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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 11.02.2004
Aktenzeichen: 10 Sa 1395/03
Rechtsgebiete: ArbGG, KSchG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 69 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 1
KSchG § 1 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 2 Satz 1
KSchG § 4
ZPO § 447
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 10 Sa 1395/03

Verkündet am: 11.02.2004

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 25.09.2003, AZ: 6 Ca 1236/02, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Der 1950 geborene Kläger war bei der Beklagten seit dem 01.11.1975 als Dachdecker beschäftigt. Die Beklagte beschäftigte in der Regel mehr als fünf Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden.

Mit Schreiben vom 18.10.2002, welches dem Kläger am 21.10.2002 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich mit der Begründung, sie habe beschlossen, ihre Geschäftstätigkeit nach Beendigung der noch ausstehenden Restarbeiten einzustellen. Gegen diese Kündigung richtet sich die vom Kläger am 11.11.2002 beim Arbeitsgericht eingereichte Kündigungsschutzklage.

Der Kläger hat erstinstanzlich bestritten, dass seitens der Beklagten vor Kündigungsausspruch der Beschluss gefasst worden sei, den Betrieb einzustellen und keine neuen Aufträge mehr anzunehmen. Diesbezüglich hat der Kläger desweiteren im Wesentlichen vorgetragen, die Beklagte habe noch im Februar und März 2003 Angebote bzw. Kostenvoranschläge erstellt. Einer Stilllegungsabsicht stehe auch entgegen, dass die Beklagte im Jahr 2003 noch Werbeinserate geschaltet habe.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Arbeitgeberkündigung vom 18.10.2002 nicht beendet worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, aufgrund ihrer verheerenden wirtschaftlichen Situation könne sie ihre Geschäftstätigkeit nicht mehr fortführen. Der Geschäftsführer habe deshalb vor Kündigungsausspruch den Entschluss gefasst, den Betrieb einzustellen. Dementsprechend habe sie -die Beklagte - keine Neuaufträge mehr angenommen und sich nicht mehr an Ausschreibungen beteiligt. Vor Kündigungsausspruch sei auch beschlossen worden, der gesamten Belegschaft zum nächsten Kündigungstermin zu kündigen, vor Abarbeitung der Aufträge die vorhandenen Arbeitnehmer nur noch während ihrer jeweiligen Kündigungsfrist einzusetzen und so den Betrieb schnellstmöglich stillzulegen.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen B M und E B . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 25.09.2003 (Bl. 41-43 d. A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 25.09.2003 stattgegeben. Hinsichtlich der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5 und 6 dieses Urteils (= Bl. 53 und 54 d. A.) verwiesen.

Gegen das ihr am 23.10.2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 07.11.2003 Berufung beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingelegt und diese zugleich begründet.

Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts habe die erstinstanzlich durchgeführte Beweisaufnahme nicht ergeben, dass sie noch im Januar und Februar 2003 Kostenvoranschläge erstellt habe. Im Übrigen stehe die Erstellung von Kostenvoranschlägen nicht der Richtigkeit der Behauptung entgegen, dass der Betrieb eingestellt worden sei, zumal der diesbezügliche Entschluss, wie sich aus der Gewerbeabmeldung zum 05.03.2003 (Bl. 34 d. A.) ergebe, auch tatsächlich umgesetzt worden sei.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das mit der Berufung angefochtene Urteil und trägt im Wesentlichen vor, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sowie im Hinblick auf die von der Beklagten geschalteten Werbeinserate stehe fest, dass die Beklagte den von ihr behaupteten Entschluss, den Betrieb stillzulegen, nicht umgesetzt habe.

Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 51-53 d. A.), auf die Berufungsbegründungsschrift der Beklagten vom 07.11.2003 (Bl. 68-71 d. A.) sowie auf die Berufungserwiderungsschrift des Klägers vom 09.01.2004 (Bl. 89-92 d. A.).

Entscheidungsgründe:

I.

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage vielmehr zu Recht stattgegeben.

II.

Die Kündigungsschutzklage ist begründet.

1.

Die persönlichen und betrieblichen Voraussetzungen des Kündigungsschutzanspruches des Klägers (Wartezeit, Anzahl der Beschäftigten gemäß den §§ 1 Abs. 1 und 23 Abs. 1 KSchG) sind unstreitig erfüllt. Der Kläger hat auch fristgerecht i. S. des § 4 KSchG seine Klage erhoben.

2.

Die streitgegenständliche Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam, denn sie ist nicht durch Gründe der in § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bezeichneten Art bedingt. Zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs waren die vom Gesetz verlangten "dringenden betrieblichen Erfordernisse", die den Ausspruch der streitbefangenen Kündigung hätten rechtfertigen können, nicht gegeben.

Betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG können sich aus innerbetrieblichen Umständen (Unternehmerentscheidungen wie z. B. Rationalisierungsmaßnahmen, Umstellung oder Einschränkung der Produktion) oder durch außerbetriebliche Gründe (z. B. Auftragsmangel oder Umsatzrückgang) ergeben. Diese betrieblichen Erfordernisse müssen "dringend" sein und eine Kündigung im Interesse des Betriebes notwendig machen (vgl. BAG, AP Nr. 103 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist derjenige des Kündigungszuganges (vgl. BAG, AP Nr. 24 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Grundsätzlich muss zu diesem Zeitpunkt der Kündigungsgrund - Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit - vorliegen. In Fällen, in denen zwar bei Zugang der Kündigung noch die Möglichkeit der Beschäftigung besteht, aber die für den künftigen Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses maßgeblichen Entscheidungen bereits getroffen sind, kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer bis zum Kündigungstermin voraussichtlich entbehrt werden kann. Davon ist auszugehen, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung aufgrund einer vernünftigen, betriebswirtschaftlichen Betrachtung zu erwarten ist, zum Zeitpunkt des Kündigungstermins werde mit einiger Sicherheit der Eintritt des die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes gegeben sein (vgl. BAG, AP Nr. 43 zu § 111 BetrVG 1972). Die der Prognose zugrunde liegende Entscheidung muss aber bereits gefallen sein.

Entsprechendes gilt bei der Betriebsstilllegung. Die Stilllegung des gesamten Betriebes durch den Arbeitgeber gehört zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen i. S. v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, die einen Grund zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung abgeben können. Unter Betriebsstilllegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und zugleich ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die Weiterverfolgung des bisherigen Betriebszwecks dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne aufzuheben. Der Arbeitgeber ist jedoch nicht gehalten, eine Kündigung erst nach Durchführung der Stilllegung auszusprechen. Neben der Kündigung wegen erfolgter Stilllegung kommt auch eine Kündigung wegen beabsichtigter Stilllegung in Betracht. Wird die Kündigung auf die künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, so kann sie ausgesprochen werden, wenn die betrieblichen Umstände greifbare Formen angenommen haben und eine vernünftige, betriebswirtschaftliche Betrachtung die Prognose rechtfertigt, dass bis zum Auslaufen der einzuhaltenden Kündigungsfrist eine geplante Maßnahme durchgeführt ist und der Arbeitnehmer somit entbehrt werden kann (vgl. BAG, AP Nr. 53 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung).

Will der Arbeitgeber als betriebsbedingten Kündigungsgrund seinen Entschluss zur Betriebsstilllegung anführen und ist bestritten, dass dieser Stilllegungsbeschluss im Kündigungszeitpunkt gefasst gewesen sei, so muss er substantiiert darlegen, dass und zu welchem Zeitpunkt er diejenigen organisatorischen Maßnahmen, die sich rechtlich als Betriebsstilllegung darstellen, geplant hat. Hierzu gehören neben der vollständigen Aufgabe des Betriebszwecks die Einstellung der Betriebstätigkeit sowie die Auflösung der Betriebseineinheit von materiellen, immateriellen und personellen Mitteln (vgl. BAG, AP Nr. 53 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung).

Bei Anwendung dieser Grundsätze ist das Vorliegen eines dringenden betrieblichen Erfordernisses i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG in dem für die Beurteilung der sozialen Rechtfertigung maßgeblichen Zeitpunkt ihres Ausspruchs im Streitfall zu verneinen.

Die Beklagte hat zwar vorgetragen, ihr Geschäftsführer habe vor Ausspruch der Kündigung den Entschluss gefasst, den Betrieb einzustellen. Hinsichtlich dieser, vom Kläger bestrittenen Behauptung ist die Beklagte jedoch beweisfällig geblieben. Soweit die Beklagte (bereits erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 02.04.2003, dort Seite 2 = Bl. 32 d. A.) Beweis für die behauptete Beschlussfassung vor Kündigungsausspruch durch Vernehmung ihres Geschäftsführers angeboten hat, so stand der Erhebung dieses Beweises gemäß § 447 ZPO das fehlende Einverständnis des Klägers entgegen. Dieser hat in der mündlichen Verhandlung vom 11.02.2004 ausdrücklich erklärt, dass er ein Einverständnis zur Vernehmung des Geschäftsführers der Beklagten nach § 447 ZPO nicht erteile.

Die Beklagte hat auch nicht substantiiert dargetan, welche konkreten organisatorischen Maßnahmen, die sich rechtlich als Betriebsstilllegung darstellen, bereits im Zeitpunkt des Kündigungsausspruches ausgeführt, in die Wege geleitet oder zumindest zu einem bestimmten Zeitpunkt geplant war. Zwar hat sie mit Schriftsatz vom 02.04.2003 vorgetragen, sie habe "keine Neuaufträge mehr angenommen", dieses Vorbringen erweist sich jedoch insoweit als unsubstantiiert, als sich aus ihm nicht entnehmen lässt, ab welchem konkreten Zeitpunkt die Beklagte keine Aufträge mehr angenommen hat, d. h. ob insbesondere bereits bei Kündigungsausspruch eine unternehmerische Entscheidung hinsichtlich der Nichtannahme neuer Aufträge durchgeführt oder zumindest konkret gefasst war. Der Annahme, die Beklagte habe bereits bei Kündigungsausspruch den Entschluss gefasst, keine neuen Aufträge mehr anzunehmen, steht auch das Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme entgegen. So hat die Zeugin M ausgesagt, dass der Geschäftsführer der Beklagten ihr Anfang des Jahres 2003 zwar keinen Kostenvoranschlag unterbreitet jedoch nach Inaugenscheinnahme des betreffenden Hauses sinngemäß erklärt habe, er könne die vorgesehenen Arbeiten zu einem späteren Zeitpunkt ausführen. Darüber hinaus hat die Zeugin B bei ihrer Vernehmung bekundet, dass sie noch am 19.02.2003 einen Kostenvoranschlag von der Beklagten erhalten hat. Soweit die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung behauptet hat, der Geschäftsführer der Beklagten habe es versäumt, die zuständige Mitarbeiterin darauf hinzuweisen, dass der Kostenvoranschlag auf "neutralem Papier" erstellt werden sollte, so erweist sich dieses Vorbringen als unerheblich. Auf dem diesbezüglichen Sachvortrag der Beklagten ergibt sich nämlich bereits nicht, dass ihr Geschäftsführer der Zeugin B gegenüber nicht als Vertreter der Beklagten aufgetreten ist. Soweit das Vorbringen der Beklagten darauf abzielen sollte, dass ihr Geschäftsführer im Februar 2003 bereits für ein anderes Unternehmen tätig gewesen und nach außen hin aufgetreten sei, so erweist sich dieser Sachvortrag in Ermangelung konkreter Angaben als unsubstantiiert Die Beklagte hat letztlich auch noch im Ortsblatt A-Stadt-Land in der Woche 06/2003 (Bl. 27 d. A.) sowie in der Ausgabe XX/2003 (Bl. 38 d. A.) Werbeinserate geschaltet. Soweit die Beklagte diesbezüglich vorträgt, diese Inserate beruhten auf einem Informationsversehen der zuständigen Mitarbeiterin, da die betreffende Werbung für ein anderes Unternehmen (Fa. St und W B GdbR) hätte erfolgen sollen, so erweist sich dieses Vorbringen ebenfalls als unsubstantiiert. Es wäre insoweit Sache der Beklagten gewesen, zumindest im Einzelnen vorzutragen, durch welche konkreten Umstände, Ereignisse oder Missverständnisse es zu der angeblich nicht beabsichtigten Veröffentlichung der Inserate unter ihrer Firmenbezeichnung gekommen ist.

Soweit die Beklagte auf die zwischenzeitlich (05.03.2003) erfolgte Abmeldung ihres Gewerbes verweist, so lässt sich hieraus ebenfalls nicht herleiten, dass die Betriebsstilllegung bei Kündigungsausspruch bereits greifbare Formen angenommen hatte. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die der Abmeldung zugrunde liegende Anzeige der Betriebsaufgabe (Bl. 34 d. A.) vom 27.02.2003 datiert und somit erst ca. 4 Monate nach Kündigungsausspruch erfolgte.

Nach alledem kann nicht davon ausgegangen werden, dass bei Kündigungsausspruch eine auf eine Betriebsstilllegung gerichtete unternehmerische Entscheidung der Beklagten bereits greifbare Formen angenommen hatte und eine vernünftige betriebswirtschaftliche Betrachtung die Prognose rechtfertigte, dass der Kläger spätestens bei Ablauf seiner Kündigungsfrist entbehrt werden konnte.

III.

Nach alledem war die Berufung der Beklagten mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung.

Ende der Entscheidung

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