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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 21.06.2007
Aktenzeichen: 5 TaBV 67/06
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 103 Abs. 1
BetrVG § 103 Abs. 2
Andere als die dem Betriebsrat im Verfahren nach § 103 Abs. 1 BetrVG genannte Gründe können im gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG für die beabsichtigte Kündigung nur berücksichtigt werden, wenn sie nachträglich bekannt geworden oder entstanden sind und zuvor der Betriebsrat vergeblich um Zustimmung ersucht wurde (im Anschluss an BAG vom 27.01.1977, AP Nr. 7 zu § 103 BetrVG 1972).
LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG BESCHLUSS

5 TaBV 67/06

in dem Beschlussverfahren

wegen sonstiges

Die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Malkmus und die ehrenamtlichen Richter Herrmann und Kreser aufgrund der mündlichen Anhörung vom 21. Juni 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2. und 3. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg, Kammer Aschaffenburg vom 11.10.2006 AZ. 6 BV 2/06 A abgeändert.

2. Der Antrag auf Zustimmung des Antragsgegners zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. wird zurückgewiesen.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden und Beteiligten zu 3.

Die Antragstellerin betreibt einen Paketumladebetrieb und beschäftigt ca. 90 Mitarbeiter. Es werden dort Paketsendungen angeliefert und zum Weitertransport in einzelne Beladebrücken sortiert. Beladebrücken sind Container, die auf Lkw-Anhängern aufsetzend befestigt werden. Die Paketsendungen werden im Betrieb der Antragstellerin umgeschlagen und von den Empfangsdepots abgeholt. Die Verladung findet ausschließlich nachts statt. Dieser Vorgang wird als Produktion bezeichnet. Die Produktion wird überwacht durch den Nachtdienstleiter. Mitarbeiter der Betriebsleitung sind während der Produktion nicht persönlich anwesend. Nachtdienstleiter sind derzeit die Herren C... und D.... Der Antragsgegner und Beteiligte zu 2. ist der bei der Antragstellerin bestehende fünfköpfige Betriebsrat. Der seit 20.10.1983 bei der Antragstellerin beschäftigte, am 25.12.1964 geborene und vier Kindern zum Unterhalt verpflichtete Beteiligte zu 3. ist seit über 20 Jahren Betriebsratsmitglied und zum Zeitpunkt der Antragstellung stellvertretender Betriebsratsvorsitzender. Er ist als Hofmeister für alle Mitarbeiter der Produktion, die an den im Hof stehenden Beladebrücken arbeiten, verantwortlich und ihnen gegenüber weisungsbefugt. Seine örtlich begrenzte Verantwortlichkeit ist hierarchisch und funktionell unmittelbar der Nachtdienstleitung angegliedert. Über den Nachtdienstleitern sind in der Hierarchieebene der Antragstellerin lediglich der Geschäftsleiter und Prokurist, Herr E... und der Betriebsleiter, Herr F... sowie die Geschäftsführer angesiedelt.

Mit Schreiben vom 20.02.2006 (Bl. 19 ff. d.A.) beantragte die Antragstellerin und Beteiligte zu 1. beim Antragsgegner und Beteiligten zu 2. die Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beteiligten zu 3.

Als Gründe für die Unzumutbarkeit der weiteren Beschäftigung des Beteiligten zu 3. führte die Antragstellerin in diesem Schreiben an, der Beteiligte zu 3. habe folgende schwerwiegende Vertragsverletzungen begangen:

- Verletzung seiner Pflichten als Hofmeister bei bekannt gewordenen Diebstählen und weiteren Straftaten

- Teilnahme/Anstiftung bzw. Nötigung von Mitarbeitern zu Falschanzeigen bzw. Erpressung

- Teilnahme/Anstiftung zu falschen Zeugenaussagen und Billigung und Verdeckung von ihm bekannt gewordenen Straftaten

Mit Schreiben vom 13.02.2006 teilte der Antragsgegner und Beteiligte zu 2. der Beteiligten zu 1. mit, der Betriebsrat lehne die beantragte Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung ab, weil er die bis dato aufgestellten Behauptungen nicht als bewiesen ansehe.

Die Beteiligte zu 1. hat daraufhin beim Arbeitsgericht Würzburg - Kammer Aschaffenburg - mit Schriftsatz vom 24.02.2006 - beim Arbeitsgericht am selben Tag eingegangen - beantragt, die Zustimmung des Beteiligten zu 2. zu der außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. zu ersetzen.

Zur Begründung dieses Antrags hat die Beteiligte zu 1. ausgeführt, die vom Beteiligten zu 2. angegebene Begründung für die Zustimmungsverweigerung sei weder stichhaltig noch überzeugend. Unabhängig von der Erweislichkeit eines strafbaren Verhaltens reiche bereits der dringende Tatverdacht, um das Arbeitsverhältnis und dessen Vertrauensgrundlagen so zu belasten, dass eine weitere Beschäftigung und Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar sei. Der Antragsgegner und Beteiligte zu 2. dürfe seine Zustimmung nur verweigern, wenn er der Auffassung sei, dass ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 BGB aus den vorliegenden Anhaltspunkten nicht gegeben sei. Dabei werde hier ganz offensichtlich verkannt, dass auch ein dringender Verdacht ohne Weiteres die Annahme eines wichtigen Grundes rechtfertige. Dieser Verdacht sei aufgrund mehrfacher Zeugenaussagen so dringlich, dass ein weiteres Zuwarten, etwa bis zum Ausgang eines Strafverfahrens, der Antragstellerin nicht zumutbar sei.

Das Arbeitsgericht hat die Zustimmung zu der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. ersetzt. Der beabsichtigten außerordentlichen Verdachtskündigung der Antragstellerin stehe vorliegend ein wichtiger Kündigungsgrund zur Seite, da ein objektiver und dringender Tatverdacht hinsichtlich einer schwerwiegenden Vertragspflichtverletzung nach Anhörung des Arbeitnehmers bestehe. Aufgrund der Aussagen der Arbeitnehmer G... und H... bestehe der Verdacht, dass der Beteiligte zu 3. eine schwerwiegende Verletzung seiner Arbeitspflicht begangen habe, indem er vor ca. zweieinhalb Jahren einen durch die Gebrüder H... begangenen Diebstahl aus einem Kundenpaket in der Verklebestation von G... mitgeteilt bekommen habe und diesen nicht der Antragstellerin gemeldet und ihn auch sonst nicht weiterverfolgt habe. Weiter bestehe aufgrund der Aussage der Brüder H... der Verdacht des arbeitsteiligen Zusammenwirkens des Beteiligten zu 3. und Herrn C... bezüglich der Nötigung der Brüder H... zur Falschaussage betreffend den Mitarbeiter I.... Aufgrund der Aussage des Leiharbeitnehmers J... bestehe weiter der objektive Verdacht, dass der Beteiligte zu 3. aktiv die Verfolgung von Mitarbeitern, die arbeitsrechtlich in seinen Verantwortungsbereich als Hofmeister fallen, wegen Diebstahls verhindert habe. Schließlich bestehe der objektive Tatverdacht einer schwerwiegenden Vertragspflichtverletzung begangen durch den Beteiligten zu 3. im Zusammenhang mit den Vorgängen bei der Betriebsratssitzung vom 03.10.1996. Die beabsichtigte fristlose Verdachtskündigung erweise sich demnach materiellrechtlich als gerechtfertigt.

Auf den Inhalt des arbeitsgerichtlichen Beschlusses wird, auch hinsichtlich des erstinstanzlichen Beteiligtenvorbringens im Einzelnen, Bezug genommen.

Zur Begründung ihrer Beschwerde lassen die Beteiligten zu 2. und 3. rügen, dass sich die Antragstellerin im Zustimmungsersetzungsverfahren auf eine Verdachtskündigung, im Anhörungsverfahren nach § 103 BetrVG aber auf eine Tatkündigung gestützt habe. Im Übrigen liege ein schwerwiegender Verdacht, die vorgeworfenen Pflichtverletzungen begangen zu haben, gegen den Beteiligten zu 3. nicht vor.

Die Beschwerdeführer beantragen:

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg, Zweigstelle Aschaffenburg vom 11.10.2006, 6 BV 2/06 A, wird aufgehoben.

2. Der Zustimmungsersetzungsantrag wird zurückgewiesen.

Die Beteiligte zu 1. beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Beteiligte zu 1. lässt vorbringen, das Arbeitsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass gegen den Beteiligten zu 3. der dringende Verdacht vorgelegen habe, die vorgeworfenen Pflichtverletzungen und Straftaten begangen zu haben. Bereits am 10.02.2006 sei gegenüber dem anwesenden Betriebsratsmitglied K... angekündigt worden, dass mit dem Ausspruch von Verdachtskündigungen gegenüber C... und dem Beschwerdeführer B... zu rechnen sei.

Wegen des Beschwerdevorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg; die Beteiligte zu 1. hat den Beteiligten zu 2. im Rahmen der beantragten Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. nicht ordnungsgemäß über die im gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahren herangezogenen Gründe unterrichtet.

Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat im Verfahren nach § 103 Abs. 1 BetrVG unter genauer Angabe der Kündigungsgründe wie nach § 102 Abs. 1 BetrVG zu unterrichten und dessen Zustimmung zu beantragen. Eine unzureichende Unterrichtung würde trotz etwaiger Zustimmung des Betriebsrats zur Unwirksamkeit der Kündigung führen (Fitting/Engels/Schmidt/Prebinger/Linsenmeier, BetrVG, 23. Aufl., § 103 Rdnr. 33; BAG vom 05.02.1981, AP Nr. 1 zu § 72 LPVG).

Ein Nachschieben von Kündigungsgründen ohne erneute Beteiligung des Betriebsrats ist betriebsverfassungsrechtlich nicht zulässig, da die Zustimmung Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung ist (Fitting/Engels/Schmidt/Prebinger/ Linsenmeier, a.a.O. § 103 Rdnr. 42). Andere als die dem Betriebsrat im Verfahren nach § 103 Abs. 1 BetrVG genannte Gründe können im gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG für die beabsichtigte Kündigung nur berücksichtigt werden, wenn sie nachträglich bekanntgeworden oder entstanden sind und zuvor der Betriebsrat vergeblich um Zustimmung ersucht wurde (BAG vom 27.01.1977, AP Nr. 7 zu § 103 BetrVG 1972).

Vorliegend hat die Beteiligte zu 1. den Beteiligten zu 2. mit Schreiben vom 20.02.2006, in welchem der Beteiligte zu 2. um Zustimmung zur beabsichtigen Kündigung des Beteiligten zu 3. ersucht wurde, als wichtigen Grund ausschließlich auf den Vorwurf begangener vertraglichen Pflichtverletzungen und verwirklichter Straftatbestände abgestellt. Die von der Beteiligten zu 1. im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vorgebrachte Ankündigung vom 10.02.2006 seitens ihres Verfahrensbevollmächtigten gegenüber dem Betriebsratsmitglied K... fand keinen Niederschlag in dem nachfolgenden Schreiben vom 20.02.2006 zur beantragten Kündigungszustimmung und wurde somit nicht zum Gegenstand der dem Betriebsrat mitgeteilten Kündigungsgründe. Für den Betriebsrat konnte sich aus dem letztlich ihm zugegangen Zustimmungsantrag nicht ansatzweise ergeben, dass der Ausspruch einer "Verdachtskündigung" beabsichtigt sei. Der Betriebsrat hatte unter diesen Umständen keine Veranlassung, sich mit diesem Kündigungsgrund zu befassen.

Anders als in dem an den Betriebsrat gerichteten Zustimmungsantrag hat die Beteiligte zu 1. ihren gerichtlichen Antrag gemäß § 103 Abs. 2 BetrVG auf Zustimmungsersetzung ausschließlich auf das Vorliegen entsprechender Verdachtsmomente gestützt und die Auffassung vertreten, der Verdacht sei so dringlich, dass eine weiteres Zuwarten, etwa bis zum Ausgang eines Strafverfahrens ihr nicht zumutbar sei. Damit brachte die Beteiligte zu 1. aber eindeutig zum Ausdruck, dass es ihr bei der beim Arbeitsgericht beantragten Zustimmungsersetzung ausschließlich auf den dringenden Verdacht von Pflichtverletzungen und Straftaten des Beteiligten zu 3. ankomme; auf begangene Taten wird die begehrte Zustimmungsersetzung nach § 103 Abs. 2 BetrVG auch nicht hilfsweise gestützt.

Damit handelt es sich bei dem zur Begründung des gerichtliche Zustimmungsersetzungsantrags angeführten Verdacht von Verfehlungen des Beteiligten zu 3. um ein unzulässiges Nachschieben von Kündigungsgründen. Will nämlich der Arbeitgeber in erster Linie oder auch nur vorsorglich die Kündigung auf den Verdacht einer Verfehlung stützen, falls ihm der Nachweis der Tat nicht gelingt, muss er auch dies dem Betriebsrat mitteilen und die Umstände angeben, aus denen er den Verdacht herleitet (Feichtinger/Danko, Die Anhörung des Betriebsrats bei Kündigung, Rdnr. 204; KR-Etzel, 8. Aufl., § 102 BetrVG Rdnr. 64 b).

Ende der Entscheidung

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