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Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 19.08.2003
Aktenzeichen: 6 Sa 709/02
Rechtsgebiete: MTV Angestellte d. Druckindustrie Bayern
Vorschriften:
MTV Angestellte der Druckindustrie in Bayern § 9 | |
MTV Angestellte der Druckindustrie in Bayern § 19 |
Landesarbeitsgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
in dem Rechtsstreit
Die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Nürnberg Vetter als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Abraham und Naumann aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22.07.2003 für Recht erkannt:
Tenor:
I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 25.09.2002, Az. 3 Ca 3031/02, wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über den Verfall eines Anspruches auf Zahlung der tariflichen Jahresleistung im Bereich des Tarifvertrages für die Angestellten der Druckindustrie in Bayern.
Der Kläger war bei der Beklagten seit 07.01.1992 als Mitarbeiter in der Arbeitsvorbereitung beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung die Tarifverträge für die Angestellten der Druckindustrie in Bayern Anwendung. Die Bestimmungen des Manteltarifvertrages vom 21.03.1997, gültig ab 01.01.1997, (TR 14 - 100 b 68) lauten, soweit vorliegend von Interesse, wie folgt:
"§ 9 Tarifliche Jahresleistung
1. Die Angestellten und Auszubildenden erhalten eine tarifliche Jahresleistung in Höhe von 95% des jeweiligen zum Fälligkeitszeitpunkt gültigen tariflichen Monatsgehaltes bzw. der tariflichen monatlichen Ausbildungsvergütung.
2. Voraussetzung für den vollen Anspruch ist ein ungekündigtes Anstellungs- bzw. Ausbildungsverhältnis, das seit dem 4. Januar bis einschließlich 31. Dezember des laufenden Fälligkeitsjahres besteht.
Angestellte bzw. Auszubildende, deren Anstellungs- bzw. Ausbildungsverhältnis nach dem 4. Januar des laufenden Fälligkeitsjahres beginnt und die die Probezeit bestehen, erhalten für jeden vollen Kalendermonat des Bestehens ihres Anstellungs- bzw. Ausbildungsverhältnisses 1/12 der tariflichen Jahresleistung.
3. Angestellte bzw. Auszubildende, deren Anstellungs- bzw. Ausbildungsverhältnis kraft Gesetzes oder durch Vereinbarung während des ganzen Kalenderjahres ruht, erhalten keine Leistungen. Ruht das Anstellungs- bzw. Ausbildungsverhältnis im Kalenderjahr jedoch nur zeitweise, so erhalten sie eine anteilige Leistung.
4. Angestellte, die wegen Erwerbs- oder Berufungsunfähigkeit bzw. wegen Erreichens der Altersgrenze ausscheiden, erhalten eine anteilige Leistung, auch wenn das Anstellungsverhältnis am 31. Dezember nicht mehr besteht. In diesen Fällen wird die Auszahlung der Jahresleistung fällig mit dem Tage der Beendigung des Anstellungsverhältnisses.
5. Bei Beendigung des Anstellungsverhältnisses aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigung haben die betreffenden Angestellten Anspruch auf eine anteilige Jahresleistung. Dies gilt nicht bei arbeitgeberseitiger Kündigung aus wichtigem Grund und bei verhaltensbedingter Kündigung.
Ebenfalls Anspruch auf eine anteilige Jahresleistung haben Angestellte nach 5jähriger Betriebszugehörigkeit, wenn das Anstellungsverhältnis aufgrund einer Kündigung endet.
6. Teilzeitbeschäftigte ...
7. Die Auszahlung der Jahresleistung ist spätestens am 31. Dezember eines jeden Jahres fällig. Der Auszahlungszeitpunkt wird im Einvernehmen mit dem Betriebsrat festgelegt. Frühere Auszahlungen gelten als Vorschuss.
...
11. Für die Auslegung des § 9 ist Anhang 2 verbindlich."
"Anhang 2
Erläuterungen zu § 9 Tarifliche Jahresleistung
I.
...
II.
Für die Errechnung der tariflichen Jahresleistung sind die am Fälligkeitstag (31. Dezember) gegebenen arbeitsvertraglichen Bedingungen zugrunde zu legen. Dies gilt insbesondere für Angestellte, die im Fälligkeitsjahr ihre Ausbildung beendet haben sowie bei Wechsel von Vollzeit- auf Teilzeitbeschäftigung und umgekehrt.
III.
Bei Beendigung des Anstellungsverhältnisses nach § 9 Ziffer 5 besteht für den Monat des Ausscheidens ein anteiliger Anspruch der tariflichen Jahresleistung, der sich nach der in Ziffer I 3. genannten Formel errechnet.
..."
"§ 19 Ausschlussfristen
1. Für die Geltendmachung von tariflichen Ansprüchen gelten folgende Fristen:
a) Ansprüche auf Zuschläge für Mehrarbeit ...
b) Für die Geltendmachung sonstiger tariflicher Ansprüche beträgt diese Frist drei Monate nach ihrer Fälligkeit.
2. Im Falle des Ausscheidens eines Angestellten müssen alle gegenseitigen Ansprüche spätestens einen Monat nach Beendigung des Angestelltenverhältnisses schriftlich geltend gemacht werden. Eine eventuelle Ablehnung muss schriftlich erfolgen.
3. Wird die Erfüllung von Ansprüchen aus 1 und 2 abgelehnt, müssen diese innerhalb einer weiteren Frist von drei Monaten gerichtlich geltend gemacht werden.
4. Eine Geltendmachung nach Ablauf der vorstehenden Frist ist ausgeschlossen."
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Erklärung vom 29.06.2001 mit Wirkung zum 30.09.2001. Auf die vom Kläger erhobene, beim Arbeitsgericht Nürnberg unter dem Aktenzeichen 1 Ca 6235/01 geführte Kündigungsschutzklage hin schlossen die Parteien in der Sitzung vom 15.08.2001 einen gerichtlichen Vergleich folgenden Inhalts:
1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung vom 29.06.2001 zum 30.09.2001 enden wird.
2. Die Beklagte verpflichtet sich, an den Kläger als soziale Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes gemäß §§ 9, 10 KSchG, § 3 Ziffer 0 EStG einen Betrag in Höhe von 13.750,- DM brutto gleich netto zu zahlen, fällig zum 30.09.2001.
3. Der Kläger wird bis zum Beendigungszeitpunkt unter Fortzahlung der Bezüge und unter Anrechnung auf den Resturlaub und sonstiger Zeitguthaben von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt.
4. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Die Beklagte rechnete die tarifliche Jahresleistung, die - berechnet auf der Basis 9/12 - 2.055,56 Euro betragen würde, zum 30.09.2001 nicht ab und zahlte sie sie auch nicht an den Kläger aus. Der Kläger ließ den behaupteten Anspruch auf 9/12 der Jahresleistung durch Schreiben seiner Anwälte vom 23.01.2002 geltend machen. Die Beklagte ließ den Anspruch durch ihre Anwälte mit Schreiben vom 04.02.2002 mit Hinweis auf die tariflichen Ausschlussfristen ablehnen.
Mit seiner am 28.03.2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Beklagte auf Zahlung der tariflichen Jahresleistung in Anspruch genommen. Er hat die Auffassung vertreten, der Anspruch sei nach den tariflichen Vorschriften erst zum 31.12.2001 fällig geworden, so dass die Geltendmachung mit Schreiben vom 24.01.2002 rechtzeitig gewesen sei. Der Fälligkeitszeitpunkt ergebe sich aus § 9 Ziff. 7 des Manteltarifvertrags und der ausdrücklichen Festlegung in Ziff. II. des Anhangs hierzu. Diese Vorschriften legten die Fälligkeit auf 31.12. des Kalenderjahres fest, und zwar unabhängig von einem früheren Ausscheiden des Arbeitnehmers. Dies zeige auch der Gegenschluss zu § 9 Ziff. 4, in dem für die dort geregelten Sonderfälle ausdrücklich ein früherer Fälligkeitszeitpunkt festgehalten sei. Unabhängig hiervon sehe der vor dem Arbeitsgericht geschlossene Vergleich vor, dass eine ordnungsgemäße Abrechnung erfolgen müsse. Die Beklagte sei sich zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses über ihre Verpflichtung zur Zahlung der anteiligen Jahresleistung bewusst gewesen. Es sei insoweit Rechtsklarheit geschaffen worden. Die erste Stufe der Ausschlussfrist sei daher schon mit dem Vergleich gewahrt. Es sei der Beklagten deshalb verwehrt, sich auf die tariflichen Ausschlussfristen zu berufen. Dies gelte um so mehr, als die Beklagte nach dem Vergleich gehalten sei, dem Kläger Abrechnung über die anteilige Jahresleistung zu erteilen.
Der Kläger hat im Verfahren vor dem Arbeitsgericht daher folgende Anträge gestellt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 2.055,36 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.01.2002 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat eingewandt, die Klage sei nicht begründet. Der Anspruch auf die anteilige Jahresleistung sei verfallen. Es greife die Ausschlussfrist von einem Monat nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 19 Ziff. 2 des MTV. Die Jahresleistung sei nach den tariflichen Vorschriften zum Ausscheiden fällig. § 9 Ziff. 5 des MTV sehe dies mit der Formulierung "bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses" vor; diese Bestimmung gehe der allgemeinen Fälligkeitsregel des § 9 Ziff. 7 vor. Die Auffassung des Klägers sei realitätsfremd, weil das Arbeitsverhältnis sonst am Jahresende nochmals extra abgerechnet werden müsse. Der vor dem Arbeitsgericht geschlossene Vergleich sehe eine gesonderte Verpflichtung nicht vor. Die Ausschlussfrist des § 19 Ziff. 2 greife nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, stelle nicht auf Fälligkeit ab.
Der Kläger hat dem entgegengehalten, die Beklagte unterscheide nicht zwischen "Bestehen" und "Fälligkeit" des Anspruches. Die Bestimmung des § 9 Ziff. 7 normiere außerhalb der in § 9 Ziff. 4 geregelten Fälle die Fälligkeit abschließend. Auch werde in Ziff. II im Anhang 2 der Fälligkeitstag mit dem Klammerzusatz "(31. Dezember)" nochmals ausdrücklich wiederholt. Der Lauf der Ausschlussfristen könne erst nach Fälligkeit beginnen. Die ab 31.12. laufende Monatsfrist zur Geltendmachung habe er eingehalten. Im übrigen sei die Jahresleistung in den Jahren 1998 bis 2000 immer mit der Dezember-Abrechnung ausgezahlt worden.
Die Beklagte hat sich nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht auf eine von ihr eingeholte Auskunft der Tarifparteien berufen. Diese habe ergeben, dass beide Tarifparteien von einer Fälligkeit zum Ausscheidenszeitpunkt ausgingen. Auf die schriftliche Antwort des Verbandes Druck und Medien Bayern e.V. vom 30.08.2002 wird Bezug genommen (B 4, Bl. 59 ff. d.A.). Die Beklagte hat geltend gemacht, zumindest sei die hieraus ersichtliche Tarifübung für die Auslegung maßgeblich.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Endurteil vom 25.09.2002 abgewiesen. Es hat dies im wesentlichen damit begründet, der Anspruch sei verfallen. Er sei am 30.09.2001 fällig gewesen, so dass die Geltendmachung mit Schreiben vom 23.01.2002 verspätet gewesen sei. Zwar führe die Auslegung des § 9 MTV anhand seines Wortlautes nicht zu eindeutigen Ergebnissen. Der wirkliche Wille der Tarifparteien sei aber eindeutig aus der Regelung des § 19 Ziff. 2 MTV abzuleiten. Nach dieser Vorschrift müssten im Fall des Ausscheidens alle gegenseitigen Ansprüche spätestens innerhalb eines Monats nach Beendigung schriftlich geltend gemacht werden. Sinn und Zweck sei, dass das Arbeitsverhältnis nach Beendigung zügig endgültig abgewickelt werde. Es solle möglichst schnell Rechtsfrieden eintreten. Dieser Zweck sei aber nur erreichbar, wenn am Ende des Arbeitsverhältnisses alle feststehenden und berechenbaren Ansprüche fällig sein sollten. Dieses Ergebnis werde durch dessen Praktikabilität gestützt, da der Arbeitnehmer ansonsten seine Lohnsteuerkarte nochmals vorlegen und zur Sozialversicherung angemeldet werden müsste. Im Vergleich vom 15.08.2001 sei hinsichtlich der Jahresleistung nichts geregelt, sei nicht einmal eine Pflicht der Beklagten zur Abrechnung vereinbart. Ausschlussfristen liefen im übrigen auch, ohne dass der Arbeitgeber abgerechnet habe.
Das Endurteil des Arbeitsgerichts ist den Klägervertretern ausweislich ihres Empfangsbekenntnisses am 30.09.2002 zugestellt worden (Bl. 80 d.A.). Der Kläger hat mit Schriftsatz seiner Vertreter vom 28.10.2002, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am selben Tag, Berufung eingelegt. Er hat diese Berufung nach bis 03.02.2003 verlängerter Frist mit am 03.02.2003 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz selben Tages begründet.
Der Kläger hat sich in der Berufung unter Wiederholung und Vertiefung seiner Argumente darauf gestützt, Fälligkeit sei nach § 9 Ziff. 7 des Tarifvertrages erst am 31.12. des Jahres gegeben, abweichende Fälligkeitsregelungen seien von den Tarifparteien nicht getroffen. Die Regelung über Ausschlussfristen in § 19 MTV setze Fälligkeit voraus, stehe aber in keinem Zusammenhang mit der Fälligkeit einer tariflichen Jahresleistung. Die Vereinbarung im Vergleich vom 15.08.2001 umfasse in der Formulierung "unter Fortzahlung der Bezüge" auch die tarifliche Jahresleistung.
Der Kläger stellt als Berufungskläger daher in der Berufungsinstanz folgende Anträge:
In Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 25.09.2002, Az. 3 Ca 3031/02, wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger € 2.055,36 brutto nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2002 zu zahlen.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Sie bezieht sich ebenfalls auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und meint, § 9 Ziff. 7 MTV betreffe nur die ungekürzte Jahresleistung im am 31.12. des Jahres noch bestehenden Arbeitsverhältnis, nicht die anteilige Jahresleistung bei vorherigem Ausscheiden. § 9 Ziff. 5 lege mit den Worten "bei Beendigung" auch die Fälligkeit fest. Außerdem sei die nach Auskunft der Tarifparteien bestehende ständige Praxis der Tarifparteien beachtlich. Tarifliche Übung, die wie hier in Kenntnis der Tarifparteien erfolge, lasse auf entsprechende Billigung schließen. Der Zusammenhang mit § 19 MTV zeige schließlich, dass bei der vom Kläger reklamierten Auslegung ein Verfall der Ansprüche häufig schon vor Fälligkeit eintrete, was nicht gemeint sein könne.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des Ersturteils vom 25.09.2002 (Bl. 69 ff. d.A.), die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht vom 22.07.2003 (Bl. 122 f. d.A.) und die zwischen den Parteien in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, weil sie sich gegen ein arbeitsgerichtliches Urteil richtet (§ 64 Abs. 1 ArbGG). Die vom Arbeitsgericht zugelassene Berufung (§ 64 Abs. 2a ArbGG) ist auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO, 66 Abs. 1 S. 1, S. 2 ArbGG).
II.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Urteil des Arbeitsgerichts erweist sich als richtig. Es hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Berufungskammer folgt den sorgfältigen Erwägungen des Arbeitsgerichts, denen sie sich anschließt, so dass auf eine erneute, nur wiederholende Darstellung verzichtet werden kann (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Ergänzend ist im Hinblick auf die in der Berufungsinstanz von den Parteien vorgetragenen Argumente noch hinzuzufügen:
1. Das Arbeitsgericht hat die in ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Auslegung von Tarifverträgen vertretenen Grundsätze richtig zugrunde gelegt und angewandt. Danach ist vom Tarifwortlaut auszugehen. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Wortlaut zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (so zuletzt für die Tarifverträge der Druckindustrie BAG vom 07.08.2002, Az. 10 AZR 692/01, EzA § 4 TVG Druckindustrie Nr. 30 m.w.N.; Wank in Wiedemann, TVG, 6. Aufl. 1999, § 1 Rn. 781 ff.). Dem folgt auch die Berufungskammer.
2. Vorliegend ergibt sich die Richtigkeit der vom Arbeitsgericht gefundenen Rechtslage schon aus dem Tarifwortlaut.
a. Dabei erscheint die von der Beklagten in Anspruch genommene Auslegung des Wortlautes von § 9 Ziff. 5 MTV allerdings nicht als eindeutig. Der Beginn des Satzes mit "Bei Beendigung ... aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigung haben ..." kann zwar als zeitliche Bestimmung im Sinne von "im Zeitpunkt der Beendigung" aufgefasst werden. Genauso gut kann diese Bestimmung aber auch als konditional im Sinne von "im Falle einer Beendigung" verstanden werden. Für die Kammer ist aus dem Wortlaut nicht erkennbar, welche der beiden Varianten die Tarifparteien gemeint haben. Die Auslegung, wie sie die Beklagte vornimmt, ist möglich, aber nicht zwingend.
b. Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich eine eindeutige Wortlautauslegung auch nicht über § 9 Ziff. 7 MTV. Zwar ist dort festgehalten, dass die Auszahlung "spätestens am 31. Dezember" fällig sei. Diese Bestimmung bezieht sich jedoch, wie schon der zweite Satz zeigt - Festlegung des Auszahlungszeitpunktes im Einvernehmen mit dem Betriebsrat -, ersichtlich auf den allgemeinen Auszahlungszeitpunkt bei Bestehen des Arbeitsverhältnisses, nicht eindeutig auch auf die in § 9 Ziff. 5 MTV abweichend geregelte anteilige Leistung.
c. Entscheidend erscheint der Kammer der Wortlaut von Ziff. III. der Erläuterungen in Anhang 2. Auf die Bestimmungen dieses Anhangs ist in § 9 Ziff. 11 MTV ausdrücklich hingewiesen. Die Tarifparteien haben darin festgelegt, dass diese Bestimmungen des Anhangs "für die Auslegung" verbindlich sein sollen. Soweit also § 9 MTV selbst - wie dargelegt - Fragen offenlässt, sind diese Bestimmungen in besonderem Maße als maßgeblich anzusehen. Zwar wird, wie der Kläger zu Recht vorträgt, in Ziff. II. des Anhangs nochmals der Fälligkeitstag mit dem Klammerzusatz "31. Dezember" wiederholt. Diese Bestimmung kommt jedoch vorliegend nicht zur Anwendung. Vielmehr enthält Ziff. III. eine eigenständige Regelung für den Fall des vorherigen Ausscheidens. Die Tarifparteien wiederholen in dieser Bestimmung zunächst, dass bei Beendigung des Anstellungsverhältnisses nach § 9 Ziff. 5 ein anteiliger Anspruch der tariflichen Jahresleistung bestehe. Dies entspricht fast wörtlich dem § 9 Ziff. 5 MTV. Bedeutung gewinnt diese Bestimmung durch den Relativsatz und die Einfügung in zweierlei Hinsicht. Zum einen wird die im Relativsatz die Berechnung der anteiligen Jahresleistung erläutert: Die Formel der Ziff. I 3., die einen Abzugsbetrag für Fehltage vorsieht, soll bei vorzeitigem Ausscheiden im Kalenderjahr angewandt werden. Zum anderen findet sich aber in dieser Bestimmung auch der Zusatz, es bestehe "für den Monat des Ausscheidens" ein anteiliger Anspruch. Dieser Zusatz kann sich nur auf den Zeitpunkt der Zahlungspflicht des Arbeitgebers beziehen. Wenn der Anspruch "für den Monat des Ausscheidens" besteht, dann ist er mit dem Entgelt für diesen Monat abzurechnen und auch fällig. Entgegen der Ansicht des Klägers kann nicht angenommen werden, dass dieser Zusatz "für den Monat des Ausscheidens" keinerlei Bedeutung habe. Die Bestimmung gäbe auch ohne diesen Einschub Sinn. Die Tarifparteien haben nicht nur die bereits in § 9 Ziff. 5 MTV getroffene Regelung wiederholt, sondern diesen Zusatz eingefügt. Es kann daher nicht angenommen werden, dass sie sich hierbei nichts gedacht hätten. Wenn sie diesen Zusatz eingefügt haben, dann bedeutet diese durch des Wort "für" eingeleitete grammatikalisch "modale Präposition" - sie kennzeichnet eine Eigenschaft, einen Zustand (so etwa Duden, "Die Grammatik", 4. Aufl. 1984, Rn. 626) - nach dem reinen Wortlaut, dass dieser Monat des Ausscheidens diesen Anspruch besitzt. Diese Modifikation des Ausscheidensmonats kann sich nur auf die Zahlung in diesem Monat beziehen. Damit ist über das Bestehen des Anspruches hinaus auch die Fälligkeit geregelt.
d. Nach alldem ist nach dem Wortlaut des Tarifvertrags Fälligkeit der anteiligen Jahresleistung mit der Abrechnung für den Ausscheidensmonat gegeben.
3. Sinn und Zweck der Regelung stehen dem nicht entgegen. Zwar wäre es denkbar, die Jahresleistung einheitlich für alle Arbeitnehmer erst am Jahresende auszuzahlen. Dies wäre insbesondere dann sinnvoll, wenn die Leistungspflicht des Arbeitgebers oder auch die Höhe der Leistung noch nicht feststünde, wie es etwa bei freiwilligen oder vom Erfolg des Unternehmens abhängigen Leistungen der Fall sein könnte. Diese Konstellation ist hier jedoch nicht gegeben. Der Tarifvertrag legt die Höhe der Leistung als verbindlich und unwiderruflich, zu errechnen nach der festgelegten Formel, von vornherein fest. Wenn aber feststeht, was zu zahlen ist, besteht kein Anlass, die Fälligkeit der Zahlung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Insofern spricht das vom Arbeitsgericht mit "Praktikabilität" bezeichnete Argument für die vorliegende Konstellation eher für als gegen eine hinausgeschobene Fälligkeit.
4. Auch der systematische Zusammenhang erfordert keine anderweitige Auslegung. Insbesondere hat die Bestimmung des § 9 Ziff. 7 MTV wie dargelegt nicht die vom Kläger angenommene generelle Bedeutung. Zu beachten ist jedoch, dass die Tarifparteien in § 9 Ziff. 4 MTV für den zweiten Fall des Ausscheidens vor Ende des Kalenderjahres - der Beendigung ohne Kündigung durch Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit oder Erreichen der Altersgrenze - ausdrücklich geregelt haben, dass die anteilige Jahresleistung mit dem Tag der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig wird. Es ist kein Grund ersichtlich, warum dies im Fall einer Beendigung durch Kündigung anders sein sollte. Beide Male endet das Arbeitsverhältnis schon während des Kalenderjahres. Beide Male erbringt der Arbeitgeber am 31.12. des Jahres keine Leistungen mehr. Der Sachverhalt ist absolut vergleichbar. Auch der Gesamtzusammenhang spricht damit für Fälligkeit im Ausscheidenszeitpunkt. Insoweit kann auch auf die vom Arbeitsgericht herangezogene Norm des § 19 Ziff. 2 MTV verwiesen werden. Die Tarifparteien wollten gerade im Fall der Beendigung eine zügige Abwicklung des Arbeitsverhältnisses. Auch dies spricht dafür, dass es nicht in ihrem Sinn ist, die Abwicklung von Ansprüchen, deren Grund und Höhe bereits im Ausscheidenszeitpunkt feststehen, auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.
5. Auch die von den Tarifparteien dargestellte tarifliche Übung spricht für und nicht gegen die von der Kammer angenommene Auslegung. Die Beklagte hat unter Vorlage des Schreibens des Arbeitgeberverbandes ausgeführt, dieser gehe selbstverständlich von einer Fälligkeit mit dem Ausscheiden aus, und dies durch Übermittlung eines Teils einer Erläuterung für die Verbandsmitglieder dokumentiert. Die Beklagte hat erklärt, die tarifschließende Gewerkschaft habe dieselbe Auskunft gegeben. Der Kläger hat dieses Vorbringen nicht bestritten, so dass es als zugestanden anzusehen ist (§ 138 Abs. 3 ZPO). Dieses Vorbringen ist der Entscheidung damit als gegeben zugrunde zu legen. Es stützt die von der Kammer ohnehin für richtig befundene Auslegung. Es hätte, wenn man von einem unklaren Wortlaut ausgehen würde, in der Tat die von der Beklagten aufgeführte Bedeutung: Praktizieren die Tarifparteien eine tarifliche Regelung über längere Zeit hinweg in einem bestimmten Sinn, dann kann angenommen werden, dass sie von diesem praktizierten Inhalt als maßgeblich ausgehen (vgl. etwa BAG vom 03.11.1998, 3 AZR 432/97, EzA § 1 TVG Auslegung Nr. 31; Schaub in ErfKomm, 3. Aufl. 2003, § 1 TVG Rn. 19; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I 1997, § 15 XI.2.g. mit umfangreichen Nachweisen). Angesichts dessen, dass die Tarifübung dem Auslegungsergebnis ohnehin entspricht, kam es auf die genauere Feststellung von "Kenntnis und Billigung" der Tarifübung nicht mehr an (vgl. BAG vom 25.11.1987, 4 AZR 403/87).
6. Nach alldem steht fest, dass der Anspruch auf anteilige Jahresleistung mit Ablauf des 30.09.2001 fällig war. Die Ausschlussfrist des § 19 Ziff. 2 MTV hätte somit eine schriftliche Geltendmachung bis 31.10.2001 verlangt. Dies hat der Kläger versäumt.
7. Mit Recht hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass sich aus dem vor dem Arbeitsgericht geschlossenen Vergleich keine Abrechnungs- und Zahlungspflicht hinsichtlich der anteiligen Jahresleistung ergibt. Dort ist allein die Freistellung unter Fortzahlung der Bezüge geregelt. Es ist weder erkennbar, in welcher Höhe die Bezüge gezahlt werden müssen, noch deutlich, dass auch die Jahresleistung zu diesen Bezügen gehören soll. Auch eine eigenständige Abrechnungspflicht ist dort nicht festgelegt. Ein Verhalten der Beklagten, aus dem ein verständiger Arbeitnehmer entnehmen könnte, sie wolle gerade die anteilige Jahresleistung in jedem Falle zahlen, ist in keiner Weise ersichtlich. Die Beklagte hat den Kläger in keiner Weise davon abgehalten, seinen Anspruch hierauf geltend zu machen. Sie ist daher auch nicht gehindert, sich auf das Eingreifen der Ausschlussfrist des § 19 Ziff. 2 MTV zu berufen.
8. Nach alldem erweist sich die Klage als unbegründet. Das Arbeitsgericht hat sie zu Recht abgewiesen, so dass die Berufung zurückzuweisen war.
9. Der Kläger, auch Berufungskläger, hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO).
10. Die Zulassung der Revision ist gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG veranlasst, weil die Frage - der Tarifvertrag gilt für das Land Bayern - für eine erhebliche Anzahl von Arbeitgebern und Arbeitnehmern Bedeutung hat.
Ende der Entscheidung
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