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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 05.04.2005
Aktenzeichen: 7 TaBV 7/05
Rechtsgebiete: BetrVG, ArbGG


Vorschriften:

BetrVG § 76 Abs. 2 Satz 1
ArbGG § 98 Abs. 1 Satz 1
Der Maßstab der offensichtlichen Unzuständigkeit gilt nicht nur für die Frage der Unzuständigkeit der Einigungsstelle im engeren Sinn, sondern auch für alle sonstigen im Zusammenhang mit der Entscheidung zu prüfenden Fragen, z.B. auch für das Scheitern der Verhandlungen oder den Widerruf einer Vereinbarung über die Zulassung eines Rechtsanwalts auf Seiten des Betriebsrats bei Beratungen über einen Interessenausgleich.
LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

7 TaBV 7/05 in dem Beschlussverfahren

wegen sonstiges

Die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Prof. Dr. Dr. Holzer-Thieser aufgrund der Anhörung vom 05. April 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 13.01.2005 - 10 BV 172/04 - wird mit der Maßgabe abgeändert, dass zum Vorsitzenden der zu bildenden Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Interessenausgleich für die am Standort der A... geplanten Restrukturierungsmaßnahmen" der Vorsitzende Richter am Landesarbeitsgericht Nürnberg B... bestellt wird.

2. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Einrichtung einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Interessenausgleich für die am Standort der A... geplanten Restrukturierungsmaßnahmen".

Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Abschnitt I. der Gründe des angefochtenen Beschlusses vom 13.01.2005 (Bl. 70 f. d.A.) Bezug genommen. Gegen den dem Antragsgegner am 25.01.2005 zugestellten Beschluss hat er mit begründetem Schriftsatz vom 07.02.2005, beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am selben Tag eingegangen, Beschwerde eingelegt.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz und der gestellten Anträge wird auf den Schriftsatz des Antragsgegners vom 07.02.2005 (Bl. 91 - 99 d.A.) sowie den Schriftsatz der Antragstellerin vom 28.02.2005 (Bl. 104 - 107 d.A.) sowie das Sitzungsprotokoll vom 05.04.2005 (Bl. 121 - 123 d.A.) Bezug genommen.

Von einer weitergehenden Darstellung des Vortrags der Parteien wird im Hinblick auf § 69 Abs. 2 ArbGG, der auch im Beschlussverfahren gilt, abgesehen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nur zum Teil begründet.

A. Es ist eine Einigungsstelle einzurichten.

1. Für den sich aus § 76 Abs. 2 S. 1 BetrVG ergebenden Antrag der Antragstellerin besteht - entgegen der Meinung des Antragsgegners - ein Rechtschutzinteresse.

Die Antragstellerin ist der Meinung, dass sie nach dem Verlauf der Verhandlungen mit dem Antragsgegner die Errichtung einer Einigungsstelle verlangen kann. Wenn der Antragsgegner diese Rechtsansicht nicht teilt, hat die Antragstellerin ein rechtlich geschütztes Interesse daran, durch eine gerichtliche Entscheidung geklärt zu bekommen, ob ihre Ansicht richtig ist. Damit liegt eine zulässiger Antrag gemäß §§ 76 Abs. 2 S. 1 BetrVG, 98 Abs. 1 S. 1 ArbGG vor.

Ob der Antrag zum Erfolg führt, ist eine Frage der Begründetheit.

2. Der Antrag der Antragstellerin ist auch begründet.

a) Materiell-rechtlich ist für den Antrag der Antragstellerin Voraussetzung, dass ein Interessenausgleich wegen mangelnden Verhandlungserfolgs nicht zustande kommt (§ 112 Abs. 2 S. 1, S. 2 BetrVG) und wegen dieses Verhandlungsergebnisses ein "Bedarf" für die Einigungsstelle besteht (§ 76 Abs. 1 S. 1 BetrVG). Obwohl die Betriebspartner über strittige Fragen mit dem ernsten Willen zur Einigung zu verhandeln haben (§ 74 Abs. 1 S. 2 BetrVG), sind eine gewisse Intensität oder Dauer der Einigungsbemühungen keine Verfahrensvoraussetzung für die Anrufung der Einigungsstelle (Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 7. Aufl., Rdnr. 6 zu § 76 m.w.N.). Es steht im Ermessen der Betriebspartner, die Verhandlungen als gescheitert anzusehen (LAG Frankfurt Beschluss vom 12.11.1991, NZA 1992, 853; LAG Hessen Beschluss vom 22.11.1994, NZA 1995, 1118). Ob dies auch dann gilt, wenn Verhandlungen von vornherein abgelehnt werden (bejahend z. B. Däubler/Kittner/Klebe a.a.O. Rdnr. 6 zu § 76; verneinend LAG Frankfurt Beschluss vom 12.11.1991, a.a.O.), muss nicht geprüft werden, da eine solche Variante im vorliegenden Fall nicht gegeben ist; die Beteiligten haben bis zum Abbruch der Verhandlungen einige Male miteinander verhandelt.

b) Die Prüfung erfolgt nach dem Maßstab des § 98 Abs. 1 S. 2 ArbGG.

aa) Die Prüfungskompetenz der Gerichte für Arbeitssachen wird durch § 98 Abs. 1 S. 2 ArbGG eingeschränkt, wonach die Anträge wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle nur zurückgewiesen werden können, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist.

Es ist zu fragen, ob die Zuständigkeit der Einigungsstelle bei fachkundiger Beurteilung auf den ersten Blick unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt als möglich erscheint (Fitting u.a., BetrVG, 22. Aufl., Rdnr. 21 zu § 76 m.w.N.; Däubler/Kittner/Klebe a.a.O. Rdnr. 51 zu § 76), d. h., ob es für die Bejahung der Unzuständigkeit eine gefestigte Rechtsmeinung gibt, zu der eine Gegenmeinung nicht existiert oder nicht ernsthaft vertreten wird (LAG Köln Beschluss vom 05.12.2001, NZA-RR 2002, 586). Nur wenn diese Frage bejaht wird, ist der Antrag abzuweisen.

Der Maßstab der offensichtlichen Unzuständigkeit gilt dabei nicht nur für die Frage der Unzuständigkeit der Einigungsstelle im engeren Sinn, sondern auch für alle sonstigen im Zusammenhang mit der Entscheidung zu prüfenden Fragen, z. B. auch für das Scheitern der Verhandlungen (h.M. z. B. Däubler/Kittner/Klebe a.a.O. Rdnr. 52 zu § 76; Fitting u.a. a.a.O. Rdnr. 22 zu § 76; LAG Nürnberg Beschluss vom 21.09.1992, NZA 1993, 281; LAG Nürnberg Beschluss vom 29.09.1989, NZA 1990, 503). Es würde dem mit § 98 ArbGG verfolgten Zweck, eine schnelle Bildung der Einigungsstelle zu erreichen, nicht entsprechen, wenn nicht auch andere schwierige rechtliche Vorfragen an dem Maßstab der Offensichtlichkeit geprüft werden (Fitting u.a. a.a.O. Rdnr. 22 zu § 76).

bb) Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall kommt das Beschwerdegericht zum Ergebnis, dass eine Wertung dahin nicht gerechtfertigt ist, eine Zuständigkeit der Einigungsstelle erscheine unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt als möglich.

Der Antragsgegner meint, die Antragstellerin habe noch keinen Bedarf im Sinn des § 76 BetrVG gehabt, weil die Verhandlungen über einen Interessenausgleich noch nicht abgeschlossen gewesen seien. Die von der Antragstellerin vertretene Auffassung einer Bejahung eines Bedarfs erscheint nicht als unvertretbar. Die Antragstellerin kann sich für ihre Ansicht, der Antragsgegner habe die Verhandlungen zu Unrecht abgebrochen, da er keinen Anspruch auf die Teilnahme eines rechtsanwaltschaftlichen Beraters bei den Beratungen über einen Interessenausgleich habe, auf den Aufsatz von Rose und Grimmer (BB 03, 1790) berufen. Die in diesem Aufsatz vertretenen Argumente können nicht als ernsthaft unvertretbar eingestuft werden. Damit ist es nicht offensichtlich abwegig, ein Verhandlungsende und damit einen Bedarf für eine Einigungsstelle anzunehmen. Der Antragsgegner räumt selbst ein, dass § 111 Abs. 1 S. 2 BetrVG nach seinem Wortlaut im Sinne der Antragstellerin ausgelegt werden kann. Auf die Gesetzesmaterialien kann der Antragsgegner seine Rechtsmeinung wegen deren Lückenhaftigkeit nicht stützen und der Betriebsrat kann nur insoweit über den Umfang der Beteiligung eines Beraters bestimmen, als dies das Gesetz zulässt. Der Inhalt des Gesetzes ist aber gerade umstritten.

Gleiche Überlegungen gelten hinsichtlich des Einwands des Antragsgegners, die Antragstellerin sei an die Vereinbarung gebunden, Herrn Rechtsanwalt C... bei den Verhandlungen über einen Interessenausgleich zuzulassen. Es erscheint nicht offensichtlich abwegig, wenn sich die Antragstellerin demgegenüber auf die jederzeitige Widerrufbarkeit ihrer diesbezüglichen Erklärung beruft. Es ist dogmatisch vertretbar, dass die Einigung (E-Mail der Antragstellerin vom 28.09.2004 und entsprechendes Einverständnis des Antragsgegners) ein stillschweigendes Widerrufsrecht für die Antragstellerin oder beide Betriebspartner beinhaltete, auf das sich die Antragstellerin jederzeit und ohne nähere Begründung berufen konnte.

3. Damit ist die Beschwerde insoweit zurückzuweisen, als sie sich gegen die Einsetzung eines Einigungsstellenvorsitzenden wendet.

Die Einigungsstelle wird über ihre Zuständigkeit vor einer Sachentscheidung selbst bestimmen müssen (h.M., z. B. LAG Köln Beschluss vom 05.12.2001, NZA-RR 2002, 586).

B. Die Beschwerde richtete sich - als Annex des Angriffs des Antragsgegners gegen die Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden - auch gegen Nr. 2 des Tenors des angegriffenen Beschlusses, also gegen die Festsetzung der Zahl der zu benennenden Beisitzer. Da der Antragsgegner gegen die festgesetzte Zahl (je vier Beisitzer) aber keine Einwendungen erhoben hat, hat es - da die Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden zu bestätigen ist - bei dieser Zahl zu verbleiben.

C. Der Hilfsantrag, Herr Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Nürnberg B... als Vorsitzenden der einzurichtenden Einigungsstelle einzusetzen, ist begründet.

Beide Beteiligten haben keine Einwendungen gegen die Person des Vorsitzenden Richters am Landesarbeitsgericht Nürnberg B... vorgetragen, beide sind mit ihm sogar ausdrücklich einverstanden. Nachdem Herr Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Nürnberg D... keine Bereitschaft zur Übernahme des Amts erklärt hat, kann nach Aktenlage nur Herr B... als Einigungsstellenvorsitzender bestellt werden.

Damit war insoweit der angefochtene Beschluss abzuändern und Herr B... zu bestellen.

D. Gegen diesen Beschluss findet kein Rechtsmittel statt (§ 98 Abs. 2 S. 4 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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