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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 21.07.2005
Aktenzeichen: 9 Ta 137/05
Rechtsgebiete: RVG, BetrVG


Vorschriften:

RVG § 33
BetrVG § 99
BetrVG § 100
Bei der Festsetzung des Gegenstandswertes mehrerer in einem Verfahren beantragter Zustimmungsersetzungen gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG und Feststellungen gemäß § 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG sind die wirtschaftlichen Auswirkungen und verfahrensrechtlichen Besonderheiten ausreichend zu berücksichtigen. Dies führt bei nur kurzzeitigen personellen Einzelmaßnahmen zu einer deutlichen Reduzierung des Hilfswertes in § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG pro Einzelmaßnahme (bis zu 1/8 bzw. 1/16).
LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG BESCHLUSS

9 Ta 137/05

in dem Beschlussverfahren

wegen: Sonstiges

hier: Gegenstandswertfestsetzung

Die 9. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Roth ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 10.05.2005, Az.: 12 BV 151/04, teilweise abgeändert:

Der Gegenstandswert für die Gebührenberechnung wird auf EUR 6.750,-- festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 29.10.2005 beantragt, die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Einstellung von 7 Vertretungskräften für die Dauer von jeweils etwa einer Woche und zu zwei damit in Verbindung stehender kurzzeitiger Versetzungen zu ersetzen. Sie hat ferner die Feststellung begehrt, dass die erfolgten vorläufigen Einstellungen und Versetzungen aus zeitlichen Gründen dringend erforderlich waren.

Nach Beendigung der personellen Maßnahmen und beidseitiger Erledigterklärung ist das Beschlussverfahren noch vor Durchführung einer Anhörung vor der Kammer gemäß § 83a Abs. 2 ArbGG eingestellt worden.

Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert zum Zwecke der anwaltlichen Gebührenberechnung durch Beschluss vom 10.05.2005 auf EUR 27.000,-- festgesetzt.

Gegen diesen ihr am 12.05.2005 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin mit dem am 19.05.2005 beim Arbeitsgericht Nürnberg eingegangenen Schriftsatz vom 13.05.2005 Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdeführerin hält unter Berücksichtigung des tatsächlichen Verdienstes der nur kurzzeitig beschäftigten Mitarbeiter einen Gegenstandswert von lediglich EUR 1.689,68 für sachgerecht.

Das Erstgericht hat mit Beschluss vom 30.06.2005 der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1.

Die Beschwerde ist zulässig.

Sie ist statthaft, § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG, denn sie richtet sich gegen einen Beschluss, durch den der Gegenstandswert für die der anwaltlichen Tätigkeit gemäß § 33 Abs. 1 RVG festgesetzt worden ist. Das Erstgericht verwendete zwar einen nach Inkrafttreten des RVG veralteten Textvordruck, doch lässt der Hinweis auf die frühere Regelung des § 10 BRAGO erkennen, dass eine Wertfestsetzung i.d.R. § 33 Abs. 1 RVG erfolgen sollte.

Beschwerdeberechtigt ist die erstattungspflichtige Antragstellerin gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 RVG.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt EUR 200,--, denn bereits die einfache Gebührendifferenz zwischen dem festgesetzten und dem begehrten Gebührenstreitwert beträgt nach der Anlage 2 zum RVG EUR 625,--.

2.

Die Beschwerde ist nur zum Teil begründet.

a)

Die vom Erstgericht bei der Gegenstandswertfestsetzung zu treffende Ermessensentscheidung erfolgte nicht fehlerfrei, denn es hat bei der gebührenrechtlichen Bewertung der Ersetzungsverfahren gemäß § 99 Abs. 4 und der Feststellungsverfahren gemäß § 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG nicht alle Umstände ausreichend berücksichtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Beschwerdegerichts kann die Ermessensentscheidung des Erstgerichts nur auf Ermessensfehler überprüft werden, wohingegen das Beschwerdegericht keine eigene hiervon unabhängige Ermessensentscheidung zu treffen hat (so LAG Nürnberg vom 05.05.1986 - 1 Ta 3/85 - LAGE Nr. 53 zu § 12 ArbGG 1979 Streitwert, vom 07.04.1999 - 6 Ta 61/99 - NZA 1999 840; vom 27.11.2003 - 9 Ta 154/03 - AR-Blattei ES 160.13 Nr. 256).

Das Erstgericht geht in der Nichtabhilfeentscheidung vom 30.06.2005 zutreffend davon aus, dass es sich bei Beschlussverfahren nach den §§ 99, 100 BetrVG um nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten i.S.d. § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG handelt und die gebührenrechtliche Bewertung nach dieser Vorschrift vorzunehmen ist. Insoweit kann auf die zur Vorgängerregelung (§ 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO) ergangene Rechtsprechung verwiesen werden (vgl. LAG Bremen vom 19.07.2001 - 4 Ta 33/01 - LAGE Nr. 51 zu § 8 BRAGO; LAG Berlin vom 21.10.2002 - 17 Ta (Kost) 6085/02 - NZA-RR 2003, 383; LAG Berlin vom 18.03.2003 - 17 Ta (Kost) 6009/03 - NZA 2004, 342). Im Streit stehen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates und die von ihm herangezogenen Zustimmungsverweigerungsgründe. Dieser Streitgegenstand ist nicht unmittelbar abhängig von der Dauer des individualrechtlichen Arbeitsverhältnisses und der Höhe des konkret zu zahlenden Gehalts. Dies schon deshalb, da die Wirksamkeit des Arbeitsvertrages des einzustellenden Arbeitnehmers nicht von der Zustimmung des Betriebsrats abhängt.

Bereits aus diesem Grund kann nicht - wie von der Beschwerdeführerin vertreten - bei der Wertfestsetzung auf die gebührenrechtliche Regelung im früheren § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG, bzw. der jetzigen Regelung in § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG, abgestellt werden (vgl. LAG Berlin vom 19.09.2002 - 17 Ta (Kost) 6081/02 - n.v.).

Bei der Bemessung des Gegenstandswerts gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG sind alle Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Umfang und die Bedeutung der Sache zu berücksichtigen. Hierzu zählen auch die wirtschaftlichen Auswirkungen des Rechtsstreits und die rechtlichen und tatsächlichen Besonderheiten des Falles (vgl. LAG Bremen vom 19.07.2001, a.a.O.; LAG Berlin vom 21.10.2002, a.a.O.).

Das Erstgericht hat in Übereinstimmung mit den zitierten Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte Berlin und Bremen bei einem Beschlussverfahren, das mehrere personelle Einzelmaßnahmen betrifft, die wiederum auf einer einheitlichen unternehmerischen Vorgehensweise beruhen und im Rahmen eines gemeinsam durchgeführten Mitwirkungsverfahrens vom Betriebsrat behandelt worden sind, eine angemessene Herabsetzung des Wertes für jede einzelne personelle Maßnahme für geboten erachtet. Es gelangte auf diese Weise zu einer Herabsetzung des Hilfswertes in § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG von EUR 4.000,-- auf einen Wert pro einzelner Zustimmungsersetzung nach § 99 Abs. 4 BetrVG von EUR 2.000,-- und pro Feststellung gemäß § 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG von EUR 1.000,--.

Dies mag bei einer unbefristeten Einstellung bzw. Versetzung und vollständiger Durchführung eines diesbezüglichen Zustimmungsersetzungsverfahrens bzw. Feststellungsverfahrens sachgerecht sein, denn alleine durch die Bündelung der Verfahren und die gleich gelagerte Argumentation im Hinblick auf die einheitliche unternehmerische Vorgehensweise tritt ein Synergieeffekt im Rahmen der Prozessführung auf, der schon alleine diese gebührenrechtliche Behandlung rechtfertigt.

Das Erstgericht geht in seiner Nichtabhilfeentscheidung davon aus, dass hierbei auch ausreichend "die Kürze der jeweiligen personellen Maßnahmen aufgrund der Befristung der Arbeitsverhältnisse" berücksichtigt worden ist.

Dies kann ohne nähere Begründung nicht nachvollzogen werden. Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Rechtsstreits über eine nur einwöchige Beschäftigung bleiben weit hinter dem festgesetzten Wert pro Einzelmaßnahme von EUR 2.000,-- zurück. Hinzu kommt, dass die Kürze der Beschäftigung noch vor Durchführung einer Anhörung vor der Kammer zu übereinstimmenden Erledigterklärungen der Beteiligten geführt hat. Ohne erforderliche Aufbereitung des Prozessstoffs erfolgte eine Einstellung gemäß § 83a Abs. 2 ArbGG. Diese Umstände haben bei der Ermessensbetätigung des Erstgerichts keinen Niederschlag gefunden, weshalb sich das gefundene Ergebnis als ermessensfehlerhaft erweist. Berücksichtigt man die dargestellten Umstände, gelangt man zu wesentlich geringeren Gebührenansätzen wie in den vom Landesarbeitsgericht Bremen im Beschluss vom 19.07.2001 und Landesarbeitsgericht Berlin im Beschluss vom 19.09.2002 entschiedenen Fällen. Dort wurden pro Zustimmungsersetzungsverfahren 1/8 (LAG Bremen) bzw. 1/4 für das erste und jeweils 1/8 für jedes weitere Verfahren (LAG Berlin) festgesetzt und für jedes einzelne Feststellungsverfahren die Hälfte des Wertes des gleichzeitig durchgeführten Zustimmungsersetzungsverfahrens.

Auch im vorliegenden Fall ist angesichts der geringen wirtschaftlichen Auswirkungen der streitgegenständlichen personellen Maßnahmen und des ebenfalls sehr geringen Aufwandes für die Prozessführung des Antragsgegners eine Reduzierung auf 1/8 des Hilfswertes hinsichtlich jeder einzelnen Zustimmungsersetzungsmaßnahme und auf 1/16 des Hilfswertes für jedes einzelne Feststellungsverfahren als sachgerecht geboten. Dies ergibt bei 7 Einstellungen und 2 Versetzungen einen Betrag von EUR 4.500,-- für die Zustimmungsersetzungsverfahren und von EUR 2.250,-- für die Feststellungsverfahren.

Soweit die Beschwerdeführerin eine weitergehende Herabsetzung des Gebührenstreitwertes begehrt, erweist sich die Beschwerde als erfolglos. Wie bereits dargestellt, stehen im vorliegenden Verfahren Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates in Streit und nicht die individualrechtliche Wirksamkeit von Einstellungs- bzw. Versetzungsmaßnahmen. Dementsprechend hat die Gebührenfestsetzung isoliert von der Vergütungshöhe der betroffenen Arbeitseinsätze zu erfolgen.

III.

Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, vgl. § 78 Satz 3 ArbGG.

Für eine Kostenentscheidung besteht kein Anlass, da das Beschwerdeverfahren gebührenfrei ist und keine Kostenerstattung stattfindet, § 33 Abs. 9 RVG.

Ende der Entscheidung

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