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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 16.05.2002
Aktenzeichen: 1 Sa 48/02
Rechtsgebiete: DÜG, ArbGG, ZPO, MTV


Vorschriften:

DÜG § 1
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 66 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 6
ZPO § 516
ZPO § 518 a.F.
MTV § 8 Abs. 1
MTV § 8 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
LANDESARBEITSGERICHT RHEINLAND-PFALZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 1 Sa 48/02

Verkündet am 16.05.2002

In dem Rechtsstreit

hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz auf die mündliche Verhandlung vom 16.05.2002 durch den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts Prof. Dr. Schmidt als Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richter M und den ehrenamtlichen Richter H als Beisitzer für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 05.12.2001 - AZ: 4 Ca 498/01 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger ist seit dem 01.08.1996 bei der Beklagten als Offsetdrucker beschäftigt.

Aufgrund individualrechtlicher Inbezugnahme finden die jeweils gültigen Tarifverträge des Verbandes der Papier, Pappe und Kunststoff verarbeitenden Industrie Rheinland-Pfalz und Saarland e.V. Anwendung.

Der Kläger hat, wie auch alle anderen Mitarbeiter bei der Beklagten, vor dem Jahr 2000 jeweils eine Jahressonderzahlung in Höhe eines Tariflohnes erhalten.

Am 30.11.2000 fand eine Betriebsversammlung statt, bei welcher der Geschäftsführer der Beklagten, Herr Dr. W, eine umfassende Information über die betriebliche Situation der Beklagten abgegeben hat.

Zum Zahltermin am 10.12.2000 wurde von der Beklagten lediglich die Hälfte der Jahressonderzahlung für das Jahr 2000 ausgezahlt. Zugunsten des Klägers erfolgte demgemäss eine Zahlung i.H.v. DM 1901,00 brutto. Die andere Hälfte der Jahressonderzahlung wurde nicht gezahlt.

In der Betriebsvereinbarung 01/00 vom 06.05 2001 zwischen dem Betriebsrat und der Geschäftsleitung der Beklagten wurde im Hinblick auf die Jahressonderzahlung unter Ziffer 2. Folgendes vereinbart:

"Die Beschäftigen werden gemäß Manteltarifvertrag § 8 Ziffer IV für die gewerblichen Arbeitnehmer der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie sowie des entsprechenden Manteltarifvertrages für die Angestellten Rheinland-Pfalz, Saar - Härtefallklausel - mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien im Jahre 2000 auf 50 % der tariflichen Jahresleistung verzichten."

Mit seiner am 01.06.2001 beim Arbeitsgericht Kaiserlautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - eingereichten Klage machte der Kläger die nicht bezahlte hälftige Jahressonderzahlung geltend.

Der Kläger hat vorgetragen:

Der Betriebsvereinbarung könne keine rückwirkende Kraft beigelegt werden. Solle eine Betriebsvereinbarung rückwirkend für bereits fällig gewordene tarifvertragliche Ansprüche gelten, so sei in jedem Fall zu prüfen, ob einer solchen Rückwirkung der Vertrauensschutz der Normunterworfenen entgegenstehe. Im Fall der rückwirkenden Änderung tarifvertraglicher Regelungen seien die gleichen Grundsätze wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rückwirkung von Gesetzen anzuwenden. Danach sei der Normunterworfene nur dann nicht schutzwürdig, wenn er im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Norm mit einer Regelung habe rechnen müssen, nach der seine Ansprüche außer Kraft gesetzt werden könnten. Bei der Auszahlung der hälftigen Sonderzahlung im Monat November 2000 sei allen Beschäftigten zugesichert worden, dass die weiteren 50 % der Sonderzahlung bis Ende März 2001 abzurechnen und auszuzahlen seien. Noch mit Schreiben vom 14.03.2001 habe die Industriegewerkschaft Medien den Beschäftigten mitgeteilt, diese hätten auf die Jahresleistung in voller Höhe einen Rechtsanspruch.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.901,-- DM brutto nebst 5 % Punkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatzüberleitungsgesetzes seit 31.12.2000 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen:

Ein besonderer Vertrauenstatbestand sei nicht geschaffen worden. Bereits anlässlich einer Betriebsversammlung am 30.11.2000 sei den Mitarbeitern erklärt worden, dass, wenn überhaupt, nur 50 % der Gratifikation gezahlt werden könnten. Die Information der IG-Medien vom 14.03.2001 behandle die Geltendmachung von Ansprüchen für den Fall, dass es zu einer Betriebsvereinbarung zur Kürzung der Jahressonderzahlung 2000 nicht kommen werde. Da es aber zu dieser Vereinbarung gekommen sei, seien die Überlegungen in diesem Schreiben gegenstandslos.

Es wurde Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin K Gewerkschaftssekretärin) und des Zeugen B (Betriebsratsvorsitzender). Mit Urteil vom 05.12.2001 hat das Arbeitsgericht Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - die Klage abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf das erstinstanzliche Urteil (Bl. 25 ff. d. A.) verwiesen.

Mit Schreiben vom 14.01.2002, eingegangen beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 14.01.2002, hat der Kläger gegen das ihm am 08.01.2002 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - Az.: 4 Ca 498 / 01 - Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 13.02.2002, eingegangen beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 13.02.2002, begründet.

Der Kläger trägt vor:

Die Aussagen der Zeugen seien widersprüchlich und enthielten insbesondere unterschiedliche Aussagen zum Zeitpunkt der Auszahlung der Jahressonderzahlung.

Der Geschäftsführer Herr W hätte keinesfalls darauf hingewiesen, dass weitere Zahlungen nicht möglich seien. Vielmehr habe er auf ausdrückliche Frage des Zeugen M erklärt, dass hinsichtlich der Sonderzahlung 2000 noch nichts entschieden sei. Noch im März 2001 hätte die Gewerkschaftssekretärin K erklärt, dass in einer am 18.02.2001 abgeschlossenen Betriebsvereinbarung kein Verzicht auf Teile der Jahresleistung 2000 vereinbart worden sei. Das Arbeitsgericht habe eine Entscheidung des BAG vom 10.08.1994 (BAG, 10.08.1994, DB 1994, 480) verkannt, wonach ein Eingriff in bereits fällige Ansprüche der Arbeitnehmer durch Betriebsvereinbarung unzulässig sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens -, AZ: 4 Ca 498/01, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 971,94 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des DÜG seit 31.12.2000 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor:

Auf der Betriebsversammlung vom 30.11.2000 habe der Geschäftsführer bekannt gegeben, dass die andauernd schlechte Lage des Unternehmens keine Sonderzahlung erlaube und dass man sich nach diesbezüglichen Verhandlungen mit dem Betriebsrat und der Gewerkschaft auf eine Zahlung von 50 % geeinigt habe Den Arbeitnehmern sei also vor dem Zahlungstermin am 10 12.2000 mitgeteilt worden, dass keine weitere Zahlung erfolgen werde.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.

A.

Die nach § 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthafte Berufung ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 516, 518 ZPO a.F. frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden.

B.

Das Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Klage ist zulässig.

Die Klage ist jedoch unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von 971,94 Euro brutto nebst Zinsen gem. § 8 Abs. 1 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie über die bereits geleistete hälftige Jahressonderzahlung für das Jahr 2000 hinaus.

Der zugunsten des Klägers gem. § 8 Abs. 1 des Manteltarifvertrages entstandene Anspruch auf die volle Jahressonderzahlung für das Jahr 2000 konnte aufgrund der zwischen dem Betriebsrat und der Geschäftsführung der F B GmbH abgeschlossenen Betriebsvereinbarung 01/00 vom 06.05.2001 i.V.m. § 8 Abs. 4 des Manteltarifvertrages rückwirkend um 50 % vermindert werden.

1. Die Voraussetzungen der Härtefallklausel gem. § 8 Abs. 4 des Manteltarifvertrages liegen vor. Die Minderung des Anspruchs auf die Jahressonderzahlung erfolgte mittels einer zwischen den Betriebspartnern abgeschlossenen Betriebsvereinbarung. Die Tarifvertragsparteien wurden an den Verhandlungen beteiligt und haben der Vereinbarung zugestimmt.

2. Eine rückwirkende Herabsetzung der bereits entstandenen Ansprüche auf die Jahressonderzahlung war hier zulässig.

Zwar handelt es sich um einen Fall der echten Rückwirkung einer Norm, da die Betriebsvereinbarung nachträglich ändernd in die bereits entstandenen und ab 15.12.2000 fällig gewordenen Ansprüche auf Jahressonderzahlung und damit in einen der Vergangenheit angehörenden Tatbestand eingreift.

Jedoch ist nach neuerer Auffassung des Bundesarbeitsgerichts auch bei bereits entstandenen und fällig gewordenen, aber noch nicht abgewickelten Ansprüchen -sog. wohlerworbenen Rechten - eine rückwirkende Herabsetzung zulässig (so BAG, 23.11.1994, NZA 1995, 844 unter Aufgabe von BAG, 28.09.1983, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Rückwirkung). Auch ein zugunsten des Arbeitnehmers bereits entstandener Anspruch, der aus einer kollektiven Norm erwachsen ist, trägt die Schwäche in sich, in den durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes gezogenen Grenzen zum Nachteil des Arbeitnehmers rückwirkend geändert zu werden (BAG, 23.11.1994, a.a.O.).

Die Befugnis zur normativen Ordnung der vertraglichen Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber hat der Gesetzgeber den Tarifvertragsparteien übertragen, weil er davon ausgeht, dass sie in der Lage sind, die Belange der dieser Sonderrechtsordnung Unterworfenen zu wahren. Es ist kein Grund ersichtlich, diese Befugnis der Tarifvertragsparteien dadurch zu beschränken, indem man ihnen die Kontrolle der Anpassung ihrer Sonderrechtsordnung an die weitere Entwicklung entzieht. Ein aus einer Tarifnorm erwachsener Anspruch, etwa auf Lohn - oder wie hier auf eine Jahressonderzahlung -, gehört zu der von Tarifvertragsparteien regelbaren Materie der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Die Legitimation für den rückwirkenden Eingriff in aus einer Tarifnorm entstandene Ansprüche haben die Tarifgebundenen den Tarifvertragsparteien durch ihre Mitgliedschaft übertragen (BAG, 23.11.1994, a.a.O.).

Kann somit ein bereits entstandener tarifvertraglicher Anspruch durch rückwirkende tarifvertragliche Regelung herabgesetzt werden, kann nichts anderes gelten, wenn - wie hier - eine tarifvertragliche Öffnungsklausel die Anpassung des tarifvertraglichen Anspruchs auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung vorsieht und eine solche Betriebsvereinbarung mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien dann rückwirkend den bereits entstandenen tarifvertraglichen Anspruch mindert.

Hierfür spricht auch, dass nach einer Entscheidung des BAG vom 20.04.1999 (BAG, 20.04.1999, NZA 1999, 1059) die zuständigen Tarifvertragsparteien eine Betriebsvereinbarung auch rückwirkend durch eine nachträglich geschaffene Tariföffnungsklausel genehmigen können.

3. Der rückwirkenden Herabsetzung bereits entstandener Ansprüche sind jedoch diejenigen Grenzen gezogen, die für die echte Rückwirkung von Gesetzen gelten (BAG, 23.11.1994, a.a.O., zur rückwirkenden Änderung tarifvertraglicher Regelungen durch Tarifvertrag; BAG, 10.08.1994, NZA 1995, 314, zur Abänderung schon entstandener Ansprüche aus Betriebsvereinbarung durch eine ablösende neue Betriebsvereinbarung; BAG, 20.04.1999, a.a.O., zur rückwirkenden Genehmigung einer Betriebsvereinbarung durch die Tarifvertragsparteien).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine verschlechternde Rückwirkung grundsätzlich unzulässig, da sie gegen das aus dem Rechtsstaatsgrundsatz des Art. 20 GG abgeleitete Prinzip des Vertrauensschutzes verstößt. Ein Vertrauenstatbestand auf Seiten des Normunterworfenen liegt aber ausnahmsweise dann nicht vor, bzw. das Vertrauen eines Normunterworfenen ist dann nicht schutzwürdig, wenn er im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Norm mit einer Regelung rechnen musste, das geltende Recht unklar und verworren war, der Normunterworfene sich aus anderen Gründen nicht auf den Rechtsschein verlassen durfte oder wenn zwingende Gründe des Gemeinwohls für eine Rückwirkung bestehen (BVerfG, 04.05.1960, BVerfGE 11, 64; BVerfG, 16.11.1965, AP Nr. 4 zu Art. 20 GG; Wiedemann, Tarifvertragsgesetz, 6. Aufl., § 4 Rz 244).

Ein Vertrauenstatbestand lag hier nicht vor, da die Arbeitnehmer des Betriebes spätestens seit der Betriebsversammlung vom 30.11.2000 mit einer Herabsetzung der am 15.12.2000 fällig werdenden Jahressonderzahlung rechnen mussten. Ebenso wie bei der Rückwirkung von Gesetzen kommt es für den Wegfall des Vertrauensschutzes nicht auf die Kenntnis jedes einzelnen von der Änderung der bisherigen Rechtslage an. Entscheidend und ausreichend ist vielmehr die Kenntnis der betroffenen Kreise (BAG, 23.11.1994, NZA 1995, 844). Der Kläger selbst trägt insofern vor, der Geschäftsführer der Beklagten, Herr Dr. W, habe anlässlich der Betriebsversammlung vom 30.11.2000 auf die ausdrückliche Frage des Zeugen M erklärt, dass hinsichtlich der Sonderzahlung noch nichts entschieden sei. Die in dieser Mitteilung zum Ausdruck kommende Unsicherheit, auch im Zusammenhang mit der allgemeinen Information über die betriebliche Situation der Beklagten, war ausreichend, um ein Vertrauen der Arbeitnehmer auf den Bestand des Anspruchs auszuschließen. Hierfür bedarf es entgegen der Ansicht des Klägers nicht des ausdrücklichen Hinweises seitens der Beklagten, dass weitere Zahlungen definitiv nicht geleistet werden.

Damit war die rückwirkende Herabsetzung der Jahressonderzahlung wirksam.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1 ZPO, § 64 Abs. 6 ArbGG.

D.

Die Revision konnte nicht zugelassen werden, da keine der gesetzlichen Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG vorlag.

Ende der Entscheidung

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