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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 20.04.2004
Aktenzeichen: 9 Sa 2141/03
Rechtsgebiete: BAT


Vorschriften:

BAT § 15 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen

9 Sa 2141/03

URTEIL

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am: 20. April 2004

In dem Rechtsstreit

hat die 9. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 20. April 2004 durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Dierking, den ehrenamtlichen Richter Strautmann und die ehrenamtliche Richterin Rehfeld

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des ArbG Emden vom 12.11.03 - 1 Ca 481/02 - wird zurückgewiesen.

Von den Kosten der Berufung hat der Beklagte 20 %, der Kläger 80 % zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Wert: 17.197,23 €.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die für die Ableistung von Arbeitsbereitschaft zu entrichtende Vergütung.

Der Kläger wurde mit Wirkung vom 1. Juli 1986 bis zum 31. Dezember 1987 im Rahmen des Berufsförderungsdienstes der Bundeswehr beim beklagten Landkreis als Rettungssanitäter ausgebildet. Mit Wirkung ab 1. Januar 1988 wurde er als Rettungssanitäter und sodann als Rettungsassistent mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsentgelt von zuletzt 2.428,68 € weiterbeschäftigt. Gemäß vertraglicher Vereinbarung richtet sich das Arbeitsverhältnis nach den Vorschriften des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) vom 23. Februar 1961 und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen. Der beklagte Landkreis hat die vom Kläger zu erbringende regelmäßige Arbeitszeit mit Schreiben vom 7. Dezember 1993 ab dem 1. Januar 1994 gemäß § 15 Abs. 2 BAT auf durchschnittlich 49 Stunden wöchentlich festgesetzt. Mit weiterem Schreiben vom 11. Dezember 1996 hat er die vom Kläger zu erbringende regelmäßige Arbeitszeit mit Wirkung vom 1. Juli 1997 gemäß § 15 Abs. 2 BAT auf durchschnittlich 54 Stunden wöchentlich verlängert.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, diese arbeitgeberseitige Arbeitszeitgestaltung widerspreche dem Europäischen Gemeinschaftsrecht, an das sich der Beklagte als öffentlich-rechtliche Körperschaft zu halten habe. Mit der Verlängerung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit auf 54 Stunden gemäß § 15 Abs. 2 BAT verstoße er gegen die Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993.

Der Kläger hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 61.783,37 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank nach BGB zu zahlen;

hilfsweise, den Beklagten zu verurteilen, ihn 5.727,26 Stunden von der Arbeit freizustellen;

2. festzustellen, dass er nicht verpflichtet ist, im Durchschnitt des Bezugszeitraums bis zu 4 Monaten mehr als 48 Stunden einschließlich Arbeitsbereitschaft innerhalb eines Siebentageszeitraums zu arbeiten, wobei Zeiten des bezahlten Jahresurlaubs sowie Krankheitszeiten bei der Berechnung des Durchschnitts unberücksichtigt bleiben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 12. November 2003 der Feststellungsklage entsprochen, die Zahlungsklage dagegen abgewiesen; die Kosten des Rechtsstreits hat es zu 86 % dem Kläger, zu 14 % dem Beklagten auferlegt; den Streitwert hat es auf 71.719,37 € festgesetzt. Zur Begründung der Klageabweisung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Aus der Bewertung der gesamten Tätigkeit des Angestellten während des gemäß § 15 Abs. 2 BAT verlängerten Dienstes als Arbeitszeit folge nicht, dass dieser mit der Überstundenvergütung zu entgelten wäre. Die EG-Richtlinie 93/104 sage nichts darüber, wie Arbeitszeit zu bezahlen sei. Die Tarifvertragsparteien legten vielmehr selbstständig den Maßstab fest, aus dem sich ergebe, für welche Tätigkeit welche Vergütung geschuldet sei. Wegen der weiteren rechtlichen Erwägungen, die das Arbeitsgericht zu der Abweisung der Klage haben gelangen lassen, wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 91 bis 96 d. A.) Bezug genommen.

Gegen dieses ihm am 4. Dezember 2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16. Dezember 2003 beim Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt, die er mit einem am 3. März 2004 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 4. März 2004 verlängert worden war. Der Beklagte hat seine gegen das Urteil eingelegte Berufung zurückgenommen.

Mit der Berufung will der Kläger weiterhin erreichen, dass seine über 38,5 Wochenstunden hinaus geleisteten Arbeitsstunden (einschließlich Arbeitsbereitschaftsstunden) zusätzlich bezahlt werden. Er beschränkt seinen Anspruch auf den Zeitraum vom 1. Juli 2000 bis zum 31. Dezember 2001. Der Kläger meint, auch wenn er während der verlängerten Dienstzeit keine "Vollarbeit" leiste, sei die Anwesenheit als solche, die er dem Arbeitgeber über die vertragliche Arbeitszeit hinaus schulde, zu vergüten. Die bisherige Unterscheidung zwischen Arbeitszeit und Bereitschaftsdienst (in welche Ausgestaltung auch immer) sei nicht mehr möglich, § 15 Abs. 2 BAT damit hinfällig, die bisherige Regelung sei mit der Arbeitszeitrichtlinie nicht in Einklang zu bringen. Das Risiko der Europarechtsverletzung könne nicht der Kläger tragen.

Der Kläger beantragt daher,

das Urteil des Arbeitsgerichts Emden vom 12.11.2003 (Az: 1 Ca 481/03) teilweise abzuändern und

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger € 17.197,23 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

hilfsweise

den Beklagten zu verurteilen, den Kläger 1.508 Stunden von der Arbeit freizustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er sieht für das klägerische Begehren keine Anspruchsgrundlage.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet, weil die Zahlungsklage ebenso wie der Hilfsantrag unbegründet ist. Der Beklagte hält dem Kläger zu Recht entgegen, dass es für sein Begehren keine Anspruchsgrundlage gibt.

I.

Zunächst ist klarzustellen, dass die Verlängerung der Arbeitszeit gemäß § 15 Abs. 2 BAT im Ausmaß bis zu 48 Wochenstunden mit der EG-Richtlinie 93/104 nicht kollidiert und durch die vertragliche Inbezugnahme des BAT sich im Rahmen der beiderseitigen Rechte und Pflichten hält.

II.

In Bezug auf die vom Arbeitsgericht zu Recht angenommene fehlende Verpflichtung des Klägers, mehr als 48 Stunden wöchentlich einschließlich Arbeitsbereitschaft zu leisten, folgt das Berufungsgericht den zutreffenden Erwägungen des Arbeitsgerichts, wonach die EG-Richtlinie 93/104 nichts darüber sagt, wie Arbeitszeit zu bezahlen ist. Das Arbeitsgericht befindet sich damit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, welches in Fällen, in denen die nach Artikel 6 Nr. 2 der Richtlinie 93/104/EG gebotene zeitliche Beschränkung in Folge der Anordnung von Bereitschaftsdienst überschritten war, eine gesonderte Vergütungspflicht des öffentlichen Arbeitgebers verneint hat (BAG v. 05.06.2003 - 6 AZR 114/02, AP Nr. 7 zu § 611 BGB Bereitschaftsdienst; v. 28.01.2004 - 5 AZR 530/02 (bisher nur als Presseerklärung und im Leitsatz als Vorab-Dokumentation in Juris vorliegend)). So wie im Falle des Bereitschaftsdienstes dürfen die Tarifvertragspartner auch die geringeren Belastungen der Arbeit, in die Arbeitsbereitschaft hineinfällt, dazu veranlassen, diese Arbeit geringer zu vergüten als "Vollarbeit". Das Arbeitsgericht hat zu Recht herausgearbeitet, dass die Richtlinie 93/104/EG in die tarifvertragliche Wertung von geschuldeter Arbeitsleistung zu geschuldeter Vergütung nicht eingreifen will, sondern dass es Sache der Tarifvertragsparteien bleibt, für eine Ausgewogenheit zwischen Leistung und Gegenleistung zu sorgen. Dabei dürfen die Tarifvertragsparteien weiterhin bei der Gewichtung einen Unterschied machen, je nachdem, ob während der abzuleistenden Arbeitszeit nur "Vollarbeit" geleistet wird oder ob in einem bestimmten Umfang in die Arbeitszeit "Zeiten wacher Achtsamkeit im Zustand der Entspannung" fallen.

Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO entsprechend, da auch über die Kosten der zurückgenommenen Berufung des Beklagten, die dieser nach § 516 Abs. 3 ZPO zu tragen hat, im Endurteil zu entscheiden ist.

Die Entscheidung über die Zulassung der Revision folgt aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.



Ende der Entscheidung

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