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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 09.09.2005
Aktenzeichen: 16 Sa 1331/04
Rechtsgebiete: BetrVG, BGB


Vorschriften:

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
BGB § 611
Bei einer Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf Zulagen um einen bestimmten Prozentsatz ändern sich die Verteilungsgrundsätze, wenn die gezahlten Zulagen in unterschiedlichen Prozentsätzen zur Vergütung gezahlt werden. Für diesen Fall hat der Betriebsrat bei der Anrechnung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen. Nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzungen steht dem Arbeitnehmer deshalb der Anspruch auf die ungekürzten Zulagen zu.
LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

16 Sa 1331/04

In dem Rechtsstreit

hat die 16. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 9. September 2005 durch

den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hannes, den ehrenamtlichen Richter Herrn Herlyn, den ehrenamtlichen Richter Herrn Winkelmann

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 12.03.2004, Az. 5 Ca 128/03, abgeändert.

2. Es wird festgestellt, dass die beklagtenseitige Verrechnung der Tariflohnerhöhung vom 01.05.2002 in Höhe von 2,1 % mit den im Betrieb der Beklagten gezahlten übertariflichen Zulagen mit der Lohnart 610 (bisher 15 %) und 611 (bisher 5 %) rechtsunwirksam ist.

3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 01.05.2002 bis 31.07.2003 neue Lohnabrechnungen zu erteilen, in denen die Tariflohnerhöhung ab dem 01.05.2002 auf die Lohnarten 610 und 611 ohne Kürzung der übertariflichen Zulagen zur Auszahlung gebracht wird.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 56,44 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 01.06.2002 zu zahlen.

5. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

6. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt mit der Klage die Feststellung, dass eine Verrechnung der Tariflohnerhöhung zum 01.05.2002 mit übertariflichen Zulagen rechtsunwirksam sei, begehrt neue Gehaltsabrechnungen für den Zeitraum vom 01.05.2002 bis 31.07.2003 und begehrt schließlich Zahlung eines Restbetrags für Mai 2002 in Höhe von 56,44 €.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem Jahre 1985 als Keramoarbeiter beschäftigt. Beide Parteien sind tarifgebunden. Für das Arbeitsverhältnis gilt der Manteltarifvertrag für die Industrie Steine und Erden, feuerfest, Säureschutz. Die Beklagte zahlt im Betrieb neben dem tariflichen Lohn übertarifliche sowie außertarifliche Zulagen, Handwerkerzuschlag, Erschwerniszuschlag, Schichtzulagen, Springerzulagen, Notdienstzulage, Vertreterzulagen, Vorarbeiterzulagen, Programmierzulage, Treueprämien, Fahrgeldzuschläge, Essens-geldzuschläge und pauschale Mehrarbeitszuschläge. Diese Zahlungen erfolgen an gewerbliche Mitarbeiter und Angestellte, wobei einige Zahlungen an alle Beschäftigte erfolgen, andere je nach tatsächlicher Beschäftigung.

Der Kläger erhielt auf Grund seiner Tätigkeit im Betrieb die sogenannte Dreischicht-zulage in Höhe von 15 % ( Lohnart 610) sowie eine Spätschichtzulage in Höhe von 5 % (Lohnart 611) auf den tariflichen Stundenlohn.

Insoweit kann auf die Abrechnungen des Klägers von April und Mai 2005 (Blatt 6 bis 8 d. A.) verwiesen werden.

Zum 01.05.2002 wurde der Tariflohn um 2,1 % erhöht. Die Beklagte kürzte daraufhin im Betrieb die Dreischichtzulage auf 12,9 % sowie die Spätschichtzulage auf 2,9 %.

Anrechnungen nahm die Beklagte auch vor bei den außertariflichen Zulagen, die einen betrieblichen Zuschlag für Handwerker darstellten, bei übertariflichen Zulagen, die diejenigen Mitarbeiter erhalten, die nicht im Leistungslohn arbeiten, bei dem betrieblichen außertariflichen Erschwerniszuschlag sowie bei dem Zuschlag zum tariflichen Prämienlohnanspruch nach § 50 c) des Tarifvertrags. Keine Anrechnungen erfolgten bei der Springerzulage gemäß Betriebsvereinbarung vom 24.01.1991 (Blatt 109 bis 113 d. A.) sowie bei der Notdienstzulage gemäß Betriebsvereinbarung vom 26.05.1982 (Blatt 108 d. A.). Ebenso wenig erfolgten Anrechnungen bezüglich der Lohnsicherung 1992, der Vertretungszulage, der Vorarbeiterzulage, der Fahrtkosten, des Essensgeldes, der Treueprämie, den pauschalen Zuschüssen für Mehrarbeit und der Programmierzulage.

Bereits in den Jahren 1993 und 1997 nahm die Beklagte eine Verrechnung der damaligen Tariflohnerhöhung von 3,1 % und 1,5 % auf übertarifliche und außertarifliche Zulagen vor.

Mit Schreiben vom 05.07.2002 machte der Kläger Ansprüche geltend. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut:

Die von Ihnen vorgenommene Anrechnung der tariflichen Entgelterhöhung in der Abrechnung Mai 2002 wird hiermit beanstandet und geltend gemacht.

Ich bitte daher um Nachzahlung der gekürzten Beträge und um eine neue Abrechnung.

Weiterhin bitte ich, in Zukunft eine Anrechnung der Entgelterhöhung zu unterlassen.

Inhaltsgleiche Schreiben richtete der Kläger an die Beklagte ferner für die Monate August, September, Oktober, November und Dezember 2002 sowie für die Monate Januar, Februar, März und April 2003. Inwieweit eine Geltendmachung auch für die Monate Juni und Juli 2002 erfolgt ist, ist zwischen den Parteien streitig.

Bei der Beklagten existiert der sogenannte B...-Entgelt-Katalog, der für die Monate von Mai 2001 bis April 2003 vorgelegt wurde. Insoweit wird auf diesen (Blatt 29 bis 46 d. A.) verwiesen.

Mit seiner am 01.04.2003 beim Arbeitsgericht Osnabrück eingereichten Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass die ihm gegenüber vorgenommenen Anrechnungen der Tariflohnerhöhung auf die außertariflichen Zulagen rechtswidrig sei und begehrt korrigierte Gehaltsabrechnungen sowie die Zahlung des Differenzbetrages für Mai 2002.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, eine Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die übertariflichen Zulagen sei nicht zulässig, da das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt sei. Es habe keine einheitliche Anrechnung stattgefunden, obwohl andere Zulagen auch zu kürzen gewesen seien. Darüber hinaus seien die ihm gegenüber gewährten Zulagen anrechnungsfrei. Zumindest habe er von der Widerruflichkeit der Zulagen, insbesondere auch dem B...-Entgelt-Katalog keine Kenntnis gehabt.

Die Beklagte habe gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, da mit der Anrechnung überwiegend gewerbliche Mitarbeiter belastet worden seien, wohin gehend bei den Angestellten eine Anrechnung der Lohnerhöhung auf die gewährten Zulagen nicht vorgenommen worden sei.

Darüber hinaus übersteige die von der Beklagten vorgenommene Anrechnung auch die effektive Tariflohnerhöhung.

Der Kläger habe eine Berechnung der Zulagen nicht vornehmen können. Die Beklagte sei deshalb zur Erteilung neuer Lohnabrechnungen verpflichtet.

Die Berechnung für den Monat Mai 2002 ergebe sich aus dem Schriftsatz des Klägers vom 23.07.2003, Seite 8 (Blatt 84 d. A.).

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass die beklagtenseitige Verrechnung der Tariflohnerhöhung zum 01.05.2002 mit den im Betrieb der Beklagten gezahlten übertariflichen und außertariflichen Zulagen, den übertariflichen und außertariflichen Schichtzulagen und Erschwerniszulagen rechtsunwirksam ist.

2. Die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für den Zeitraum 01.05.2002 bis 31.07.2003 neue Gehaltsabrechnungen zu erteilen, in denen die Tariflohnerhöhung ab 01.05.2002 ohne Kürzung der außertariflichen und übertariflichen Zulagen, außertariflichen und übertariflichen Schichtzulagen und Erschwerniszulagen zur Auszahlung gebracht wird.

3. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 56,44 EUR nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 01.06.2002 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, eine Anrechnung sei bei allen Zulagen erfolgt, die anrechenbar gewesen seien. Soweit eine Anrechnung nicht stattgefunden habe, seien diese nicht anrechenbar, weil diese entweder eine bestimmte Zweckbestimmung beinhalteten oder Bestandteil des Arbeitsverhältnisses geworden seien. Sie habe insgesamt nicht uneinheitlich angerechnet, was sich aus der Lohnliste vor der Anrechnung ergebe (Blatt 51 bis 65 d. A.).

Da die Beklagte die anrechenbaren Zulagen gleichmäßig und vollständig angerechnet habe, habe eine Veränderung der Verteilungsgrundsätze nicht stattgefunden, sodass der Betriebsrat nicht zu beteiligen gewesen wäre.

Auch bei den Angestellten sei die Anrechnung voll und ganz durchgeführt worden, soweit zulässig.

Darüber hinaus sei dem Kläger der B...-Entgelt-Katalog bekannt. Dieses ergebe sich bereits aus dem Einigungsstellenspruch bezüglich der Arbeitszeit vom 23.11.1999, in dem ausdrücklich geregelt sei, dass neben den tariflichen Zuschlägen die betrieblichen Zuschläge gemäß Lohnkatalog weitergezahlt werden (vgl. Blatt 107/107 R d. A.).

Darüber hinaus seien die Ansprüche des Klägers verfallen, da er diese nicht ordnungsgemäß geltend gemacht habe, zumindest seien diese auf Grund allgemeiner Verwirkungstatbestände vom Kläger nicht mehr geltend zu machen.

Schließlich sei eine neue Abrechnung der Ansprüche des Klägers unmöglich, da das damalige Lohnberechnungsprogramm nicht mehr vorhanden sei.

Durch Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 12.03.2004 wurde die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt und der Streitwert auf 2.330,44 € festgesetzt.

Wegen des Inhalts des erstinstanzlichen Urteils wird auf dieses (Blatt 130 bis 141 d. A.) verwiesen.

Dieses Urteil wurde dem Kläger am 28.07.2004 zugestellt. Hiergegen legte dieser am 18.08.2004 Berufung ein und begründete diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 19.11.2004 am 19.11.2004.

Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger vor, ein Feststellungsinteresse für seinen Antrag zu 1) sei vorhanden, da der Kläger eine Berechnung seiner Ansprüche nicht vornehmen könne. Wenn die Beklagte selbst vortrage, dass sie eine Berechnung nicht vornehmen könne, so sei dieses dem Kläger erst recht unmöglich.

Der Abrechnungsanspruch im Arbeitsverhältnis sei gegeben, sodass die Beklagte auch Abrechnungen zu erteilen habe.

Eine Anrechnungsmöglichkeit der Tariflohnerhöhung auf die Zuschläge, die der Kläger geltend mache, sei nicht vereinbart. Der Entgeltkatalog der Beklagten sei nur eine interne Aufstellung und nicht im Betrieb allgemein bekannt gemacht worden, jedenfalls sei dieser dem Kläger nicht bekannt. Auch bei Leistungs- und Erschwerniszulagen sei im Zweifel anzunehmen, dass sie auf den neuen Tariflohn aufzustocken seien. Bei den angerechneten Zuschlägen des Klägers, die er im Verfahren geltend mache, handele es sich um solche aus dem Dreischichtbetrieb. Die Zweckbestimmung sei insoweit gegeben, dass diese gezahlt würden für besondere Belastungen im Schichtbetrieb. Die Zulagen seien deshalb ebenfalls tarifbeständig.

Schließlich liege ein Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG vor, da der Betriebsrat bei der Anrechnung nicht beteiligt worden sei. Eine Anrechnung sei nur für einen Teil der Zulagen erfolgt, sodass sich schon dadurch Verteilungsgrundsätze geändert hätten.

Im Übrigen wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 19.11.2004 (Blatt 169 bis 176 d. A.) sowie vom 25.08.2005 (Blatt 237 bis 240 d. A.) verwiesen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 12.03.2004, Az. 5 Ca 128/03,

1. festzustellen, dass die beklagtenseitige Verrechnung der Tariflohnerhöhung zum 01.05.2002 in Höhe von 2,1 % mit den im Betrieb der Beklagten gezahlten übertariflichen Zulagen mit der Lohnart 610 (bisher 15 %) und 611 (bisher 5 %) rechtsunwirksam ist,

2. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für den Zeitraum 01.05.2002 bis 31.07.2003 neue Lohnabrechnungen zu erteilen, in denen die Tariflohnerhöhung ab dem 01.05.2002 auf die Lohnarten 610 und 611 ohne Kürzung der übertariflichen Zulagen zur Auszahlung gebracht wird,

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 56,44 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 01.06.2002 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Schriftsätze vom 22.12.2004 (Blatt 179 bis 183 d. A.) sowie vom 25.07.2005 nebst Anlagen (Blatt 211 bis 233 d. A.). Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Die Beklagte war nicht berechtigt, die Tariflohnerhöhung zum 01.05.2002 mit den übertariflichen Schichtzulagen des Klägers zu verrechnen.

Der Feststellungsantrag des Klägers ist zulässig. Der Kläger hat an der begehrten Feststellung ein berechtigtes Interesse i. S. des § 256 ZPO. Der Feststellungsantrag ist auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien gerichtet. Als Rechtsverhältnis i. S. des § 256 ZPO wird auch der einzelne aus dem Rechtsverhältnis entspringende Anspruch angesehen. Mit dem Antrag begehrt der Kläger deshalb die gerichtliche Entscheidung darüber, ob er die an ihn gewährten Zulagen künftig auch beanspruchen kann, mithin für seine Arbeitsleistung das ihm nach seiner Meinung nach zustehende Arbeitsentgelt vollständig geschuldet wird. Die Parteien streiten deshalb über das Bestehen einer konkreten Anspruchs- und Pflichtenbeziehung zwischen ihnen.

Dieser Anspruch ist auch in die Zukunft gerichtet, da es auch nach der Entscheidung des Gerichts noch darum geht, ob dem Kläger die Zulagen in der ursprünglichen Höhe zustehen oder nicht. Wird ein Anspruch aber für die Zukunft geltend gemacht, so kann damit ein Feststellungsanspruch auch für die Vergangenheit verbunden werden, da insoweit ein einheitliches Rechtsverhältnis besteht.

Der Feststellungsanspruch des Klägers ist auch begründet.

Die Anrechnung der Tariflohnerhöhung durch die Beklagte verstößt gegen § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Betriebsrat nach dieser Vorschrift bei der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen mitzubestimmen, wenn eine generelle Maßnahme vorliegt, sich durch die Anrechnung die bisher bestehenden Verteilungsrelationen ändern und für die Neuregelung innerhalb des vom Arbeitgeber mitbestimmungsfrei vorgegebenen Dotierungsrahmens ein Gestaltungsspielraum besteht (vgl. BAG, Urteil vom 03.06.2003, Az. 1 AZR 314/02, n. a. v.; Beschluss des Großen Senats vom 03.12.1991, Az. GS 2/90, in NZA 1992, 749 bis 759).

Der Große Senat hat in seiner grundlegenden Entscheidung vom 03.12.1991 ausgeführt, dass auch eine prozentual gleichmäßige Anrechnung sämtlicher Zulagen zu einer Änderung der Verteilungsgrundsätze führen kann. Hierbei seien zwei Fallgestaltungen zu unterscheiden. Eine prozentual gleichmäßige Anrechnung könne dadurch herbeigeführt werden, dass der Arbeitgeber einen bestimmten (gleichen) Prozentsatz der Tariflohnerhöhung auf jede Zulage anrechnet. Eine prozentual gleichmäßige Anrechnung liege aber auch dann vor, wenn der Arbeitgeber jede übertarifliche Zulage um einen bestimmten (gleichen) Prozentsatz kürze.

Rechne der Arbeitgeber einen bestimmten Prozentsatz der Tariflohnerhöhung auf jede Zulage an, änderten sich die Verteilungsgrundsätze nur dann nicht, wenn die Zulagen in einem einheitlichen und gleichen Verhältnis zum jeweiligen Tariflohn stehen und die Tariflöhne um den gleichen Prozentsatz erhöht werden. In allen anderen Fällen einer Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die Zulagen um einen bestimmten Prozentsatz änderten sich jedoch die Verteilungsgrundsätze. Dieses gelte insbesondere für den Fall, dass der Arbeitgeber unterschiedlich hohe Zulagen zum jeweiligen Tariflohn zahle, sei es, dass diese in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen sollten, sei es, dass ein bestimmter Verteilungsgrundsatz überhaupt nicht erkennbar sei. Denn in beiden Fällen änderten sich bei einer gleichmäßigen prozentualen Anrechnung einer Tariflohnerhöhung notwendigerweise das Verhältnis der Höhe der Zulagen zueinander; eine solche Änderung stelle eine Änderung des Verteilungsgrundsatzes dar.

1. Vorliegend ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass die Beklagte Zulagen unterschiedlicher Höhe zum Tariflohn zahlt, eine Änderung der Verteilungsgrundsätze, wenn sie diese prozentual in gleicher Weise anrechnet. Dabei kann zunächst unberücksichtigt bleiben, dass andere Zulagen nicht gekürzt werden und das Verhältnis zu diesen Zulagen sich verändert.

Bereits aus der Tatsache, dass der Kläger übertarifliche Zulagen in Höhe von 15 % und 5 % erhalten hat, je nachdem in welcher Schicht er gearbeitet hat, ergibt sich eine veränderte Verteilung bei der von der Beklagten vorgenommenen Anrechnung.

Bestand nämlich bei der Zulagenregelung von 15 % zu 5 % ein Verhältnis von 3 : 1, so ergibt sich bei dem Verhältnis von 12,9 : 2,9 % nach der Anrechnung durch die Beklagte dieses auf ca. 4,4 : 1. Durch die gleichmäßige Reduzierung der Zulagen unterschiedlicher Höhe ergibt sich automatisch ein anderes Verhältnis der Zulagen untereinander und damit eine Änderung der Verteilungsgrundsätze. Dieses kann im Verhältnis zu den anderen angerechneten Zulagen ebenfalls dargestellt werden, sodass zwangsläufig der Betriebsrat bei der Anrechnung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zu beteiligen war.

Insoweit wären auch neue Vereinbarungen möglich gewesen, als nunmehr das Verhältnis der Zulagen untereinander neu hätte bestimmt werden können, es musste geprüft werden, ob die neue Zulagenhöhe z. B. für die Spätzulage noch ausreichend war, die zusätzlichen Belastungen auszugleichen oder ob im Verhältnis zur Nachtschichtzulage eine Korrektur möglich gewesen wäre.

2. Dazu gehört auch, dass eine Prüfung erforderlich geworden wäre im Verhältnis zu den Zulagen, die nicht angerechnet worden sind. Unterstellt, diese seien tariffest und könnten nicht angerechnet werden, so stellt sich gleichwohl die Frage, ob die anrechenbaren und angerechneten Zulagen noch im Verhältnis zu den sonst gewährten Zulagen im Betrieb von der Höhe her stimmen. Insoweit wäre im Rahmen einer Lohngerechtigkeit auch zu prüfen, ob die zusätzlichen Belastungen in der Schicht, die nunmehr geringer vergütet werden, noch im richtigen Verhältnis stehen zu den Zulagen, die z. B. pauschal für Mehrarbeit gezahlt werden und ob somit innerhalb der anrechenbaren Zulagen Korrekturen vorgenommen werden müssten, um das Verhältnis wieder herzustellen.

3. Die Beklagte hat Zulagen nicht angerechnet, die in Betriebsvereinbarungen geregelt sind. So hat sie keine Anrechnung vorgenommen bei der Springerzulage gemäß Betriebsvereinbarung vom 24.01.1991 sowie der Notdienstzulage der Notdienstbetriebsvereinbarung vom 26.05.1982. Bei diesen Zulagen handelt es sich gerade nicht um solche, die zum Gegenstand der Arbeitsverträge der betreffenden Mitarbeiter geworden sein können. Vielmehr wäre es möglich gewesen, diese Betriebsvereinbarung zu kündigen und insoweit über eine Neuregelung nachzudenken.

Gerade bei der Notdienstzulage, mit der alle tariflichen Zuschläge abgegolten sein sollen, wäre möglicherweise eine Korrektur nötig gewesen, da sich die Zuschläge im Betrieb durch die Anrechnung verringert haben und damit nicht mehr ohne weiteres vom 2,5fachen des persönlichen Stundenlohns auszugehen war. Auch hier wäre es nötig gewesen, das Verhältnis der Zulagen neu zu justieren, was durch Kündigung der Betriebsvereinbarungen ohne weiteres möglich gewesen wäre.

4. Die Beklagte hat auch die übertariflichen Erschwerniszuschläge angerechnet, ohne mit dem Betriebsrat hierüber eine Vereinbarung zu treffen. Gemäß Anhang 2, Nr. 240 des Manteltarifvertrags richtet sich die Höhe der Erschwerniszuschläge nach dem Grad der Erschwernis und darf 5 % des Entgelts der Entgeltgruppe III Steine- und Erden-Industrie bzw. Entgeltgruppe IV der Feuerfest-Industrie nicht unterschreiten. Darüber hinausgehende Erschwerniszuschläge können durch Betriebsvereinbarung festgelegt werden. Erfolgt hierüber keine Einigung, so kann die Einigungsstelle zur verbindlichen Entscheidung angerufen werden.

Hieraus ergibt sich, dass übertarifliche Erschwerniszuschläge nur mit dem Betriebsrat gemeinsam festgelegt werden können. Die Beklagte hat aber die Erschwerniszuschläge ohne Beteiligung des Betriebsrats angerechnet. Müssen die Erschwerniszuschläge aber mit dem Betriebsrat vereinbart werden, so ergibt sich zwangsläufig, dass der Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beteiligen ist auch bei den übrigen Zuschlägen, da sich damit automatisch das Verhältnis der Zulagen untereinander ändert und eine einseitige Anrechnung deshalb nicht erfolgen kann.

5. Ist die Anrechnung ohne Beteiligung des Betriebsrats erfolgt, ist diese Maßnahme unwirksam. Der Anspruch des Klägers auf die bisherige Zulagenregelung folgt aus einer Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

Eine Maßnahme des Arbeitgebers, die der notwendigen Mitbestimmung entbehrt, ist rechtswidrig und unwirksam. Dieses gilt sowohl für einseitige Maßnahmen, die in Ausübung des Direktionsrechts vorgenommen werden, als auch für einzelvertragliche Vereinbarungen oder Versetzungen. Die tatsächlich durchgeführte Mitbestimmung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Wirksamkeitsvoraussetzung für Maßnahmen zum Nachteil des Arbeitnehmers. Auf der Grundlage dieser Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzungen hat der Kläger Anspruch auf die bisherige Zulagenhöhe seit dem 01.05.2002 (vgl. hierzu Urteil des BAG vom 11.06.2002, Az. 1 AZR 390/01, in AP Nr. 113 zu § 87 BetrVGT 1972, Lohngestaltung).

Daraus ergibt sich, dass der Feststellungsantrag des Klägers begründet ist.

Diese Feststellung kann sich auch auf den Zeitpunkt des 01.05.2002 beziehen, da der Kläger seine Forderungen bereits mit Schreiben vom 05.07.2002 ausreichend geltend gemacht hat.

Zwar betrifft diese zunächst nur die Abrechnung Mai 2002 und die Zahlung des Differenzbetrages, sie beinhaltet aber auch die Bitte, in Zukunft eine Anrechnung der Entgelterhöhung zu unterlassen.

Für den Kläger war es entbehrlich, eine genaue Höhe zu bezeichnen, da die Beklagte genau wusste, welche Anrechnungen sie vorgenommen hat. Der Kläger musste der Beklagten nicht im Einzelnen darlegen, wie sich die Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die Zulagen errechnet. Der Beklagten war auf Grund der von ihr vorgenommenen Maßnahme vielmehr ausreichend deutlich, welchen Entgeltanspruch der Kläger geltend macht.

Es war auch insoweit entbehrlich, zukünftig weitere Geltendmachungen für den Zeitraum nach Mai 2002 zu erheben. Der Kläger hat ausdrücklich darum gebeten, dass die Anrechnung der Entgelterhöhung künftig zu unterlassen sei. Es würde dem Grundsatz von Treu und Glauben widersprechen, wenn nunmehr die Beklagte verlangen könnte, dass der Kläger jeden Monat die Entgelterhöhung geltend macht, obwohl ihr genau bekannt ist, dass ein Einverständnis mit der Anrechnung nicht besteht und Grund und Höhe des Anspruchs der Beklagten genau bekannt sind.

Es kommt hinzu, dass die Anrechnung im Betrieb bei einer Vielzahl von Arbeitnehmern zur Beanstandung geführt hat und betriebliche Diskussionen darüber geführt worden sind, inwieweit diese Anrechnung berechtigt erfolgt. Auch aus diesem Grunde kann sich die Beklagte nicht darauf zurückziehen zu erklären, sie habe nicht damit rechnen müssen, dass der Kläger seine Ansprüche nicht weiter verfolgt.

Aus diesem Grunde ist auch ein allgemeiner Verwirkungstatbestand nicht gegeben.

6. Dem Kläger steht auch ein Anspruch auf Abrechnung seiner Bezüge ohne Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf seine Zulagen zu.

Der Anspruch auf Abrechnung ergibt sich aus einer Nebenpflicht des Arbeitsvertrags.

Die Beklagte hat dem Kläger das verdiente Arbeitsentgelt mitzuteilen in einer verständlichen Form, die es dem Kläger ermöglicht, eine Überprüfung vorzunehmen. Angesichts des Abrechnungssystems bei der Beklagten mit der Vielzahl von Zulagen, der Tätigkeit im Akkord und der damit erforderlichen Durchschnittsberechnungen, auch für unterschiedliche Zulagen, ist es dem Kläger auch nachträglich nicht möglich, den zu zahlenden Bruttobetrag zu errechnen und hieraus die Nettovergütung zu entnehmen.

Die Beklagte ist deshalb verpflichtet, die Berechnung der Bezüge des Klägers neu vorzunehmen unter Berücksichtigung der Unwirksamkeit der Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die Zulagen.

Die Beklagte kann auch nicht damit gehört werden, dass ihr dieses unmöglich geworden sei, weil das damalige Lohnberechnungsprogramm nicht mehr vorhanden sei. Die Beklagte hat vielmehr sicherzustellen, dass entweder durch eine individuelle Berechnung oder durch ein neu zu schaffendes Programm eine Berechnung noch vorgenommen werden kann. Der Anspruch des Klägers kann nicht deshalb entfallen, weil die Beklagte ein Lohnabrechnungsprogramm nicht mehr besitzt. Es ist vielmehr von der Beklagten zu erwarten, dass sie sicherstellt, dass ihre Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgerechnet werden können.

7. Der Kläger hat auch Anspruch auf den Zahlungsbetrag für den Monat Mai 2002. Der Kläger hat eine eingehende Berechnung im Schriftsatz vom 23.07.2003 vorgenommen. Die Beklagte hat diese Berechnung nicht bestritten, auch nicht in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht vor dem Hintergrund, dass Anrechnungen vorgenommen worden sind auch auf eine dem Kläger gewährte übertarifliche Zulage. Insoweit kann auf den Schriftsatz des Klägers vom 25.08.2005, Seite 3 (Blatt 239 d. A.) verwiesen werden. Da auch diese Zulage ohne Beteiligung des Betriebsrats erfolgt ist, gilt insoweit das oben Gesagte.

Nach alledem ist auf die Berufung des Klägers das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 ArbGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Insbesondere handelt es sich vorliegend um eine Anwendung der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wie oben dargestellt.

Gegen diese Entscheidung ist deshalb ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach Maßgabe des § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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