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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 08.02.2006
Aktenzeichen: 9 TaBV 35/04
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 78 a
1. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses eines Auszubildendenvertreters in einer Berufsbildungsstelle des ATC gem. § 78 a Abs. 4 Ziffer 2 BetrVG i.V.m. § 3 Abs. 4 Satz 1 TV Mitbestimmung ATC*) kommt nicht bereits dann in Betracht, wenn der Auszubildendenvertreter nicht auf einen Dauerarbeitsplatz in der Berufsbildungsstelle selbst übernommen werden kann; vielmehr ist auf die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in allen Betrieben der A... AG im regionalen Einzugsbereich der Berufsbildungsstelle abzustellen.

2. Verpflichtet sich die A... AG tarifvertraglich Auszubildendenvertreter mit dem Ziel einer Weitervermittlung auf einen Dauerarbeitsplatz zunächst für 24 Monate in eine Beschäftigung-/Vermittlungsgesellschaft zu übernehmen (Protokollnotiz zur TV Ratio vom 26.05.2003), so ist dies i.R.d. § 78 a Abs. 4 Ziffer 2 BetrVG zu berücksichtigen. Eine gerichtliche Auflösung vor Ablauf der 24 Monate scheidet aus; insbesondere wenn der Auszubildendenvertreter hätte innerhalb dieses Zeitraums auf einen Dauerarbeitsplatz übernommen werden können.

*) Haustarifvertrag anonymisiert


LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

9 TaBV 35/04 Verkündet am 08. Februar 2006

in dem Beschlussverfahren

wegen sonstiges

Die 9. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Nürnberg Roth als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Grunow und Hager aufgrund der Anhörung vom 14. Dezember 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg vom 25.03.2004, Az.: 8 BV 35/03, wird abgeändert.

2. Der Antrag wird zurückgewiesen.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Beteiligten zu 2. gemäß § 78 a Abs. 4 Satz 1 Ziffer 2 BetrVG.

Die am 04.07.1984 geborene Beteiligte zu 2. wurde bei der Antragstellerin in deren Niederlassung Würzburg auf der Grundlage des schriftlichen Berufsausbildungsvertrages ohne Datum (Kopie Bl. 264 - 266 d.A.) in der Zeit vom 01.09.2000 bis 02.07.2003 zur Kauffrau für Bürokommunikation ausgebildet.

Die Antragstellerin hat zum 01.12.2001 einen eigenständigen Ausbildungsbetrieb gegründet. Das A...AG Training Center (ATC) führt die gesamte Aus- und Weiterbildung innerhalb des A... AG-Konzerns durch.

Über die Struktur und Wahrnehmung der betrieblichen Mitbestimmung im ATC haben die Antragstellerin und die Gewerkschaft ver.di am 12.10.2001 den "Tarifvertrag Nr. 122" (TV 122) geschlossen (Kopie Bl. 22, 23 d.A.). Nach dessen § 1 Abs. 1 stellt das ATC "einen Betrieb mit einem Betriebsrat, Auszubildendenvertretungen bei den Berufsbildungsstellen und einer Konzern-Ausbildungsvertretung dar". Nach § 2 Abs. 1 TV 122 gelten für den Betriebsrat weitgehend die Bestimmungen des BetrVG; er vertritt die Arbeiter, Angestellten und Beamten und arbeitet mit den Auszubildendenvertretungen zusammen. Auszubildende haben für den Betriebsrat weder das aktive noch das passive Wahlrecht. Sie wählen stattdessen nach § 4 TV 122 Auszubildendenvertretungen in den jeweiligen Berufsbildungsstellen und sind dort wählbar, soweit sie jünger als 25 Jahre sind. Für die Auszubildendenvertretungen gelten nach § 3 Abs. 1 TV 122 die Bestimmungen des BetrVG über Jugend- und Auszubildendenvertretungen, soweit tariflich nichts anderes geregelt ist; insbesondere finden auf Mitglieder der Auszubildendenvertretungen gemäß § 3 Abs. 4 TV 122 die §§ 78 und 78 a BetrVG Anwendung. Nach § 4 TV 122 sind zu den Auszubildendenvertretungen alle Auszubildenden der jeweiligen Berufsbildungsstelle wahlberechtigt; wählbar sind alle Beschäftigten des A... AG-Konzerns aus der jeweiligen Region, in deren Betrieb Berufsausbildung durchgeführt wird, soweit sie das 25. Lebensjahr zum Wahlzeitpunkt noch nicht vollendet haben.

Die Beteiligte zu 2. wurde der Berufungsbildungsstelle Würzburg des ATC zugewiesen und dort in die Auszubildendenvertretung gewählt. Mit Schreiben vom 26.06.2003 (Kopie Bl. 24 d.A.) hat sie gemäß § 78 a Abs. 2 BetrVG die Übernahme in einen regionalen Betrieb der Antragstellerin beantragt, hilfsweise in einen anderen Betrieb innerhalb des gesamten Konzerns und eventuell auch nach vorherigem Einsatz in einer sogenannten Vermittlungs- und Qualifizierungseinheit (PSA/VQE), um von dort in einen Konzernbetrieb vermittelt werden zu können.

Die Antragstellerin hat mit der Gewerkschaft ver.di. im TV Ratio vom 29.06.2002 in dessen § 15 die Übernahme von Auszubildenden nach der Ausbildung dahingehend geregelt, dass diese zunächst wohnortnah befristet für zwölf Monate in ein Vollzeitarbeitsverhältnis in die VQE mit dem Ziel der Weitervermittlung auf einen Dauerarbeitsplatz übernommen werden (Kopie Bl. 27 d.A.). Von den Tarifvertragsparteien wurde in der Protokollnotiz zum TV Ratio vom 26.05.2003 (Kopie Bl. 28 d.A.) geregelt, dass Auszubildendenvertreter im Gegenzug zur Beendigung anhängiger oder anhängig zu machender Rechtsstreite einen 24-monatigen sachgrundlos befristeten Vertrag nach dem TzBfG erhalten, wobei die Befristung mit dem Tag der Übernahme in die VQE beginnt.

Die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 30.06.2003 (Kopie Bl. 509, 510 d.A.) zu dem Übernahmeverlangen der Beteiligten zu 2. vom 23.06.2003 Stellung genommen und die Übernahme in die PSA (VQA) für die Dauer von 24 Monaten angeboten, wenn die Beteiligte zu 2. ihr Übernahmeverlangen gemäß § 78 a BetrVG zurückziehe. Falls dies nicht geschehe, werde ihr lediglich eine einjährige Weiterbeschäftigung angeboten, wie jedem anderen Auszubildenden auch.

Das Ausbildungsverhältnis der Beteiligten zu 2. endete nach bestandener Prüfung zum 02.07.2003. Mit schriftlichem Arbeitsvertrag vom 21.05.2003 (Kopie Bl. 505 - 508 d.A.) wurde die Beteiligte zu 2. befristet vom 03.07.2003 bis 02.07.2004 in die Vermittlungsgesellschaft übernommen. Diesen Vertrag hat die Antragstellerin unter dem Vorbehalt, dass nicht bereits ein unbefristetes Arbeitsverhältnis begründet worden ist, unterzeichnet.

Die Antragstellerin beantragt mit ihrem an das Arbeitsgericht Bonn gerichteten Schriftsatz vom 14.07.2003 die gerichtliche Auflösung des nach § 78 a Abs. 2 BetrVG mit der Beteiligten zu 2. begründeten Arbeitsverhältnisses.

Das Arbeitsgericht Bonn hat mit Beschluss vom 22.08.2003 das Verfahren an das Arbeitsgericht Würzburg verwiesen.

Wegen der Anträge der Beteiligten und ihres näheren Vorbringens im erstinstanzlichen Verfahren wird auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Würzburg hat mit Beschluss vom 25.02.2004 das zwischen der Antragstellerin und der Beteiligten zu 2. nach § 78 a Abs. 2 BetrVG begründete Arbeitsverhältnis aufgelöst.

Die Beteiligte zu 2., der die Entscheidung des Erstgerichts am 05.08.2004 zugestellt worden ist, hat hiergegen mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 01.09.2004, beim Landesarbeitsgericht Nürnberg eingegangen am 03.09.2004, Beschwerde eingelegt und sie innerhalb der bis 05.11.2004 verlängerten Begründungsfrist mit weiterem Schriftsatz vom 02.11.2004, der beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am 04.11.2004 eingegangen ist, begründet.

Auch die Beteiligten zu 3., 4. und 5. haben gegen die ihnen am 06.08.2004 zugestellte Entscheidung mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 03.09.2004, beim Landesarbeitsgericht Nürnberg eingegangen am 06.09.2004, Beschwerde eingelegt und sie mit dem noch am selben Tag beim Landesarbeitsgericht Nürnberg eingegangenen Schriftsatz vom 04.10.2004 begründet.

Die Beschwerdeführer meinen, die gesetzliche Regelung des § 78 a BetrVG, die gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 TV 122 ausdrücklich auch auf die Mitglieder der Auszubildendenvertretungen in den Berufsbildungsstellen der Antragstellerin Anwendung finden solle, liefe gänzlich leer, würde man - wie vom Erstgericht vertreten - die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit allein in Bezug auf die Arbeitsplätze in den Berufsbildungsstellen selbst abstellen. Die Antragstellerin betreibe zwar für ihre Sparten C..., D..., E... und F... sowie einige weitere Tochtergesellschaften unter dem Dach ATC zentrale Ausbildungsstellen, in denen Nachwuchskräfte ähnlich dem Berufsschulunterricht ausgebildet würden, der Praxiseinsatz selbst fände jedoch schwerpunktmäßig in den unterschiedlichen Betrieben der verschiedenen Sparten statt. Diese Praxisstellen würden zusammen mit dem örtlichen Ausbildungszentrum einen Betrieb i.S.d. § 78 a BetrVG bilden. Nur dort könnten die kaufmännisch oder technisch ausgebildeten Nachwuchskräfte auch tatsächlich berufsgerecht eingesetzt werden und nicht in der Berufsbildungsstelle selbst, in der nur wenige Verwaltungskräfte und Ausbilder tätig seien. Dies ergebe sich auch aus § 4 TV 122, wonach alle Beschäftigten des A...AG-Konzerns aus der jeweiligen Region wählbar seien, in deren Betrieb Berufsausbildung durchgeführt wird. Dies seien die Betriebe, in denen die Auszubildenden praktisch unterwiesen würden und auch später ihrem Berufsbild entsprechend eingesetzt werden sollten. Für die Tarifparteien sei klar gewesen, dass die Auszubildenden nicht für einen Einsatz in den Berufsbildungsstellen selbst ausgebildet würden und dort später beruflich tätig sein sollten. Sie wollten auch keineswegs, dass § 78 a BetrVG gänzlich leer liefe, und hätten deshalb auch die regionalen betrieblichen Einrichtungen aller vier Sparten bei der Bestimmung der für § 78 a BetrVG wesentlichen betrieblichen Einheit einbezogen. Entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts sei hier nicht der Gesetzgeber gefordert, sondern es hätte eine interessengerechte Bestimmung des Betriebsbegriffes seitens der Gerichte erfolgen müssen.

Durch die Praxis der Antragstellerin, zunächst alle Auszubildenden in ihrer Beschäftigungsgesellschaft "G" einzusetzen und danach alleine unter Leistungsgesichtspunkten von dort in ihre Betriebe zu vermitteln, liefe der Schutz des § 78 a BetrVG für die Mitglieder der Auszubildendenvertretungen leer. Diese würden nicht bevorzugt bei der Besetzung freier Stellen berücksichtigt, wie vom Gesetzgeber beabsichtigt.

Die Beteiligte zu 2. hätte nach Abschluss ihrer Ausbildung auf mehreren freien ausbildungsadäquaten Dauerarbeitsplätzen an den Beschäftigungsorten Würzburg oder Bamberg eingesetzt werden können. Unter Verkennung ihrer gesetzlichen Verpflichtung nach § 78 a BetrVG habe die Antragstellerin im Jahr 2003 keine Auszubildendenvertreter auf Dauerarbeitsplätze übernehmen wollen, unabhängig davon, ob ausbildungsadäquate Dauerarbeitsplätze vorhanden gewesen seien oder nicht.

Die Beteiligte zu 2. werde über das vereinbarte Vertragsende 02.07.2004 weiterbeschäftigt und sei seit November 2004 die freigestellte Vorsitzende der Auszubildendenvertretung. Sie hätte sich auch in der Folgezeit auf ausgeschriebene freie Stellen beworben, für die sie die ausreichende fachliche Qualifikation besessen habe. Obwohl sie im Rahmen des Vorstellungsgespräches für einen Dauerarbeitsplatz am Standort Bad Kissingen als die geeignete Bewerberin ausgesucht worden sei, sei aus sachfremden Erwägungen die Ausschreibung wieder zurückgezogen worden; dies mit der Begründung, "dass eine Übernahme der JAV B... nicht möglich ist, da Fr. B... nur für ihre Tätigkeit als JAV einen befristeten Arbeitsvertrag besitzt und wir keine Einstellungsgenehmigung der Zentrale haben" (vgl. Kopie des E-mails vom 13.07.2005, Bl. 521 d.A.). Dieses Verhalten der Antragstellerin hänge mit dem vorliegenden Rechtsstreit zusammen. Seit Juli 2005 würden alle Bewerbungen, die die Beteiligte zu 2. schreibe, nicht mehr zugelassen.

Bezüglich der näheren Einzelheiten des Vorbringens der Beschwerdeführer wird auf die von ihnen eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Beteiligten zu 2., 3., 4. und 5. und Beschwerdeführer beantragen:

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg vom 25.03.2004, Az.: 8 BV 35/03, wird abgeändert.

2. Der Antrag der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt sie vor, der vorübergehende Einsatz der Auszubildendenvertreter in der Beschäftigungsgesellschaft "G..." führe nicht zu einer Umgehung des § 78 a BetrVG, denn es würden im Rahmen der unternehmensinternen Jobbörse frei werdende Dauerarbeitsplätze vorrangig mit Auszubildendenvertretern besetzt. Wegen eines erheblichen Überhanges an so genannten Transfer-Mitarbeitern mit der Qualifikation der Beteiligten zu 2. im Betrieb "G..." zum maßgeblichen Zeitpunkt Juli 2003, habe die Beteilige zu 2. nicht auf einen Dauerarbeitsplatz übernommen werden können. Da mit der Beteiligten zu 2. eine einvernehmliche Lösung nicht habe gefunden werden können, die nach den tarifvertraglichen Regelungen einen Einsatz für 24 Monate in "G..." eröffnet hätte, sei mit ihr, wie mit jeder anderen Auszubildenden auch, lediglich ein Einsatz für zwölf Monate vertraglich vereinbart worden. Auf freie Stellen, die erst Mitte des Jahres 2004 vorhanden gewesen seien, komme es in diesem Verfahren nicht an, denn auf diese seien ausschließlich Auszubildendenvertreter des Prüfungsjahres 2004 übernommen werden, die wie die Beteiligte zu 2. die Weiterbeschäftigung nach § 78 a BetrVG verlangt hatten.

Zu den näheren Einzelheiten des Vorbringens der Antragstellerin wird auf die von ihr eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Sie ist statthaft, § 87 Abs. 1 ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 87 Abs. 2, 89, 66 ArbGG.

Die Beteiligten zu 3. bis 5. sind gemäß § 78 a Abs. 4 Satz 2 BetrVG an dem gerichtlichen Verfahren zu beteiligten.

2. Die Beschwerden sind sachlich begründet.

Sie führt zur Abänderung der Entscheidung des Arbeitsgerichts Würzburg und Abweisung des Antrags.

Das zwischen der Antragstellerin und der Beteiligten zu 2. gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 TV 122 i.V.m. § 78 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG entstandene Arbeitsverhältnis ist nicht gemäß § 78 a Abs. 4 Satz 1 BetrVG aufzulösen, weil der Arbeitgeberin die Weiterbeschäftigung der Beteiligten zu 2. nicht unzumutbar ist. Wenn nicht bereits bei Beendigung des Ausbildungsverhältnisses hätte die Beteiligte zu 2. im Rahmen ihrer vorläufigen Weiterbeschäftigung in der VQE/"G..." entsprechend der Regelung in § 15 Abs. 1 TV Ratio und der hierzu vereinbarten Protokollnotiz vom 26.05.2003 (Kopien Bl. 27, 28 d.A.) bereits in den Jahren 2004 und 2005 auf einen Dauerarbeitsplatz in einem der Konzernbetriebe übernommen werden können. Diese spätere Möglichkeit zur Übernahme in ein Dauerarbeitsverhältnis ist aufgrund der geltenden tarifvertraglichen Regelungen im Rahmen des § 78 a Abs. 4 Satz 1 BetrVG zu berücksichtigen.

a) Zwischen der Antragstellerin und der Beteiligten zu 2. ist aufgrund deren Weiterbeschäftigungsbegehrens mit Schreiben vom 26.06.2003 ein Arbeitsverhältnis gemäß § 78 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG i.V.m. § 3 Abs. 4 Satz 1 TV 122 begründet worden.

Nach der tarifvertraglichen Regelung in § 3 Abs. 4 Satz 1 TV 122 greift die gesetzliche Regelung des § 78 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG auch bei dem Ausbildungsverhältnis der Beteiligten zu 2. Diese war zwar nicht Jugend- und Auszubildendenvertreterin in einem der Beschäftigungsbetriebe der Antragstellerin, jedoch Mitglied der Auszubildendenvertretung in einer Betriebsbildungsstelle des ATC. Beim ATC handelt es sich nach der Präambel des TV 122 um eine "Qualifizierungsorganisationseinheit", d.h. um einen Betrieb, dessen ausschließlicher Zweck die Durchführung der Berufsausbildung für andere Betriebe ist. Die in einem solchen Betrieb beschäftigten Auszubildenden nehmen nicht an der Verwirklichung des arbeitstechnischen Betriebszwecks teil, dieser besteht gerade in ihrer Ausbildung. Die Auszubildenden eines solchen Betriebes gehören nicht zu dessen Belegschaft und sind keine Arbeitnehmer des Betriebes i.S.d. § 5 Abs. 1 BetrVG (vgl. BAG vom 24.08.2004 - 1 ABR 28/03 - BAGE 111, 350; vom 12.09.1996 - 7 ABR 61/95 - AP Nr. 11 zu § 5 BetrVG 1972 Ausbildung; vom 26.01.1994 - 7 ABR 13/92 - BAGE 75, 312; jeweils m.w.N.).

Gleichwohl konnten die Tarifvertragsparteien im Rahmen ihrer Regelungskompetenz gemäß Art. 9 Abs. 3 GG, § 3 Abs. 2 TVG in einem gesetzlich nicht geregelten Bereich eigene Vertretungsstrukturen und Kompetenzen schaffen und das Betriebsverfassungsgesetz partiell auf Auszubildende in eigenständigen Ausbildungsbetrieben erstrecken, vgl. § 51 Abs. 1 BBiG (so BAG vom 24.08.2004, a.a.O.; vom 10.02.1988 - 1 ABR 70/86 - BAGE 57, 317, 323 ff.; vom 18.08.1987 - 1 ABR 30/86; BAGE 56, 18, 34 ff.).

b) Die Antragstellerin hat bereits den Nachweis nicht erbracht, dass es ihr unzumutbar gewesen ist, bei Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses die Beteiligte zu 2. in ein Dauerarbeitsverhältnis zu übernehmen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Entscheidungen vom 12.11.1997 - 7 ABR 73/96 - AP Nr. 31 zu § 78 a BetrVG 1972; vom 06.11.1996 - 7 ABR 57/95 - AP Nr. 26 zu § 78 a BetrVG; vom 24.07.1991 - 7 ABR 68/90 - BAGE 68, 187; jeweils m.w.N.) ist dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung im Sinne des § 78 a Abs. 4 BetrVG u.a. dann unzumutbar, wenn zum Zeitpunkt der Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses im Betrieb des Arbeitgebers kein freier Arbeitsplatz vorhanden ist, auf den der Auszubildende mit seiner durch die Ausbildung erworbenen Qualifikation beschäftigt werden kann. Der Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht verpflichtet, durch eine Änderung seiner Arbeitsorganisation einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen, um einen durch § 78 a BetrVG geschützten Auszubildenden weiterbeschäftigten zu können.

Da die Vorschrift des § 78 a BetrVG nicht nur dem Schutz der Amtskontinuität dient, sondern dem Auszubildenden auch die Besorgnis nehmen will, wegen seiner Amtsübernahme oder der Art seiner Amtsausübung vom Arbeitgeber benachteiligt zu werden, kann es der Schutzzweck des § 78 a BetrVG gebieten, dass der Arbeitgeber auch anderweitige Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten eröffnet, auf die der Auszubildende in seinem Weiterbeschäftigungsbegehren Bezug nimmt (so BAG vom 06.11.1996, a.a.O.).

In diesem Fall ist nicht nur auf die Situation im Ausbildungsbetrieb abzustellen, sondern auf alle Beschäftigungsmöglichkeiten im Unternehmen oder eventuell gar Konzern (vgl. hierzu Richardi-Thüsing, BetrVG, 10. Aufl., § 78 a Rz. 39, m.w.N.).

Insoweit greift das Erstgericht bei weitem zu kurz, wenn es nur auf eine Beschäftigungsmöglichkeit in der Berufsbildungsstelle des ATC selbst abstellt. Dass dies von den Parteien des TV 122 nicht gewollt sein konnte, wäre unschwer festzustellen gewesen. Es liefe nämlich die Regelung in § 3 Abs. 4 Satz 1 TV 122 gänzlich leer, weil in den Berufsbildungsstellen selbst nur wenige Verwaltungs- und Ausbildungskräfte beschäftigt werden. Sämtliche Auszubildende in technischen oder kaufmännischen Berufen haben dort keine Möglichkeit, ausbildungsgerecht eingesetzt zu werden. Insoweit ist bereits die betriebliche Struktur, von denen die Tarifvertragsparteien ersichtlich bei der Inbezugnahme des § 78 a BetrVG ausgegangen sind, anders als vom Erstgericht festgestellt. Dies ergibt sich auch aus der Regelung des § 4 TV 122, der für die Wählbarkeit zur Auszubildendenvertretung auf den jeweiligen regionalen Einzugsbereich der Berufsbildungsstelle abstellt und auch die Betriebe, in denen die praktische Berufsausbildung durchgeführt wird, hierbei mit umfasst.

Dementsprechend wären sämtliche freie Stellen der Betriebe der Antragstellerin im Bereich der Niederlassung Würzburg und der regionalen Berufsbildungsstelle zu berücksichtigen gewesen.

Hinzu kommt, das die Beteiligte zu 2. in ihrem Weiterbeschäftigungsverlangen vom 26.06.2003 hilfsweise auch auf alle Betriebe in einem der Konzernunternehmen abstellt und damit für die Antragstellerin die Pflicht begründet, eine mögliche Weiterbeschäftigung der Beteiligten zu 2. unternehmensweit zu prüfen.

Hierbei genießt das Weiterbeschäftigungsbegehren des Auszubildendenvertreters Vorrang vor dem Übernahmebegehren anderer nicht besonders gesetzlich geschützter Auszubildender oder anderer interner Stellenbewerber. Insoweit kann ein Leistungsvergleich oder ein Vergleich unter sozialen Kriterien mit anderen Mitbewerbern für dieselbe Stelle eine Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung nicht begründen. Der besondere Schutz des Amtes eines Jugend- und Auszubildendenvertreters gebietet die vorrangige Berücksichtigung des Amtsinhabers und damit auch dessen Privilegierung bei der Übernahme in ein Arbeitsverhältnis (vgl. BAG v. 16.01.1979 - 6 AZR 153/77 - AP Nr. 5 zu § 78 a BetrVG 1972, v. 13.11.1987 - 7 AZR 246/87 - AP Nr. 18 zu § 78 a BetrVG 1972, LAG Nürnberg vom 25.11.2004 - 8 Sa 14/04 - n.v.; LAG Berlin vom 18.07.1995 -12 TaBV 1/95 - LAGE Nr. 8 zu § 78 a BetrVG 1972; LAG Niedersachsen vom 26.04.1996 - 16 TaBV 107/95 - LAGE Nr. 9 zu § 78 a BetrVG 1972; Richardi-Thüsing, a.a.O., Rz. 41; jeweils m.w.N.).

In diesem Zusammenhang genügt der Vortrag der Antragstellerin nicht, sie habe beschlossen, anders als in den Vorjahren im Jahr 2003 keine Auszubildenden auf einen Dauerarbeitsplatz zu übernehmen, und wegen eines Überhangs so genannter Transfermitarbeiter mit derselben beruflichen Qualifikation wie der Beteiligten zu 2. habe für deren Weiterbeschäftigung kein freier Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden. Wegen deren privilegierten Weiterbeschäftigungsanspruchs hätte vielmehr im Einzelnen dargelegt werden müssen, dass die freien Stellen auf die sich die Beteiligte zu 2. im Bereich der Niederlassung Würzburg berufen hat, oder die von der Antragstellerin unternehmensweit abzuprüfen gewesen wären, tatsächlich mit Stellenbewerbern besetzt worden sind, die ebenfalls einen rechtlich gleichwertigen oder vielleicht sogar noch höherwertigen privilegierten gesetzlichen oder tarifvertraglichen Beschäftigungsanspruch hatten wie die Beteiligte zu 2. Diesbezüglich fehlt jedoch näherer Sachvortrag bezüglich der konkreten Auswahlentscheidung und der Privilegierung des Bewerbers, dem die Stelle letztlich übertragen worden ist.

c) Selbst wenn im Zeitpunkt der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses der Beteiligten zu 2. noch kein freier Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden hätte, wäre die Antragstellerin aufgrund des Weiterbeschäftigungsbegehrens der Beteiligten zu 2. verpflichtet gewesen, diese zunächst in die PSA/VQE zu übernehmen, um sie von dort binnen eines Jahres oder zweier Jahre in ein Dauerarbeitsverhältnis zu vermitteln.

Den Einsatz in der PSA/VQE hat die Beteiligte zu 2. hilfsweise in ihrem Weiterbeschäftigungsbegehren geltend gemacht. Die Antragstellerin hat sich zu einer zumindest einjährigen Übernahme der Auszubildenden in die PSA/VQE in § 15 Abs. 1 TV Ratio verpflichtet. Insoweit kann die Beteiligte zu 2. als besonders geschützte Inhaberin eines betriebsverfassungsrechtlichen Amtes nicht schlechter gestellt werden als die übrigen Auszubildenden.

Nach dem eigenen Sachvortrag der Antragstellerin sind im Jahr 2004 freie Stellen mit damals aus dem Ausbildungsverhältnis ausscheidenden Auszubildendenvertretern begründet worden, nachdem diese ihren Anspruch aus § 78 a BetrVG geltend gemacht hatten. Hierbei sind von den besonders geschützten Stellenbewerbern soziale Auswahlkriterien zur Anwendung gelangt. Diesbezüglich hätten freie Stellen auch der Beteiligten zu 2. angeboten werden müssen und es hätte auch sie bei der Auswahl von den Stellenbewerbern unter Berücksichtigung ihrer Beschäftigungsdauer und ihrer vorläufigen Unterbringung in der PSA/VQE einbezogen werden müssen. Auch insoweit kann nicht festgestellt werden, dass die Beteiligte zu 2. unter Berücksichtigung ihrer Sozialdaten und ihrer bisherigen Beschäftigungszeit hätte gegenüber anderen Stellenbewerbern zurücktreten müssen.

d) Letztendlich ist es für die Antragstellerin auch nicht unzumutbar, die Beteiligte zu 2. - wie die anderen Auszubildendenvertreter des Ausbildungsjahrganges 2003 - für die Dauer von zwei Jahren in der PSA/VQE zu beschäftigen und von dort bis Mitte des Jahres 2005 in ein Dauerarbeitsverhältnis zu übernehmen. Zu Unrecht macht die Antragstellerin in diesem Zusammenhang geltend, eine tarifvertragliche Verpflichtung gemäß der Protokollnotiz zum TV Ratio bestehe nur in den Fällen, in denen der Auszubildendenvertreter auf seinen Anspruch aus § 78 a BetrVG verzichte. Nach Abs. 2 der Protokollnotiz war es sicher Motiv der Tarifvertragsparteien, zur Beilegung von Rechtsstreitigkeiten dieses einvernehmliche Modell für eine vorübergehende zweijährige Weiterbeschäftigung in der PSA/VQE anzubieten. Insoweit mag auch der Rechtsstandpunkt der Antragstellerin zutreffen, der Beteiligten zu 2. erwachse aus der Protokollnotiz kein tarifvertraglicher Rechtsanspruch auf einen zweijährigen Einsatz in der PSA/VQE.

Diese vorläufige Weiterbeschäftigungspraxis ist jedoch auch zu berücksichtigen, soweit es um die Unzumutbarkeit einer wenigstens vorübergehenden Weiterbeschäftigung der Beteiligten zu 2. in der PSA/VQE geht. Der Auszubildendenvertreter, der sich auf seinen Anspruch aus § 3 Abs. 4 TV 122 i.V.m. § 78 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG stützt, kann nämlich nicht schlechter gestellt werden als diejenigen Auszubildendenvertreter, die ein Weiterbeschäftigungsbegehren nicht stellen und sich einvernehmlich auf eine tarifvertraglich geregelte vorläufige Weiterbeschäftigung mit der Arbeitgeberin verständigen. Hieraus wird nämlich ersichtlich, dass sich dieses Übergangsmodell zur Sicherstellung des Beschäftigungsanspruchs des besonders geschützten Auszubildenden auch aus der Sicht der Antragstellerin im Rahmen des Zumutbaren bewegt. Der Auszubildendenvertreter muss sich seines gesetzlich begründeten Weiterbeschäftigungsanspruchs nicht gänzlich begeben, um wenigstens vorübergehend weiterbeschäftigt zu werden. Er kann sich vielmehr - wie im vorliegenden Fall geschehen - auch im Rahmen seines Weiterbeschäftigungsverlangens hilfsweise mit einem vorübergehenden Einsatz in einer Beschäftigungs-/Vermittlungsgesellschaft bereit erklären, um von dort zeitnah auf einen Dauerarbeitsplatz übernommen zu werden. Somit könnte seitens des Gerichts das Arbeitsverhältnis der Beteiligten zu 2., soweit es den vorübergehenden Einsatz in der PSA/VQE betrifft, nicht vor Ablauf des 02.07.2005 gerichtlich aufgelöst werden. Insoweit fehlt es nämlich an ausreichenden Tatsachen, die unter Berücksichtigung der konkreten Umstände geeignet wären, für die Antragstellerin eine Weiterbeschäftigung der Beteiligten zu 2. wenigstens bis 02.07.2005 unzumutbar zu machen.

Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu diesem Zeitpunkt scheidet aus, da spätestens im Juni 2005 geeignete freie Arbeitsplätze vorhanden gewesen wären und sich die Beteiligte zu 2. bereits erfolgreich für die intern ausgeschriebene Stelle einer Sachbearbeiterin an den Standorten Würzburg oder Bad Kissingen beworben hat. Insoweit wird auf die Ausführungen der Beteiligten zu 2. im Schriftsatz vom 16.11.2005 und insbesondere das Memo vom 24.06.2005 (Kopie Bl. 519 d.A.) Bezug genommen. Diesbezüglich hätte sich aus § 3 Abs. 4 TV 122 i.V.m. § 78 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG die Verpflichtung für die Antragstellerin ergeben, die Beteiligte zu 2. vorrangig vor anderen nicht besonders privilegierten Stellenbewerbern auf diese freie Stelle zu übernehmen. Stattdessen soll die Berufung auf ihren Weiterbeschäftigungsanspruch Grund dafür gewesen sein, von der Stellenbesetzung abzusehen, worauf die E-Mail-Nachricht vom 13.07.2005 hindeutet (Kopie Bl. 521 d.A.).

Die Antragstellerin hat davon abgesehen, innerhalb der ihr eingeräumten Schriftsatzfrist zu dem Sachvortrag im Schriftsatz vom 16.11.2005 konkret Stellung zu nehmen. Insofern kann seitens des Gerichts nicht festgestellt werden, dass das Absehen von der Besetzung der Stelle mit der Beteiligten zu 2. aus sachlich gerechtfertigten betriebsorganisatorischen Gründen erfolgte und nicht lediglich zur Umgehung des Weiterbeschäftigungsanspruchs dieser Auszubildendenvertreterin.

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 2 Abs. 2 GKG.

4. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgt gemäß §§ 92 Abs. 1 Satz 1 und 2, 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG, da dem Verfahren im Bezug auf die Auslegung und Handhabung tarifvertraglicher Regelungen grundsätzliche Bedeutung beigemessen wird.

Ende der Entscheidung

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