt und einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung im Verhältnis zur Ehe bejaht.

Entsprechend den Ausführungen des BAG in den Urteilen vom 15.05.1997 und 18.01.2001 ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien auf Grund ihrer Regelungsbefugnis von typischen Sachverhalten ausgehen können und an gesetzliche und verfassungsrechtliche Wertentscheidungen anknüpfen können. Die Ehe steht unter dem besonderen Schutz des Artikel 6 Grundgesetz, durch Ehe- und Unterhaltsrecht sind besondere Pflichten und Bindungen geschaffen. Andererseits ist die nichteheliche Lebensgemeinschaft gerade dadurch gekennzeichnet, dass diese Bindungen und Pflichten (noch) nicht eintreten sollen, die Gemeinschaft jederzeit formlos beendet werden kann. Während die Ehe durch die gesetzliche Regelung von gegenseitigen Rechten und Pflichten fest umrissen ist, ist die nichteheliche Lebensgemeinschaft eher als Sammelbegriff für eine Vielzahl von unterschiedlichen Gemeinschaften anzusehen. Erfasst sind hier das eher lockere Zusammenleben von weitgehend selbständigen Personen. Intensiver kann die Beziehung ausgestaltet sein, wenn sie eingegangen wird quasi als Vorstufe zu einer späteren Eheschließung oder wenn gemeinsame Kinder vorhanden sind. Gerade weil es unterschiedliche Formen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft gibt, eine typische nichteheliche Lebensgemeinschaft quasi als Institution nicht vorhanden ist, ist die Differenzierung sachlich nicht zu beanstanden. Weil durch die Eheschließung eine nur durch Scheidung zu beendende Bindung zum Ehegatten entsteht, weil Unterhaltspflichten gegenüber diesem Ehegatten begründet werden, konnten die Tarifvertragsparteien für die Kinder des Ehegatten auch einen Anspruch auf den kinderbezogenen Teil des Ortszuschlages gewähren. Weil die nichteheliche Lebensgemeinschaft jederzeit beendet werden kann, Unterhaltsansprüche des Lebensgefährten nicht bestehen, konnten die Tarifvertragsparteien in dieser Beziehung davon ausgehen, dass typischerweise zu den Kindern des Lebensgefährten keine derart engen Beziehungen und Verpflichtungen entstehen, dass eine Gewährung des kinderbezogenen Anteils des Ortszuschlages erfolgen musste. Ein Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz liegt damit nicht vor.

Da die Berufung zurückzuweisen war, trägt der Kläger die Kosten des Rechtsmittels, § 97 ZPO. Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes beruht auf § 3 ZPO.

Die Revisionszulassung erfolgt gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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