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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 13.01.2009
Aktenzeichen: 13 Sa 830/08 E
Rechtsgebiete: AVR-K


Vorschriften:

AVR-K § 1
AVR-K § 2
AVR-K § 8
1. Nach §§ 1, 2 AVR-K B.I. ist für die Eingruppierung nicht die überwiegende, sondern die für den Arbeitsplatz charakteristische Tätigkeit maßgebend.

2. Die Tätigkeit einer Logopädin in einem sozialpädiatrischen Zentrum ist nach Entgeltgruppe 8 AVR-K zu bewerten.


LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 Sa 830/08 E

In dem Rechtsstreit

hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 13. Januar 2009 durch

den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenkötter, den ehrenamtlichen Richter Herr Ernst, den ehrenamtlichen Richter Herr Bartetzko für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 27.03.2008, 5 Ca 661/07 E, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab 01.05.2006 Vergütung nach Entgeltgruppe E 8 AVR - K nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.01.2008 bzw. ab jeweiliger Fälligkeit zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 5.400,-- € festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Vergütung nach Entgeltgruppe E 8 der Arbeitsvertragsrichtlinien der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen für diakonische Einrichtungen (AVR-K).

Die Klägerin, die eine Ausbildung als med.-Dipl. Sprachheilpädagogin absolviert hat, ist als Logopädin seit dem 01.04.2003 im sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) der Beklagten beschäftigt mit 31,5 Wochenstunden. Bei dem SPZ handelt es sich um eine Einrichtung im Sinne des § 119 SGB V. Sie erhielt ab 01.06.2003 Vergütung nach Vergütungsgruppe V b AVR-K in der damals geltenden Fassung. Nach Neufassung der AVR-K zum 01.01.2004 wurde die Klägerin von der Beklagten in die Entgeltgruppe E 7.2. eingruppiert.

Mit Schreiben vom 07.01.2004 an die Mitarbeitervertretung (Bl. 49/50 d.A.) bat u.a. die Klägerin um Überprüfung der Eingruppierung und machte geltend, dass die Heraushebungsmerkmale der Entgeltgruppe E 8 erfüllt seien. Die sodann von Arbeitgeber oder Mitarbeitervertretung angerufene Schlichtungsstelle lehnte eine Eingruppierung nach Entgeltgruppe E 8 ab. Mit Schreiben vom 16.10.2006 (Bl. 48 d.A.) machte die Klägerin bei der Beklagten Ansprüche auf Vergütung nach Entgeltgruppe E 8 geltend.

Im SPZ sind etwa 40 Mitarbeiter beschäftigt, darunter Ärzte, Psychologen, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Sozialpädagogen und Logopäden. Umgerechnet auf Vollzeitstellen sind 2,25 Logopädinnen beschäftigt. Behandelt werden im SPZ jährlich ca. 2200 Kinder und Jugendliche jeder Altersstufe, und zwar auf Grund Überweisung durch niedergelassene Kinder- und Hausärzte. Bei den Patienten kann es sich handeln um normal- bis hochbegabte Kinder/Jugendliche mit Teilleistungsstörungen, z.B. Lese- und Rechtschreibstörungen in Verbindung mit auditiven Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörungen. Es kann sich auch handeln um mehrfachbehinderte bzw. komplex körperlich, geistig und/oder seelisch behinderte Kinder.

In der Sprachdiagnostik treten folgende Fragestellungen auf:

- Verzögerungen und Störungen der Sprachentwicklung

- Kommunikationsstörungen

- Spracherwerbs- und Sprachstörungen bei Hörstörungen

- Auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen, die sich negativ auf die Lese- und Rechtschreibleistungen auswirken.

- Sprech- und Stimmstörungen bei Lippen-/Kiefer-/Gaumensegelspalten

- Sprach-, Sprech- und Stimmstörungen bei weiteren neurologischen und internistischen Erkrankungen oder als Folge von operativen Eingriffen

- Störungen des Sprechflusses (Stottern) und Sprechrhythmusstörungen (Poltern)

- Kindliche Stimmstörungen mit organischer und funktioneller Ursache

- Kombinierte Sprech- und Schluckprobleme

- Mutismus

Mit Berufungsbegründung hat die Klägerin unter 4. (Bl. 163 - 168 d.A.) drei von ihr behandelte Patienten mit Mehrfachbehinderung vorgestellt. Hierauf wird Bezug genommen.

Nach Stellenbeschreibung (Bl. 11 - 12 d.A.) sind der Klägerin folgende Aufgaben übertragen:

14. Einzelaufgaben

a) Die Stelleninhaberin erstellt die logopädische Diagnostik (Erstgespräche im allgemeinen mit der Ärztin, Anamneseerhebung, Untersuchung, Videoanalysen, Interpretation und Auswertung der Befunde).

b) Auf der Grundlage aller Untersuchungsergebnisse entwickelt die Stelleninhaberin ihr therapeutisches Konzept.

c) Sie führt Gruppen- und Einzeltherapie durch.

d) Sie führt Abschlussgespräche mit den Eltern bzw. Bezugspersonen. Ggf. erfolgt die Wiedervorstellung des Kindes.

e) Sie beobachtet und wertet den Verlauf der Behandlung aus, um ggf. notwendige Veränderungen in der Konzeption vorzunehmen.

f) Sie berät Eltern und Angehörige.

g) Sie bereitet die Therapiesitzungen vor und nach.

h) Sie nimmt an internen und externen Fortbildungen und Arbeitsgruppen nach Genehmigung durch die Leitung teil.

i) Sie führt Fallbesprechungen im interdisziplinären Team durch.

j) Die Stelleninhaberin hat nach Weisung ihres Vorgesetzten weitere Aufgaben zu erfüllen, die entweder wesensmäßig zu ihrem Tätigkeitsbereich gehören oder sich aus betrieblichen Notwendigkeiten ergeben.

15. Befugnisse:

a) Die Stelleninhaberin ist in ihrem Bereich selbständig und eigenverantwortlich tätig.

b) Sie unterschreibt den von ihr erstellten Teil des Arztberichtes.

16. Zusammenarbeit mit anderen Stellen:

a) Die Stelleninhaberin arbeitet mit dem Team der Einrichtung zusammen.

b) Sie arbeitet mit den Eltern, anderen Bezugspersonen, Ärzten, Kindergärten, Schulen und anderen Institutionen, z.B. in Form von Hospitation, Besprechung etc. zusammen.

Die logopädische Diagnostik führte die Klägerin zum Teil zusammen mit einem Arzt oder Psychologen, zum Teil allein durch. Sie erstellt Therapieempfehlungen und Behandlungspläne für die Behandlung durch niedergelassene Logopäden oder für die Weiterbehandlung im SPZ, die auch von ihr durchgeführt wird. Je nach Fallgestaltung erfolgt eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Arzt und anderen Therapeuten.

Die Klägerin hat ihre wöchentliche Arbeitszeit von 31,5 Stunden wie folgt aufgeteilt:

Diagnostik 9 Stunden pro Woche 29 %

Konzepte/Berichte 4 Stunden pro Woche 13 %

Therapien 8 Stunden pro Woche 25 %

Elternberatung 2 Stunden pro Woche 6 %

Interdisziplinäre Fallbesprechung 3 Stunden pro Woche 10 %

Vor- und Nachbereitungszeit 5,5 Stunden pro Woche 18 %

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Tätigkeit einer Logopädin setze eine Fachschulausbildung voraus, vergleichbar etwa der Ausbildung einer Erzieherin. Die Grundeingruppierung für Logopäden habe deshalb nach Entgeltgruppe E 7.1. zu erfolgen. Die Heraushebungsmerkmale nach Entgeltgruppe E 8 seien erfüllt. Ihre Tätigkeit setze ein umfangreiches Fachwissen voraus, regelmäßige Fort- und Weiterbildung sei erforderlich. Kennzeichnend sei auch interdisziplinäre Zusammenarbeit im SPZ.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Vergütung nach Entgeltgruppe E 8 AVR-K seit 01.04.2004 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, Logopäden seien als Arbeitnehmer mit dreijähriger Berufsausbildung in die Entgeltgruppe E 6.1. einzugruppieren. Weil die Klägerin selbständig und eigenverantwortlich arbeite und über erweiterte Fachkenntnisse und Fertigkeiten verfüge, sei das Heraushebungsmerkmal nach Entgeltgruppe E 7.2. erfüllt. Eine weitere darüber hinausgehende Steigerung der erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten könne aber nicht festgestellt werden, sodass ein Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe E 8 nicht bestehe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Tenor und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.

Mit Berufung trägt die Klägerin vor, entsprechend der gesetzlichen Vorgaben in § 119 SGB V handele es sich bei den Patienten des SPZ häufig um solche mit Mehrfachstörungen, Verhaltensauffälligkeiten und Erziehungsschwierigkeiten. Das SPZ sei gerade für die Behandlung schwieriger Fälle errichtet worden. Damit seien unabhängig davon, ob die Grundeingruppierung eines Logopäden nach E 6.1. oder E 7.1. erfolge, die Voraussetzungen des Tätigkeitsmerkmals der Entgeltgruppe E 8 erfüllt. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren hat die Klägerin vorgetragen, sie habe gegenüber der Beklagten bereits unter dem 03.02.2004 der Eingruppierung nach Entgeltgruppe E 7 widersprochen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 27.03.2008 (Az: 5 Ca 661/07 E) abzuändern und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab 01.04.2004 Vergütung nach Entgeltgruppe E 8 AVR-K nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basissatz ab dem jeweiligen Fälligkeitspunkt zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie beruft sich darauf, dass bei einer Grundeingruppierung nach Entgeltgruppe E 6 eine doppelte Heraushebung bejaht werden müsse, um eine Eingruppierung nach Entgeltgruppe E 8 zu rechtfertigen. Für eine solche doppelte Heraushebung fehle es aber an Anhaltspunkten. Es werde bestritten, dass bei mindestens 50 % der behandelten Patienten wesentliche Erziehungsschwierigkeiten vorlägen. Die Tätigkeit der Klägerin, wie sie in ihren Fallschilderungen dargelegt sei, entspreche im Übrigen auch dem, was von niedergelassenen Logopäden geleistet würde. Allein der Hinweis der Klägerin auf § 119 SGB V sei für die Eingruppierung nach Entgeltgruppe E 8 nicht ausreichend. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungserwiderung.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung der Klägerin ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 64, 66 ArbGG. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt eine ausreichende Berufungsbegründung vor. Die Klägerin hat sich mit dem erstinstanzlichen Urteil ausreichend auseinandergesetzt und die erstinstanzliche Entscheidung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht angegriffen. Sie hat in der Berufungsbegründung z.B. abweichend von der erstinstanzlichen Entscheidung die Auffassung vertreten, Grundeingruppierung einer Logopädin habe nach Entgeltgruppe E 7.1. zu erfolgen, nicht nach E 6.1.. Erforderlich und ausreichend sei damit nur eine einmalige Heraushebung, um die Eingruppierung nach Entgeltgruppe E 8 zu rechtfertigen. Außerdem hat die Klägerin umfangreich ihr tatsächliches Vorbringen, insbesondere zu den Besonderheiten der behandelten Patienten ergänzt. Allein diese Ergänzung des tatsächlichen Vorbringens ist ausreichend für eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung.

Die Klägerin hat Vergütungsansprüche nach Entgeltgruppe E 8 ab 01.05.2006. Entsprechende Vergütungsansprüche für den Zeitraum 01.01.2004 bis 30.04.2006 sind verfallen.

2. Die AVR-K enthalten unter B. I. folgende Bestimmungen zur Eingruppierung:

§ 1

Die Arbeitnehmerinnen werden entsprechend den Tätigkeitsmerkmalen des übertragenen Arbeitsplatzes in die Entgeltgruppen eingruppiert. Für die Eingruppierung in eine Entgeltgruppe ist nicht die berufliche Bezeichnung, sondern allein die Tätigkeit der Arbeitnehmerin maßgebend. Die Eingruppierung richtet sich nach den Tätigkeitsmerkmalen der Oberbegriffe; hierzu sind als Erläuterung die zu den Entgeltgruppen aufgeführten Richtbeispiele heranzuziehen.

§ 2

Übt eine Arbeitnehmerin innerhalb ihres Arbeitsbereiches ständig wiederkehrend mehrere Tätigkeiten aus, auf die verschiedene Entgeltgruppen zutreffen, so ist sie in die Entgeltgruppe einzugruppieren, deren Anforderungen den Charakter ihres Arbeitsbereiches im Wesentlichen bestimmen. Für solche Tätigkeiten, die bezüglich ihrer Anforderungen zu höheren Entgeltgruppen gehören und durch die Eingruppierung gemäß Satz 1 noch nicht abgegolten werden konnten, ist ein angemessenes Entgelt als Ausgleich zu gewähren. Diese kann entweder 25 % oder 50 % der Differenz zur nächsthöheren Entgeltgruppe betragen und wird gemeinsam vom Arbeitgeber und der Mitarbeitervertretung festgelegt.

Diese Eingruppierungsvorschriften sind auszulegen nach ihrem Wortlaut, ihrem Sinn und Zweck und unter Berücksichtigung des Sachzusammenhanges. Die Auslegung ergibt, dass auch Tätigkeiten, die weniger als 50 % der Arbeitszeit ausmachen, für eine Eingruppierung ausreichend sein können.

3. In § 12 Abs. 1 AVR des Diakonischen Werkes der evangelischen Kirche in Deutschland (AVR-EKD) in der bis 31.03.1991 geltenden Fassung war bestimmt, dass der Mitarbeiter in die Gruppe eingruppiert wird, "die der von ihm überwiegend auszuübenden Tätigkeit entspricht". Zu dieser Eingruppierungsregelung hat das BAG (Urteil vom 25.08.1993, 4 AZR 577/92, AP Nr. 5 zu § 12 AVR Diakonisches Werk) entschieden, dass auf die Regelungen des § 22 BAT nicht zurückgegriffen werden kann. Insbesondere sind keine Arbeitsvorgänge zu bilden. Vielmehr sei entsprechend § 22 Abs. 1 BAT a.F. (gültig bis 31.12.1974) Beurteilungsmaßstab die überwiegend auszuübende Tätigkeit. Festzustellen sei, ob eine einheitlich zu bewertende Gesamttätigkeit, eine überwiegend auszuübende Teiltätigkeit oder mehrere selbständige Teiltätigkeiten vorliegen.

Nach § 12 Abs. 2 AVR-EKD in der derzeit geltenden Fassung erfolgt die Eingruppierung der Mitarbeiter in die Entgeltgruppe, deren Tätigkeitsmerkmale erfüllt sind und die der Tätigkeit das Gepräge geben.

Zur Auslegung von § 1 und § 2 AVR-K ergibt die Entscheidung des BAG und die Entwicklung der allgemeinen Vertragsrichtlinien im Diakoniebereich: Die Regelungen in § 22 BAT, insbesondere die Eingruppierung nach Arbeitsvorgängen, können im Bereich der AVR-K nicht ergänzend herangezogen werden. Die ältere Fassung der AVR-EKD stellte für die Eingruppierung ab auf die überwiegende Tätigkeit. Nach § 1 AVR-K ist die Tätigkeit maßgebend, das Adjektiv "überwiegend" ist nicht aufgenommen worden. Wenn frühere Fassungen der AVR-EKD die zeitliche Komponente enthalten, wenn nach § 22 Abs. 2 BAT zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge der Vergütungsgruppe zugeordnet werden müssen, § 1 AVR-K wie auch § 12 Abs. 2 AVR-EKD eine entsprechende Zeitkomponente nicht enthalten, muss das maßgebend für die Auslegung berücksichtigt werden.

Für die Eingruppierung ist die gesamte Tätigkeit der Arbeitnehmerin zu berücksichtigen, eine zeitliche Komponente (überwiegend) ist bewusst nicht aufgenommen worden. Auf Eingruppierungsregelungen des BAT oder älterer Fassungen der AVR kann nicht zurückgegriffen werden. Die §§ 1, 2 AVR-K enthalten eigenständige und abschließende Regelungen zur Eingruppierung, die für sich zu bewerten und auszulegen sind.

4. Nach § 1 AVR-K ist die gesamte Tätigkeit für die Eingruppierungsentscheidung zu berücksichtigen. Dies kann und wird häufig dazu führen, dass ein Arbeitsplatz mehrere Teiltätigkeiten beinhaltet, die unterschiedliche Eingruppierungen zur Folge haben. Solche Mischtätigkeiten liegen z.B. vor, wenn ein Sachbearbeiter Vorgänge mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad bearbeiten muss - Vorgang A entspricht E 7, Vorgang B entspricht E 8. Dieses Problem der Mischtätigkeit löst § 2 AVR-K, in dem es nicht auf die überwiegende Tätigkeit abstellt, sondern auf die Tätigkeiten, die den Charakter des Arbeitsbereichs im Wesentlichen bestimmen. Das Wort Charakter lässt sich umschreiben mit Merkmal, Gepräge, Eigenart (Wahrig, Deutsches Wörterbuch 2000). Bei Mischtätigkeiten ist dann für die Eingruppierung die Tätigkeit maßgebend, die für den Arbeitsplatz prägend und kennzeichnend, also charakteristisch ist. Hier kann die zeitliche Komponente wesentlich sein, weil eine überwiegende Haupttätigkeit vorliegt, Sachbearbeitung der Entgeltgruppe E 7 mit unwesentlichen Teilaufgaben nach E 8. Andererseits kann der Arbeitsplatz auch geprägt sein durch eine Teiltätigkeit mit weniger als 50 % Zeitanteil. Beispiel: Sachbearbeitung E 7 zu 70 %, Sachgebietsleitung E 8 zu 30 %. Für diesen Arbeitsplatz ist Sachgebietsleitung prägend und kann als charakteristisch für die Bewertung der Gesamttätigkeit Eingruppierung nach Entgeltgruppe E 8 rechtfertigen.

5. In den Tätigkeitsmerkmalen der Entgeltgruppen ist mehrfach als Heraushebungsmerkmal erweiterte oder erheblich erweiterte Fachkenntnisse und Fertigkeiten aufgeführt. Nach § 22 Abs. 2 Unterabsatz 2 Satz 2 BAT ist eine zusammenfassende Bewertung mehrerer Arbeitsvorgänge erforderlich, wenn die Erfüllung einer Anforderung (z.B. vielseitige Fachkenntnisse) erst bei einer Gesamtschau der Tätigkeiten festgestellt werden kann. Diese Vorschrift kann hier auch nicht ergänzend herangezogen werden, die AVR-K haben eigenständige Eingruppierungsregelungen. Das grundsätzliche Eingruppierungsproblem - Ist die Erfüllung von Tätigkeitsmerkmalen wie vielseitige Fachkenntnisse oder erweiterte Fachkenntnisse isoliert zu prüfen für die Einzeltätigkeit oder ist eine Gesamtbewertung vorzunehmen? - stellt sich auch im Bereich der AVR-K. Die Lösung erfolgt hier ebenfalls über § 2 AVR-K, maßgebend ist der Charakter des Arbeitsbereichs. So kann es charakteristisch im Sinne von § 2 AVR-K sein, dass an einem Arbeitsplatz Vorgänge unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades zu bearbeiten sind und das Maß der erforderlichen Fachkenntnisse erst in der Gesamtbewertung aller Teiltätigkeiten festgestellt werden kann. Gerade für das Tätigkeitsmerkmal der erweiterten Fachkenntnisse und Fertigkeiten ist eine Bewertung der gesamten Arbeitsaufgaben damit erforderlich.

6. Die Tätigkeit der Klägerin als Logopädin im SPZ erfüllt die Tätigkeitsmerkmale der Entgeltgruppe E 8 - im Verhältnis zur Entgeltgruppe 7 sind erheblich erweiterte Fachkenntnisse und Fertigkeiten erforderlich. Für die Eingruppierung sind folgende Tätigkeitsmerkmale relevant:

E 6.1.

Arbeitnehmerinnen auf Arbeitsplätzen mit Tätigkeiten, die Kenntnisse und Fertigkeiten erfordern, die in der Regel durch eine abgeschlossene, mindestens dreijährige Berufsausbildung erworben werden.

Richtbeispiele:

Facharbeiterin

Hausmeisterin mit abgeschlossener handwerklicher Ausbildung

Hauswirtschafterin

Köchin

Verwaltungsmitarbeiterin mit kaufmännischer Ausbildung

E 7.1.

Arbeitnehmerinnen auf Arbeitsplätzen mit entsprechenden Tätigkeiten in der Pflege, Betreuung oder Erziehung und einer abgeschlossenen Berufsausbildung als Altenpflegerin, Erzieherin, Heilerziehungspflegerin oder Krankenschwester.

E 7.2.

Arbeitnehmerinnen auf Arbeitsplätzen mit Tätigkeiten, die über die Anforderungen nach Entgeltgruppe 6 hinaus erweiterte Fachkenntnisse und Fertigkeiten voraussetzen. Dieses Merkmal wird erfüllt, wenn diese Tätigkeiten im Wesentlichen nach allgemeinen Anweisungen selbständig ausgeführt werden.

Richtbeispiele:

Facharbeiterin

Gruppenleiterin in WfB

Hausmeisterin mit abgeschlossener handwerklicher Ausbildung

Hauswirtschafterin

Köchin

Verwaltungsmitarbeiterin mit kaufmännischer Ausbildung

E 8

Arbeitnehmerinnen auf Arbeitsplätzen mit Tätigkeiten, die über die Anforderungen nach Entgeltgruppe 7 hinaus

- erweiterte Fachkenntnisse und Fertigkeiten sowie Verantwortung für Personal oder Betriebsmittel in höherem Ausmaß

oder

- erheblich erweiterte Fachkenntnisse und Fertigkeiten

voraussetzen 2.

Richtbeispiele:

Altenpflegerin

Erzieherin

Facharbeiterin

Heilerziehungspflegerin ...

2 Die Tätigkeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten sowie auf Arbeitsplätzen in der stationären Behindertenhilfe, die üblicherweise von Heilerziehungspflegerinnen bzw. Erzieherinnen ausgeübt werden, erfordert i.d.R. erheblich erweiterte Fachkenntnisse und Fertigkeiten.

Für die Tätigkeit einer Logopädin ist eine Fachschulausbildung erforderlich vergleichbar der Ausbildung einer Erzieherin. Eine Eingruppierung nach E 7.1. kann aber nicht erfolgen. Das Tätigkeitsmerkmal erfasste nur die dort aufgeführten Berufsgruppen, die Aufzählung ist abschließend. Eine analoge Anwendung von E 7.1. kommt nicht in Betracht. Die Eingruppierung hat zu erfolgen nach den allgemeinen Tätigkeitsmerkmalen E 6.1., E 7.2., E 8.

7. Die Klägerin erfüllt die Anforderungen der Entgeltgruppe E 6.1., unstreitig sind für die Tätigkeiten einer Logopädin Kenntnisse und Fertigkeiten erforderlich, die in der Regel durch eine mindestens dreijährige Berufsausbildung erworben werden. Das Heraushebungsmerkmal E 7.2., über E 6 hinaus erweiterte Fachkenntnisse und Fertigkeiten, ist erfüllt, weil die Tätigkeit selbständig ausgeführt wird. Aus Satz 2 zu E 7.2. folgt, dass eine Heraushebung aus E 6 bereits dann zu bejahen ist, wenn z.B. der ausgebildete Facharbeiter die Tätigkeit selbständig ausführt. Eine Logopädin ist bereits dann nach E 7.2. eingruppiert, wenn sie ihre Tätigkeit selbständig ausführt. Nach Ziffer 15 der Stellenbeschreibung ist die Klägerin in ihrem, d.h. im logopädischen Bereich selbständig und eigenverantwortlich tätig. Die Anforderungen der Entgeltgruppe E 7.2. sind erfüllt.

8. Das Heraushebungsmerkmal der erheblich erweiterten Fachkenntnisse und Fertigkeiten nach E 8 ist gegeben. Im Verhältnis zu einer Logopädin nach E 7.2., die selbständig ihre in der Ausbildung erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten umsetzt, verlangt die Tätigkeit im SPZ in erheblichem Maße erweiterte Fachkenntnisse und Fähigkeiten.

Die gesteigerten Anforderungen beruhen vor allem darauf, dass im SPZ nicht nur logopädische Standardaufgaben abgewickelt werden, also nicht nur Patienten mit einer sprachlichen Teilleistungsstörung behandelt werden, sondern in großem Umfang mehrfachbehinderte Kinder und Jugendliche mit komplexen körperlichen, geistigen und/oder seelischen Problemen. Die drei Fallbeschreibungen, die die Klägerin in der Berufungsbegründung vorgelegt hat, zeigen, dass Patienten mit hochproblematischen Mehrfachbehinderungen zu behandeln sind, Diagnostik und Therapie überdurchschnittliche Anforderungen im logopädischen Bereich und in der interdisziplinären Zusammenarbeit stellen.

Ob die Behandlung mehrfachbehinderter Kinder und Jugendlicher oder ob die Behandlung von Patienten mit Erziehungsschwierigkeiten oder Verhaltensauffälligkeiten zeitlich überwiegt, ist nicht entscheidend. Für die Arbeit im SPZ ist prägend und kennzeichnend, damit also charakteristisch im Sinne des § 2 AVR-K, dass Kinder mit Mehrfachbehinderung diagnostiziert und therapiert werden. Nach § 119 Abs. 2 SGB V ist die Behandlung durch sozialpädiatrische Zentren auf diejenigen Kinder auszurichten, die wegen der Art, Schwere oder Dauer ihrer Krankheit oder einer drohenden Krankheit nicht von geeigneten Ärzten oder in geeigneten Frühförderstellen behandelt werden können. Nach der Vorgabe des Gesetzgebers ist damit im SPZ nicht zu leisten die Standardaufgabe eines Logopäden oder Ergotherapeuten oder Psychologen. Das SPZ ist geschaffen für Diagnostik und Therapie von Kindern und Jugendlichen, die durch niedergelassene Ärzte, niedergelassene Ergotherapeuten oder Logopäden nicht ausreichend behandelt werden können - deren Behandlung besondere Kenntnisse und Fertigkeiten einschließlich interdisziplinärer Zusammenarbeit erfordert. Die Behandlung von Patienten mit Mehrfachbehinderung mit Verhaltensauffälligkeiten und Erziehungsschwierigkeiten ist damit unabhängig vom zeitlichen Anteil charakteristisch für den Arbeitsbereich der Klägerin.

Nach der Anmerkung zu E 8 erfordert die Arbeit mit Kindern/Jugendlichen mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten in der Regel erheblich erweiterte Fachkenntnisse und Fertigkeiten. Die Anmerkung ist hier nicht direkt anwendbar, weil sie nur die Tätigkeiten von Heilerziehungspflegerinnen und Erzieherinnen erfasst. Die Anmerkung kann aber für die Auslegung des Erfordernisses erweiterte Fachkenntnisse und Fertigkeiten ergänzend herangezogen werden. Sie gibt Anhaltspunkte dafür, dass die Richtlinie Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern mit Erziehungsschwierigkeiten als höherwertig bewertet. Die Klägerin leistet im Bereich verhaltensgestörter Kinder mit Erziehungsschwierigkeiten Diagnostik und Therapie. Entsprechend der Bewertung in der Anmerkung zu E 8 ist dann davon auszugehen, dass diese Arbeit erweiterte Fachkenntnisse und Fertigkeiten erfordert.

Wie zu den Eingruppierungsgrundsätzen ausgeführt, muss für das Heraushebungsmerkmal erheblich erweiterte Fachkenntnisse und Fertigkeiten die gesamte Tätigkeit betrachtet werden, zeitlich überwiegende Tätigkeit dieses Schwierigkeitsgrades muss nicht vorliegen. Berücksichtigt man die besondere Aufgabenstellung des SPZ, berücksichtigt man, dass für Mehrfachbehinderungen und Schwerstbehinderungen im SPZ ein besonders hoher Stand an Fachwissen und Fertigkeit vorgehalten werden muss (auch wenn er nicht überwiegend abgefragt wird), so ist die Behandlung von Problemfällen in einem weitaus geringerem Umfang als 50 % für die Eingruppierung ausreichend. Charakteristisch für das SPZ ist, dass unabhängig von der Nachfrage im Einzelfall ein besonders hoher Stand an Fachwissen und Fertigkeiten vorgehalten werden muss.

9. Das Heraushebungsmerkmal nach E 8 ist auch damit zu begründen, dass die Klägerin Behandlungspläne zu erstellen hat, die nicht von ihr in einer Therapie umgesetzt werden, sondern die für niedergelassene Logopäden bestimmt sind. Die Erstellung von Behandlungsplänen für einen Dritten, der selbst über eine Fachausbildung verfügt, bedarf einer besonderen Sorgfalt in Diagnostik und Ausarbeitung der Pläne. Während Behandlungspläne, die ein Therapeut selbst in der Therapie umsetzt, jederzeit überarbeitet und korrigiert werden können, dem Behandlungsverlauf angepasst werden können, bedarf die Vorgabe von Behandlungsplänen für niedergelassene Logopäden einer besonders gründlichen Diagnostik und Auswahl der Therapie. Die hier entstehenden Anforderungen, ebenfalls typisch und charakteristisch für den Arbeitsbereich der Klägerin, gehen erheblich über das hinaus, was ein Logopäde mit Fachausbildung leisten kann und leisten muss.

Zur Begründung der gesteigerten Anforderungen ist auch hinzuweisen auf das Erfordernis der interdisziplinären Zusammenarbeit mit Ärzten, Psychologen und anderen Therapeuten. Diese fachübergreifende Zusammenarbeit, charakteristisch für die Arbeit im SPZ, gerade aus diesem Grunde sind sozialpädiatrische Zentren geschaffen worden, verlangt Fachkenntnisse auch über den rein sprachlichen Bereich hinaus. Auch insofern sind gesteigerte Anforderungen an Fachkenntnisse und Fertigkeiten festzustellen.

10. Die Beklagte wendet ein, Tätigkeiten, wie sie die Klägerin in den Fallbeispielen Ti. und To. geschildert habe, würden auch von niedergelassenen Logopäden durchgeführt. Der Einwand ist unerheblich. E 8 verlangt im Vergleich zu Standardaufgaben einer selbständig tätigen Logopädin erheblich erweiterte Fachkenntnisse und Fertigkeiten. Es wird nicht verlangt, dass es sich um solche Spezialkenntnisse handelt, die z.B. nur in einem SPZ erworben und angewandt werden können. Ausreichend und erforderlich sind lediglich erheblich erweiterte Fachkenntnisse und Fertigkeiten, die naturgemäß auch im Bereich niedergelassener Logopäden anzutreffen sind, unter Umständen sogar von besonders spezialisierten Logopäden übertroffen werden.

11. In der Gesamtbewertung sind damit die Anforderungen der Entgeltgruppe E 8 erfüllt, die Klägerin hat Anspruch auf Vergütung nach E 8 ab 01.05.2006.

Ansprüche aus dem Zeitraum 01.01.2004 bis 30.04.2006 sind nach der Ausschlussfrist des § 43 AVR-K verfallen. § 43 Abs. 1 AVR-K bestimmt, dass Ansprüche innerhalb einer Ausschlussfrist von 6 Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden müssen. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren war als erstmalige Geltendmachung gegenüber dem Arbeitgeber vorgetragen das Schreiben der Klägerin vom 16.10.2006. Aus der vorangegangenen Zeit war nur bekannt Korrespondenz zwischen Klägerin und MAV, die eine Geltendmachung gegenüber dem Arbeitgeber nicht ersetzt. Weil Gehaltsansprüche am 16. eines jeden Monats fällig werden (§ 22 Abs. 2 AVR-K), sind mit Geltendmachung vom 16.10.2006 Vergütungsansprüche ab Mai 2006 erfasst.

Die Klägerin hat nach Verkündung des Urteils mit Schriftsatz vom 20.01.2009 ein Geltendmachungsschreiben vom 03.02.2004 vorgelegt. Dieser nach Urteilsverkündung eingegangene Vortrag konnte nicht mehr berücksichtigt werden. Die Kammer hat im Übrigen keine Veranlassung gesehen, die Klägerin gesondert auf die Ausschlussfrist des § 43 AVR-K hinzuweisen. Die Beklagte hatte sich allgemein auf Verwirkung berufen. Nach Auffassung der Kammer bestand dann aber ausreichend Anlass für die Klägerin, zur Einhaltung der Ausschlussfrist vorzutragen.

12. Zinsen waren der Klägerin nur zuzusprechen ab Rechtshängigkeit am 02.01.2008, § 291 BGB. Für den davor liegenden Zeitraum konnten Verzugszinsen nach § 288 ZPO nicht zuerkannt werden, weil ein schuldhaftes Verhalten des Arbeitgebers nicht ersichtlich ist. Angesichts der für die Beklagte positiven Entscheidung der Schiedsstelle in der Eingruppierungsauseinandersetzung mit der Mitarbeitervertretung ergeben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine schuldhaft fehlerhafte Eingruppierung durch die Beklagte.

13. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO in Verbindung mit § 92 Abs. 2 ZPO. Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes erfolgt gemäß § 63 Abs. 2 GKG in Anwendung des § 42 Abs. 3 GKG.

Die Zulassung der Revision ist erfolgt gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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