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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 12.07.2006
Aktenzeichen: 10 Sa 121/06
Rechtsgebiete: ArbGG, KSchG


Vorschriften:

ArbGG § 69 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 10 Sa 121/06

Entscheidung vom 12.07.2006

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 24.11.2005, Az.: 7 Ca 839/05, wie folgt teilweise abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 17.03.2005 zum 30.06.2005 aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens, längstens jedoch bis zum 30.06.2006, zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Staplerfahrer weiterzubeschäftigen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Die Beklagte hat 9/10 und der Kläger 1/10 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Der am 09.02.1962 geborene, ledige Kläger war bei der Beklagten seit dem 26.06.1995 als Gabelstaplerfahrer beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 17.03.2005 ordentlich zum 30.06.2005. Darüber hinaus sprach die Beklagte gegenüber weiteren 19 Arbeitnehmern, die bei ihr als Gabelstaplerfahrer tätig waren, ordentliche Kündigungen aus.

Bei Durchführung der Sozialauswahl richtete sich die Beklagte nach einem mit dem Betriebsrat vereinbarten Punkteschema, in welchem das Lebensalter, die Unterhaltsverpflichtungen, die Dauer der Betriebszugehörigkeit sowie eine etwaige Schwerbehinderung des Arbeitnehmers Berücksichtigung finden. Wegen der Ausgestaltung dieses Punkteschemas im Einzelnen wird auf die Seiten 10 und 11 des Schriftsatzes der Beklagten vom 29.07.2005 (= Blatt 29 und 30 d.A.) Bezug genommen. In Anwendung dieses Punkteschemas bewertete die Beklagte die Sozialdaten des Klägers mit insgesamt 11 Punkten, wobei sie hinsichtlich des Kriteriums "Unterhaltsberechtigte" keine Punkte zugunsten des Klägers in Ansatz brachte. Die Lohnsteuerkarte des Klägers enthält keine Eintragungen, die auf das Bestehen von Unterhaltsverpflichtungen hinweisen. Die höchste Punktzahl der - zusammen mit dem Kläger - im Bereich "Gabelstaplerfahrer" insgesamt gekündigten 20 Arbeitnehmer beträgt 13. Gabelstaplerfahrer, die nach den Berechnungen der Beklagten 14 oder mehr Punkte erreichten, wurden nicht gekündigt.

Mit seiner am 04.04.2005 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage wendet sich der Kläger gegen die ihm mit Schreiben vom 17.03.2005 ausgesprochene Kündigung.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 17.03.2005 nicht beendet ist;

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, ihn zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Gabelstaplerfahrer weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 24.11.2005 (Blatt 90 - 97 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 24.11.2005 stattgegeben. Hinsichtlich der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 10 - 18 dieses Urteils (= Blatt 97 - 105 d.A.) verwiesen.

Gegen das ihr am 25.01.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 08.02.2006 Berufung eingelegt und diese innerhalb der ihr mit Beschluss vom 08.03.2006 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 10.04.2006 begründet.

Die Beklagte macht in Ergänzung ihres erstinstanzlichen Sachvortrages im Wesentlichen geltend, die Kündigung sei - entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts - durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG bedingt und auch nicht nach § 1 Abs. 3 KSchG infolge fehlerhafter Sozialauswahl unwirksam. Einer tatsächlichen Weiterbeschäftigung des Klägers stehe der Umstand entgegen, dass dessen Arbeitserlaubnis, ausgestellt durch die zuständige Agentur für Arbeit, auslaufe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 24.11.2005 - Az.: 7 Ca 842/05 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das mit der Berufung angefochtene Urteil und macht darüber hinaus geltend, die von der Beklagten getroffene Sozialauswahl sei bereits deshalb fehlerhaft, weil die Beklagte in Bezug auf seine Unterhaltsverpflichtungen von falschen Voraussetzungen ausgegangen sei. Er sei nämlich - was die Beklagte nicht bestreitet - gegenüber zwei Kindern (geboren am 07.10.2000 und am 08.10.2004) zum Unterhalt verpflichtet. Der Umstand, dass seine Kinder nicht auf seiner Lohnsteuerkarte eingetragen seien, beruhe darauf, dass sie bei ihrer Mutter in Luxemburg lebten. Er erbringe für die beiden Kinder - was die Beklagte ebenfalls nicht bestreitet - auch tatsächlich Unterhaltsleistungen. Die Beklagte könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, sie habe von diesen Unterhaltsverpflichtungen nichts gewusst. Diese seien nämlich jedenfalls seinem Vorgesetzen, dem Lagerleiter, bekannt gewesen. Dessen Kenntnis müsse sich die Beklagte zurechnen lassen. Die Beklagte sei auch nicht aus rechtlichen Gründen gehindert, ihn weiterzubeschäftigen. Seine Arbeitserlaubnis sei bis zum 30.06.2006 verlängert worden (dies ist zwischen den Parteien unstreitig) und könne auch darüber hinaus verlängert werden.

Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründungsschrift der Beklagten vom 07.04.2006 (Blatt 145 - 154 d.A.) sowie auf die Berufungserwiderungsschrift des Klägers vom 18.05.2006 (Blatt 166 - 171 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch nur zu einem geringen Teil Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat im angefochtenen Urteil zu Recht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die streitbefangene ordentliche Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Dabei kann jedoch offen bleiben, ob sich die Kündigung bereits in Ermangelung dringender betrieblicher Erfordernisse i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG als sozial ungerechtfertigt erweist. Die Kündigung ist nämlich jedenfalls nach § 1 Abs. 3 KSchG wegen fehlerhafter Sozialauswahl sozial ungerechtfertigt.

Nach § 1 Abs. 3 KSchG sind im Rahmen der Sozialauswahl die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die (etwaige) Schwerbehinderung des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Insoweit bestehen vorliegend keinerlei Bedenken hinsichtlich des von der Beklagten im Rahmen der Sozialauswahl angewendeten, mit dem Betriebsrat vereinbarten Punkteschemas, in welchem diese Sozialdaten berücksichtigt und angemessen gewichtet sind. Bei korrekter Anwendung dieses Schemas erreicht der Kläger jedoch nicht - wovon die Beklagte im Sozialauswahlverfahren ausgegangen ist - lediglich 11 sondern insgesamt 17 Punkte. Dies ergibt sich daraus, dass der Kläger unstreitig gegenüber zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet ist, was nach dem betreffenden Punkteschema mit insgesamt 6 Punkten zugunsten des Klägers zu berücksichtigen ist. Bei einer Punktezahl von 17 fällt der Kläger zweifellos nicht mehr unter den zu kündigenden Personenkreis. Die Beklagte hat ausweislich ihres eigenen Sachvortrages lediglich Gabelstaplerfahrer entlassen, die 13 Sozialpunkte oder weniger erreichten. Insgesamt 13 Staplerfahrer verfügen ausweislich der von der Beklagten als Anlage zum Schriftsatz vom 29.07.2005 vorgelegten Tabelle zwar über mehr als 13 aber weniger als 17 Sozialpunkte. Damit steht fest, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers bei richtiger Anwendung der betreffenden Auswahlrichtlinien nicht zu kündigen war.

Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, die Unterhaltsverpflichtungen des Klägers seien ihr bei Kündigungsausspruch unbekannt gewesen, da diese nicht aus den Eintragungen auf der ihr vorgelegten Lohnsteuerkarte ersichtlich seien. Der Arbeitgeber darf sich nämlich hinsichtlich der tatsächlich zu erbringenden gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen des Arbeitnehmers nicht auf die Angaben in der Lohnsteuerkarte verlassen, da diese oftmals nicht die tatsächlichen Verhältnisse richtig wiedergeben. Dies gilt beispielsweise für Unterhaltsansprüche des geschiedenen Ehepartners, die auf der Lohnsteuerkarte nicht erkennbar sind. Der Arbeitgeber ist daher zur Vermeidung von Fehlern bei Durchführung der Sozialauswahl gehalten, die vergleichbaren Arbeitnehmer nach bestehenden Unterhaltsverpflichtungen zu befragen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 08.03.2002 - 8 Sa 1450/01 -; LAG Hamm v. 29.05.1985 - 2 Sa 560/85 -; LAG Düsseldorf v. 04.11.2004 - 11 Sa 957/04 -; Ascheid/Preis/Schmidt, Komm. zum Kündigungsrecht, § 1 KSchG Rz. 725 m.w.N.).

Die Klage auf tatsächliche Weiterbeschäftigung ist jedoch nur für die Zeit bis zum 30.06.2006 begründet.

Zwar hat der Arbeitnehmer bereits dann einen Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung bis zum Abschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits, wenn - wie vorliegend - ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Instanzurteil ergeht und keine besonderen Umstände vorliegen, die ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers begründen, den Arbeitnehmer nicht weiterzubeschäftigen (BAG vom 27.02.1985, EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 9). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Arbeitnehmer aus rechtlichen Gründen daran gehindert ist, den Arbeitnehmer zu beschäftigen. In diesem Fall liegen zugleich besondere Umstände vor, die ein überwiegendes, dem Weiterbeschäftigungsanspruch entgegenstehendes Interesse des Arbeitgebers begründen. Im Streitfall läuft die dem Kläger erteilte Arbeitserlaubnis unstreitig zum 30.06.2006 aus. Nach diesem Zeitpunkt ist die Beklagte bis zur Neuerteilung der Arbeitserlaubnis aus rechtlichen Gründen an einer Beschäftigung des Klägers gehindert. Ob und ggfls. wann dem Kläger eine neue Arbeitserlaubnis erteilt wird, war zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht absehbar. Der Weiterbeschäftigungsantrag war daher insoweit abzuweisen, als er sich auf einen Zeitraum nach dem 30.06.2006 erstreckt.

Nach alledem war das erstinstanzliche Urteil geringfügig abzuändern. Im Übrigen unterlag die Berufung der Beklagten der Zurückweisung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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