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Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 29.01.2004
Aktenzeichen: 5 Sa 607/03
Rechtsgebiete: KSchG
Vorschriften:
KSchG § 15 Abs. 3 a | |
KSchG § 15 Abs. 4 | |
KSchG § 15 Abs. 5 |
2. Bei der Stilllegung eines Betriebsteils mit eigenem Betriebsrat (§ 4 Satz 1 BetrVG) kommt nur § 15 Abs. 4 KSchG und nicht § 15 Abs. 5 KSchG zur Anwendung.
Rechtsmittel ist zugelassen.
5 Sa 607/03
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
in dem Rechtsstreit
wegen Kündigung
Die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Malkmus und die ehrenamtlichen Richter Grunow und H. Müller aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2003
für Recht erkannt:
Tenor:
1.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Bayreuth vom 09.07.2003, Az.: 5 Ca 1143/02, in Ziffern I. und II. abgeändert.
2.
Die Klage wird abgewiesen.
3.
Der Kläger trägt die Kosten beider Instanzen.
4.
Die Revision wird für den Kläger zugelassen.
Tatbestand:
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage der Rechtswirksamkeit einer von der Beklagten mit Schreiben vom 02.08.2002 gegenüber dem Kläger ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigung zum 30.06.2003.
Der Kläger war seit 01.07.1980 bei der Beklagten in deren Bekleidungshaus in Bayreuth beschäftigt. Er war zuletzt Leiter der Dekorationsabteilung und erzielte ein Bruttomonatsgehalt von EUR 2.974,--.
Die Beklagte hatte Modehäuser in Amberg, Bayreuth, Freiburg, Landshut und Ludwigsburg. Das Bekleidungshaus in Bayreuth legte die Beklagte zum 31.12.2002 still.
Im Bekleidungshaus Bayreuth bestand zunächst kein Betriebsrat. Der Kläger hat am 01.08.2002 zu einer Betriebsversammlung im Rahmen des Wahlverfahrens eingeladen und wurde später in den Betriebsrat und von diesem zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt. Das Ergebnis der Betriebsratswahl wurde im Oktober 2002 bekannt gemacht.
Der Kläger ist der Auffassung, die Kündigung sei bereits wegen seines besonderen Kündigungsschutzes, den er als Einlader zur Betriebsversammlung habe, unwirksam. Das Bekleidungshaus in Bayreuth sei kein eigenständiger Betrieb, sondern nur eine Betriebsabteilung im Sinne des besonderen Kündigungsschutzes.
Die Beklagte ist der Meinung, die Kündigung des Klägers sei im Hinblick auf die Betriebsstilllegung nach § 15 KSchG zulässig.
Das Arbeitsgericht hat der Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 02.08.2003 nicht aufgelöst wurde, stattgegeben. Die Kündigung sei gemäß § 15 Abs. 3 a Satz 1 KSchG unzulässig. § 15 Abs. 4 und 5 KSchG sei auf den in § 15 Abs. 3 a KSchG genannten Personenkreis nicht anwendbar. Auf den Inhalt des arbeitsgerichtlichen Urteils wird, auch hinsichtlich des erstinstanzlichen Parteivorbringens im Einzelnen, Bezug genommen.
Zur Begründung ihrer dagegen gerichteten Berufung lässt die Beklagte vorbringen, auch nach der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes sei Mandatsträgern im Sinne des § 15 Abs. 3 a KSchG ein absoluter Kündigungsschutz bei Betriebsstilllegungen nicht zuzuerkennen. Bei der Nichterwähnung von § 15 Abs. 3 a KSchG in § 15 Abs. 4 und 5 KSchG handele es sich nicht um eine bewusste oder unbewusste Regelungslücke, sondern um eine bewusste Regelung des Gesetzgebers. Der Kündigungsschutz der Einladenden solle nicht so weit gehen, dass sie bei Betriebsstilllegungen erst zum Zeitpunkt der Stilllegung gekündigt werden könnten (§ 15 Abs. 4 KSchG) oder in eine andere Betriebsabteilung übernommen werden müssten (§ 15 Abs. 5 KSchG). Im Übrigen habe es sich bei dem Betrieb in Bayreuth um einen eigenständigen Betrieb im Sinne von § 1 BetrVG, § 23 KSchG und nicht um eine Betriebsabteilung des Betriebes in Landshut gehandelt, so dass der Kläger auch bei Anwendbarkeit des § 15 Abs. 5 KSchG nicht in eine andere Abteilung in Landshut habe übernommen werden müssen.
Die Beklagte beantragt:
1.
Das Urteil des Arbeitsgerichts Bayreuth vom 09.07.2003, Aktenzeichen: 5 Ca 1143/02, wird aufgehoben.
2.
Die Klage wird abgewiesen.
3.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Der Kläger beantragt:
Die Berufung wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Der Kläger lässt ausführen, nach dem klaren Wortlaut des § 15 Abs. 4 KSchG erstrecke sich die Kündigungserleichterung dieser Norm für die Fälle der Betriebsstilllegung nur auf den in den Absätzen 1 bis 3 des § 15 KSchG genannten Personenkreis. Der sogenannte Einlader werde in den Absätzen 1 bis 3 des § 15 KSchG nicht genannt; darüber hinaus erwähne im Gegenzug Absatz 4 dieser Norm nicht den Absatz 3 a. Für den Kündigungsschutz des Einladers sei deshalb nach dem Wortlaut dieser Bestimmungen ausschließlich § 15 Abs. 3 a KSchG maßgebend. Für die von der Beklagten angedachte analoge Anwendung der Absätze 4 und 5 des § 15 KSchG auch auf den Personenkreis der sogenannten Einlader sei kein Raum. Sollte § 15 Abs. 4 und 5 KSchG entsprechend zur Anwendung kommen, hätte der Kläger in eine andere Betriebsabteilung - beispielsweise in Landshut - übernommen werden müssen, da es sich bei dem "Haus Bayreuth" um einen Betriebsteil gehandelt habe.
Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
Die streitgegenständliche Kündigung ist nicht wegen eines Verstoßes gegen § 15 Abs. 3 a KSchG gemäß § 134 BGB nichtig. Zwar sind gegenüber allen durch § 15 KSchG geschützten Personen ordentliche Kündigungen ausgeschlossen. Jedoch gilt nach § 15 Abs. 4 und 5 KSchG bei Betriebs- und Betriebsteilstilllegungen eine Ausnahme. Liegt eine endgültige Betriebsstilllegung vor, darf gegenüber dem in § 15 KSchG geschützten Personenkreis eine ordentliche Kündigung ausgesprochen werden (KR-Etzel, 6. Aufl., § 15 KSchG, RdNr. 73 m.w.N.).
Dies gilt - obwohl in § 15 Abs. 4 und 5 KSchG nicht ausdrücklich erwähnt - auch für den Personenkreis der Initiatoren einer Betriebsratswahl der durch das Betriebsverfassungsreformgesetz vom 23.07.2001 (BGBl. I S. 1852) mit § 15 Abs. 3 a KSchG einen den Wahlvorstandsmitgliedern und Wahlbewerbern ähnlichen Schutz erhalten hat. § 15 Abs. 4 und 5 KSchG sind auch hinsichtlich der in § 15 Abs. 3 a KSchG bezeichneten Arbeitnehmer anwendbar (ErfK-Ascheid, 4. Aufl., § 15 KSchG RdNr. 38; KR-Etzel, 6. Aufl., § 15 KSchG RdNr. 145; a.A. Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 8. Aufl., RdNr. 1623; a.A. wohl auch Bader/Bram/Dörner/Wenzel, § 15 KSchG, RdNr. 71).
Mit der Einführung des § 15 Abs. 3 a KSchG durch das Betriebsverfassungsreformgesetz vom 23.07.2001 wurde dem Gesichtspunkt Rechnung getragen, dass die zur Wahl des Wahlvorstands einladenden Arbeitnehmer sowie die zur Bestellung eines Wahlvorstands beim Arbeitsgericht antragstellenden Arbeitnehmer im Hinblick auf mögliche Interessenkonflikte mit dem Arbeitgeber für die Zeit der Wahl in ähnlicher Weise schutzbedürftig sind wie die Mitglieder des Wahlvorstands und die Wahlbewerber. Deshalb erhielten sie mit dem § 15 Abs. 3 a KSchG ebenfalls einen besonderen Kündigungsschutz. Verwirklicht werden sollte damit die Sicherung der Wahl der Betriebsverfassungsorgane und der Kontinuität ihrer Arbeit (BT-Drucksache 14/5741, S. 55).
Erfährt dieser Gesetzeszweck aber durch § 15 Abs. 4 und 5 KSchG in den Fällen der Betriebsstilllegung und der Betriebsteilstilllegung eine Einschränkung für Wahlvorstandsmitglieder und Wahlbewerber, so muss dies in gleicher Weise für die in § 15 Abs. 3 a KSchG genannten Initiatoren gelten. Es ist kein vernünftiger Grund erkennbar, weshalb dieser Personenkreis im Anfangsstadium der Betriebsratswahl gegenüber den Wahlvorstandsmitgliedern oder Wahlbewerbern in einem bereits fortgeschrittenen Stadium der Betriebsratswahl einen stärkeren Kündigungsschutz erhalten sollten. Der durch § 15 Abs. 3 a KSchG verfolgte Gesetzeszweck der Sicherung der Wahl der Betriebsverfassungsorgane lässt sich durch eine Nichtanwendbarkeit des § 15 Abs. 4 und 5 KSchG auf Wahlinitiatoren nicht erreichen, solange für Wahlvorstandsmitglieder und Wahlbewerber nicht ebenfalls ein vergleichbarer Schutz besteht. Letzteres ist aber nicht der Fall.
Die streitgegenständliche Kündigung ist durch die unstreitig zum 31.12.2002 vorgenommene Stilllegung des Bekleidungshauses Bayreuth durch betriebsbedingte Gründe sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 1 und 2 KSchG. Der Arbeitsplatz des Klägers in Bayreuth ist weggefallen.
Die Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstehen, sind auch dringend. Ein freier Arbeitsplatz, welcher dem Kläger hätte angeboten werden können (vgl. zu dieser Pflicht des Arbeitgebers: BAG vom 13.08.1992, AP Nr. 32 zu § 15 KSchG 1969), ist nach dem vom Kläger nicht bestrittenen Sachvortrag der Beklagten im Unternehmen nicht vorhanden.
Eine soziale Auswahl im Sinne des § 1 Abs. 3 KSchG war nicht vorzunehmen, nachdem das gesamte Bekleidungshaus der Beklagten in Bayreuth zum 31.12.2002 geschlossen wurde. Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, allein im Hinblick auf den besonderen Kündigungsschutz des Klägers für diesen nach § 15 Abs. 5 KSchG einen Arbeitsplatz in einem anderen Bekleidungshaus freizumachen (grundlegend: BAG vom 18.10.2000; AP Nr. 49 zu § 15 KSchG 1969; KR-Etzel, a.a.O.; § 15 RdNr. 126). Auch wenn es sich bei dem Standort in Bayreuth lediglich um einen Betriebsteil gehandelt haben sollte, so gälte dieser als selbstständiger Betrieb, nach dem dort ein eigener Betriebsrat gewählt wurde (§ 4 Satz 1 BetrVG). Damit kommt bei einer solchen Stilllegung nur § 15 Abs. 4 KSchG zur Anwendung und nicht § 15 Abs. 5 KSchG (KR-Etzel, a.a.O., § 15 RdNr. 122; Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt, BetrVG 21. Aufl., § 103 RdNr. 20). Auch kommt bei der Stilllegung eines gesamten Betriebes eine soziale Auswahl nicht in Betracht. Selbst wenn mit dem LAG Berlin (Urteil vom 03.03.1989, RzK II 1 g Nr. 7) davon ausgegangen wird, dass bei erklärtem Einverständnis mit der Versetzung in einen anderen Betriebsteil eine Sozialauswahl mit den dort bereits Beschäftigten stattzufinden habe, würde dies vorliegend zu keinem anderen Ergebnis führen, nachdem der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger keine Arbeitnehmer benannt hat, die sozial weniger schutzbedürftig gewesen wären als er selbst.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Gegen dieses Urteil kann der Kläger Revision gemäß nachstehender Rechtsmittelbelehrung einlegen.
Ende der Entscheidung
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