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Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 21.03.2002
Aktenzeichen: 7 Ta 43/02
Rechtsgebiete: BRAGO
Vorschriften:
BRAGO § 7 Abs. 2 |
2.
Der innere Zusammenhang wird durch die Summe der Faktoren bestimmt, die die Rechtssache in ihrer speziellen Eigenart prägen.
3.
Werden die Löhne für geleistete Arbeit mehrerer Kläger in einem Rechtsstreit gegen den Arbeitgeber geltend gemacht, so kann es sich um dieselbe Angelegenheit handeln. Die Rechtsanwaltsgebühren sind dann nach dem Gesamtwert zu berechnen.
7 Ta 43/02
In dem Rechtsstreit
wegen sonstiges
Die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Dr. Holzer-Thieser ohne mündliche Verhandlung
für Recht erkannt:
Tenor:
1.
Auf die sofortige Beschwerde der Streithelferin werden die 24 Kostenfestsetzungsbeschlüsse der Rechtspflegerin des Arbeitsgerichts Würzburg vom 31.05.2001 - Az.: 5 Ca 539/99 A - aufgehoben.
2.
Es wird festgestellt, dass der für das Berufungsverfahren gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 GKG festgesetzte Gerichtsgebührenwert in Höhe von DM 403.605,09 auch für die Berechnung der Rechtsanwaltsgebühren maßgeblich ist.
3.
Die Rechtspflegerin des Arbeitsgerichts Würzburg wird angewiesen, die Kostenfestsetzungsanträge der Klägervertreter unter Zugrundelegung der Rechtsansicht des Beschwerdegerichts neu zu verbescheiden.
4.
Die Kläger haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe:
I.
Die Klägervertreter vertreten in einem arbeitsgerichtlichen Zahlungsprozess zuletzt 24 Kläger. Die Kläger haben der Streithelferin den Streit verkündet, die Streithelferin ist dem Rechtsstreit auf Seiten der beklagten Arbeitgeberin beigetreten. Gegen das der Klage stattgebende Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 04.05.2000 hat die Streithelferin Berufung eingelegt. Mit Beschluss vom 13.10.2000 hat das Landesarbeitsgericht Nürnberg die Berufung verworfen, der Streithelferin die Verfahrenskosten auferlegt und den Streitwert gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 GKG auf DM 403.605,09 festgesetzt, was der Addition der von den Klägern zur Entscheidung gestellten Forderungen entspricht.
Mit Schriftsatz vom 09.03.2001 haben die Klägervertreter gemäß § 104 ZPO für die 24 Kläger einzeln Kostenfestsetzung beantragt und die Anwaltsgebühren jeweils aus dem Wert der Forderungen der einzelnen Kläger errechnet. Mit gesonderten Beschlüssen vom 31.05.2001 hat die Rechtspflegerin des Arbeitsgerichts Würzburg die Kosten jeweils antragsgemäß festgesetzt.
Gegen die ihr am 21.06.2001 zugestellten Beschlüsse hat die Streithelferin mit Schriftsatz vom 29.06.2001, beim Arbeitsgericht Würzburg am 02.07.2001 eingegangen, sofortige Beschwerde eingelegt. Sie vertritt die Meinung, dass für die Ermittlung der Anwaltsgebühren von einem einheitlichen Wert in Höhe von DM 403.605,09 auszugehen sei. Die Kläger wiederholen ihre erstinstanzlich vertretene Rechtsansicht.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten im Beschwerdeverfahren wird auf die eingereichten Schriftsätze verwiesen.
II.
1.
Die sofortige Beschwerde der Streithelferin ist zulässig erhoben (§§ 104 Abs. 3, 567 Abs. 2 Satz 2, 577 ZPO).
2.
Die angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschlüsse vom 31.05.2001 sind schon deshalb aufzuheben, weil die Rechtspflegerin Werte der Berechnung der Gebühren der Klägervertreter zugrunde gelegt hat, die gerichtlich so nicht festgelegt waren. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hat mit Beschluss vom 13.10.2000 lediglich gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 GKG den Gerichtsgebührenstreitwert festgesetzt. Der Rechtspflegerin fehlt im vorliegenden Verfahren für die Festsetzung von Streitwerten die funktionelle Zuständigkeit.
3.
Die Kostenfestsetzungsbeschlüsse gehen von unrichtigen Werten aus.
a)
Mit ihrer sofortigen Beschwerde wendet sich die Streithelferin dagegen, dass für die Kostenfestsetzung ein anderer als der vom Landesarbeitsgericht Nürnberg mit Beschluss vom 13.10.2000 festgesetzte Wert von DM 403.605,09 zugrunde gelegt wird. Sie vertritt damit im Ergebnis die Meinung, dass § 9 Abs. 1 BRAGO einschlägig ist, d.h. der festgesetzte Gerichtsgebührenwert auch für die Berechnung der Rechtsanwaltsgebühren verbindlich ist und damit für eine gesonderte Wertfestsetzung nach § 10 BRAGO kein Raum ist.
b)
Demgegenüber stützen sich die Klägervertreter auf § 7 Abs. 2 BRAGO und wollen daraus ableiten, dass dann, wenn die mehreren in einem Klageverfahren geltend gemachten Gegenstände auch verschiedene Angelegenheiten darstellen, die Gegenstände nicht zusammenzurechnen sind. Bei den Ansprüchen der einzelnen Kläger handle es sich um verschiedene Angelegenheiten.
c)
Nach Meinung des Beschwerdegerichts liegt im vorliegenden Fall dieselbe Angelegenheit im Sinn des § 7 Abs. 2 BRAGO vor.
Aus der gleichzeitigen Verwendung der Begriffe "Angelegenheit" und "Gegenstände" in § 7 Abs. 2 BRAGO folgt, dass die Begriffe "Angelegenheit" und "Gegenstände" nicht identisch sind. "Gegenstand" ist das Recht oder Rechtsverhältnis, auf das sich die Tätigkeit bezieht (Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO-Kommentar, 15. Aufl., RdNr. 5 zu § 13). Das gleichzeitige Geltendmachen mehrerer Gegenstände in einer Klage schließt nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 2 BRAGO die Annahme einer einheitlichen Angelegenheit also nicht aus. Die Angelegenheit ist der Rahmen, innerhalb dessen sich die anwaltliche Tätigkeit abspielt (Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, a.a.O.; BGH, JB 72, 684; OLG Nürnberg, JB 91, 672). Um "dieselbe Angelegenheit" annehmen zu können, müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein (Göttlich/Mümmler, BRAGO-Kommentar, 20. Aufl., Seite 53 f; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, a.a.O., RdNr. 5 zu § 13):
- Es muss ein einheitlicher Auftrag vorliegen. Sind mehrere Mandanten beteiligt, liegt ein einheitlicher Auftrag vor, wenn Einigkeit besteht, dass die Ansprüche gemeinsam behandelt werden sollen (Göttlich/Mümmler, a.a.O., m.w.N.).
Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt.
- Es muss der gleiche Rahmen bei der Verfolgung der mehreren Ansprüche eingehalten werden, z.B. durch Erhebung einer gemeinsamen Klage.
Auch diese Voraussetzung ist gegeben. Die Kläger haben gemäß § 60 ZPO als Streitgenossen gemeinsam geklagt.
- Es muss ferner zwischen den einzelnen Gegenständen ein innerer objektiver Zusammenhang bestehen (OLG Nürnberg, JB 91, 672, 673), die Gegenstände müssen bei objektiver Betrachtung innerlich zusammengehören (Riedel/Sußbauer, BRAGO-Kommentar, 8. Aufl., RdNr. 24 zu § 13). Es muss sich um einen einheitlichen Lebensvorgang handeln (Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, RdNr. 5 zu § 13).
Für die Annahme eines inneren Zusammenhangs ist unschädlich, wenn verschiedenartige Ansprüche geltend gemacht werden und diese auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen beruhen (Göttlich/Mümmler, a.a.O., Seite 54; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, a.a.O., RdNr. 6 zu § 13). So wird der innere Zusammenhang bejaht, wenn
-- mehrere Unfallopfer aus demselben Verkehrsunfall unterschiedliche Schadenersatzansprüche (Sachschaden, Schmerzensgeld) geltend machen (Göttlich/Mümmler, a.a.O., Seite 54; AG München, VersR 73, 954)
-- in einer Klage Unterhaltsansprüche der Mutter und der minderjährigen Kinder begehrt werden (Göttlich/Mümmler, a.a.O., Seite 54; OLG Hamm, JB 79, 1311; OLG Stuttgart, JB 82, 1358)
-- die Ehelichkeit mehrerer Kinder in demselben Verfahren angefochten wird (Göttlich/Mümmler, a.a.O., Seite 57; Riedel/Sußbauer, a.a.O., RdNr. 18 zu § 7; OLG Hamm, JB 62, 519)
-- mehrere Schreiben an den bisherigen Arbeitgeber, die AOK und das Arbeitsamt mit dem Ziel gerichtet werden, die restliche Vergütung und öffentliche Leistungen zu erhalten (Göttlich/Mümmler, a.a.O., Seite 57)
-- ein Mahnverfahren gegen Schuldner und Bürgen eingeleitet wird (Göttlich/Mümmler, a.a.O., Seite 58; OLG Düsseldorf AnwBl 57, 624)
-- Unterlassungsansprüche mehrerer Kläger gegen einen Beklagten geltend gemacht werden (OLG Hamm, JB 96, 312).
Diesen Entscheidungen liegt der Gedanke zugrunde, dass es für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "dieselbe Angelegenheit" bei mehreren Gläubigern nicht darauf ankommt, ob dieselbe Rechtsgrundlage für die Ansprüche besteht, die Ansprüche dieselbe Höhe haben oder bei der Ermittlung der Höhe der Ansprüche gleiche Berechnungsfaktoren zugrunde zu legen sind. Damit kann - entgegen der Meinung der Rechtspflegerin im Nichtabhilfebeschluss vom 13.02.2002 - im vorliegenden Fall nicht entscheidend sein, dass die Ansprüche der Kläger ihre Grundlage in unterschiedlichen Arbeitsverträgen finden, für den Kläger zu 16. ein von den übrigen Klägern abweichender Stundenlohn vereinbart war und die Kläger eine unterschiedliche Zahl von Arbeitsstunden geleistet haben.
Der innere Zusammenhang wird durch die Summe der Faktoren bestimmt, die die Rechtssache in ihrer speziellen Eigenart prägen. Im vorliegenden Fall sind dies folgende Faktoren:
Die Kläger arbeiteten gemeinsam auf zwei Baustellen in Düsseldorf, die in türkischer Sprache verfassten Arbeitsverträge waren sämtlich inhaltsgleich und sind alle in der Türkei abgeschlossen worden, mit der Klage wird einheitlich die Vergütung für geleistete Arbeitsstunden in den Monaten Oktober 1998 bis März 1999 geltend gemacht, die Kläger haben in den Monaten Oktober 1998 bis Januar 1999 identische Abschlagszahlungen erhalten (insgesamt DM 7.300,--), die Beklagte hatte für alle Kläger beim Landesarbeitsamt Bayern Anträge auf Arbeitserlaubnis gestellt, die Beklagte hat die Begleichung der streitgegenständlichen Lohnforderungen erkennbar aus demselben Grund unterlassen, nämlich ihrer Zahlungsunfähigkeit, besondere Einwendungen gegen Forderungen einzelner Kläger wurden nicht erhoben, die mögliche Haftung der Streithelferin ist einheitlich für alle Klageforderungen zu beurteilen.
Diese prägenden Faktoren machen den vorliegenden Rechtsstreit zu einer einheitlichen Angelegenheit im Sinn des § 7 Abs. 2 BRAGO.
Dieses Ergebnis kann nicht mit den Hinweisen der Klägervertreter in Frage gestellt werden, bei Annahme einer einheitlichen Angelegenheit stehe der für die Durchführung des Klageverfahrens "benötigte Zeitaufwand ... in keinem Verhältnis zu der letztlich zu erlangenden Gebühr", was "zukünftig nur zur Folge (habe), dass in solchen Angelegenheiten jeweils separate Rechtsstreite geführt werden müssen, um für den Rechtsanwalt den Zeitaufwand im Verhältnis zu den Gebühren aufrechterhalten zu können" (Schriftsatz vom 01.02.2002).
Denn der Gesetzeswortlaut ist allgemein formuliert und erlaubt nicht, auf die im Einzelfall anfallenden Gebühren abzustellen und sie auf die individuelle Angemessenheit hin zu überprüfen. Der Hinweis der Klägervertreter veranlasst auch die Bemerkung, dass nicht erkennbar ist, dass sich bei einem zusammengerechneten Wert von DM 403.605,09 unter Berücksichtigung der von den Klägervertretern aufzuwendenden Zeit ein unangemessen niedriges Anwaltshonorar ergeben würde. Anzufügen ist noch, dass die Klägervertreter auch zukünftig ohne Zustimmung der Mandanten nicht die Wahl haben, ob sie in vergleichbaren Fällen eine oder getrennte Klagen einreichen: Der Rechtsanwalt ist im Verhältnis zu seiner Partei zu einer kostensparenden Tätigkeit verpflichtet, bei Verletzung dieser Pflicht ist sein Gebührenanspruch so zu reduzieren, wie er bei pflichtgemäßer Prozessführung entstehen würde (Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, a.a.O., RdNr. 5 zu § 13, Seite 307; RdNr. 3 zu § 7 m.w.N.).
Da dieselbe Angelegenheit vorliegt, ist eine Zusammenrechnung der Gegenstände vorzunehmen. Dies entspricht der Ermittlung des Gerichtsgebührenwertes; gemäß § 19 Abs. 1 GKG sind alle in einer Klage geltend gemachten Ansprüche zu addieren. Damit scheidet eine gesonderte Festsetzung des für die Berechnung der Rechtsanwaltsgebühren maßgeblichen Wertes gemäß § 10 Abs. 1 BRAGO aus. Der für die Gerichtsgebühren festgesetzte Wert von DM 403.605,09 ist auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend.
Diese Rechtslage ist in Nr. 2 des Tenors klarzustellen.
4.
Die Entscheidung über die Höhe der festzusetzenden Kosten ist der Rechtspflegerin des Arbeitsgerichts Würzburg zu übertragen (§ 575 ZPO).
5.
Als Unterliegende haben die Kläger die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Sie haften gemäß § 100 Abs. 1 ZPO nach Kopfteilen.
6.
Gegen diese Entscheidung ist ein weiteres Rechtsmittel nicht gegeben (§ 78 Abs. 2 ArbGG a.F.).
Ende der Entscheidung
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