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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 22.01.2002
Aktenzeichen: 6 Sa 193/01
Rechtsgebiete: EntgeltFG


Vorschriften:

EntgeltFG § 5
EntgeltFG § 7
EntgeltFG § 12
Durch Tarifvertrag kann wirksam bestimmt werden, dass ein Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Krankheitstag vorzulegen hat.
6 Sa 193/01

In Sachen

wegen Arbeitsentgelt

Die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Landesarbeitsgericht Beiersmann als Vorsitzender und der ehrenamtlichen Richter Bischof und Schmittnägel aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. Dezember 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

1.

Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 16.01.2001 Gz. 4 Ca 1338/00 A wird auf Kosten des Berufungsführers zurückgewiesen.

2.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Der Kläger ist seit dem 01.07.1971 bei der Beklagten als kaufmännischer Angestellter bei einem Monatsverdienst von zuletzt DM 4.417,-- brutto beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit die Tarifverträge für die kaufmännischen und technischen Angestellten sowie Meister der Steine- und Erden-Industrie und des Betonsteinhandwerks in Bayern Anwendung.

Die Beklagte zahlte dem Kläger für den Monat Juli 2000 lediglich DM 3.110,40 brutto sowie statt der vermögenswirksamen Leistungen von DM 52,-- nur DM 38,40. Der Kläger hatte am 03.07.2000 kurz nach 10.00 Uhr die Arbeitsstelle verlassen und an den beiden darauf folgenden Tagen nicht gearbeitet. Am 11.07.2000 hatte er seinen Arbeitsplatz kurz vor 12.00 Uhr verlassen und hat an den beiden folgenden Tagen nicht gearbeitet. Am 20.07.2000 ist er gegen 11.45 Uhr nach Hause gegangen und ist auch am folgenden Freitag nicht erschienen. Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger an diesen Tagen arbeitsunfähig erkrankt war.

Im Beschlussverfahren 2 BV 29/96 A vor dem Arbeitsgericht Weiden haben die jetzige Beklagte und ihr Betriebsrat einen Vergleich dahin geschlossen, dass die Beteiligten sich darüber einig sind, dass gewerbliche Arbeitnehmer verpflichtet sind, ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Für Angestellte besteht diese Verpflichtung ab dem dritten Tag der Arbeitsunfähigkeit. Im Übrigen gilt das Entgeltfortzahlungsgesetz. Die Regelung sollte ab 22.10.1996 gelten.

Der Kläger hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, er sei zur Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht verpflichtet.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger DM 1.320,20 brutto nebst 7,68 % Zinsen seit 11.08.2000 zu bezahlen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich

Klageabweisung beantragt.

Sie hat die Arbeitsunfähigkeit bestritten und verweist auf den Tarifvertrag, gültig ab 01.05.1997, wonach der Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Kalendertag vorzulegen habe.

Das Arbeitsgericht Weiden hat die Klage mit Endurteil vom 16.01.2001 abgewiesen. Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien wird auf den Tatbestand des Ersturteils Bezug genommen. Zu berichtigen ist lediglich, dass es sich bei dem auf Seite 2 des Tatbestandes im letzten Absatz genannten Donnerstag um den 20.07.2000 gehandelt hat. Von einer weitergehenden Darstellung wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Gegen das dem Kläger am 02.02.2001 zugestellte Endurteil legte dieser am 28.02.2001 Berufung ein. Wegen der weiteren Formalien der Berufung wird auf die protokollarischen Feststellungen in der Sitzung vom 18.12.2001 Bezug genommen.

Zur Begründung der Berufung hat der Kläger und Berufungskläger im Wesentlichen vorgetragen, er habe sich am 03.07.2000 schriftlich abgemeldet, weil er krank sei. Sein Krankheitsgefühl und sein Unwohlsein sei noch in den darauf folgenden Tagen erhalten geblieben. Auch am 11.07.2000 sei er nicht soweit wieder genesen gewesen, dass er hätte arbeiten können. Er habe sich deswegen auf dieselbe Art und Weise nach Hause abgemeldet. Auch hier habe sich der Zustand des Unwohlseins an den beiden folgenden Tagen nicht gebessert. Am 20.07.2000 habe er mitgeteilt, er gehe nach Hause, ihm sei nicht gut, er sei krank. Auch hier habe sich der Zustand nicht gebessert. Die Beklagte habe seine Arbeitsunfähigkeit nach der Rückkehr nicht angezweifelt.

Das Arbeitsgericht habe übersehen, dass die Beklagte jeweils erst am Ende des Abrechnungsmonats die Entgeltfortzahlung verweigert habe. Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit habe sie nicht geäußert. Der Arbeitgeber müsse die Zweifel rechtzeitig dem Arbeitnehmer zur Kenntnis bringen. Die Beklagte habe nicht substantiiert Tatsachen vorgetragen, die die Vermutung der Arbeitsunfähigkeit entkräften könnten. Die Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat im Vergleich gelte weiterhin.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt:

1.

Das Endurteil des Arbeitsgerichts Weiden, Kammer Schwandorf, Gerichtstag Amberg, AZ: 4 Ca 1338/00 A, vom 16.01.2001, wird abgeändert.

2.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 1.320,-- brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 1 DÜG seit dem 01.08.2000 zu bezahlen.

3.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte und Berufungsbeklagte.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt:

I.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Sie bestreitet weiterhin die Arbeitsunfähigkeit des Klägers. Zudem habe in fünf Vorprozessen das Arbeitsgericht Weiden entschieden, dass der Kläger seine Arbeitsunfähigkeit darlegen und beweisen müsse. Daher habe der Kläger gewusst, dass die Beklagte die Arbeitsunfähigkeit bestreiten werde.

Der Vergleich vom 09.12.1997 habe lediglich eine Zwischenlösung zur Beseitigung der damals unklaren Rechtslage schaffen sollen. Nunmehr gelte der Tarifvertrag vom 01.05.1997.

Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist nach § 64 Abs. 2 b ArbGG zulässig und in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 516, 518, 519 ZPO).

II.

Die Berufung ist unbegründet.

Dem Kläger steht die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle nicht zu. Nach Nr. 43 des MTV vom 01.07.1998 für die kaufmännischen und technischen Angestellten sowie Meister der Steine- und Erden-Industrie und des Betonsteinhandwerks in Bayern (TR 4-10 b 67) hat ein Arbeitnehmer, der durch Arbeitsunfähigkeit infolge einer unverschuldeten Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, Anspruch auf volle Entgeltfortzahlung bis zur Dauer von sechs Wochen, wobei die Erkrankung unverzüglich dem Arbeitgeber anzuzeigen und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Krankheitstag vorzulegen ist. Eine Präzisierung der auf dieser Regelung resultierenden Pflichten findet auf betrieblicher Ebene statt. Im Übrigen gelten die gesetzlichen Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes. Der Kläger hat keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt. Die Beklagte ist berechtigt, nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG die Fortzahlung des Arbeitsentgelts zu verweigern, solange der Arbeitnehmer die vorzulegende ärztliche Bescheinigung nicht vorlegt. Wird die Arbeitsunfähigkeit nicht sonst nachgewiesen, kann die Entgeltfortzahlung endgültig verweigert werden.

Die tarifliche Regelung ist wirksam. Auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien findet der MTV vom 01.07.1998 kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit (§ 3 Abs. 1 TVG) Anwendung. Die Normen des Tarifvertrages gelten nach § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallen. Die tarifliche Regelung verstößt nicht gegen § 12 EFZG . Nach dieser Vorschrift kann zwar auch durch Tarifvertrag, von der Ausnahme des § 4 Abs. 4 EFZG abgesehen, nicht zu Ungunsten von Arbeitnehmern abgewichen werden. Die Kammer folgt nicht der Meinung von Feichtinger (Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Schriften zur AR-Blattei Rn. 508), dass Tarifverträge unwirksam seien, die eine vorzeitige Attestvorlage beinhalten. Es handelt sich hier nicht um eine Regelung zu Ungunsten der Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber ist nach § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen. Ein solches Verlangen kann auch wohl im Rahmen von Tarifverhandlungen gestellt werden, so dass bei einem Firmentarifvertrag keine Abweichung zu Ungunsten des Arbeitnehmers vorliegt. Etwas anderes kann aber nicht gelten, wenn die Forderung von den Arbeitgebern eines Arbeitgeberverbandes kollektiv gestellt wird. Zudem enthält § 5 Abs. 1 EFZG keine Regelung zugunsten des Arbeitnehmers.

Der ursprüngliche Entwurf eines Entgeltfortzahlungsgesetzes sah eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit ab dem ersten Kalendertag vor. "Bei den Beratungen des Entwurfs im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung wurde dann die Befürchtung geäußert, dass eine Pflicht zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits für den ersten Kalendertag in der Praxis unerwünschte Nebenwirkungen zeigen könnte; es stehe zur Befürchtung, dass hierdurch ein Anreiz für eine länger als notwendig attestierte Arbeitsunfähigkeit geschaffen werde und dass der generell notwendige Arztbesuch nicht unerhebliche zusätzliche Kosten für die Krankenkassen verursachen würde. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung schlug daher jene Fassung des § 5 Abs. 1 EFZG vor, die später Gesetz geworden ist" (Schmitt, Entgeltfortzahlungsgesetz, 4. Aufl., § 5 EFZG Rn. 4). Die Regelung begünstigt teilweise auch die Arbeitgeber, weil sie einen Anreiz schaffen, ab dem vierten Kalendertag wieder zur Arbeit zu kommen; sie begünstigt aber auch weitgehend die Krankenkassen, die von den Kosten von aus Gesundheitsgründen nicht notwendigen Arztbesuchen entlastet werden. Der gesetzgeberische Zweck war nicht eine Begünstigung von Arbeitnehmern, sondern sonstige sozialpolitische Zwecke. Unter diesen Umständen kann den Tarifvertragsparteien nicht verwehrt werden, die vorgehaltene Pflicht ab dem ersten Tag vorzuschreiben, wenn sie dies für ihre Branche als notwendig und angemessen erachten.

Der Vergleich zwischen dem Betriebsrat und Arbeitgeber vom 09.12.1997 gibt nur die nach damaliger Auffassung geltende Rechtslage wieder. Nach dem Manteltarifvertrag vom 22.04.1993 für die gewerblichen Arbeitnehmer der Steine- und Erden-Industrie und des Betonsteinhandwerks in Bayern (TR 4-10 a 104) mussten nach der Nr. 50 alle rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit ab dem ersten Kalendertag vorlegen. Nach dem damals geltenden Manteltarifvertrag vom 22.04.1993 für die kaufmännischen und technischen Angestellten sowie Meister der Steine- und Erden-Industrie und des Betonsteinhandwerks in Bayern (TR 4-10 b 61) hatte der Angestellte bei Krankheit von mehr als drei Tagen unaufgefordert seine Arbeitsunfähigkeit durch ärztliche Bescheinigung nachweisen. Zweifelhaft konnte allenfalls sein, ob beim Angestellten vom Arbeitgeber die Vorlage früher verlangt werden konnte. Der Vergleich besagt nichts anderes, als dass eben entsprechend der damaligen Tarifsituation Arbeiter die Bescheinigung ab dem ersten Krankheitstag vorlegen mussten, während Angestellte dies nur bei Krankheiten von mehr als drei Tagen tun mussten. Diese tariflichen Regelungen sind für Angestellte wie für Arbeiter jeweils durch neue Manteltarifverträge mit Gültigkeitsdatum ab 01.07.1998 außer Kraft getreten. Soweit dem Vergleich überhaupt ein Regelungsinhalt zukam, ist die Regelung mit dem sie tragenden Tarifvertrag zum 30.06.1998 außer Kraft getreten (BAG, Urteil vom 25.08.1983 - 6 AZR 40/82 = AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972). Nunmehr gelten gleichlautende Regelungen für Angestellte und Arbeiter gleichermaßen. Die tarifliche Neuregelung beseitigt für die Zukunft den Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Die fehlende Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gibt dem Arbeitgeber nur ein zeitweiliges Leistungsverweigerungsrecht. Dieses endet, wenn der Arbeitnehmer anderweitig bewiesen hat, arbeitsunfähig krank gewesen zu sein (BAGE, 86, 357 = AP Nr. 4 zu § 5 EFZG). Der Kläger hat für seine Erkrankung aber keinen zulässigen Beweis angeboten. Es fehlt an der Darlegung von Tatsachen, aus denen der rechtliche Schluss auf eine Arbeitsunfähigkeit infolge Erkrankung zulässig ist. Über das Krankheitsgefühl des Klägers und sein Unwohlsein kann seine Ehefrau nichts aussagen. Sie könnte allenfalls aussagen, dass er darüber geklagt hat. Dies wird nicht behauptet. Die Beurteilung, ob der Kläger nicht in der Lage war, seine arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen, könnte nur dann in das Wissen der Ehefrau gestellt werden, wenn diese ärztliche vorgebildet wäre und den Kläger untersucht hätte. Dies wird nicht behauptet. Die Auswirkungen der Erkrankung werden nicht substantiiert unter Beweis gestellt.

Die Berufung ist daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

III.

Die Revision ist gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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