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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 10.05.2005
Aktenzeichen: 13 Sa 842/04
Rechtsgebiete: VO (EWG) 3821/85


Vorschriften:

VO (EWG) 3821/85 Art. 14 Abs. 2
Der LKW-Fahrer hat nach Art. 14 Abs. 2 Verordnung (EWG) 3821/85 einen Anspruch auf Kopien der Fahrtenschreiberdiagramme. Er kann diesen Anspruch auch geltend machen zur Vorbereitung einer Klage auf Überstundenvergütung.
LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 Sa 842/04

In dem Rechtsstreit

hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 10. Mai 2005 durch

den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenkötter, den ehrenamtlichen Richter Herrn Gerking, den ehrenamtlichen Richter Herrn Tobien für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Emden vom 15.04.2004, 2 Ca 62/04, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 993,60 € festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger hat ursprünglich im arbeitsgerichtlichen Verfahren Zahlung von 9.936,-- € begehrt für geleistete Überstunden. Er behauptet entsprechend der Anlage zur Klageschrift, insgesamt 300 Mehrarbeitsstunden geleistet zu haben. Mit Schriftsatz vom 08.03.2004 hat er die Klage umgestellt und beantragt nunmehr nur noch Auskunft über geleistete Lenkzeiten, Zielorte, Entladezeiten und Ruhezeiten zu erteilen durch Vorlage der Fahrtenschreiberdiagramme.

Der Kläger war seit dem 14.04.2003 als Kraftfahrer im Fernverkehr bei der beklagten Spedition beschäftigt. Er bezog ein Bruttoentgelt von 1.943,-- € monatlich, es war eine 40-Stunden-Woche vereinbart. Das Arbeitsverhältnis endete im Oktober 2003, der Kläger hat Arbeitsleistung erbracht bis einschließlich 13.09.2003.

Der Kläger hat vorgetragen, der Auskunftsanspruch sei begründet. Die Fahrtenschreiberdiagramme enthielten Aufzeichnungen, die er für eine substanziierte Darstellung des Überstundenanspruches benötige. Die Beklagte sei deshalb verpflichtet, die entsprechende Auskunft zu erteilen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Auskunft über die von ihm in der Zeit vom 14.04.2003 bis 13.09.2003 geleisteten Lenkzeiten, Zielorte, Entladezeiten und Ruhezeiten zu erteilen, durch Vorlage der vom Kläger aufgezeichneten Fahrtenschreiberdiagramme.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat bestritten, dass Überstunden geleistet worden seien. Im Übrigen bestehe keine Verpflichtung zur Vorlage der Fahrtenschreiberdiagramme.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Tenor und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.

Mit Berufung vertritt der Kläger die Rechtsauffassung, dass der Auskunftsanspruch bestehe und die Beklagte zur Vorlage der Fahrtenschreiberdiagramme verpflichtet sei. Auf Vernichtung der Fahrtenschreiberdiagramme könne sich die Beklagte in dem jetzigen Verfahrensstadium nicht berufen, bei Herausgabeansprüchen wie dem vorliegenden sei die Unmöglichkeit der Erfüllung des Anspruchs nicht eine Frage der Begründetheit, sondern im Zwangsvollstreckungsverfahren zu klären. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung und die Schriftsätze des Klägers vom 20.12.2004 und 02.02.2005.

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Emden vom 15.04.2004 - Aktenzeichen 2 Ca 62/04 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Auskunft über die von ihm in der Zeit vom 14.04.2003 bis 13.09.2003 geleisteten Lenkzeiten, Zielorte, Entladezeiten und Ruhezeiten zu erteilen, durch Vorlage der vom Kläger aufgezeichneten Fahrtenschreiberdiagramme.

2. hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 14.04.2003 bis 13.09.2003 Kopien der Fahrtenschreiberdiagramme auszuhändigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, eine Verpflichtung zur Auskunftserteilung und zur Vorlage der Fahrtenschreiberdiagramme bestehe nicht. Eine solche Verpflichtung folge auch nicht aus der Verordnung (EWG) 3821/85, Artikel 14 Abs. 2. Die dort aufgeführten Pflichten dienten der Kontrolle der Lenkzeit, die Fahrtenschreiberdiagramme seien im öffentlichen Interesse erstellt worden und nicht zu dem Zweck, die Arbeitszeiten des Klägers festzuhalten und die Durchsetzung von Überstundenansprüchen zu ermöglichen. Im Übrigen seien Fahrtenschreiberdiagramme auch nicht geeignet, Auskunft über die tatsächlich geleistete Arbeitszeit zu erbringen, weil nur Lenkzeiten erfasst würden. Schließlich behauptet die Beklagte, dass die Fahrtenschreiberdiagramme nach Ablauf der einjährigen Aufbewahrungsfrist vernichtet worden seien, sie deshalb nicht in der Lage sei, diese Urkunden herauszugeben. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungserwiderung, den Beklagtenschriftsatz vom 11.01.2005 und den Beklagtenschriftsatz vom 08.03.2005.

Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Frau K... als Zeugin. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die gerichtliche Niederschrift vom 10.05.2005.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 64, 66 ArbGG. Der Hauptantrag ist nicht begründet, weil der Kläger keinen Auskunftsanspruch hat zu geleisteten Lenkzeiten, Zielorten, Entladezeiten und Ruhezeiten durch Vorlage der Fahrtenschreiberdiagramme. Der Hilfsantrag, Aushändigung von Kopien der Fahrtenschreiberdiagramme, ist an sich begründet. Wegen Vernichtung der Fahrtenschreiberdiagramme ist aber Unmöglichkeit eingetreten, § 275 Abs. 1 BGB, so dass auch insoweit die Klage abzuweisen war.

Der Hauptantrag auf Auskunftserteilung ist nicht begründet. Der Kläger begehrt Auskunft, um die Ableistung von Überstunden schlüssig darstellen zu können und einen Überstundenvergütungsanspruch durchsetzen zu können. Er hat als Kläger insoweit die geleistete Arbeitszeit im Einzelnen darzulegen unter Angabe von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und insbesondere unter Angabe von Pausen- und Ruhezeiten. Nach Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 242 BGB besteht insoweit gegen den Arbeitgeber kein Auskunftsanspruch zu Details der Arbeitsableistung in der Vergangenheit.

Als vertragliche Nebenpflicht in Verbindung mit § 242 BGB kann ein Auskunftsanspruch bejaht werden, wenn der Gläubiger ohne eigenes Verschulden über das Bestehen und den Umfang seiner Rechte keine Gewissheit hat und deshalb auf die Auskunft des Schuldners angewiesen ist, der sie unschwer geben kann. Ein darüber hinausgehender allgemeiner Auskunftsanspruch besteht zwischen den Arbeitsvertragsparteien nicht. Da der Arbeitnehmer ohne weiteres die von ihm geleistete Arbeitszeit im Einzelnen erfassen kann, er kann Aufzeichnungen führen, kann er vom Arbeitgeber zur Durchsetzung von Überstundenvergütungsansprüchen grundsätzlich keine Auskunft verlangen. Soweit er nicht substanziiert vorgetragen hat, weil er entsprechende Aufzeichnungen nicht getätigt hat, beruht dies auf eigenem Verschulden. Insoweit ist auch für Berufskraftfahrer anerkannt, dass grundsätzlich ein Auskunftsanspruch zu geleisteten Arbeitszeiten gegen den Arbeitgeber nicht besteht (BAG vom 26.06.1985, 7 AZR 150/83, juris; LAG Hamm vom 24.05.1984, 4 (2) Sa 206/84, juris). Der Hauptantrag ist damit nicht begründet, insbesondere besteht auch kein Anspruch auf Vorlage der Fahrtenschreiberdiagramme.

Der Hilfsantrag ist an sich begründet. Wegen Unmöglichkeit, § 275 Abs. 1 BGB war aber auch insoweit die Berufung zurückzuweisen.

Nach Artikel 14 Abs. 2 Verordnung (EWG) 3821/85 hat das Unternehmen die Fahrtenschreiberdiagramme ein Jahr lang aufzubewahren und dem Fahrer auf Verlangen Kopien auszuhändigen. Diese Verordnung ist gemäß Artikel 249 EG-Vertrag unmittelbar geltendes Recht und gewährt damit dem Kläger den entsprechenden Anspruch.

Es sind keine Gründe ersichtlich, aus denen dieser Anspruch verneint werden könnte. Es handelt sich um einen gesetzlich geregelten Anspruch, der auf eine Leistung gerichtet ist. Folglich bedarf es zu seiner gerichtlichen Geltendmachung keines besonderen Rechtsschutzinteresses. Allenfalls könnte der Durchsetzung der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegengesetzt werden. Für eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung ergeben sich aber keine Anhaltspunkte.

Fahrtenschreiberdiagramme dienen in erster Linie der Aufzeichnung der Lenkzeiten und der Kontrolle der Einhaltung der Lenkzeitvorschriften. Die Vorschriften zur Lenkzeit bestehen in erster Linie im öffentlichen Interesse, nämlich zur Gewährleistung der Sicherheit im Straßenverkehr. Gleichzeitig handelt es sich aber bei den Lenkzeitvorschriften auch um Arbeitszeitregelungen für Berufskraftfahrer, die Begrenzung der Lenkzeiten dient auch dem Schutz des Arbeitnehmers. Damit ergibt sich ein hinreichender Sachzusammenhang zum vorliegenden Anspruch auf Überstundenvergütung, den der Kläger mit Hilfe der Kopien der Fahrtenschreiberdiagramme durchsetzen will.

Fahrtenschreiberdiagramme sind auch jedenfalls teilweise geeignet, Überstundenansprüche zu substanziieren. Aus Beginn und Ende der Lenkzeit kann auf Beginn und Ende der Arbeitszeit geschlossen werden, aus Lenkzeitunterbrechungen können Pausen und Ruhezeiten geschlossen werden. Weil damit Rückschlüsse auf die Arbeitszeit möglich sind, kann die Geltendmachung nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden.

Der Anspruch des Klägers auf Vorlage von Kopien ist gemäß § 275 Abs. 1 BGB erloschen, weil die Fahrtenschreiberdiagramme vernichtet sind und damit Unmöglichkeit eingetreten ist.

Entgegen der Auffassung des Klägers war der Unmöglichkeitseinwand der Beklagten erheblich. Es war hierzu Beweis zu erheben. Die Grundsätze zum Unmöglichkeitseinwand beim Herausgabeanspruch, z.B. § 985 BGB, sind hier nicht anzuwenden. Zum Herausgabeanspruch vertritt die herrschende Meinung die Auffassung, der Unmöglichkeitseinwand des Klägers sei im Herausgabeprozess unbeachtlich, wenn feststehe, dass der Schuldner für die Unmöglichkeit haften würde (dazu: Wittig, NJW 1993, 635 ff.; Palandt, BGB, 63. Aufl., § 985, RdNr. 18).

Vorliegend handelt es sich nicht um einen Herausgabeanspruch, der nach § 883 ZPO zu vollstrecken wäre. Es besteht nur ein Anspruch auf Aushändigung von Kopien. Vollstreckung hätte zu erfolgen nach § 887 ZPO. Bei Herausgabeklagen ist der Unmöglichkeitseinwand nur dann unerheblich, wenn der Schuldner für die Unmöglichkeit haftet. Es besteht damit entweder der Herausgabeanspruch oder ein Schadensersatzanspruch. Verurteilung zur Herausgabe mit der Möglichkeit der Vollstreckung führt damit bei tatsächlicher Unmöglichkeit zu einem Schadensersatzanspruch. Nur unter diesen engen Voraussetzungen ist es akzeptabel, den Unmöglichkeitseinwand als unerheblich zu bewerten. Eine vergleichbare Fallgestaltung liegt hier aber gerade nicht vor. Angesichts der Aufbewahrungspflicht von 1 Jahr war die Vernichtung der Fahrtendiagrammschreiber nicht rechtswidrig, eine vergebliche Vollstreckung führt nicht zu einem Schadensersatzanspruch. Als Konzequenz der Vernichtung der Fahrtendiagrammschreiber kommt allenfalls in Betracht, unter dem Gesichtspunkt der Beweisvereitelung die Anforderungen an die Substanziierung im Prozess über Überstundenvergütung herabzusetzen. Die Grundsätze zur Herausgabeklage waren damit nicht anwendbar, so dass über den Unmöglichkeitseinwand Beweis zu erheben war.

Die Zeugin hat glaubhaft und nachvollziehbar dargestellt, dass sie nach Ablauf der Aufbewahrungszeiten regelmäßig Unterlagen vernichtet und im Oktober eines jeden Jahres eine sogenannte Großvernichtungsaktion von nicht mehr aufbewahrungspflichtigen Unterlagen durchführt. Die Aussage der Zeugin war nachvollziehbar, Anhaltspunkte für Zweifel haben sich für die Kammer nicht ergeben. Die Vernichtung der Tachoscheiben ist damit zur Überzeugung des Gerichts bewiesen.

Da die Klage abzuweisen war, trägt der Kläger die Kosten des Rechtsmittels. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO.

Gründe, die Revision zuzulassen, bestanden nicht. Zur Auslegung von Artikel 14 Abs. 2 Verordnung (EWG) 3821/85 konnte eine Revisionszulassung nicht erfolgen, weil diese Auslegung zu Lasten der Beklagten geht, die im Ergebnis obsiegt hat und damit durch das vorliegende Urteil nicht beschwert ist. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird verwiesen.

Ende der Entscheidung

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