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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 29.04.2005
Aktenzeichen: 16 Sa 1330/04
Rechtsgebiete: BGB, BetrVG


Vorschriften:

BGB § 615
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 2
1. Ein Schichtplan kann ohne Zustimmung des Betriebsrats nicht durch Direktionsrecht des Arbeitgebers verändert werden.

2. Dem Arbeitnehmer steht für den Fall, dass er mit der Veränderung zu seinen Ungunsten nicht einverstanden ist, Anspruch auf Vergütung für die ausfallenden Schichtstunden zu.

3. Ansprüche aus Arbeitszeitkonten sind frühestens zum Ablauf des Verteilzeitraums fällig, sodass eine Ausschlussfrist auch erst zu diesem Zeitpunkt zu laufen beginnt.


LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

16 Sa 1330/04

In dem Rechtsstreit

hat die 16. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 29. April 2005 durch

den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hannes, den ehrenamtlichen Richter Herrn Brunn, den ehrenamtlichen Richter Herrn Schärf für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 12.03.2004, Az. 5 Ca 122/03, abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto des Klägers für das Jahr 2002 weitere 10,47 Industriestunden gutzuschreiben.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt mit der Klage die Gutschrift von Arbeitsstunden in sein Arbeitszeitkonto.

Der Kläger ist bei der Beklagten als Keramoarbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Rahmentarifvertrag für die Steine- und Erden-Industrie für Arbeiter und Angestellte kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit Anwendung.

Der Kläger ist tätig in der Formerei der Beklagten in einem rollierenden Drei-Schichten-Modell bei 16 Schichten pro Woche. Das Schichtsystem, Lage und Verteilung der Arbeitszeit ist im Einigungsstellenspruch vom 23.11.1999 festgelegt und wird im Betrieb angewandt. Wegen des Inhalts dieses Spruches wird auf diesen (Blatt 95/96 d. A.) verwiesen.

Die Beklagte hat einen Schichtplan für den Zeitraum vom 26. bis 31.08.2002 aufgestellt und diesen am Donnerstag der Vorwoche ausgehängt. Wie vorgesehen, wurde der konkrete Einsatz der einzelnen Mitarbeiter im Schichtplan hinterlegt, was bedeutet, dass die Namen der einzelnen Mitarbeiter, die an den entsprechenden Schichten teilnehmen, aufgeführt werden. Für den Kläger war dabei eine Freischicht für den 28.08.2002 festgelegt sowie eine Schicht für den 29.08. von 22:00 Uhr bis 03:14 Uhr, obwohl die Nachtschicht bis 06:06 Uhr geht.

Die nicht geleisteten Stunden, die insgesamt 10,47 Industriestunden ausmachen (10 Stunden und 28 Minuten) wurden vom Arbeitszeitkonto des Klägers entnommen, sodass sich dieses um diese Stundenzahl reduzierte.

Der Kläger war mit der Freischicht am 28.08.2002 sowie dem vorzeitigen Schichtende am 29.08.2002 nicht einverstanden, was er gegenüber dem Meister bzw. Meistervertreter äußerte. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass ihm diese Stunden wieder gutzuschreiben seien. Die Beklagte habe einseitig den Schichtplan ohne Beteiligung des Betriebsrats geändert. Die Veränderung des Schichtplans sei mit dem Betriebsrat nicht abgesprochen. Es habe sich um eine Abweichung von der Regel gehandelt. Er habe am 28.08. und 29.08. jeweils seine Arbeitskraft angeboten, sei jedoch nach Hause geschickt worden.

Da eine Beteiligung des Betriebsrats nicht vorgenommen sei, sei der Schichtplan nicht rechtmäßig zu Stande gekommen sein, sodass er so zu behandeln sei, wie der Kläger bei ordnungsgemäßer Schichteinteilung gearbeitet hätte.

Er habe auch seinen Anspruch rechtzeitig gegenüber der Beklagten geltend gemacht. Dieses sei gegenüber dem zuständigen Meister erfolgt. Darüber hinaus habe er ein Schreiben verfasst, das an die Gewerkschaft gereicht worden sei. Er habe sich zwar nicht selbst an die Geschäftsleitung gewandt, jedoch habe der Schichtleiter dieses für ihn getan.

Er könne auch nicht darauf verwiesen werden, dass er Ansprüche nur gegenüber Mitarbeitern der Personalverwaltung wirksam geltend machen könne, da es ihm auf Grund der Nachtschicht regelmäßig verwehrt sei, auf Mitarbeiter der Personalverwaltung zu treffen, um eine Geltendmachung vorzunehmen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, seinem Arbeitszeitkonto weitere 10,75 Stunden gutzuschreiben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass der Schichtplan keine mitbestimmungspflichtigen Änderungen enthalte. Der Abbau der Arbeitszeitkontenguthaben durch Freischichten sei von Anfang an im Schichtplan enthalten gewesen. Grund hierfür sei die für September vorgesehene Kurzarbeitsphase gewesen.

Die Einteilung der Freischichten unterliege schlicht dem Direktionsrecht der Beklagten.

Darüber hinaus habe der Kläger seine Ansprüche nicht ordnungsgemäß geltend gemacht, da eine Anweisung bei der Beklagten bestehe, Ansprüche nur gegenüber Mitarbeitern der Personalverwaltung wirksam geltend machen zu können.

Durch Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 12.03.2004 wurde die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt und der Streitwert auf 150,-- € festgesetzt. Darüber hinaus wurde die Berufung zugelassen.

Dieses Urteil wurde dem Kläger am 03.08.2004 zugestellt. Hiergegen legte dieser am 18.08.2004 Berufung ein und begründete diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 19.11.2004 am 19.11.2004.

Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger vor, eine Geltendmachung sei nicht erforderlich gewesen, da der geltend gemachte Anspruch des Klägers nicht von der Regelung des Tarifvertrages bezüglich der Ausschlussfristen erfasst sei, weil es sich nicht um einen Anspruch auf Lohnberechnung handele.

Es handele sich vielmehr um einen Anspruch auf Freizeitausgleich, der keine Einheit mit einem Anspruch auf Lohnberechnung bilde.

Darüber hinaus habe der Kläger seinen Anspruch auch rechtzeitig gegenüber dem Meister geltend gemacht.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 12.03.2004, Az. 5 Ca 122/03, die Beklagte zu verurteilen, dem Arbeitszeitkonto des Klägers für das Jahr 2002 weitere 10,47 Industriestunden gutzuschreiben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 21.12.2004 nebst Anlagen. Hierauf wird verwiesen (Blatt 80 bis 89 d. A.).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet.

Die Beklagte ist verpflichtet, dem Arbeitszeitkonto des Klägers 10,47 Industriestunden für das Jahr 2002 gutzuschreiben und diese in die nachfolgenden Berechnungen von Freischichten einzubeziehen. Gemäß dem im Betrieb geltenden Einigungsstellenspruch vom 23.11.1999, der wie eine Betriebsvereinbarung im Betrieb wirkt, sind die Schichten sowie Beginn und Ende der Schichten sowie die Pausen festgelegt. Ferner ist festgelegt, dass es sich um ein rollierendes Drei-Schicht-System handelt, beginnend mit einer Frühschicht am Montag und endend mit der Frühschicht am Samstag. Dieses bedeutet, dass der Einsatz der Mitarbeiter in der Nachtschicht, die für den Kläger in der Woche vom 26. bis 31.08.2002 vorgesehen war, an sich von Montag bis Samstag hätte erfolgen müssen in der festgelegten Nachtschicht von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr. Die Beklagte hat den Kläger aber für einen Tag sowie für einzelne Stunden aus diesem Schichtplan herausgenommen, wobei sie dieses, wie sie üblicherweise verfahren ist, einseitig festgelegt hat im Rahmen des von ihr reklamierten Direktionsrechts und diesen Einsatz auch im Schichtenplan hinterlegt hat.

Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG erfasst jedoch nicht nur die Frage, ob im Betrieb in mehreren Schichten gearbeitet werden soll, sondern auch die Festlegung der zeitlichen Lage der einzelnen Schichten und die Abgrenzung des Personenkreises, der Schichtarbeit zu leisten hat. Mitbestimmungspflichtig ist auch der Schichtplan und dessen nähere Ausgestaltung bis hin zur Zuordnung der Arbeitnehmer zu den einzelnen Schichten.

Der Schichtplan für die Woche vom 26. bis 31.08.2002 ist ohne Zustimmung des Betriebsrats zu Stande gekommen. Der Einigungsstellenspruch vom 23.11.1999 regelt nicht, wie das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu wahren ist bei dem konkreten Einsatz der einzelnen Mitarbeiter im Schichtenplan. Ist eine solche Regelung nicht vorhanden, so ist jeder einzelne Schichtplan für die Woche mitbestimmungspflichtig und bedarf der Zustimmung des Betriebsrats. Dieses kann allenfalls dadurch verhindert werden, dass das Mitbestimmungsrecht im Vorhinein durch den Betriebsrat ausgeübt wird, indem generell festgelegt wird, wie der konkrete Einsatz der Mitarbeiter grundsätzlich zu erfolgen hat, was vorliegend jedoch nicht erfolgt ist. Ist aber der einzelne Schichtplan mitbestimmungspflichtig, so können Änderungen, die von dem normalen Schichteinsatz in der Nachtschicht abweichen, nicht einseitig kraft Direktionsrechts vom Arbeitgeber festgelegt werden. Es ist unstreitig, dass der Kläger an sich entsprechend dem festgesetzten Schichtenplan zu arbeiten gehabt hätte. Er ist lediglich für bestimmte Zeiträume herausgenommen worden, was aber nur möglich gewesen ist, wenn der Betriebsrat hierüber informiert gewesen wäre und dieses gebilligt hätte. Kommt demzufolge ein Schichtenplan zu Stande, der von der Regel abweicht und gesonderte Freischichten festlegt und ist dieser wegen Verletzung des Mitbestimmungsrechts unwirksam, so ist der Arbeitnehmer so zu behandeln, als ob der Schichtenplan regelgerecht aufgestellt worden wäre, sodass davon auszugehen ist, dass der Kläger im rollierenden Schichtsystem in dieser Woche vollständig gearbeitet hätte.

Die Beklagte hat durch Aushang des Schichtenplanes von vornherein zu erkennen gegeben, dass ein Einsatz des Klägers zu den genannten Zeiten nicht in Betracht kommt, sodass sie auch insoweit gemäß § 615 BGB in Annahmeverzug gekommen ist und den Kläger an sich zu vergüten gehabt hätte. Insoweit war sie nicht berechtigt, vom Arbeitszeitkonto des Klägers Stunden zu entnehmen (vgl. hierzu Urteil des BAG vom 29.09.2004, Az. 5 AZR 559/03, in EzA § 87 BetrVG 2001, Alterszeit Nr. 5).

Der Anspruch des Klägers scheitert auch nicht an der Ausschlussfrist des Tarifvertrags. Gemäß Ziffer 231 des genannten Manteltarifvertrags erlöschen Ansprüche auf Lohnzuschläge und Ansprüche wegen unrichtiger Lohnberechnung und unrichtiger Akkord- und Prämienberechnung, wenn sie nicht drei Monate nach ihrer endgültigen Abrechnung geltend gemacht worden sind. Dieses gilt nicht, wenn die Berufung auf die Ausschlussfrist wegen des Vorliegens besonderer Umstände (z. B. bei nachweisbarer Nichterfüllung von tariflichen Ansprüchen) eine unzulässige Rechtsausübung ist. Gemäß Ziffer 232 des Manteltarifvertrags ist vereinbart, dass alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erlöschen spätestens drei Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Die Kammer ist der Auffassung, dass es sich vorliegend nicht um einen Anspruch gemäß Ziffer 231 des Manteltarifvertrags handelt. Insbesondere ist auch kein Anspruch wegen unrichtiger Lohnberechnung vorhanden, da das Arbeitszeitkonto neben den Abrechnungen geführt wird und ein verstetigter Monatslohn gezahlt wird, auf den das Arbeitszeitkonto keinen direkten Einfluss hat. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts kann diese Regelung des Tarifvertrags auch nicht ergänzend ausgelegt werden, da Ziffer 232 ausdrücklich alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis beinhaltet und damit umfassend eine Regelung trifft, während Ziffer 231 nur einzelne konkret genannte Ansprüche beinhaltet. Ist demzufolge die Lohnberechnung letztlich unabhängig davon, welche Stunden sich im Arbeitszeitkonto befinden, kann nicht von einem Anspruch wegen unrichtiger Lohnberechnung ausgegangen werden.

Darüber hinaus ist der Anspruch des Klägers auf Gutschrift im Arbeitszeitkonto zunächst ohne konkrete Auswirkungen auf die Fälligkeit des Anspruchs. Gemäß Ziffer 8 des Manteltarifvertrags kann die regelmäßige tarifliche oder abweichend festgelegte wöchentliche Arbeitszeit auch im Durchschnitt eines Verteilzeitraumes von bis zu zwölf Monaten erreicht werden, ohne dass hierdurch Mehrarbeitszuschläge entstehen. Entstehen dabei Zeitschulden oder Zeitguthaben, so sollen diese bis zum Ende des Quartalzeitraums ausgeglichen und von den Betriebsparteien zumindest jedes Quartal überprüft werden.

Ein Anspruch des Klägers aus dem Arbeitszeitkonto ergibt sich deshalb frühestens nach Ablauf von zwölf Monaten, sodass die Frage, welche Gut- oder Lastschriften im Arbeitszeitkonto stehen, nur allgemein eine Information der Mitarbeiter beinhaltet und eine Fälligkeit im Sinne eines Anspruchs auf Freizeitausgleich erst zu einem späteren Zeitpunkt begründet. Die Vorschrift der Ziffer 231 des Manteltarifvertrags ist deshalb nach Auffassung der Kammer nicht einschlägig.

Nach alledem ist auf die Berufung des Klägers das erstinstanzliche Urteil abzuändern.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 ArbGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Gegen dieses Urteil ist deshalb ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach Maßgabe des § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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