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Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 13.08.2002
Aktenzeichen: 9 Sa 183/02
Rechtsgebiete: BMT AW II, AW-KrT


Vorschriften:

BMT AW II Teil II-Vergütungsordnung für Angestellte im Pflegedienst
AW-KrT Prot.-Erkl. Nr. 1 Abs. 1 c
Pflege (in Gestalt von Verbandswechsel, Medikamentenvergabe, Versorgung mit Inkontinenzartikeln, subcutaner Insulingabe, Blutdruck- und Blutzuckerkontrollen, Umlagerungen) an alten Menschen, die wegen verschiedener Krankheiten ständiger medizinischer Betreuung bedürfen, ist über die Altenpflege hinausgehende Krankenpflege. Obliegt dem Angestellten eine derartige Pflege bei der ganz überwiegenden Anzahl der von ihm betreuten Bewohner, so steht ihm die Geriatriezulage nach der Protokollerklärung Nr. 1 Abs. 1 c zu Teil II Abschnitt B AW-KrT zu.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

9 Sa 183/02

Verkündet am 13. August 2002

In dem Rechtsstreit

hat die 9 Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 13 August 2002 durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Dierking und die ehrenamtlichen Richter Wiemers und Lensing

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des ArbG Oldenburg vom 08.01.02 - 4 Ca 346/01 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung hat der Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte dem Kläger zur Zahlung einer Geriatriezulage verpflichtet ist.

Der Kläger ist staatlich anerkannter Altenpfleger und bei dem Beklagten in dessen Altenpflegeheim B seit dem 1. Mai 1999 beschäftigt. Kraft einzelvertraglicher Vereinbarung finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Tarifverträge für die Arbeiterwohlfahrt Anwendung, so auch der Tarifvertrag über die Tätigkeitsmerkmale BMT-AW II für Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt in der jeweils gültigen Fassung. Einschlägig für den Kläger ist Teil II - Vergütungsordnung für Angestellte im Pflegedienst (AW-KrT, Abschnitt B) -. Der Kläger erhält Vergütung nach Vergütungsgruppe AW-KrT V a. Die Vergütung betragt monatlich 5.140,00 DM brutto (2.628,04 €).

Der Kläger hat bis zum 31. März 2001 auf der Grundlage der Protokollerklärung Nr. 1, Absatz 1 c zu Teil II Abschnitt B AW-KrT eine monatliche Zulage von 90,00 DM bezahlt bekommen. Diese Protokollerklärung hat folgenden Wortlaut Pflegepersonen der Vergütungsgruppen AW-KrT I bis AW-KrT VII, die die Grund- und Behandlungsplage zeitliche überwiegend bei Kranken in geriatrischen Abteilungen oder Stationen ausüben, erhalten für die Dauer dieser Tätigkeit eine monatliche Zulage von 90,00 DM.

Mit Wirkung von April 2001 hat der Beklagte die Zahlung der Geriatriezulage eingestellt, weil er die Auffassung vertritt, dass die tariflichen Voraussetzungen im Falle des Klägers nicht vorlägen.

In dem Altenheim R sind insgesamt 88 alte Menschen untergebracht.

Der Kläger leitet die sogenannte Dementen-Station mit insgesamt 27 betreuungsbedürftigen Personen. Der Kläger hat in erster Instanz eine anonymisierte Bewohnerliste (Bl. 37 d. A.) vorgelegt, auf welche Bezug genommen wird.

Der Kläger arbeitet überwiegend im Frühdienst, teilweise auch im Spätdienst. Der Frühdienst läuft im Wesentlichen wie folgt ab:

06:30 Uhr bis 06:45 Uhr Übergabe

06:45 Uhr bis 07:00 Uhr Umlagerung von Patienten (zur Verhinderung von Dikubitus und bei Dikubitus-Patienten)

07:00 Uhr bis 07:45 Uhr Pflege (Grund- und Behandlungspflege, insbesondere Waschen, sonstige Körperpflege, Windeln wechseln, Verbände wechseln, duschen oder baden etc.)

07:45 Uhr bis 08:00 Uhr Medikamentenvergabe an einige Patienten und Insulinspritzen

08:00 Uhr bis 08:30 Uhr Pflege (wie oben)

08:30 Uhr bis 09:00 Uhr Medikamentenverteilung an die überwiegende Anzahl der Patienten

09:00 Uhr bis 09:15 Uhr Briefing (Besprechung hinsichtlich alles was anliegt, hinsichtlich besonders über Einwohner, hier insbesondere Veränderungen, Erneuerungen, etc.)

09:15 Uhr bis 09:45 Uhr Pause

09:45 Uhr bis 10:45 Uhr Pflege (wie oben)

10:45 Uhr bis 11:45 Uhr Verwaltung/Dokumentation

11:45 Uhr bis 12:10 Uhr Medikamente verabreichen und Tropfen stellen

12:10 Uhr bis 12:30 Uhr Essen, füttern, Hilfestellung beim Essen, animieren zum Essen, zurückholen vom Essen (wenn weggelaufen)

12:30 Uhr bis 12:45 Uhr Medikamentendokumentation (in einer Akte muss erfasst werden, welche Medikamente verabreicht worden sind)

12:45 Uhr bis 13:15 Uhr Toilettengänge (Begleitung der Bewohner), Vorlagenwechsel (Windelwechsel), etc.

13:15 Uhr bis 13:50 Uhr Übergabe an Spätdienst (Besprechung von Einzelheiten hinsichtlich der Bewohner, Besonderheiten, Krankheiten, gemeinsames Durchgehen der Dokumentenmappe, etc.)

Der Spätdienst gestaltet sich im Wesentlichen wie folgt:

13:15 Uhr bis 13:50 Uhr Übergabe

13:50 Uhr bis 14:00 Uhr Planung/Vorbereitung des weiteren Arbeitstages und Lagern der Bewohner

14:00 Uhr bis 14:30 Uhr Bewohner fertigmachen zum Arztbesuch, etc.; Taxi und Fahrmöglichkeiten organisieren, etc.

14:30 Uhr bis 15:00 Uhr Bewohner zum Kaffee holen, Vorlagenwechsel, Toilettenbesuche

15:00 Uhr bis 16:00 Uhr Kaffee trinken, füttern, zum Essen animieren, anreichen von Essen, Überwachung des Essens

16:00 Uhr bis 16:30 Uhr Begleitung von Ärzten bei der Visite

16:30 Uhr bis 17:00 Uhr Pause

17:00 Uhr bis 17:30 Uhr "Pflegerunde", umlagern, Vorlagenwechsel, Verbandswechsel, Toilettenrunde, Tropfen stellen,

17:30 Uhr bis 18:00 Uhr Tropfen geben, Insulin spritzen

18:00 Uhr bis 18.45 Uhr Abendessen, Bewohner holen, Essen überwachen, füttern, zum Essen animieren, etc.; gleichzeitig Medikamentenvergabe während des Essens oder nach dem Essen

18.45 Uhr bis 20:15 Uhr Bewohner ins Bett bringen, Hilfestellung beim Umziehen, Teilwäsche, Verbände wechseln, Zähne putzen und sonstige Leistungen anlässlich des Schlafengehens

20:15 Uhr bis 20.30 Uhr Dokumentation und Übergabe an die Nachtschicht

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen für die Zahlung einer Geriatriezulage seien nach wie vor gegeben. Denn die von ihm betreuten dementen Heimbewohner seien über die normale Altenpflege hinaus krankenpflegebedürftig.

Der Kläger hat mit seiner am 20. August 2001 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage beantragt,

1. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger eine monatliche Geriatriezulage in Höhe von 46,02 € (90,00 DM) zu zahlen,

2 den Beklagten zu verurteilen, an ihn die Zulage von April bis Dezember 2001 in Höhe von 414,15 € brutto

(9 x 90,00 DM = 810,00 DM) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf 184,07 g brutto (360,00 DM) seit dem 23.08.2001 zu zahlen sowie weitere 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf 230,08 S (450,00 D) seit dem 08.01.2002 zu zahlen.

Die Beklagte hat

Klageabweisung

begehrt und die Auffassung vertreten, die 27 dementen Personen litten unter typischer Altersdemenz, welche nicht als Krankheit zu werten sei. Denn es fehle insoweit die erforderliche Ausrichtung auf Heilung von Krankheiten durch ärztliche Betreuung. Es könne nicht einmal von einer ständigen ärztlichen Behandlung die Rede sein; wohl habe jede Person einen Vertrauensarzt, den sie bei gelegentlichen Beschwerden konsultieren könne.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 8. Januar 2002 der Klage stattgegeben, die Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten auferlegt und den Streitwert auf 1.656,72 € festgesetzt.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Zahlung der Zulage nach der Protokollerklärung Nr. 1 Absatz 1 c zu Teil II Abschnitt B AW-KrT lägen vor. Der Kläger leiste unstreitig auf der von ihm geleiteten Demenz-Station die Grund- und Behandlungspflege im Sinne der Protokollerklärung, und er leiste sie zeitlich überwiegend bei Kranken. Denn die Bewohner der von ihm geleiteten Demenz-Abteilung im Altersheim R seien überwiegend Kranke im Sinne der Protokollerklärung Nr. 1 Absatz 1 c. Als Krankheit sei bereits die Demenz, an der sämtliche Bewohner litten, anzusehen, weil es sich dabei um eine chronisch verlaufende, degenerative Veränderung des Gehirns mit Verlust der früher erworbenen kognitiven Fähigkeiten handele. Somit handele es sich bei dem Demenz nicht um eine bloße Altererscheinung, sondern um eine eigenständige Krankheit im medizinischen Sinn, welche freilich auf den verschiedensten Ursachen beruhen könne. Ein Beleg für diese Einschätzung sei die Tatsache, dass sämtliche Bewohner ständig Medikamente einnehmen müssten und der Kläger für die Einnahme und Kontrolle dieser Medikamenteneinnahme verantwortlich sei. Weiter ergebe sich aus der Auflistung Bl. 37 d. A., dass darüber hinaus bei den meisten Bewohnern regelmäßig medizinische Maßnahmen und Untersuchungen durchzuführen seien.

Wegen der weiteren rechtlichen Erwägungen, die das Arbeitsgericht zu seinem Ergebnis haben gelangen lassen, wird auf den Inhalt der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 72 bis 74 d. A.) Bezug genommen.

Gegen dieses ihm am 16. Januar 2002 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit einem am 15. Februar 2002 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die er mit einem am 18. März 2002 (Montag) beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat.

Mit der Berufung will der Beklagte nach Maßgabe seiner Berufungsbegründungsschrift vom 15. März 2002, auf deren Inhalt die Kammer Bezug nimmt (Bl. 87 bis 89 d. A.), weiterhin die Abweisung der Klage erreichen. Er meint, die in der Einrichtung lebenden Bewohner bedurften nicht überwiegend einer Behandlung, die als Krankenbehandlung einzustufen sei. Er wendet sich gegen die Sichtweise des Arbeitsgerichts, wonach Altersdemenz als Krankheit zu bezeichnen sei. Er beantragt daher,

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil nach Maßgabe seines Berufungserwiderungsschrift vom 22. April 2002, auf deren Inhalt nebst Anlagen die Kammer ebenfalls Bezug nimmt (Bl. 99 bis 105 d. A.).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet, weil das Arbeitsgericht dem Kläger zu Recht die Geriatriezulage zuerkannt hat. Denn dem Kläger steht diese Geriatriezulage gemäß der Protokollerklärung Nr. 1 Absatz 1 c zu Teil II Abschnitt B AW-KrT für den zurückliegenden Anspruchszeitraum und zur Zeit zu, solange der Kläger die Grund- und Behandlungspflege an Bewohnern, wie sie in der Berufungserwiderung anliegenden Übersicht aufgeführt sind, verrichtet. Denn die in dieser Übersicht aufgelisteten Bewohner sind in dem vom Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 15. Dezember 1999 - 10 AZR 638/98 - erläuterten Sinne krankenpflegebedürftig. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag leiden die von dem Kläger betreuten Heimbewohner u. a. an folgenden Krankheiten Diabetes mellitus, Herzinsuffizienz, (art) Hypertonie, Herzrythmusstörungen, Zustand nach Uterus Ca-OP, Zustand nach Colon Ca, Colon Ca, Rectum Ca, Prostata Ca, Blasen Ca, Thromboseneigung, Myocardinfarkt, Stammhirninfarkt, Meningitis, Osteoporose, Parkinson, Hinterwandinfarkt, Mamma Ca, benignes Prostataadenom. Zum Teilweisen Bewohner mehrere Krankheiten in Kombination auf.

Alle diese Krankheiten unterscheiden sich von altersbedingten Gebrechen, bei denen eine über die allgemeine pflegerische Betreuung hinausgehende medizinische Behandlung "mit dem Ziel einer Besserung oder Linderung des bestehenden Zustandes nicht (mehr) stattfinden" mag. Sondern es muss Krankenpflege stattfinden, und zwar in Gestalt von Verbandswechsel, Medikamentengabe, Versorgung mit Inkontinenzartikeln, subcutaner Insulingabe, Blutdruckkontrollen, Blutzuckerkontrollen, Umlagerungen Angesichts solcher Grund und Behandlungspflege bei der ganz überwiegenden Zahl der vom Kläger betreuten Bewohner mit den oben aufgeführten Krankheiten kommt es auf die Streitfrage der Parteien, ob allein die Demenz eine Krankheit im Tarifsinne darstellt, nicht an. Die Berufung konnte deshalb keinen Erfolg haben, sondern musste mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen werden.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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