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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 27.02.2003
Aktenzeichen: 7 Ta 13/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 148
1. Die Entscheidung über die Aussetzung der Verhandlung gemäß § 148 ZPO liegt im Ermessen des Gerichts.

2. Das Beschwerdegericht kann die Ermessensentscheidung lediglich dahin überprüfen, ob das Erstgericht die Grenzen des Ermessens überschritten hat. Es ist nicht befugt, sein Ermessen an die Stelle des dem Erstgericht eingeräumten Ermessens zu setzen.


IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

7 Ta 13/03 9 Ca 1185/02 (Nürnberg)

in dem Rechtsstreit

wegen Arbeitsentgelt

Die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Dr. Holzer-Thieser ohne mündliche Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Beschwerde des Klägers gegen den Aussetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 26.11.2002 - 9 Ca 1185/02 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird für den Kläger zugelassen.

3. Für die Beschwerdeinstanz wird der Wert des Streitgegenstandes auf EUR 16.156,-- festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten über Lohnansprüche für die Monate Februar 2001 bis einschließlich Januar 2002 in Höhe von EUR 80.784,--.

Der am 02.10.1949 geborene Kläger ist seit 01.10.1965 bei der Beklagten beschäftigt. Der Kläger ist Mitglied des so genannten "Oberen Führungskreises" und verdiente zuletzt ca. EUR 127.822,97 jährlich. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29.11.2000 außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Auf die hiergegen gerichtete Klage des Klägers - geführt beim Arbeitsgericht Nürnberg unter dem Geschäftszeichen 9 Ca 8960/00 stellte das Arbeitsgericht mit Endurteil vom 27.11.2001 fest, dass das Arbeitsverhältnis durch diese Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Die hiergegen von der Beklagten eingereichte Berufung ist beim Landesarbeitsgericht Nürnberg unter dem Geschäftszeichen 7 Sa 665/02 anhängig.

Mit Beschluss vom 26.11.2002 hat das Arbeitsgericht Nürnberg die Verhandlung des vorliegenden Verfahrens auf Annahmeverzugslohn bis zur Erledigung des beim Landesarbeitsgericht anhängigen Kündigungsschutzverfahrens 7 Sa 665/02 ausgesetzt. Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien zum Aussetzungsantrag und der Entscheidungsgründe wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen (Bl. 68 bis 71 d.A.).

Gegen den dem Klägervertreter am 05.12.2002 zugestellten Beschluss hat der Kläger mit Schriftsatz vom 19.12.2002, beim Arbeitsgericht Nürnberg am selben Tag eingegangen, sofortige Beschwerde eingelegt. Der Kläger meint, dass die Verhandlung nicht hätte ausgesetzt werden dürfen. Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf den Schriftsatz des Klägervertreters vom 19.12.2002 (Bl. 78 bis 82 d.A.) und wegen des Vorbringens der Beklagten auf den Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 09.01.2003 (Bl. 96 bis 100 d.A.) verwiesen.

Mit Beschluss vom 16.01.2003 hat das Arbeitsgericht Nürnberg der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vorgelegt. Wegen der Begründung dieses Beschlusses wird auf Bl. 102 d.A. verwiesen.

II.

1.

Das vom Kläger beim Arbeitsgericht Nürnberg am 19.12.2002 eingelegte Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde, über das der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts allein entscheiden kann, ist statthaft und zulässig, §§ 252, 567 ZPO, 78 Sätze 1 und 3 ArbGG.

2.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

a)

Gemäß § 148 ZPO darf das Gericht die Verhandlungsaussetzung beschließen, falls die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreites bildet. Die Anordnung steht im Ermessen des Gerichts (h.M., z.B. Zöller u.a., ZPO-Komm., 23. Auflage, Rdnr. 7 zu § 148; nach Meinung des BAG sogar im freien Ermessen: AP Nr. 11 zu § 394 BGB; dem BAG folgend LAG Nürnberg, NZA 87,211). Der Umstand, dass dem Erstgericht auf der Rechtsfolgenseite des § 148 ZPO ein Ermessen eingeräumt ist und es sich hier nicht nur um einen rechtlich gebundenen Beurteilungsspielraum handelt, wie er oft bei Prüfungen auf der Rechtsvoraussetzungsseite der Norm vorliegt, hat Auswirkung auf die Prüfungskompetenz des Rechtsmittelgerichts. Das Beschwerdegericht hat den Entscheidungsspielraum des Erstgerichts zu achten (MK-ZPO, 2. Aufl., Rdnr. 26 zu § 252). Der Prüfung des Beschwerdegerichts unterliegt lediglich, ob das Erstgericht die Grenzen des ihm durch § 148 ZPO eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens bei der Anordnung der Aussetzung überschritten hat (OLG Düsseldorf, NJW 85, 1967). Es kann die angegriffene Entscheidung nur auf etwaigen Missbrauch des Ermessens überprüfen (Musielak, ZPO-Komm., 3. Aufl., Rdnr. 4 zu § 252), das heißt darauf, ob sich das Erstgericht von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen (Dahlem-Wiesner, NZA-RR 2001, 173). Das Beschwerdegericht ist nicht befugt, sein Ermessen an die Stelle des dem Erstgericht eingeräumten Ermessens zu setzen (OLG Düsseldorf, NJW 85, 1967). Da der Ermessensspielraum des § 148 ZPO weit ist, wird ein Entscheidungsfehlgebrauch nur in besonderen Ausnahmefällen vorliegen (OLG Düsseldorf, a.a.O.).

Voll überprüfbar ist dagegen, ob die tatbestandliche Voraussetzung für eine Aussetzung, nämlich eine Vorgreiflichkeit, vorliegt.

Vorgreiflichkeit ist gegeben, wenn im anderen Verfahren über eine echte Vorfrage entschieden wird, der dortigen Entscheidung also präjudizielle Bedeutung zukommt (Zöller u.a., a.a.O., Rdnr. 5 zu § 148).

b)

Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist die angegriffene Entscheidung nicht zu beanstanden.

aa)

Das Erstgericht hat zu Recht erkannt, dass Vorgreiflichkeit vorliegt, weil in dem beim Landesarbeitsgericht Nürnberg anhängigen Berufungsverfahren 7 Sa 665/02 (Kündigungsschutzverfahren hinsichtlich der außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 29.11.2000) über den Bestand des Rechtsverhältnisses in dem Zeitraum entschieden wird, für den im vorliegenden Rechtsstreit Lohnansprüche geltend gemacht werden.

bb)

Das Erstgericht hat auch die Grenzen des ihm zustehenden Ermessens nicht überschritten. In seinen Beschlüssen vom 26.11.2002 und 16.01.2003 setzt es sich mit den von den Parteien vorgetragenen Argumenten eingehend auseinander. Sachfremde Erwägungen hat es nicht angestellt. Wenn es bei Abwägung der widerstreitenden Interessen dem eigentlichen Zweck des § 148 ZPO, die doppelte Prüfung derselben Streitfrage in verschiedenen Prozessen zu vermeiden (eingehend hierzu LAG Berlin, LAGE Nr. 28 zu § 148 unter Darlegung der in Literatur und Rechtsprechung geäußerten Meinungen), im Rahmen seiner Ermessensentscheidung den Vorzug gegeben hat, kann dies vom Beschwerdegericht nicht beanstandet werden. Besonderheiten, die eine Überschreitung des Ermessensspielraums durch das Erstgericht begründen könnten, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.

Damit ist die Beschwerde mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

III.

Die Frage des Umfangs der Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichts bei erstinstanzlichen Aussetzungsbeschlüssen ist über den vorliegenden Einzelfall hinaus von Bedeutung. Die Frage ist auch noch nicht höchstrichterlich entschieden. Damit ist die Rechtsbeschwerde gemäß §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

Ein Zulassungsgrund ergibt sich außerdem aus § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG. Die vorliegende Entscheidung weicht von all jenen LAG-Beschlüssen ab, die das Ermessen des Beschwerdegerichts an die Stelle des Ermessens des Erstgerichts setzen (z.B. LAG Köln, Beschluss vom 14.12.1992 - 11 Ta 234/92 -, LAGE Nr. 26 zu § 148 ZPO; LAG Berlin, Beschluss vom 02.12.1993 - 9 Ta 24/93 -, LAGE Nr. 28 zu § 148 ZPO; LAG Köln, Beschluss vom 03.02.1997 - 5 Ta 30/97 -).

IV.

Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß § 25 Abs. 2 GKG. Für den Beschwerdewert kommt es maßgeblich allein auf das Interesse der Parteien an der Aussetzung des Rechtsstreites, nicht hingegen auf den Wert des Hauptverfahrens an (vgl. BGHZ 22, 283; Schneider, MDR 1973, 542 mit weiteren Nachweisen; Schneider, JurBüro 1979, 974 mit weiteren Nachweisen). Im Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich 20 % des Hauptsachewertes anzusetzen (so auch OLG Köln, MDR 1973, 683; LAG Berlin, Beschluss vom 02.12.1993 - 9 Ta 24/93 - insoweit unveröffentlicht; Thomas-Putzo, ZPO-Komm., 24. Aufl., Rdnr. 24 zu § 3).



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