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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 21.08.2008
Aktenzeichen: 4 Sa 647/08
Rechtsgebiete: MTArb, TVöD


Vorschriften:

MTArb § 29
TVöD § 8
Die Berechnung der Zeitspanne von mindestens 13 Stunden gemäß § 7 Abs. 2 TVöD ist nach den konkreten Schichtdiensten zu bemessen, zwischen denen sich der Wechsel vollzieht. Eine Durchschnittsberechnung wie in §33a BAT scheidet aus.
LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 Sa 647/08

In dem Rechtsstreit

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 21. August 2008 durch

die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Krönig, die ehrenamtliche Richterin Frau Kammann, die ehrenamtliche Richterin Frau Demel für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Verden vom 19.03.2008 - 1 Ca 709/06 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die am 00.00.1960 geborene Klägerin trat auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 15.08.1978 in die Dienste der Beklagten. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand zunächst aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung und beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für Arbeiter des Bundes (MTB II) und zuletzt der mit Wirkung vom 01.10.2005 in Kraft getretene Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) vom 13.09.2005 Anwendung. Die Klägerin ist als Küchenhilfskraft in der Standortverwaltung S. tätig.

Die Klägerin ist in einem Schichtrhythmus eingesetzt, der folgende Arbeitszeiten vorsieht:

Woche 1:

Montag 10.10 Uhr bis 19.00 Uhr

Dienstag 10.10. Uhr bis 19.00 Uhr

Mittwoch 10.10 Uhr bis 19.00 Uhr

Donnerstag 10.15 Uhr bis 19.00 Uhr

Freitag 05.30 Uhr bis 14.00 Uhr

Samstag 08.30 Uhr bis 13.45 Uhr

Sonntag 08.30 Uhr bis 13.45 Uhr

(montags bis freitags je 30 Minuten Pause) Woche 2: Montag 05.30 Uhr bis 14.20 Uhr

Dienstag 05.30 Uhr bis 14.20 Uhr

Mittwoch 05.30 Uhr bis 14.20 Uhr

Donnerstag 05.30 Uhr bis 14.50 Uhr (jeweils mit einer 30minütigen Pause; Freitag bis Sonntag sind arbeitsfrei) Woche 3: Montag 10.10 Uhr bis 19.00 Uhr

Dienstag 10.10 Uhr bis 19.00 Uhr

Mittwoch 10.10 Uhr bis 19.00 Uhr

Donnerstag 10.15 Uhr bis 19.00 Uhr

Freitag 05.30 Uhr bis 14.00 Uhr (jeweils mit 30minütiger Pause; Sonnabend und Sonntag sind arbeitsfrei) Woche 4: wie Woche 2 Woche 5: wie Woche 3 Woche 6: wie Woche 2 Zum Schichtdienst und dessen Bezahlung bestimmte der MTArb:

§ 29 a Abs. 2 Buchst. b) bb):

Der Arbeiter, der ständig Schichtarbeit (§ 15 Abs. 8 Unterabs. 7) zu leisten hat, erhält eine Schichtzulage, wenn ... die Schichtarbeit innerhalb einer Zeitspanne von mindestens 13 Stunden geleistet wird.

In der Protokollnotiz zu § 29 a MTArb hieß es:

Protokollnotiz zu Abs. 2 Satz 1 Buchst. b):

Zeitspanne ist die Zeit zwischen dem Beginn der frühesten und dem Ende der spätesten Schicht innerhalb von 24 Stunden. Die geforderte Stundenzahl muss im Durchschnitt an den im Schichtplan vorgesehenen Arbeitstagen erreicht werden.

Sieht der Schichtplan mehr als 5 Arbeitstage wöchentlich vor, können, falls dies günstiger ist, der Berechnung des Durchschnitts 5 Arbeitstage wöchentlich zu Grunde gelegt werden.

Zum Schichtdienst und dessen Bezahlung bestimmt der TVöD:

§ 7 Sonderformen der Arbeit:

(2) Schichtarbeit ist die Arbeit nach einem Schichtplan, der einen regelmäßigen Wechsel des Beginns der täglichen Arbeitszeit um mindestens zwei Stunden in Zeitabschnitten von längstens einem Monat vorsieht, und die innerhalb einer Zeitspanne von mindestens 13 Stunden geleistet wird. § 8 Ausgleich für Sonderformen der Arbeit: (6) Beschäftigte, die ständig Schichtarbeit leisten, erhalten eine Schichtzulage von 40 Euro monatlich. Beschäftigte, die nicht ständig Schichtarbeit leisten, erhalten eine Schichtzulage von 0,24 Euro pro Stunde.

Die Beklagte zahlte der Klägerin die Schichtzulage nach § 8 Abs. 6 Satz 1 TVöD in Höhe von 40,-- Euro monatlich bis einschließlich Februar 2006. Für den hier streitbefangenen Klagezeitraum von März 2006 bis August 2007 stellte die Beklagte die Zahlung trotz des unverändert fortbestehenden Schichtplanes vom 01.10.2005 ein. Mit Schreiben vom 10.04.2006 begehrte die Klägerin von der Beklagten vergeblich die Weiterzahlung der Schichtzulage nach § 8 TVöD.

Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin die Zahlung der Schichtzulage in Höhe von 40,-- Euro monatlich für die Zeit von März 2006 bis August 2007.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Ermittlung der Zeitspanne von mindestens 13 Stunden gemäß § 7 TVöD sei keine Durchschnittsberechnung zu Grunde zu legen. Die Protokollnotiz des § 29 a MTArb sei nicht ergänzend heranzuziehen.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 360,-- Euro brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.12.2006 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 360,-- Euro brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.09.2007 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Klägerin stehe ein Anspruch auf Zahlung einer Schichtzulage nicht zu. Die Klägerin habe keinen Schichtdienst im Sinne des § 7 Abs. 2 TVöD geleistet. Abzustellen sei auf die durchschnittliche Zeitspanne der Schichten der jeweiligen Arbeitstage. Der Durchschnitt betrage nur 12,5 Stunden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage durch Urteil vom 19.03.2008 stattgegeben. Gegen das ihr am 31.03.2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29.04.2008 Berufung eingelegt und sie nach Verlängerung der Begründungsfrist am 02.07.2008 begründet.

Die Beklagte macht geltend, schon aus der Tarifgeschichte folge, dass die Tarifvertragsparteien für die Bestimmung der maßgeblichen "Zeitspanne" von einer Durchschnittsberechnung ausgegangen seien. Dieser Begriff finde sich bereits in § 29 a Abs. 2 MTArb. Gerade die Frage, ob die maßgebliche Zeitspanne erreicht sei, solle danach aufgrund einer Durchschnittsberechnung bestimmt werden. Dies sei angesichts der Gleichbehandlungsprobleme sinnvoll, in die jede andere denkbare Lösung führe.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach dem Schlussantrag der Beklagten in erster Instanz zu erkennen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 30.07.2008. Sie führt ergänzend aus, § 8 Abs. 6 TVöD enthalte im Gegensatz zur Regelung des § 29 a MTArb in Verbindung mit der zugehörigen Protokollnotiz nicht mehr die Voraussetzung, dass die geforderte Stundenzahl im Durchschnitt der Arbeitstage erreicht sein müsse. Es sei davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien durch den Verzicht auf dieses Erfordernis die Anspruchsvoraussetzungen für die Zahlung der Schichtpauschale etwas herabsetzen wollten. Zum anderen werde die Neuregelung auch dem erklärten Tarifzweck des TVöD gerecht, das Tarifrecht des öffentlichen Dienstes zu vereinfachen, indem künftig auf eine komplizierte und aufwendige Berechnung verzichtet werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 517, 519 Abs. 1, 2 ZPO).

II. Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung einer Schichtzulage gemäß §§ 8 Abs. 6, 7 Abs. 2 TVöD für den Zeitraum vom 01. März 2006 bis zum 31. August 2007 zusteht.

1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung.

2. Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für die Zahlung der tariflichen Schichtzulage nach § 8 Abs. 6 i. V. m. § 7 Abs. 2 TVöD. Nach der tariflichen Regelung erhalten Beschäftigte, die ständig Schichtarbeit leisten, eine Schichtzulage in Höhe von 40,-- Euro brutto. In § 7 Abs. 2 TVöD haben die Tarifvertragsparteien bestimmt, was im Anwendungsbereich des TVöD unter Schichtarbeit zu verstehen ist. Danach ist Schichtarbeit die Arbeit nach einem Schichtplan, der einen regelmäßigen Wechsel des Beginns der täglichen Arbeitszeit um mindestens 2 Stunden in Zeitabschnitten von längstens einem Monat vorsieht, und die innerhalb einer Zeitspanne von mindestens 13 Stunden geleistet wird. Maßgebendes Kriterium für die Schichtarbeit im Sinne des TVöD ist demnach der regelmäßige Wechsel der täglichen Arbeitszeit des einzelnen Angestellten. Schichtarbeit im Tarifsinne liegt demzufolge bei einem regelmäßigen Wechsel von Arbeitsbeginn und -ende vor (BAG Urteil vom 14.12.1993 - 10 AZR 368/93 - AP § 33 a BAT Nr. 3; vom 28.08.1996 - 10 AZR 179/96 - AP § 33 a BAT Nr. 11). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Klägerin hat nach einem Schichtplan gearbeitet, der einen regelmäßigen Wechsel des Beginns der täglichen Arbeitszeit um mindestens 2 Stunden vorsieht. Die Klägerin beginnt ihre Tätigkeit in einem regelmäßigen Wechsel um 5.30 Uhr, 8.30 Uhr oder 10.15 Uhr. Die Klägerin leistet die Schichtarbeit innerhalb einer Zeitspanne von mindestens 13 Stunden. Zwischen dem Beginn der von der Klägerin jeweils zu leistenden Dienste (Frühdienst um 5:30 Uhr) und dem Ende des jeweils zu leistenden Spätdienstes um 19:00 Uhr liegen mehr als 13 Stunden.

3. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Bestimmung der maßgeblichen Zeitspanne von 13 Stunden nicht eine Durchschnittsberechnung zu Grunde zu legen. Das ergibt eine Auslegung der tariflichen Regelung nach Wortlaut und Sinn und Zweck.

Die Auslegung eines normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzubestimmen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können ohne Bindungen an eine bestimmte Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend herangezogen werden.

4. Aus dem Tarifwortlaut ergibt sich keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass die Tarifvertragsparteien der Berechnung der Zeitspanne eine Durchschnittsberechnung zu Grunde legen wollten. Auch aus Sinn und Zweck der Schichtzulage lässt sich das Erfordernis einer Durchschnittsberechnung nicht herleiten. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Urteil vom 02.10.1996 - 10 AZR 232/96 - AP § 33 a BAT Nr. 12 ; vom 11.06.1997 - 10 AZR 784/96 - AP § 24 BMT-G II Nr. 2) handelt es sich bei dem Schichtlohnzuschlag nicht um eine Erschwerniszulage, die eine bestimmte quantitativ oder qualitativ umschriebene Erschwernis abgelten soll, sondern um einen Vergütungsbestandteil, der mit Rücksicht auf die Besonderheit der Arbeit - ständige Schichtarbeit - gezahlt wird. Die Tarifvertragsparteien haben nicht die jeweils konkrete Belastung zum Maßstab für die Schichtzulage gemacht. Sie haben vielmehr generell auf die durch Arbeit im Schichtdienst begründete Belastung abgestellt und nur hinsichtlich der Zeitspanne zwischen dem Beginn der ersten und dem Ende der letzten Schicht differenziert. Schließlich spricht auch die Entstehungsgeschichte gegen das Erfordernis einer Durchschnittsberechnung. § 8 Abs. 6 TVöD, der den Ausgleich für Schichtarbeit regelt, enthält im Gegensatz zur Regelung des § 29 a MTArb in Verbindung mit der zugehörigen Protokollnotiz nicht mehr die Voraussetzung, dass die geforderte Stundenzahl (13 Stunden-Zeitspanne) im Durchschnitt erreicht sein muss. Es ist daher davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien durch den Verzicht auf dieses Erfordernis die Anspruchsvoraussetzungen für die Zahlung der Schichtpauschale etwas herabsetzen wollten. Zum anderen wird die Neuregelung auch dem erklärten Tarifzweck des TVöD gerecht, das Tarifrecht des öffentlichen Dienstes zu vereinfachen, indem künftig auf eine komplizierte und aufwendige Berechnung verzichtet wird (vgl. Guth, Anm. zu ArbG Freiburg vom 20.11.2007 - 5 Ca 369/07 - EzTöD 100 § 7 TVöD - AT Schicht-/Wechselschichtarbeit Nr. 2).

5. Die Klägerin leistet auch ständig Schichtarbeit im Sinne des § 8 Abs. 6 TVöD.

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff "ständig" gleichbedeutend mit sehr häufig, regelmäßig oder (fast) ununterbrochen, wiederkehrend, andauernd, dauernd, immer, ununterbrochen und unaufhörlich verwandt. Aus dieser Wortbedeutung und dem tariflichen Gesamtzusammenhang ist zu schließen, dass die Tarifvertragsparteien das Tatbestandsmerkmal "ständig" ebenfalls im Sinne von "dauernd" bzw. "fast ausschließlich" verstanden haben (vgl. BAG Urteil vom 20.04.2005 - 10 AZR 302/04 - AP § 24 BMT-G II Nr. 3; vom 12.11.1997 - 10 AZR 27/97 - ZTR 1998, 181). Nach der Rechtsprechung setzt der Tarifbegriff "ständig" voraus, dass der Beschäftigte fast ausschließlich Schichtarbeit verrichtet. Verlangt wird damit, dass der Beschäftigte auf Dauer aufgrund von Schichtplänen zur Schichtarbeit eingesetzt wird.

Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin. Ihr Einsatz erfolgt ausschließlich aufgrund des Schichtplanes für Küchenhilfskräfte vom 01.10.2005.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die Revisionszulassung beruht auf § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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