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Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 05.08.2002
Aktenzeichen: 5 Sa 517/02
Rechtsgebiete: BMT-G II, BGB
Vorschriften:
BMT-G II § 53 | |
BGB § 626 II |
Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände, insbesondere den Ursachen des Streites und der Gefährlichkeit des Angriffs sowie seiner tatsächlichen Folgen, kann sich im Einzelfall eine Abmahnung ausnahmsweise als ausreichend erweisen, wenn Tatsachen eine störungsfreie Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses und Wiederherstellung des Betriebsfriedens prognostizieren lassen. Die Annahme einer solchen Prognose setzt neben einem störungsfreien Arbeitsverhältnis in der Vergangenheit u.a. die gegenseitige Entschuldigung der beteiligten Arbeitnehmer voraus.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 05.08.2002
In dem Rechtsstreit
hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 05.08.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Kiel und die ehrenamtlichen Richter Tampier und Schafftlein
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wilhelmshaven vom 15.02.2002 - 1 Ca. 747/01 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um eine von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche, verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Der am geborene, ledige Kläger war bei der Beklagten seit dem 03.04.1991 als Müllwerker beschäftigt. In der Abteilung Abfallentsorgung sind etwa 50 Mitarbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) vom 30.01.1962 und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung.
Ausgelöst wurde die Kündigung durch einen Vorfall, der sich am 02.07.2001 gegen Mittag zutrug. Der Kläger suchte den Sozialraum auf und traf dort auf seinen Kollegen B, der mit zwei weiteren Kollegen am Tisch saß und Karten spielte. Herr B äußerte sich über den Kläger bei der Begrüßung abfällig, was dieser zum Anlass nahm, die Schnappverschlüsse der Hosenträger an der Latzhose des Herrn B zu öffnen. Herr B erwiderte dieses Verhalten, indem er die vor ihm auf dem Tisch stehende Tasse mit Kaffee in die Hand nahm und den Inhalt über die Schulter dem hinter ihm sitzenden Kläger ins Gesicht schüttete. Daraufhin goss der Kläger über Herrn B eine Tasse mit heißem Tee aus.
Herr B beschwerte sich nachmittags bei seinem Vorgesetzten über den Kläger, füllte eine Unfallmeldung aus und gab dort zu Protokoll, er habe sich den linken Halsbereich verbrannt. In einer ärztlichen Bescheinigung, die am 16.04.2001 ausgestellt wurde, heißt es:
"Obengenannter Patient erlitt am 02.07.2001 gegen 11.55 Uhr eine Verbrühung bzw. Verbrennung ersten Grades im Bereich der Schulter und linken Halsseite. ... Bei der Erstuntersuchung zeigte sich eine Hautrötung im Bereich der linken Schulter und der linken Halsseite ohne Bildung von Hautblasen. Die Verbrühungsverletzungen heilten folgenlos ab. Es erfolgte hier eine einmalige Behandlung am 02.07.2001."
Nachdem die Beklagte den Kläger und die beteiligten Kollegen zu dem Vorfall angehört hatte, erklärte Herr B am 06.07.2002 mündlich und am 09.07.2001 schriftlich, der Kläger habe sich bei ihm persönlich entschuldigt.
Die Beklagte beschloss, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich zu kündigen. Gegen Herrn B sollten keine Maßnahmen ergriffen werden, da das Arbeitsverhältnis am 31.08.2001 wegen Eintritts in den Ruhestand enden würde. Die Beklagte unterrichtete den Gesamtpersonalrat über die beabsichtigte Kündigung. Dieser lehnte die Benehmensherstellung unter dem 13.07.2001 ab. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 17.07.2001 außerordentlich zum Ablauf des 20.07.2001.
Dagegen richtet sich die Kündigungsschutzklage vom 27.07.2001, mit der der Kläger die Auffassung vertreten hat, der Sachverhalt rechtfertige keine außerordentliche Kündigung. Er hat vorgetragen, von Herrn E als "Pflegefall" beschimpft worden zu sein, worauf das Öffnen der Hosenträger als "Frotzelei unter Kollegen" keine ungewöhnliche Reaktion dargestellt habe. Soweit Herr B dies zum Anlass genommen habe, ihm eine volle heiße Tasse Kaffee ins Gesicht zu schütten, habe er - der Kläger - lediglich "reflexartig" seinerseits eine Tasse Tee auf Herrn B ausgegossen.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 17.07.2001 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ihre Auffassung, die außerordentliche Kündigung sei durch das Verhalten des Klägers am 02.07.2001 gerechtfertigt, insbesondere mit der Behauptung begründet, der Kläger habe seinen Tee über Herrn B keineswegs "reflexartig" ausgegossen, sondern gezielt gehandelt, indem er zunächst zu einem anderen Tisch gegangen sei, um sich dort einen Becher mit heißem Tee einzugießen, um diesen über seinen Kollegen auszuschütten. Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die Einhaltung des Betriebsfriedens verlange es, Beleidigungen, Verunglimpfungen, Lächerlichmachen ebenso wie andere Disziplinlosigkeiten, insbesondere Tätlichkeiten zwischen Kollegen, zu verfolgen. Gerade wenn das Verhalten der Mitarbeiter untereinander ohnehin etwas rauher sei, müsse seitens der Vorgesetzten darauf geachtet werden, dass dieser Umgang nicht unbemerkt grober werde und dadurch ausufere.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung ergänzend Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat dem Klageantrag durch Urteil vom 15.02.2002 mit folgender Begründung stattgegeben:
Das Arbeitsverhältnis sei durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 17.07.2001 nicht beendet worden. Die Beklagte habe zwar die außerordentliche Kündigung zu Recht in Erwägung ziehen dürfen. Die Kammer sei davon überzeugt, dass der Kläger seinen Kollegen B bei der Auseinandersetzung am 02.07.2001 bewusst mit einem Becher heißen Tee überschüttet habe, so dass dieser Schmerzen an der linken Halsseite erlitten habe. In diesem Verhalten, bei dem der Kläger den Tee wie eine Waffe eingesetzt und den Gegner empfindlich verletzt habe, sei eine vorsätzliche Körperverletzung zu sehen und stelle eine schwere Pflichtverletzung dar.
Gleichwohl sei unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls und der beiderseitigen Interesen die außerordentliche, fristlose Kündigung nicht geboten gewesen. So sei dem Kläger zugute zu halten, dass er zu Beginn der Auseinandersetzung durch die Beschimpfung seines Kollegen B zu der Vergeltungsaktion "Lösen der Hosenträger" provoziert worden sei und Herr B durch das daraufhin erfolgte Verschütten des Kaffees in Richtung des hinter ihm stehenden Klägers bewusst zur weiteren Eskalation des Streits beigetragen habe. Weiter habe die Beklagte bei ihrer Kündigungsentscheidung zugunsten des Klägers würdigen müssen, dass die beteiligten Kollegen nach dem Vorfall aufeinander zugegangen seien. Der Kläger habe sich entschuldigt, Herr B habe sich ausdrücklich für ein Verbleiben des Klägers im Betrieb eingesetzt. Der Dienststellenpersonalrat sowie der Gesamtpersonalrat hätten sich gegen eine Kündigung ausgesprochen. Unter dem übergeordneten Gesichtspunkt des Betriebsfriedens überzeuge es schließlich nicht, dass Herr B, der die Auseinandersetzung ausgelöst und verschärft habe, wegen dieses Vorfalls sanktionslos geblieben sei, zumal dieser auch noch falsch ausgesagt haben dürfte, indem er nämlich bei seiner Sachverhaltsschilderung ausgelassen habe, dass er den Kläger zuerst beschimpft habe.
Das Urteil, auf dessen vollständigen Inhalt Bezug genommen wird, ist der Beklagten am 12.03.2002 zugestellt worden. Mit ihrer am 11.04.2002 eingegangenen und am 08.04.2002 begründeten Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter und vertieft zur Begründung ihren erstinstanzlichen Vortrag nach Maßgabe ihrer Schriftsätze vom 08.05.2002 und vom 26.05.2002, auf die nebst Anlagen inhaltlich Bezug genommen wird. Sie meint, ein Abwarten der Kündigungsfristen sei unzumutbar und wiederholt dazu ihre Behauptung, der Kläger habe seine "Antwort" auf den Angriff mit Kaffee sorgfältig und in Verletzungsabsicht vorbereitet, indem er zum Nachbartisch gegangen sei, sich heißen Kaffee (richtig wohl: Tee) aus der Thermoskanne in den Becher gegossen habe, um diesen über Herrn B auszugießen, der dadurch Verbrennungen ersten Grades erlitten habe. Selbst wenn sich Herr B seinerseits fehlerhaft verhalten habe und von einer Abmahnung nur wegen des am 31.08.2001 bevorstehenden Eintritts in den Altersruhestand abgesehen worden sei, habe das daraufhin erfolgte exessive Verhalten des Klägers die Grenzen einer "Frotzelei unter Kollegen" deutlich überschritten. Die Betriebsordnung verlange "gerade auch bei Müllwerkern", dass in Fällen von vorsätzlichen Körperverletzungen eindeutige Grenzen gezogen würden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Wilhelmshaven vom 15.02.2002 - 1 Ca 747/01 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
und verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 22.05.2002, auf den ebenfalls inhaltlich Bezug genommen wird. Darin vertieft der Kläger seinen erstinstanzlichen Vortrag insbesondere hinsichtlich der Behauptung, er habe die Teetasse bereits in der Hand gehalten, als ihm Herr B den Kaffee ins Gesicht geschüttet habe, und reflexartig reagiert, indem er seinerseits als Reaktion darauf Herrn B mit Tee übergössen habe. Von einer vorsätzlichen Körperverletzung könne in dieser Situation nicht gesprochen werden.
Entscheidungsgründe:
I.
Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete und insgesamt zulässige Berufung (§§ 64 Abs. 1 und 2, 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, §§ 518 Abs. 1 und 2, 519 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ZPO) ist unbegründet.
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit abgewogenen und zutreffenden Ausführungen, die sich das Berufungsgericht zu Eigen macht, stattgegeben. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen werden die Gründe deshalb nach § 543 Abs. 1 ZPO auf folgende Erwägungen beschränkt:
1.
Nach § 53 Abs. 1 BMT-G II kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
Die Bewertung der Wirksamkeit der Kündigung erfolgt dabei in zwei Schritten. Zunächst ist festzustellen, ob eine Pflichtverletzung vorliegt, die "an sich" geeignet ist, einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Anschließend ist abzuwägen, ob wegen dieses Grundes unter Berücksichtigung sämtlicher Besonderheiten des konkreten Falles dem Kündigenden ein Festhalten am Arbeitsvertrag bis zu einer ordentlichen Beendigung nicht mehr zugemutet werden kann ({BAG in ständiger Rechtsprechung, vgl. nur Urteil vom 05.4.2001 - 2 AZR 580/91 - NZA 2001, 893 unter II. 2. a) der Gründe).
Ein wichtiger Grund, der den Arbeitgeber an sich zur Kündigung berechtigt, liegt zweifellos in einem tätlichen Angriff eines Arbeitnehmers auf einen Arbeitskollegen, der zu einer ernstlichen Störung des Betriebsfriedens und der betrieblichen Ordnung führt (BAG, Urteil vom 31.03.1993 - 2 AZR 492/92 - NZA 1994, 409; BAG Urteil vom 12.07.1984 - 2 AZR 220/93 - AP Nr. 32 zu § 102 BetrVG 1972; LAG Hamm, Urteil vom 08.11.2000 - 18 Sa 754/00 - Juris und Urteil vom 29.07.1994 - 18 Sa 2015/93 - LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 43). Bei schweren Tätlichkeiten kann schon ein einmaliger Vorfall einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung geben, ohne dass der Arbeitgeber noch eine Wiederholungsgefahr begründen und deshalb abmahnen müsste (KR/Fischermeier § 626 BGB Rn. 449). Besonders stark wiegt die Pflichtverletzung dann, wenn der Angriff mit einem gefährlichen Werkzeug durchgeführt wird. Eine solche Auseinandersetzung führt regelmäßig zu einer solchen Störung des Betriebsfriedens, dass dem Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit dem Angreifer unzumutbar ist (LAG Hamm 20.09.1995 - 18 Sa 124/95 - LAGE § 626 BGB Nr. 89; APS/Dörner § 626 BGB Rn. 270). Dabei kann ein tätlicher Angriff nicht nur die außerordentliche Kündigung des Angreifers rechtfertigen, sondern sämtlicher Arbeitnehmer, die sich mit Angriffswillen an der tätlichen Auseinandersetzung beteiligt haben, ohne dass eine eindeutige Notwehrlage bestanden hat (LAG Hamm, Urteile vom 08.11.2000 und 29.07.1994, jeweils a. a. O. sowie LAG Frankfurt, Urteil vom 08.03.1983 - 3 Sa 903/82 - BB 1984, 1876).
Pur den Einzelfall bleibt unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände, insbesondere unter Einbeziehung der Situation, der Gefährlichkeit des Angriffs und ihrer tatsächlichen Folgen sowie der Auswirkungen für den Betriebsfrieden zu prüfen, ob eine ordentliche Kündigung oder eine Abmahnung als milderes Mittel ausgereicht hätte, um eine störungsfreie Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Zukunft und Wiederherstellung des Betriebsfriedens prognostizieren zu können. Dabei ist davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer von vornherein weiß, dass ein verständiger Arbeitgeber schon zum Schutz sämtlicher im Betrieb beschäftigter Arbeitnehmer tätliche Angriffe oder Auseinandersetzungen mißbilligt und nicht hinnehmen wird. Dies gilt zumal für den öffentlichen Arbeitgeber. Andererseits ist zu bedenken, dass eine Kündigung keinen Strafcharakter hat und sich ihr Zweck gleichfalls nicht in einer generalpräventiven Zielrichtung erschöpfen darf.
2.
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze unterliegt es keinem Zweifel, dass in dem Angriff mit heißem Tee eine erhebliche Tätlichkeit liegt, die eine außerordentliche Kündigung "an sich" zu rechtfertigen vermag. Dabei unterstellt das Berufungsgericht mit der Vorinstanz den Sachverhalt als richtig, den die Beklagte vorgetragen hat. Der Kläger hat, nachdem er mit Kaffee überschüttet worden ist, bewusst zum "Gegenschlag" ausgeholt und sich dazu am Nachbartisch eine Tasse mit heißem Tee eingeschenkt.
Eine Interessenabwägung führt dennoch zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat. Bei prognostischer Betrachtung hätte die Beklagte im Kündigungszeitpunkt eine Abmahnung nicht als entbehrlich ansehen dürfen. Es war die begründete Erwartung gerechtfertigt, dass sich der Kläger eine Abmahnung zur Warnung gereichen lässt und bei einer Weiterbeschäftigung keine dauerhaften Störungen des Betriebsfriedens zu erwarten sind, selbst wenn sowohl dem Kläger als auch Herrn B klar sein musste, dass das gegenseitige Ausschütten heißer Flüssigkeiten auf den Körper oder gar Gesicht des Kontrahenten den Bogen "einer Frotzelei unter Kollegen" in beträchtlichem Maße überspannt und vom Arbeitgeber keinesfalls akzeptiert werden kann.
Bei einer arbeitsrechtlichen Bewertung dieser Auseinandersetzung sind aber deren besonderen Umstände zu berücksichtigen. Herr B hat das unbedachte Verhalten des Klägers ohne ersichtlichen Grund ausgelöst. Im Ursprung hat sich der Kläger ohne jede Angriffshaltung in den Pausenraum begeben. Er ist dort durch die beleidigende Ansprache als "Pflegefall" von seinem Kollegen B provoziert worden und hat sich zu der kindischen Handlung des Öffnens der Verschlüsse an der Latzhose hinreißen lassen, die Herr Benjamins getragen hat. Mit dem Ausschütten des (zumindest auch warmen) Kaffees erreichte der Streit durch Herrn B eine weitere Eskalationsstufe, die den Kläger dazu veranlasst hat, sich in gleicher Weise zu revanchieren, allerdings wegen des frisch der Thermoskanne entnommenen Tees mit erneut eskalierender Wirkung. Dabei reagierte der Kläger nicht reflexartig, wie er dem Gericht glauben machen will, sondern mit dem Ziel, sich die Beleidigung und Bloßstellung durch Herrn B nicht bieten zu lassen. Bei dieser Reaktion nahm er eine Verletzung seines Kontrahenten zumindest billigend in Kauf. Allerdings handelte der Kläger spontan, er plante den Vergeltungsschlag keineswegs mit kühlem Kopf. Das in diesem Zusammenhang gewürdigte Verhalten des Klägers führt nicht zu dem Schluss, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei unzumutbar. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass der Kläger im Kündigungszeitpunkt bereits 10 Jahre beanstandungsfrei seine Arbeit als Müllwerker bei der Beklagten verrichtet hat. Tätlichkeiten im Dienst sind von ihm bisher nicht ausgegangen, er hat - soweit feststellbar - solche weder provoziert noch sich daran beteiligt.
Auch die Verletzungsfolgen bei Herrn B, die zwar feststellbar waren (Hautrötung, Verbrennung ersten Grades), aber weder eine unmittelbare ärztliche Behandlung erforderten noch zur Arbeitsunfähigkeit führten und ohne weiteres abheilten, stehen einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach einschlägiger Abmahnung nicht entgegen.
Dass eine positive Prognose gerechtfertigt ist, ergibt sich aber maßgeblich erst aufgrund des Umstandes, dass sich der Kläger bei Herrn B vor Ausspruch einer Kündigung entschuldigt hat. Die Kontrahenten haben sich vertragen und dies der Beklagten angezeigt, den Ernst der möglichen Auswirkungen für das Arbeitsverhältnis erkennend. Herr B ist ausdrücklich für den Kläger eingetreten. Auch die Personalräte haben kein Benehmen zu der Kündigung hergestellt. Vor diesem Hintergrund musste die Beklagte bei einem einmaligen Vorfall dieser Art eine Abmahnung als milderes Mittel in Betracht ziehen. Anhaltspunkte für die Befürchtung, der Kläger werde sich zukünftig in gleicher Situation zu einem unrechtmäßigen und unbedachten Verhalten ungeachtet einer Abmahnung hinreißen lassen, bestehen nicht. Mit weiteren Störungen des Betriebsfriedens ist nicht zu rechnen.
Allein der generalpräventive Aspekt, dass die Beklagte durch Ausspruch der fristlosen Kündigung habe deutlich machen müssen, dass sie gerade auch im rauhen Genre unter Müllwerkern Tätlichkeiten nicht dulde und konsequent durchgreife, rechtfertigt die Kündigung allein nicht. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund der Ungleichbehandlung der Kontrahenten. Soweit die Beklagte einem an der Auseinandersetzung beteiligten Arbeitnehmer kündigt, den anderen aber, der den Streit ausgelöst hat und in gleicher Weise zur Eskalation der Auseinandersetzung beigetragen hat, nicht einmal abmahnt, entsteht für die anderen Arbeitnehmer eine wenig verständliche Botschaft. Die Ungleichbehandlung ist auch nicht durch den nahen Ruhestand von Herrn B sachlich gerechtfertigt gewesen. Zweifellos wäre eine Kündigung von Herrn B, der am 31.08.2001 in den Ruhestand getreten ist, unter diesem Gesichtspunkt - jedenfalls bei einem einmaligen Vorfall dieser Art - unverhältnismäßig gewesen. Eine Abmahnung wäre aber gerade wegen des von Beklagtenseite besonders herausgestellten generalpräventiven Aspekts der Sanktionierung von Tätlichkeiten geboten gewesen, um zu verdeutlichen, dass auch ein älterer Arbeitnehmer nicht ohne mögliche arbeitsrechtliche Konsequenzen Kollegen beleidigen oder sich an eskalierenden Auseinandersetzungen beteiligen kann.
II.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Es bestehen keine Gründe, die Revision zuzulassen.
Ende der Entscheidung
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