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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 29.10.2003
Aktenzeichen: 2 Sa 398/03
Rechtsgebiete: BetrAVG


Vorschriften:

BetrAVG § 7 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 i.d.F. ab 01.01.1999
Auch nach der Neufassung des § 7 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 BetrAVG kommt gegenüber Versorgungsempfängern ein Widerruf betrieblicher Versorgungsleistungen nur in Betracht, wenn eine vorherige Zustimmung des PSV vorliegt oder eine gerichtliche Entscheidung über die Einstandspflicht des PSV vom Versorgungsschuldner erstritten wurde.
2 Sa 398/03

IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

in dem Rechtsstreit

wegen betrieblicher Altersversorgung

Die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Werner und die ehrenamtlichen Richter Seyler und Maschke aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. September 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

I.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bamberg, Kammer Coburg, vom 21.02.2003, Az. 3 Ca 626/02 C wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

II.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klagepartei macht Betriebsrentenansprüche geltend, die auch in der Berufung der Höhe nach unstreitig sind und nach ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Arbeitsverhältnis bis einschließlich August 1999 in Höhe von monatlich EUR 69,50 geleistet wurden.

Seit September 1999 zahlte die Beklagte monatlich nur noch EUR 10,23 unter Hinweis auf eine wirtschaftliche Notlage, die die volle Rentenauszahlung nicht mehr ermögliche.

Die Beklagte hat nach ihrem Vorbringen bereits im Jahr 1998 einen formellen Antrag an den C... (C...) gerichtet, mit der Bitte, die Pensionsverpflichtungen für einen begrenzten Zeitraum zu übernehmen, um die Überlebensfähigkeit der Beklagten zu sichern. Unstreitig haben die Verhandlungen der Beklagten mit dem C... zu keiner Einigung geführt. Auch hat die Beklagte bislang gegen den C... keine Feststellungsklage erhoben zur Klärung der Frage, ob die Kürzung oder Einstellung der Rentenleistungen berechtigt ist. Die Klagepartei hält einen Widerruf oder eine Kürzung der Rentenleistungen wegen wirtschaftlicher Notlage nicht für gerechtfertigt. Das Arbeitsgericht hat mit dem am 21.02.2003 verkündeten Endurteil wie folgt entschieden:

1.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 2.489,34 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus § 1 DÜG aus Euro 1.896,04 seit 26.04.2002 zu bezahlen.

2.

Die Beklagte wird verurteilt, beginnend mit dem 01.03.2003, an die Klagepartei eine Betriebsrente in Höhe von Euro 69,50/Monat zu bezahlen.

3.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4.

Der Streitwert wird auf Euro 2.502,00 festgesetzt.

5.

Soweit der Wert des Beschwerdegegenstandes Euro 600,00 nicht übersteigt, wird die Berufung nicht zugelassen.

Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird verwiesen.

In der Berufung hat die Beklagte unter Vorlage einer gutachtlichen Stellungnahme weiterhin darauf abgestellt, dass eine wirtschaftliche Notlage gegeben sei und ihr deshalb eine Aufrechterhaltung der zugesagten Pensionsleistungen nicht mehr zugemutet werden könne. Erst in den Jahren 2006 und 2007 zeige sich eine leichte positive Finanzveränderung, die dann auch zu einer Reduzierung der Finanzunterdeckung führe. Würden für den Planungszeitraum 01.05.2003 bis 30.06.2007 - ausgehend vom Stichtag 30.04.2003 - die aufgrund der Pensionsordnung zu zahlenden Leistungen berücksichtigt, würde sich eindeutig eine äußerst verschärfende existenzgefährdende Situation des Unternehmens ergeben mit der Folge, eine drohende Insolvenz nicht mehr abwenden zu können.

Die Beklagte stellt in der Berufung den Antrag,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bamberg, Kammer Coburg, verkündet am 21.02.2003, Az: 3 Ca 626/02 C, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klagepartei beantragt:

1.

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

2.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Beklagte hat in der Berufungsverhandlung noch ausgeführt, die Frage des Widerrufs oder der Kürzung der Pensionsleistungen könne nicht nach den Voraussetzungen der Änderung des § 7 BetrAVG mit Wirkung zum 01.01.1999 beurteilt werden, da die Pensionsleistungen unter der Geltung der früheren Rechtslage zugesagt worden seien.

Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien in der Berufung wird auf die Berufungsbegründung der Beklagten nebst Anlagen sowie die Berufungserwiderung der Klagepartei verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist in der Sache unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben, da die Beklagte gegenüber der Klagepartei weder zur Kürzung noch zur Einstellung der Rentenzahlungen berechtigt war und zwar weder nach der Rechtslage bis zum 31.12.1998 noch nach der Neufassung des § 7 BetrAVG ab 01.01.1999.

1.

Die streitbefangenen Betriebsrentenzahlungen unterliegen der Insolvenzsicherung nach § 7 Abs. 1 BetrAVG. Die Klagepartei war bereits Versorgungsempfänger, sie bezog bis einschließlich August 1999 die zugesagte betriebliche Altersrente in Höhe von EUR 69,50 monatlich. Versorgungsempfänger genießen den Insolvenzschutz nach § 7 Abs. 1 BetrAVG ohne Einschränkung, es kommt bei ihnen - abgesehen von den Fällen des Versicherungsmissbrauchs im Sinn des § 7 Abs. 5 BetrAVG - nur auf die getroffenen Versorgungsvereinbarungen an (BAG vom 21.01.2003 - 3 AZR 121/02).

2.

Die beklagte Partei kann sich nicht mit Erfolg auf den Vorbehalt in § 11 der Versorgungszusage stützen. In diesem Vorbehalt behält sich die Beklagte vor, die zugesagten Leistungen zu kürzen oder einzustellen, wenn sich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens nachhaltig so wesentlich verschlechtert hat, dass ihm eine Aufrechterhaltung der zugesagten Leistungen nicht mehr zugemutet werden kann. Auf diesen Gesichtspunkt stützt sich die Beklagte bei der vorgenommenen Einstellung der Betriebsrentenzahlungen. Nach der Rechtsprechung des BAG ist ein Vorbehalt des Inhalts, die zugesagten Leistungen zu kürzen oder einzustellen, wenn die wirtschaftliche Lage des Unternehmens sich nachhaltig so wesentlich verschlechtert, dass dem Unternehmen eine Aufrechterhaltung der zugesagten Leistungen nicht mehr zugemutet werden kann, inhaltlich als Hinweis auf Kürzungs- oder Widerrufsmöglichkeiten wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu verstehen (vgl. z.B. Urteil des BAG vom 26.04.1988, 3 AZR 277/87 = AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Geschäftsgrundlage). Es handelt sich bei dem Vorbehalt in Ziffer 11 der Pensionsordnung der Beklagten um einen allgemeinen Vorbehalt, wie er als Mustervorbehalt häufig in Ruhegeldzusagen Verwendung fand und nach der Entscheidung des BAG vom 26.04.1988 nur zum Ausdruck bringt, was nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen ohnehin gilt. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten ist nach der Rechtsprechung des BAG gleichbedeutend mit dem Sicherungsfall der wirtschaftlichen Notlage nach § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BetrAVG in der Fassung bis 31.12.1998 (BAG vom 26.04.1988, a.a.O.; BAG vom 25.01.2000, 3 AZR 871/98). In der Entscheidung vom 25.01.2000 verweist das BAG darauf, dass das Betriebsrentengesetz in seiner bis zum 31.12.1998 geltenden Fassung die Rechtsprechung des BAG aufgegriffen und in der Sache bestätigt hat, indem es einen Widerruf wegen wirtschaftlicher Notlage als Sicherungsfall einstufte und unter bestimmten Bedingungen eine Einstandspflicht des C... festlegte. Schon angesichts dieser gesetzgeberischen Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung sehe der Senat keinen Anlass, von ihr abzuweichen, soweit es um die Behandlung von Widerrufen gehe, die bis zum 31.12.1998 wirksam geworden seien. Ob an dieser Rechtsprechung auch nach der Streichung des Sicherungsfalles "Widerruf wegen wirtschaftlicher Notlage" mit Wirkung zum 01. Januar 1999 festzuhalten sei, hat das BAG in der Entscheidung vom 25.01.2000 offen gelassen und weiter auf seine bisherige ständige Rechtsprechung verwiesen, wonach der Versorgungsschuldner vor einem Widerruf wegen wirtschaftlicher Notlage den C... auffordern muss, die Versorgungslast nach § 7 Abs. 1 Satz 4 BetrAVG zu übernehmen, wobei im Falle einer Weigerung der Arbeitgeber den C... gerichtlich in Anspruch nehmen muss. Bei einer pflichtwidrigen Unterlassung ist ein Widerruf wegen wirtschaftlicher Notlage unwirksam und es bestehen die Versorgungsansprüche ungekürzt fort (unter Hinweis auf BAG vom 20.01.1987, 3 AZR 313/85 - AP BetrAVG § 7 Widerruf Nr. 12; 17.09.1991, 3 AZR 413/90; 16.04.1997, 3 AZR 865/95). Unstreitig hat sich die Beklagte seit längerer Zeit erfolglos, nach ihrem Vorbringen seit 1998 um die Zustimmung des C... bemüht, jedoch unstreitig auch keine Feststellungsklage gegen den C... erhoben. Daraus ergibt sich, dass die Beklagte schon nach der Rechtslage, wie sie bis zum 31.12.1998 bestanden hat, nicht zur Einstellung der Betriebsrentenzahlungen berechtigt war.

Auch nach der Neufassung des § 7 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 BetrAVG ab 01.01.1999 ist die Einstellung der Betriebsrentenzahlungen durch die Beklagte nicht berechtigt. Schaub (Arbeitsrechts-Handbuch 10. Aufl., § 81 Rz. 499) geht davon aus, dass nach der Neufassung des § 7 BetrAVG die nicht erfolgte Übernahme des Tatbestandsmerkmals der wirtschaftlichen Notlage dahin zu bewerten ist, dass der nicht übernommene Widerrufsgrund praktisch in § 7 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 BetrAVG n.F. aufgegangen ist. Er folgert dies daraus, dass die Rechtsprechung des BAG den Widerruf wegen wirtschaftlicher Notlage praktisch zu einem außergerichtlichen Vergleich entwickelt habe. Höfer sieht eine sachgerechte Lösung im Interesse der Arbeitnehmer und des Arbeitgebers darin, dass der Arbeitgeber verpflichtet sein soll, sich um einen außergerichtlichen Vergleich mit dem C... zu bemühen, wenn sich der Arbeitgeber auf ein Leistungsverweigerungsrecht wegen wirtschaftlicher Notlage berufen wolle. Lehne der C... den außergerichtlichen Vergleich ab, wäre der Arbeitgeber verpflichtet, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in entsprechender Anwendung der §§ 17 bis 19 InsO zu beantragen. Durch das Berufen auf die wirtschaftliche Notlage gebe der Arbeitgeber zu erkennen, dass ein Eröffnungsgrund für das Insolvenzverfahren vorliege. Diese Lösung verhindere, dass sich ein Arbeitgeber leichtfertig auf die wirtschaftliche Notlage berufe. Die gebotene Einschaltung des C... bezüglich eines außergerichtlichen Vergleichs sei ein sachgerechter Prüfstein für die Ernsthaftigkeit der behaupteten wirtschaftlichen Notlage (Höfer BetrAVG, § 7 Rz. 2812.39, 2812.40). Blomeyer/Otto (BetrAVG 2. Aufl. § 7 Rz. 343) halten unter Hinweis darauf, dass das Institut des Widerrufs letztlich auf § 242 BGB beruhe, es nicht für ausgeschlossen, unter besonderen, sicherlich recht engen, Voraussetzungen einen Widerruf ohne Insolvenzschutz anzuerkennen. Die Berufungskammer ist in Übereinstimmung mit der Entscheidung des LAG Köln vom 26.04.2002, Az.: 4 Sa 93/02 = NZA RR 2002, 604 der Auffassung, dass der Neufassung des Gesetzes nicht entnommen werden kann, die Rechtsposition eines Arbeitnehmers, der insolvenzgeschützte Betriebsrentenansprüche erworben habe, solle verschlechtert werden. Die Revision gegen die Entscheidung des LAG Köln ist nach telefonischer Auskunft des BAG durch Urteil vom 17.06.2003, Az.: 3 AZR 396/02 zurückgewiesen worden. Der Sicherungsfall des § 7 Abs. 1 Satz 4 Ziffer 2: "Außergerichtlicher Vergleich des Arbeitgebers mit seinen Gläubigern zur Abwendung eines Insolvenzverfahrens, wenn ihm der Träger der Insolvenzsicherung zustimmt", liegt nicht vor, sodass die Klagepartei jedenfalls derzeit einen Anspruch gegen den C... nicht geltend machen kann. Wäre die Beklagte wegen des erklärten Widerrufs wegen wirtschaftlicher Notlage berechtigt, ihre Leistungen einzustellen, wäre der Versorgungsempfänger für einen im Voraus nicht feststellbaren zeitlichen Umfang ungeschützt. Nach § 7 Abs. 1 Unterabs. 1 a BetrAVG entsteht der Anspruch gegen den Träger der Insolvenzsicherung mit dem Beginn des Kalendermonats, der auf den Eintritt des Sicherungsfalles folgt. Da auch ein sonstiger Sicherungsfall nach § 7 Abs. 1 Satz 4 Ziffer 1 bis 3 nicht vorliegt, würde ein möglicher Eintritt der Insolvenz dazu führen, dass die Rentenleistungen erst ab Beginn des Kalendermonats, der auf den Eintritt des Sicherungsfalles folgt, gesichert würden und für den Zwischenzeitraum die Ansprüche auf Rentenleistungen ungesichert blieben. Die Klagepartei, die als Versorgungsempfänger den im Verhältnis zu § 7 Abs. 2 BetrAVG stärkeren Insolvenzschutz nach § 7 Abs. 1 BetrAVG beanspruchen kann, würde somit für einen unbestimmten Zeitraum effektiv keinen Insolvenzschutz haben. Ein solches Ergebnis kann aus der Neufassung des § 7 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 BetrAVG nicht hergeleitet werden und zwar auch und gerade dann, wenn eine wirtschaftliche Notlage dergestalt vorliegt, dass sogar der Insolvenzfall nicht ausgeschlossen werden kann. Die von der Beklagten angeführte wirtschaftliche Notlage kann somit unterstellt werden. Sie berechtigt nicht zur Einstellung oder Kürzung der Rentenleistungen ohne Zustimmung des C....

3.

Ein Widerruf des Versorgungsschuldners bedarf einer förmlichen Widerrufserklärung, die dem Versorgungsberechtigten auch zugehen muss, um Wirksamkeit erlangen zu können (BAG vom 25.01.2000, 3 AZR 871/98). Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer ausgeführt, es sei allen Versorgungsempfängern ein Widerruf zugegangen. Wann dies jeweils im Einzelfall erfolgte, kann offen bleiben, da die Beklagte schon nicht berechtigt ist, die Betriebsrentenzahlungen einzustellen (vgl. oben).

4.

Die Klagepartei hat erstinstanzlich "die aktuellen Klageanträge" gestellt. Das Arbeitsgericht hat im Urteil den Klageantrag ausgelegt und entsprechend differenziert nach rückständigen und künftigen Rentenzahlungen. Diese Auslegung entsprach dem erkennbaren Klagebegehren und ist von den Parteien auch nicht gerügt worden, insbesondere auch nicht wegen der Höhe der rückständigen und der künftigen Rentenzahlungen.

Die Berufung der Beklagten war somit mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

5.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Diese ist schon gegeben, wenn die Entscheidung - wie vorliegend - für mehr als zwanzig gleich oder ähnlich liegende Arbeitsverhältnisse rechtliche Bedeutung hat (BAG vom 15.11.1995 - 4 AZN 580/95 = AP Nr. 49 zu § 72 a ArbGG 1979 "Grundsatz").

Ende der Entscheidung

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