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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 14.07.2006
Aktenzeichen: 6 Ta 108/06
Rechtsgebiete: RVG, BRAGO, GKG


Vorschriften:

RVG § 61 Abs. 1 Satz 2
BRAGO § 9 Abs. 2
GKG § 25
1. Das Verbot der reformatio in peius gilt nicht bei der Streitwertbeschwerde eines Rechtsanwaltes, wenn das Gericht den Streitwert nach §§ 9 Abs. 2 BRAGO, 25 GKG festgesetzt hat.

2. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, den Antrag auf künftige Gehaltszahlung neben dem Kündigungsschutzantrag wegen wirtschaftlicher Identität nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen, ist nicht zu beanstanden.

3. Dies gilt auch dann, wenn der Kläger zusätzlich zum Antrag auf künftige Gehaltszahlungen rückständige Gehaltszahlungen, die der Höhe nach nicht streitig sind, mit einklagt (hier: durch zeitabschnittsweise Umstellung des Klageantrags).


LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG BESCHLUSS

6 Ta 108/06

in dem Rechtsstreit

wegen: Kündigung

hier: Streitwert

Die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Vetter ohne mündliche Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Beschwerde des Rechtsanwalts B... gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Weiden vom 14.02.2006, 2 Ca 1509/05 C in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 18.05.2006 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 14.02.2006 hat das Arbeitsgericht den Gegenstandswert für das Verfahren und für den am 26.01.2006 geschlossenen Vergleich wie folgt festgesetzt:

- für das Verfahren ab Klageeingang 16.590,48 € (insgesamt drei Bruttomonatsgehälter für die Anträge auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 28.05.2003 nicht aufgelöst worden ist, den allgemeinen Fortbestehensantrag und den Antrag, künftig die Monatsvergütung von 4.147,62 € zu zahlen; ein weiteres Bruttomonatsgehalt für den Antrag auf Weiterbeschäftigung bis zur Rechtskraft der Entscheidung);

- ab 31.12.2003 auf 29.033,34 € (Erhöhung um drei weitere Bruttomonatsgehälter für den Antrag gegen die weitere Kündigung vom 29.10.2003);

- für das Verfahren ab dem Teilurteil vom 19.08.2003 - betreffend den Kündigungsschutzantrag bezüglich der Kündigung vom 28.05.2003 - auf 16.590,48 €;

- für den Vergleich auf 16.590,48 €.

Mit Schriftsatz vom 23.02.2006, eingegangen beim Arbeitsgericht Weiden am selben Tag, hat Rechtsanwalt B... gegen den obigen Beschluss im eigenen Namen Beschwerde eingelegt und begehrt, als Streit- und Vergleichswert mindestens weitere 116.133,36 € festzusetzen. Er hat die Auffassung vertreten, neben den 3 Monatsgehältern für den Kündigungsschutzantrag sei neben dem Monatsgehalt für den Weiterbeschäftigungsantrag ein weiteres Monatsgehalt für den allgemeinen Fortbestehensantrag anzusetzen. Für den künftigen Lohn kämen 36 Gehälter hinzu, mindestens jedoch 28 Gehälter für den im Zeitpunkt des Vergleiches fälligen Lohn für den Zeitraum 01.09.2003 bis 31.12.2005. Die Kündigungen vom 29.10.2003 und vom 31.01.2004 seien mit jeweils weiteren 3 Monatsgehältern zu bewerten, dazu kämen die Kosten des LAG-Verfahrens und die Kosten des Termins vom 26.01.2006. Er hat seine Auffassung damit begründet, selbst wenn man den Antrag auf künftige Leistungen nicht gesondert bewerte, habe das Arbeitsgericht übersehen, dass sich der ursprünglich gestellte Antrag auf künftige Zahlung des Gehalts jeweils mit Zeitablauf ab Fälligkeit "automatisch" in einen normalen Zahlungsanspruch umgewandelt habe; dieser eingeklagte Verzugslohn, der zudem als eigener Klageantrag gestellt worden sei, sei zum für die Feststellungsanträge festgesetzten Wert hinzuzuaddieren.

Der daraufhin am 18.05.2006 ergangene Nichtabhilfebeschluss des Arbeitsgerichts lautet im Tenor wie folgt:

1. Der Beschwerde vom 23.02.2006 gegen den Beschluss vom 14.02.2006 wird nicht abgeholfen; sie wird dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vorgelegt.

2. Der Beschluss vom 14.02.2006 wird von Amts wegen dahingehend abgeändert, dass der Gegenstandswert für das Verfahren

- ab 29.07.2004 auf 24.885,72 €,

- ab Teilurteil vom 19.08.2004 auf 12.442,86 €

- und für den Vergleich auf 12.442,86 € festgesetzt wird.

Das Arbeitsgericht hat die Abänderung damit begründet, es habe bei der Festsetzung übersehen, dass der Kläger bei der Antragstellung am 29.07.2004 den zuvor gestellten Weiterbeschäftigungsantrag nicht weiterverfolgt habe. Insoweit sei eine korrigierende Minderung veranlasst. Der Antrag auf künftige Leistungen, die allein vom Ausgang des Beendigungsrechtsstreits abhingen, sei als wirtschaftlich identisch mit dem Beendigungsrechtsstreit anzusehen und daher nicht gesondert anzusetzen. Daran ändere sich auch nichts, wenn wegen des erfolgten Zeitablaufes teilweise auf Zahlung fälliger Leistungen umgestellt werde. Auch dann hänge der Erfolg allein vom Ausgang des Beendigungsrechtsstreits ab. Vorliegend sei zudem zu berücksichtigen, dass es sich bei eventuellen Vergütungsansprüchen um Altmasseverbindlichkeiten handele, weil der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit erklärt und die Arbeitsleistung nicht in Anspruch genommen habe. Es habe nicht nur ein zur Unzulässigkeit der Klage führendes Vollstreckungsverbot bestanden, sondern der Kläger sei von vornherein auf eine nachrangige Quote beschränkt gewesen. Der wirtschaftliche Wert der Zahlungsansprüche sei daher wesentlich geringer als die geltend gemachte Zahlungssumme. Eine Kündigung vom 31.01.2004 sei nicht streitgegenständlich gewesen. Die wertmäßige Berücksichtigung von Prozesskosten scheide aus.

Der Beschwerdeführer ist den Ausführungen zur wirtschaftlichen Identität entgegengetreten. Er hat ausgeführt, die Annahme wirtschaftlicher Identität verbiete sich schon deswegen, weil der Arbeitnehmer aus dem Titel auf Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses nicht vollstrecken könne. Der Feststellungsantrag sei daher sehr viel weniger wert. Gerade weil es sich um ein Insolvenzverfahren handele, sei es als nahezu ausgeschlossen anzusehen, dass der Insolvenzverwalter die Zahlungsansprüche auf den bloßen Feststellungstitel hinsichtlich des Fortbestehens erfüllt hätte. Weder würden die Gerichte isolierte Vergütungsansprüche auf Verzugslohn kostenfrei entscheiden, noch sei den Rechtsanwälten zuzumuten, diesbezüglich ohne Vergütung zu arbeiten. Eine wirtschaftliche Identität liege nicht nur wegen der fehlenden Vollstreckungsmöglichkeit nicht vor, sondern auch deswegen, weil die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses allein den Vergütungsanspruch nicht rechtfertige; es könnten die Voraussetzungen des § 615 BGB nicht gegeben sein, könne anderweitiger Verdienst oder Leistungsunmöglichkeit entgegenstehen, könne die Höhe der Vergütung streitig sein. Da ein Anspruch auf rückständige oder künftige Vergütungsansprüche in einem gesonderten Prozess wertmäßig berücksichtigt werden müssten, gälte dies erst recht, wenn sie mit dem Kündigungsantrag in einem gemeinsamen Verfahren verfolgt würden, zumal die Anwaltsvergütung sich in diesem Fall wegen der Gebührenprogression verringere. Der Schutzzweck des § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG bleibe auf den Kündigungsantrag begrenzt. Die Masseunzulänglichkeit bleibe ohne Einfluss, zumal nicht ersichtlich sei, welche Quote gegebenenfalls zu erzielen wäre. Im Übrigen gelte bei einer vom Rechtsanwalt im eigenen Namen eingelegten Streitwertbeschwerde das Verschlechterungsverbot.

II.

Die Beschwerde des Rechtsanwalts B... ist zulässig (§§ 61 Abs. 1 S. 2 RVG, 9 Abs. 2 BRAGO, 25 GKG), aber in der Sache unbegründet.

1. Es kann dahinstehen, ob bei einer Streitwertbeschwerde eines Rechtsanwalts das Verschlechterungsverbot gilt (dafür LAG Köln vom 13.12.1999, 13(7) Ta 366/99, LAGE § 10 BRAGO Nr. 9, für die Beschwerde nach § 10 Abs. 3 BRAGO; LAG Hamburg vom 30.06.2005, 8 Ta 5/05, LAG Report 2005, 352, mit der Begründung, das Verfahren richte sich, da eine Gerichtsgebühr entfallen sei, nach § 33 RVG; dagegen LAG Hamburg vom 28.10.1987, 1 Ta 4/87, LAGE § 10 BRAGO Nr. 2; LAG Thüringen vom 14.11.2000, 8 Ta 134/00; LAG Baden-Württemberg vom 22.09.2004, 3 Ta 136/04, jeweils zitiert nach juris). Die unterschiedliche Auffassung der zitierten Gerichte beruht wohl zunächst darauf, dass sie dann, wenn Gerichtsgebühren etwa wegen eines Vergleiches entfallen, einerseits eine Festsetzung nach § 10 BRAGO bzw. seit 01.07.2004 § 33 RVG vorgenommen haben, andererseits eine Festsetzung nach § 9 BRAGO i.V.m. § 25 GKG bzw. nunmehr § 32 RVG i.V.m. §§ 39 ff. GKG. Haben sie angenommen, dass sich der Wert nach den Vorschriften der Wertfestsetzung über den Verfahrensstreitwert bestimmt, sind sie von einer Abänderbarkeit dieses Verfahrensstreitwertes auch Lasten des beschwerdeführenden Rechtsanwalts ausgegangen. Vorliegend kommt dieser Streit nicht zum Tragen. Das Arbeitsgericht hat im Nichtabhilfebeschluss nämlich keine "Verschlechterung" durch Änderung der sachlichen Entscheidung vorgenommen. Es hat vielmehr eine offenbare Unrichtigkeit bei der Entscheidungsfindung zum Ausgangsbeschluss vom 14.02.2006 korrigiert im Hinblick darauf, dass die Teilrücknahme durch Rücknahme des Weiterbeschäftigungsantrages versehentlich nicht beachtet worden sei, und dies auch zum Ausdruck gebracht. Es hat also nicht die Sachentscheidung "verschlechtert", sondern lediglich eine offenbare Unrichtigkeit nach § 319 ZPO berichtigt. Im Übrigen neigt die Kammer für den vorliegenden Fall, in dem sich die Festsetzung nach Auffassung des Beschwerdegerichts nach § 9 BRAGO i.V.m. § 24 GKG richtet (so etwa LAG Nürnberg vom 01.08.2003, 6 Ta 98/03, AR-Blattei ES 160.13 Nr. 248), dazu, wegen der Notwendigkeit zur Festsetzung von Amts wegen nach § 25 Abs. 2 S. 1 GKG in der vor dem 01.07.2004 geltenden Fassung von einer Abänderungsmöglichkeit auch zulasten des beschwerdeführenden Rechtsanwaltes auszugehen. Die offensichtliche Fehlerhaftigkeit der ursprünglichen Festsetzung hat auch der Beschwerdeführer nicht bestritten.

2. Die Beschwerde ist auch im Übrigen nicht begründet. Das Erstgericht hat sein bei der Streitwertfestsetzung gegebenes Ermessen nachvollziehbar ausgeübt und die hierbei gesetzten Grenzen nicht überschritten. Das Beschwerdegericht bleibt bei der vom Landesarbeitsgericht Nürnberg in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung, dass die Ermessensentscheidung des Arbeitsgerichts zwar auf Ermessensfehler zu überprüfen ist, dass das Beschwerdegericht aber keine eigene, hiervon unabhängige Ermessensentscheidung zu treffen hat (so schon Beschluss vom 05.05.1986, 1 Ta 3/85, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 53; LAG Nürnberg vom 11.11.1992, 6 Ta 153/92, NZA 1993, 430; vom 28.10.2000, 7 Ta 226/00; vom 16.04.2003, 6 Ta 58/03, jeweils unveröffentlicht; vom 01.08.2003, 6 Ta 98/03, AR-Blattei ES 160.13 Nr. 248; vom 02.12.2003, 9 Ta 190/03, MDR 2004, 718; vom 28.09.2004, 6 Ta 166/03; vom 12.11.2004, 6 Ta 222/04, vom 13.02.2006, 6 Ta 6/06, vom 03.07.2006, 1 Ta 110/06, jeweils nicht veröffentlicht; ebenso BAG vom 02.04.1987, 6 ABR 29/85, AP Nr. 3 zum § 87 ArbGG 1979 unter III.2. der Gründe; auch LAG München vom 21.11.1985, 6 Ta 150/85, LAGE § 12 ArbGG 1979 Nr. 50; LAG Rheinland/Pfalz vom 24.03.1986, 1 Ta 55/86, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 54; weitere Nachweise vgl. etwa bei Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz in Arbeitsverhältnissen, 9. Aufl. 2005, Rn. 2065). Wenn das Erstgericht die eigenständige Bewertung und Streitwertaddition der vom Kündigungsschutzantrag abhängigen Vergütungsansprüche abgelehnt hat, so bewegt sich dies im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessensausübung. Die wirtschaftliche Identität der Ansprüche und der soziale Schutzzweck des § 12 Abs. 7 a.F. ArbGG (jetzt § 42 Abs. 4 GKG) werden dabei zu Recht als Begründung herangezogen. Nach jetziger Rechtslage spricht auch die Vorschrift des § 42 Abs. 5 S. 1 Halbsatz 2 GKG für die vom Arbeitsgericht vertretene Auffassung. Gerade die Tatsache, dass der Kläger die zunächst auf künftige Leistung gerichteten Anträge nur jeweils datumsmäßig umgestellt hat, zeigt, dass die vom Klägervertreter zitierten möglichen Einwendungen gegen Verzugslohnansprüche im vorliegenden Fall gerade nicht vorlagen, dass die Ansprüche allein vom Ausgang des Kündigungsrechtsstreits abhingen. Wenn das Arbeitsgericht dies berücksichtigt hat, ist dies in keiner Weise zu beanstanden. Daneben erscheinen auch die Ausführungen zur Wertminderung im Hinblick auf die Masseunzulänglichkeit als nachvollziehbar und zutreffend. Soweit der Beschwerdeführer meint, unter Zugrundelegung der Auffassung des Arbeitsgerichts müssten die Gerichte die Vergütungsansprüche kostenfrei mitbearbeiten, ist diese Annahme in der Tat zutreffend. Wenn derartige Ansprüche in einem Verfahren mit der Kündigung geltend gemacht werden, werden sie nach dem sozialen Schutzzweck des § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG in der bis zum 01.07.2004 geltenden Fassung und auch nach § 42 Abs. 4 GKG in der jetzigen Fassung in der Tat zugunsten des Arbeitnehmers nicht berücksichtigt. Dies gilt nach der Konzeption des Gesetzes sowohl für die Gerichtsgebühren als auch für die Anwaltsvergütung. Die vom Beschwerdeführer angeführte Tatsache, dass eine solche Anrechnung nicht erfolgt, wenn die Ansprüche in einem eigenen Verfahren eingeklagt werden, steht dem nicht entgegen. Es ist vielmehr Aufgabe eines verständigen Klägervertreters, die für seinen Mandanten kostengünstigste Variante zu wählen, auf die Geltendmachung überflüssiger oder nicht gebotener Anträge und auf kostenträchtigere Verfahren zu verzichten.

3. Eine Kostenentscheidung ist gemäß § 25 Abs. 4 S. 1 GKG nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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