Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 18.08.1999
Aktenzeichen: 1 Ta 185/99
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3
ArbGG § 2 Abs. 1
ArbGG § 61 a
ArbGG § 64 Abs. 8
ZPO § 97 Abs. 1
Für Ansprüche aus Zwangsarbeit ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht gegeben.
BESCHLUSS

1 Ta 185/99

in dem Rechtsstreit

wegen Sonstiges

Die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts Nürnberg Heider als Vorsitzender ohne mündliche Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

I.

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 08.07.1999, AZ 11 Ca 2078/99 wird kostenpflichtig zurückgewiesen. II.

Die weitere sofortige Beschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin, jetzt ukrainische Staatsangehörige, wurde im Jahr 1942 auf dem Gebiet der damaligen Sowjetunion (heute Ukrainische Republik) von Organen des Deutschen Reiches festgenommen und gegen ihren Willen nach Deutschland verbracht. Hier war sie mit anderen Deportierten in einem Lager untergebracht und unterlag einer Überwachung durch deutsches Kontrollpersonal.

Nach ihren Angaben war die Klägerin auf Anordnung der staatlichen Arbeitsverwaltung vom August 1942 bis zum Kriegsende im Mai 1945 in dem Rüstungsbetrieb der Rechtsvorgängerin der Beklagten zwangsweise beschäftigt. Über Naturalien hinaus habe sie keine Vergütung erhalten.

Die Klägerin hat vor dem Arbeitsgericht Nürnberg eine Klage auf Entschädigung und entgangene Vergütung für die oben dargestellte Zwangsbeschäftigung anhängig gemacht. Auf die Rechtswegrüge der Beklagten hin hat das Erstgericht mit Beschluss vom 08.07.1999 den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen verneint und den Rechtsstreit an das Landgericht Nürnberg-Fürth verwiesen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Beschwerde der Klägerin.

Nach ihrer Auffassung sei der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten auch für eine solch erzwungene Beschäftigung zulässig. Auch wenn es am Merkmal des freiwilligen Eingehens eines auf Arbeitsleistung gerichteten Vertragsverhältnisses fehle, bedürfe gerade ein derartiger Zwangsarbeiter des besonderen Schutzes des formellen und materiellen Arbeitsrechtes.

Die Klägerin und Beschwerdeführerin hat deshalb beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts aufzuheben und den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für zulässig zu erklären.

Die Beklagten und Beschwerdegegner haben innerhalb offener Frist zur Beschwerde nicht mehr Stellung genommen.

II.

Die Beschwerde der Klägerin ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 48 Abs.1 ArbGG, 17 a Abs. 4, S. 3 GVG, 577 i. V. m. 567 ff. ZPO).

Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden der Beschwerdekammer allein ergehen (§§ 17 a Abs. 4, S. 3 GVG, 78 Abs.1, 64 Abs. 7, 53 Abs.1 ArbGG). Nur für die erstinstanzliche Entscheidung ist durch das Gesetz der Kammerbeschluss angeordnet (vgl. BAG v. 10.12.1992, NZA 1993, 619).

Die Beschwerde ist jedoch in der Sache ohne Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat mit gründlicher und zutreffender Begründung den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen verneint, weil schon nach dem von der Klägerin vorgetragenen Lebenssachverhalt keine bürgerliche Rechtsstreitigkeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber vorliegt (§ 2 Abs.1 Nr. 3 ArbGG). Nur eine solche könne jedoch nach der genannten Bestimmung (lit. a - e) den nachgesuchten Rechtsweg eröffnen. Das Beschwerdegericht folgt deshalb in erster Linie der nicht zu beanstandenden Entscheidung des Erstgerichts und der dortigen Begründung (§ 543 Abs.1 ZPO entspr.).

Zu den Beschwerdeangriffen ist noch folgendes auszuführen :

Die Beschwerdeführerin stützt ihr Rechtsmittel ausschließlich auf die im Beschluss vom 19.05.1999 niedergelegte Rechtsansicht der 4. Kammer des Arbeitsgerichts Nürnberg (4 Ca 2120/99). Die dortige Gleichsetzung eines privatrechtlichen Arbeitsverhältnisses mit der Zwangsarbeit ist jedoch allein ergebnisorientiert vor dem Hintergrund eines vermeintlichen Billigkeitsgedankens, der den Schutz der Klägerin und Beschwerdeführerin nur vor den Arbeitsgerichten für verwirklichbar hält. Dieser Herleitung stimmt die Beschwerdekammer aus mehreren Gründen nicht zu.

Wenn von der 4. Kammer des Arbeitsgerichts Nürnberg. (a.a.O.) und ihr folgend von der Beschwerdeführerin unter Bezug auf die Tätigkeiten von mithelfenden Familienangehörigen, Beamten, Sozialhilfeempfängern und Strafgefangenen die These aufgestellt wird, jede nicht aufgrund besonderer gesetzlicher Grundlage erbrachte Arbeitsleistung geschehe in einem Arbeitsverhältnis i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG, wird damit der Norminhalt erkennbar überdehnt. Auch und gerade in der von der Beschwerdeführerin angezogenen Entscheidung des BAG vom 22.03.1995, 5 AZB 21/94, NJW 1996,143 ist unter B II,1 der Gründe ausdrücklich herausgestellt, dass Arbeitnehmereigenschaft und damit ein Arbeitsverhältnis nur vorliegt, wenn aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages Dienste geleistet werden. Von diesem Erfordernis ist das BAG in der genannten Entscheidung auch nicht abgerückt. Es hat lediglich in der freiwillig eingegangenen, privatrechtlichen Beziehung der dortigen Parteien (Vereinsmitgliedschaft durch Antrag und Aufnahme) wegen der besonderen Ausgestaltung der Mitgliedspflichten ein unzulässiges Umgehungsgeschäft gegenüber zwingendem Gesetzesrecht gesehen und deshalb die vereinsrechtlichen Beziehungen als arbeitsvertragliche Verbindung gewertet. Dadurch blieb jedoch das ausschließlich auf freier Willensentschließung basierende, privatrechtliche Konstrukt in der Rechtsbindung der Parteien gänzlich unangetastet.

Wie die 4. Kammer des Arbeitsgerichts selbst erkennt, hat dies mit dem hier zu prüfenden Sachverhalt nichts zu tun. Die nationalsozialistische SStaatsgewalt hat nicht mit der gewaltsam auferlegten Beschäftigung in der Kriegswirtschaft ein bestehendes Schutzrecht im Wege des Formenmißbrauchs umgangen. Vielmehr sollte in Anwendung des damals geltenden Gesetzeswerks (z. B. VO über die Einsatzbedingungen der Ostarbeiter v. 30.06.1942; VO vom 25.03.1944; § 2 Abs.1, Nr.1 ArbGG 1934) und in Anwendung hoheitlicher Kompetenz die Arbeitskraft der Klägerin zur Kriegsproduktion ausgebeutet werden. In der konkreten Umsetzung dazu bediente sich die staatliche Rüstungsplanung der jeweiligen Produktionsbetriebe, praktisch der gesamten Wirtschaftstätigkeit, die ja wegen des Krieges nahezu gänzlich unter staatliche Aufsicht gestellt war. Einer dieser Rüstungsbetriebe war die Rechtsvorgängerin der Beklagten und Beschwerdegegner. Ihr Maß an Mitwirkung bei der Zwangsbeschäftigung und deren rechtliche Bewertung wird im Hauptverfahren weiter zu prüfen sein. Jedenfalls wurde ihr von der staatlichen Arbeitsverwaltung (Rüstungskommando) die Klägerin zugewiesen, die dabei selbst in keiner Weise autonom mitwirken konnte.

Von daher geschah also die Dienstleistung der Klägerin durchaus aufgrund besonderer normativer Vorgaben und eines hoheitlichen Eingriffs der staatlichen Organe. Dies wäre dann auch nach der obigen eigenen These der 4. Kammer des ArbG Nürnberg (a.a.O.) ein Fall der Dienstleistung ohne Arbeitsverhältnis, für welche die Arbeitsgerichte nicht zuständig wären. Dabei unterliegt es keinem Zweifel, dass das Normwerk über die Zwangsbeschäftigung und deren hoheitlicher Vollzug wegen Verstoßes gegen die allgemeinen Menschenrechte in sich rechtswidrig waren (vgl. Art. 12 Abs. 3 GG). Aus einer rechtswidrig angeordneten (erzwungenen) Beschäftigung auf jedenfalls hoheitlich initiierter Basis wird jedoch keine privatautonom aufgenommene Tätigkeit. Zwangsbeschäftigung und autonom vereinbarte Dienst-/ Arbeitsleistung schließen sich gegenseitig aus. Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - die erzwungene Beschäftigung in einem von Rechtssubjekten des Privatrechts geführten Betrieb geschieht. Der bloße Ort und die äußeren Umstände der Tätigkeit können die inhaltliche Bewertung nicht allein bestimmen (so ähnl. BAG v. 03.10.1978, AP Nr.18 zu § 5 ArbGG). Hier jedoch war in besonderer Weise der unstrittige Zwangscharakter der Diensterbringung prägend.

Eine solche Veränderung der wesentlichen Zuordnungsmerkmale (Verzicht auf freiwillig eingegangene Beschäftigung) für die Rechtswegbestimmung findet auch keine Rechtfertigung durch vermeintliche Schutzüberlegungen zu Gunsten der Klägerin. Bei der Bestimmung des zulässigen Rechtsweges geht es im Kern um die Feststellung des gesetzlichen Richters. Zu Recht wird deshalb Art. 101 GG als Verfahrensgrundrecht und so als zentrale Norm der rechtsstaatlichen Ordnung bezeichnet (vgl. Schmidt-Bleibtreu/Klein, Komm. z. GG, 8. Aufl. Art. 101 Rndr. 2/3). Dies gebietet eine formstrenge Anwendung der Zuständigkeitsnormen und verbietet einzelfallbezogene Verschiebungen (vgl. BVerfG E 40, 268 ff). Dies gilt gerade für die hier maßgebliche Zuständigkeitsnorm aus § 2 Abs.1 ArbGG mit ihrer zweifelsfrei enumerativen Fassung (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 3.Auflage, § 2 Rdnr.5). Der Gesetzgeber hat mit der dortigen abschließenden Aufzählung selbst festgelegt, wo er jenseits einer arbeitsvertraglichen Beziehung den arbeitsgerichtlichen Rechtsweg eröffnen will. Für die erzwungene Beschäftigung ist dies nicht geschehen. Anhaltspunkte für eine planwidrige (unbewußte) Regelungslücke bestehen nicht. Der Gesetzgeber hat in den letzten Jahren das ArbGG mehrfach geändert, ohne dass er sich veranlasst gesehen hätte, den längst bekannten Problembereich "Zwangsarbeit" hier zu erfassen.

Im Übrigen geht die behauptete Schutzintension schon für das Prozessrecht fehl:

Die Klägerin erfährt im Verfahren vor den ordentlichen Gerichten den nämlichen rechtsstaatlichen Schutz wie vor den Arbeitsgerichten (so auch 15. Kammer des Arbeitsgerichts Nürnberg v. 09.06.1999, 15 Ca 2117/99). Die unterschiedliche Kostensituation ist durch das Institut der Prozeßkostenhilfe egalisiert, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Formale Beschleunigungsnormen (§ 9 Abs. 1 ArbGG) erfahren vor dem Hintergrund der jeweiligen aktuellen Geschäftsbelastung der Arbeitsgerichte ein eher relatives Gewicht, welches durch die Vorrangbestimmung der §§ 61a, 64 Abs. 8 ArbGG weiter reduziert wird. Die besondere Sachkunde der Arbeitsgerichtsbarkeit als Fachgerichtsbarkeit des Arbeitslebens kann wohl nicht gemeint sein, eine solche liegt nämlich für Zwangsarbeit nicht vor. Entgegen LAG München vom 02.08.1999, 5 Ta 184/99 handelt es sich bei der Zwangsbeschäftigung nämlich um kein Arbeitsverhältnis im materiellrechtlichen Sinn. Der autonome Eintritt in das Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung auf der Ebene der Gleichrangigkeit ist für das Arbeitsverhältnis konstitutiv. Daran fehlt es bei der zwangsweisen Dienstleistung schon denklogisch. In diesem Zusammenhang führt auch der Hinweis nicht weiter, dass das BAG (vgl. AP Nr. 4 zu § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung) auch bei den sogen. sic-non-Fällen den Schutzzweck in den Vordergrund stelle und insoweit auf das Tatbestandmerkmal des Arbeitsverhältnisses verzichte (so LAG München a.a.O.). Dort nämlich behauptet die Klagepartei unter entsprechendem (schlüssigen) Tatsachenvortrag ein Arbeitsverhältnis, woraus das BAG herleitet, dass bei solch "doppelrelevantem" Vortrag die Entscheidung über die Begründetheit der Klage nicht in den Streit über die Zulässigkeit des Rechtsweges vorverlagert werden soll. Auf das Arbeitsverhältnis als Voraussetzung für den Rechtsweg wird also nicht verzichtet, sondern lediglich - im Falle des Bestreitens - auf die volle Beweisführung. Gerade an einer solch schlüssigen Behauptung fehlt es hier, weil die Klägerin selbst die Zwangsbeschäftigung vorträgt.

Der Schutz des materiellen Arbeitsrechts schließlich kann nur dort angewendet werden, wo der Gesetzgeber ihn angeordnet hat. Dies ist für die (auch) hoheitlich erzwungene Dienstleistung nicht der Fall. Dafür bestehen aus dem allgemeinen Recht andere Anspruchs- und Schutzmechanismen. Diese auszuhebeln oder nach seinen Vorstellungen auszutauschen, ist der Richter im gewaltengeteilten Staat nicht befugt. Natürlich soll die Möglichkeit der Auslegung des Gesetzes nicht negiert werden. Sie überschreitet jedoch dort ihre Grenzen, wo entgegen dem klaren gesetzlichen Wortlaut eine inhaltliche Verschiebung stattfindet.

Nach alldem kann die Beschwerde nicht durchdringen; es verbleibt bei der den Rechtsweg verneinenden und an die ordentlichen Gerichte verweisenden Entscheidung des Arbeitsgerichts. Nach der insoweit unstrittigen Anspruchsberühmung der Klägerin ist ihr - unabhängig von der hoheitlichen Einwirkung der staatlichen Organe - die Rechtsvorgängerin der Beklagten als Rechtspersönlichkeit des Privatrechts gegenübergetreten. Damit ist der behauptete Anspruch im Zivilrechtswege zu verfolgen (§ 13 GVG).

Die Klägerin trägt als unterliegende Beschwerdeführerin die Kosten der Beschwerde entspr. § 97 Abs.1 ZPO (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting, a.a.O. § 48 Rdnr.97).

Die weitere sofortige Beschwerde zum Bundesarbeitsgericht war wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsweges für Streitigkeiten aus einer staatlich initiierten Zwangsarbeit zuzulassen (§§ 48 Abs. 1, 72 Abs.2 ArbGG, 17 a Abs.4, S.5 GVG).

Ende der Entscheidung

Zurück