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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 04.12.2006
Aktenzeichen: 7 Ta 207/06
Rechtsgebiete: KSchG, ZPO


Vorschriften:

KSchG § 4 Satz 1
KSchG § 4 Satz 4
KSchG § 5 Abs. 2
KSchG § 5 Abs. 3
ZPO § 294
ZPO § 138 Abs. 3
ZPO § 288 Abs. 1
1. Kennt der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung die Schwangerschaft der Arbeitnehmerin nicht und möchte die Arbeitnehmerin wegen Verstoßes gegen § 9 MuSchG Kündigungsschutzklage erheben, ist diese Klage gemäß § 4 Satz 1 KSchG binnen drei Wochen ab Zugang der Kündigung zu erheben. § 4 Satz 4 KSchG ist nicht einschlägig.

2. Trotz des Wortlauts des § 5 Abs. 2 Satz 2 KSchG sind die den Antrag auf nachträgliche Zulassung begründenden Tatsachen nicht glaubhaft zu machen, wenn sie der Arbeitgeber nicht bestreitet (§§ 294, 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO). Ein Antrag gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 KSchG ohne Angabe der Mittel für die Glaubhaftmachung binnen der Zwei-Wochen-Frist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist nicht endgültig unzulässig, sondern wird zulässig, wenn der Arbeitgeber die die nachträgliche Zulassung begründenden Tatsachen bis zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht bestreitet (teleologische Reduktion).


LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG BESCHLUSS

7 Ta 207/06

Nürnberg, den 04. Dezember 2006

in dem Rechtsstreit

wegen Kündigung

Die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Prof. Dr. Dr. Holzer-Thieser ohne mündliche Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 31.10.2006 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 18.10.2006, 11 Ca 5519/06, wird auf Kosten der Beschwerdeführerin mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Antrag der Klägerin auf nachträgliche Klagezulassung vom 04.09.2006 verworfen wird.

2. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf EUR 2.500,-- festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten darum, ob die von der Klagepartei eingereichte Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen ist.

Mit Schreiben vom 11.04.2006 kündigte die Beklagte das am 11.03.2006 begründete Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit sofortiger Wirkung.

In der Kündigungsschutzklage ihrer Prozessbevollmächtigten vom 21.07.2006, beim Arbeitsgericht Nürnberg am selben Tag eingegangen, ist ausgeführt worden, dass die Klägerin im Zeitpunkt des Ausspruchs der außerordentlichen Kündigung schwanger gewesen sei, was sie jedoch erst am 12.07.2006 anlässlich eines Arztbesuches erfahren habe, nachdem sie "nach wie vor Regelblutungen gehabt habe". Die Kündigung sei daher gemäß § 9 MuSchG i.V.m. § 134 BGB unwirksam.

Mittel der Glaubhaftmachung sind in der Kündigungsschutzklage nicht angegeben worden. Mit Schriftsatz vom 04.09.2006 haben sich die Klägerinvertreter darauf berufen, die Kündigungsschutzklage enthalte einen konkludenten Antrag auf nachträgliche Zulassung. Diesem Schriftsatz ist außerdem eine eidesstattliche Versicherung der Klägerin bezüglich weiterer Regelblutungen in den ersten Schwangerschaftsmonaten und der Kenntniserlangung von der Schwangerschaft am 12.07.2006 beigefügt worden.

Die Beklagte hat die Fortdauer weiterer Regelblutungen und den von der Klägerin vorgetragenen Zeitpunkt der Kenntniserlangung von der Schwangerschaft nicht bestritten. Sie hat die Meinung vertreten, dass in der Klageschrift ein Antrag auf nachträgliche Zulassung nicht gesehen werden könne.

Das Arbeitsgericht Nürnberg hat "den Antrag" auf nachträgliche Zulassung mit der Begründung als unzulässig verworfen, in der Kündigungsschutzklage könne kein Antrag auf nachträgliche Zulassung gesehen werden, im Übrigen sei die Glaubhaftmachung durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung bezüglich des Termins der Kenntniserlangung von der Schwangerschaft zu spät erfolgt. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss vom 18.10.2006 Bezug genommen.

Gegen den ihnen am 20.10.2006 zugestellten Beschluss haben die Klägerinvertreter mit Schriftsatz vom 31.10.2006, beim Arbeitsgericht Nürnberg am 02.11.2006 eingegangen, sofortige Beschwerde eingelegt und beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 18.10.2006 aufzuheben und die Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen.

Im Nichtabhilfebeschluss vom 15.11.2006 hat das Erstgericht seine Entscheidung vom 18.10.2006 aufrechterhalten.

II.

1. Über die sofortige Beschwerde kann ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden entschieden werden (KR/Friedrich, 7. Auflage, Rdnrn. 141 f. zu § 5 KSchG; LAG Berlin, AuR 77, 346; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, Arbeitsgerichtskommentar, 5. Auflage, Rdnr. 13 zu § 78). Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist statthaft (§§ 5 Abs. 4 Satz 1 KSchG, 567 ZPO). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 569 Abs. 1, Abs. 2 ZPO).

2. Die sofortige Beschwerde kann gleichwohl im Ergebnis keinen Erfolg haben und ist zu verwerfen.

a) Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht eine Versäumung der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG angenommen. Der Sonderfall des § 4 Satz 4 KSchG, wonach mangels Bekanntgabe einer Zustimmungsentscheidung des Gewerbeaufsichtsamtes gemäß § 9 Abs. 3 MuSchG die Klagefrist nicht zu laufen begonnen hätte (und damit die Kündigungsschutzklage rechtzeitig erhoben worden wäre), ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht gegeben. § 4 Satz 4 KSchG setzt voraus, dass der Arbeitgeber bei Kündigungsausspruch Kenntnis der den besonderen Kündigungsschutz begründenden Umstände hat. Hat er diese Kenntnis - wie im vorliegenden Fall - nicht, gilt § 4 Satz 1 KSchG (vgl. hierzu ausführlich KR/Friedrich, a.a.O., Rdnrn. 202 a, 202 b).

b) Das Erstgericht hat zutreffend im Klageschriftsatz keinen konkludenten Antrag auf nachträgliche Zulassung gesehen. Der Wille, Antrag auf nachträgliche Zulassung zu stellen, ist aus der Klageschrift nicht herauslesbar. Auf die insoweit überzeugenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss wird Bezug genommen.

Enthält der Klageschriftsatz keinen Antrag auf nachträgliche Zulassung, dann kann aber - entgegen der offensichtlichen Meinung des Erstgerichts - ein aus dem Klageschriftsatz abzuleitender Antrag mangels Existenz auch nicht verworfen werden.

Ein Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage liegt vielmehr im Schriftsatz der Klägerinvertreter vom 04.09.2006. Hier wird erstmals schriftsätzlich der Wille, einen Antrag auf nachträgliche Zulassung zu stellen, geäußert. Dies ist ausreichend, einer förmlichen Antragstellung bedarf es nicht.

Dieser Antrag ist jedoch nicht innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses (Unkenntnis vom besonderen Kündigungsschutz des § 9 Abs. 1 MuSchG), also bis zum 26.07.2006, gestellt worden (§ 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG).

Der Antrag vom 04.09.2006 ist damit - wie § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG formuliert - unzulässig. Er ist zu verwerfen. Dies ist im Tenor klarzustellen.

3. Nur zur Abrundung sei darauf hingewiesen, dass das Erstgericht die ablehnende Entscheidung zu Unrecht auch auf eine fehlende rechtzeitige Glaubhaftmachung gestützt hat.

a) Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 KSchG muss der Antrag auf nachträgliche Zulassung die Mittel der Glaubhaftmachung enthalten. Nach § 5 Abs. 3 S. 1 in Verbindung mit § 5 Abs. 2 S. 2 KSchG ist ein Antrag bei nicht rechtzeitiger Angabe der Mittel der Glaubhaftmachung unzulässig. Diese Aussage des Gesetzes ist aber zu weitgehend, es ist eine an grundlegenden prozessualen Beweisgrundsätzen orientierte teleologische Reduktion vorzunehmen.

Die in § 294 ZPO geregelte Glaubhaftmachung ist eine Beweisführung, die dem Richter einen geringeren Grad von Wahrscheinlichkeit vermitteln soll (Thomas-Putzo, ZPO, 27. Auflage, Rdnr. 1 zu § 294). Das Erfordernis der Glaubhaftmachung setzt - wie das Erfordernis eines Beweises - einen bestrittenen Tatsachenvortrag voraus. Ist eine Tatsache unstreitig, ist sie als zugestanden anzusehen (§ 138 Abs. 3 ZPO) und bedarf keines Beweises (§ 288 Abs. 1 ZPO). Diese grundlegenden prozessualen Regelungen müssen auch in den Fällen gelten, in denen für die Überzeugungsbildung des Gerichts eine Geltendmachung ausreicht. Es ist kein Grund ersichtlich, dass der Gesetzgeber in Fällen der Geltendmachung hiervon abweichen wollte. Dies bedeutet, dass trotz des Wortlauts des § 5 Abs. 2 Satz 2 KSchG ein Antrag auf nachträgliche Zulassung auch ohne Angabe der Mittel der Glaubhaftmachung dann zulässig ist, wenn die beklagte Partei die die nachträgliche Zulassung begründenden, von der Klagepartei vorgetragenen Tatsachen nicht bestreitet. Dadurch, dass der Gesetzgeber in § 5 Abs. 2 Satz 2 KSchG die fristgemäße Angabe der Mittel der Glaubhaftmachung vorschreibt, wird klargestellt, dass der Gesetzgeber als Normalfall das Bestreiten der die nachträgliche Zulassung begründenden Tatsachen ansieht. Es ist damit gerechtfertigt, den ohne Angabe von Mitteln der Glaubhaftmachung gestellten Antrag auf nachträgliche Zulassung als zunächst schwebend unzulässigen Antrag anzusehen. Bestreitet die beklagte Partei die Tatsachen jedoch bis zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht, wird der Schwebezustand beendet, der Antrag wird zulässig. Auf eine Glaubhaftmachung kommt es in diesem Fall nicht an.

b) Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall hätte es einer Glaubhaftmachung nicht bedurft.

Die Klägerin hat die verspätete Klageerhebung ausschließlich mit ihrer späten Kenntniserlangung von der Schwangerschaft und damit vor dem Kündigungsschutz des § 9 Abs. 1 MuSchG begründet und hat zur Substantiierung ihres Vortrags auf die Fortdauer ihrer Regelblutungen hingewiesen. Diese Behauptungen hat die Beklagte nicht bestritten. Eine Glaubhaftmachung war deshalb nicht erforderlich.

4. Als Unterliegende hat die Klägerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2 GKG n.F.. Die Höhe richtet sch nach dem Wert der Hauptsache, d.h. nach § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG n.F. (KR/Friedrich, a.a.O., Rdnr. 178 zu § 5 KSchG m.w.N.). Aufgrund des besonderen Kündigungsschutzes gemäß § 9 MuSchG ist der Verdienst von zwei Bruttomonatslöhnen zugrunde zu legen.

IV.

Gegen Nr. 1 der Entscheidung ist kein weiteres Rechtsmittel statthaft (BAG, NZA 02, 1228; NZA-RR 06, 211; KR/Friedrich, a.a.O., Rdnr. 153a zu § 5 KSchG).

Gegen die Streitwertfestsetzung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 66 Abs. 3 S. 3 GKG n.F.).

Ende der Entscheidung

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