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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 13.12.2007
Aktenzeichen: 10 Sa 380/07
Rechtsgebiete: ArbGG, KSchG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 66 Abs. 1
ArbGG § 69 Abs. 2
KSchG § 1
ZPO § 517
ZPO § 519
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 27. März 2007, Az.: 8 Ca 2414/06, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 21.09.2006 zum 28.02.2007.

Der am 27.05.1956 geborene Kläger, der keine Unterhaltspflichten hat, ist seit dem 01.01.1994 in der Prüfstelle der Beklagten in Koblenz zunächst als Kfz-Meister, seit 2001 als amtlich anerkannter Prüfer zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt € 3.906,12 beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt über 100 Arbeitnehmer; es besteht ein Betriebsrat.

Mit Schreiben vom 21.09.2006, das dem Kläger am 26.09.2006 zugegangen ist, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit einer Kündigungsfrist von fünf Monaten zum Monatsende zum 28.02.2007. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 12.10.2006 beim Arbeitsgericht Koblenz eingegangenen Klage.

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird von einer nochmaligen Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen Parteivorbringens gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf die Zusammenfassung des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 27.03.2007 (dort Seite 3-7 = Bl. 81-85 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 21.09.2006 beendet worden ist,

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat mit Urteil vom 27.03.2007 (Bl. 79 ff. d. A.) der Klage stattgegeben. Zur Begründung dieser Entscheidung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die ordentliche Kündigung sei gemäß § 1 KSchG nicht aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt, weil es an einer einschlägigen Abmahnung fehle. Ob das dem Kläger vorgeworfene Fehlverhalten tatsächlich so stattgefunden habe, könne deshalb letztlich dahinstehen.

Die Abmahnungen der Beklagten vom 20.09.2000 (Bl. 23-24 d. A.) und vom 01.12.2003 (Bl. 25-26 d. A.), die beide den Vorwurf enthalten, das Verhalten des Klägers entspreche nicht den "Grundsätzen des freundlichen Auftretens", seien inhaltlich zu unbestimmt und deshalb unwirksam. Es sei nicht ersichtlich, worin konkret das unfreundliche Verhalten des Klägers zu sehen sei. Im Übrigen seien diese Abmahnungen für das der Kündigung zugrunde liegende Fehlverhalten des Klägers, nämlich angebliche Schlechtleistungen, nicht einschlägig.

Die dritte Abmahnung vom 04.07.2005 (Bl. 30-31 d. A.) sei zwar hinreichend bestimmt. Die Beklagte habe den Vorwurf des unhöflichen Verhaltens konkretisiert, indem sie unter anderem auf die fehlende Begrüßung des Kunden verwiesen habe. Sie habe in dieser Abmahnung außerdem gerügt, dass der Kläger den VW-Golf eines Kunden (Erstzulassung 7/91, 330.000 km Laufleistung) anlässlich der Abgasuntersuchung am 01.06.2005 "mutwillig wie einen Rennwagen im Stand mehrmals im Leerlauf bis auf nahezu 5.000 U/min hochgejubelt" habe.

Anlass der Kündigung sei auch eine vergleichbare Vertragspflichtverletzung gewesen, weil der Kläger bei der Abgasuntersuchung des BMW-Motorrades eines Kunden (mit G-Kat, 4 Jahre alt, 6.000 km Laufleistung) am 24.04.2006 die Prüfregeln nicht beachtet, weil er mehrmals Gas gegeben habe. Der Kläger habe eingeräumt, dass er die Abgasuntersuchung des BMW-Motorrades nach neustem Stand im Leerlauf hätte vornehmen müssen und dies vom Hersteller autorisiert gewesen sei.

Diese Pflichtverletzung - mehrmaliges hochtouriges Laufenlassen eines Motors, ohne dass ein weiterer wirtschaftlicher Schaden entstehe - sei aber nicht so gravierend, dass die Beklagte bereits bei der ersten Wiederholung eine Kündigung hätte in Betracht ziehen dürfen. Hier seien in der Regel zwei bis drei Abmahnungen erforderlich, um dem Arbeitnehmer deutlich vor Augen zu führen, dass selbst geringfügige Pflichtverstöße den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährden können. Zu beachten sei insbesondere auch, dass ein unmittelbarer wirtschaftlicher Schaden durch den Betrieb des Motorrades bei erhöhter Drehzahl nicht entstanden sei und dass das letzte abgemahnte einschlägige Fehlverhalten ("Hochjubeln" des Pkw-Motors am 01.06.2005) fast ein Jahr zurückgelegen habe.

Die weiteren - zum Teil bestrittenen - Pflichtverletzungen (Beschädigung der Getriebebrücke eines Pkw beim Anheben zur Prüfung der Vorderachse am 20.03.2006, unzutreffende Bewertung des Zustandes der Bremsscheiben und Bremsbeläge eines Pkw am 03.05.2006, Lackbeschädigung an einem Vespa-Roller am 10.07.2006 durch Abschmirgeln mit Schleifpapier, Rücksprache mit einem unzuständigen Mitarbeiter) seien ihrer Art nach so verschieden von dem abgemahnten Fehlverhalten (unfreundliches Auftreten gegenüber Kunden, hochtouriger Betrieb eines Pkw), dass sie die negative Prognose der Abmahnung vom 04.07.2005 nicht bestätigten. Schließlich habe die Beklagte auch nicht wirksam mehrere verschiedene Störkomplexe abgemahnt, die auf eine Unzuverlässigkeit des Klägers insgesamt schließen ließen. Eine erneute Abmahnung sei auch nicht entbehrlich gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird auf Seite 8-12 des Urteils vom 27.03.2007 (= Bl. 86-90 d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte, der das Urteil am 16.05.2007 zugestellt worden ist, hat am 12.06.2007 Berufung zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese innerhalb der bis zum 16.08.2007 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 16.08.2007 begründet.

Die Beklagte ist der Ansicht, die Kündigung sei nicht mangels Abmahnung unwirksam. Sie habe den Kläger vielmehr mit ihrer Abmahnung vom 04.07.2005 einschlägig abgemahnt. Von den mehreren Pflichtverletzungen nach der Abmahnung, die sie als Grund für die Kündigung angeführt habe, sei nicht nur der hochtourige Betrieb des BMW-Motorrades bei der Abgasuntersuchung am 24.04.2006 zu berücksichtigen, sondern auch die Lackbeschädigung des Vespa-Rollers am 10.07.2006. In beiden Fällen gehe es um eine inakzeptable und unsachgemäße Behandlung des Eigentums eines Kunden. Das abgemahnte grundlose "Hochjubeln" des Motors des Kundenfahrzeugs verursache unnötigen Verschleiß und verbrauche unnötig Kraftstoff. Ob man in dem erhöhten grundlosen Verschleiß eine Beschädigung des Fahrzeugs sehen könne, spiele für die Gleichartigkeit der Pflichtverletzung keine Rolle. Die Gleichartigkeit liege darin, dass der Kläger das Eigentum der Kunden in beiden Fällen unsachgemäß und unangemessen behandelt habe. Bei der am 10.07.2006 durchgeführten Hauptuntersuchung des Vespa-Rollers (31 Jahre alter Oldtimer) hätte der Kläger, wenn die Fahrgestellnummer nicht lesbar gewesen sein sollte, diese im Einverständnis mit dem Kunden nur im Bereich der Fahrgestellnummer freischmirgeln dürfen. Stattdessen habe er den Lack des Fahrzeugs über den Bereich der Fahrgestellnummer hinaus handflächengroß mit dem Schleifpapier beschädigt. Auch soweit der Kläger die Beschädigung relativiere, indem er einen Bereich von etwa sechs Zentimetern angebe, bliebe es bei einer Sachbeschädigung, weil er lediglich vorsichtig über die Ziffern hätte schmirgeln dürfen. Darüber hinaus habe der Kollege des Klägers, der die Prüfung zu Ende geführt habe, die Fahrgestellnummer - unstreitig - ablesen können. Dies habe entgegen der Darstellung des Klägers nicht daran gelegen, dass er die Nummer freigeschmirgelt habe. Vielmehr habe der Kollege die Untersuchung des Rollers übernommen, nachdem der Kläger sich auch nach dem Schmirgeln nicht in der Lage gesehen habe, die Fahrgestellnummer abzulesen. Der Umstand, dass es dem Kläger auch nach dem Schmirgeln nicht möglich gewesen sei, die Fahrgestellnummer abzulesen, während sie sein Kollege habe lesen können, spreche dafür, dass die Nummer auch vor dem Schmirgeln lesbar gewesen sei. Es entspreche auch nicht der Lebenserfahrung, dass eine Fahrgestellnummer nach vielen Jahren, in denen sie offenbar lesbar gewesen sei, irgendwann freigeschmirgelt werden müsse. Gröbere Verunreinigungen hätten auch auf anderem Weg schonend entfernt werden können. Auch der vom Kläger angeführte Wechsel des Fahrgestells mache es nicht plausibel, dass die Nummer nur durch Freischmirgeln habe lesbar gemacht werden können. Der Kläger habe die Fahrgestellnummer vielmehr nicht lesen "können wollen".

Sowohl das abgemahnte "Hochjubeln" des Kundenfahrzeugs als auch das Abschmirgeln des Lacks des Vespa-Rollers stellten eine unsachgemäße Behandlung des Eigentums der Kunden dar, wobei das Abschmirgeln des Lacks als vorsätzliche Sachbeschädigung einzustufen sei.

Sie werfe dem Kläger bei der Abgasuntersuchung des BMW-Motorrades am 24.04.2006 nicht vor, dass er den Motor entsprechend vorliegender Prüfanweisungen bei konstant 2.000 bis 3.000 Umdrehungen pro Minute auf sein Abgasverhalten überprüft habe. Vielmehr habe er das Motorrad weder im Leerlauf noch bei konstant erhöhter Drehzahl, sondern unter mehrfachem Gasgeben auf seine Abgaswerte untersucht, obwohl dies zu einem fehlerhaften Ergebnis führe, weil sich die Schadstoffwerte im Abgas erhöhten. Der Kläger habe dem Kunden erklärt, dass die Werte nicht in Ordnung seien und seiner Meinung nach der Katalysator defekt sei. Der Kunde sei deshalb zu seiner BMW-Werkstatt gefahren. Dort sei das Motorrad auf das Abgasverhalten geprüft und festgestellt worden, dass die Werte in Ordnung seien. Daraufhin sei der Kunde zur Prüfstelle zurückgekehrt und habe dies dem Kläger mitgeteilt. Der Kläger habe sich dann mit einem Kollegen beraten und dem Kunden erklärt, dass er die Plakette anbringen werde. Er habe den Kunden aufgefordert, eine Nachprüfungsgebühr von € 20,00 zu zahlen und von der Erhebung dieser Gebühr erst nach Protest des Kunden, dass eine Nachprüfung nicht erbracht worden sei, abgesehen.

Der Kläger habe darüber hinaus am 20.03.2006 fahrlässig durch unsachgemäßes Anheben zur Prüfung der Vorderachse am Fahrzeug eines Kunden einen Schaden verursacht. Auch diese Beschädigung sei in ihrer Art mit dem abgemahnten Fehlverhalten vergleichbar, weil sie ebenfalls in einem unsachgemäßen Umgang mit dem Eigentum eines Kunden liege. Der unterschiedliche Grad des Verschuldens mache die Pflichtverstöße nicht artverschieden. Hinsichtlich aller weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 15.08.2007 (Bl. 113-116 d. A.) und vom 05.12.2007 (Bl. 142-144 d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 27.03.2007, Az.: 8 Ca 2414/06, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und bestreitet insbesondere, dass sich die Vorfälle - Abgasuntersuchung des BMW-Motorrades, Freischmirgeln der Fahrgestellnummer des Vespa-Rollers - so zugetragen haben, wie sie von der Beklagten dargestellt worden sind. Er räumt ein, dass er das Fahrzeug eines Kunden beim Anheben zur Prüfung der Vorderachse beschädigt hat. Bei mehr als 4.000 Prüfungen jährlich (ca. 20 Fahrzeuge pro Arbeitstag) könne es sicherlich einmal zu versehentlichen Beschädigungen kommen. Er habe den Kunden sofort informiert und einen entsprechenden Schadensbericht erstellt, so dass ihm der Schaden ersetzt worden sei. Aus seinem Verhalten lasse sich kein Kündigungsgrund herleiten, wenn man bedenke, wie viele Schäden an Fahrzeugen im Zusammenhang mit Prüfvorgängen unabsichtlich angerichtet würden. Es fehle an einer einschlägigen Abmahnung. Die Beklagte könne die "Einschlägigkeit" nicht daraus ableiten, dass die behaupteten Sachverhalte im Zusammenhang mit einem Kundenfahrzeug gestanden hätten, weil die Tätigkeit des Prüfers ausschließlich in der Untersuchung von Kundenfahrzeugen bestehe. Ein Kundenfahrzeug stelle mithin "keinen gemeinsamen Nenner" dar, der zur Annahme der "Einschlägigkeit" führen könne. Eine negative Prognose sei nicht im Ansatz zu erkennen, zumal zahlreiche Abgasuntersuchungen, insbesondere von Motorrädern, mit einem vorhergehenden "Gasstoß" verbunden seien. Dieser Gasstoß habe generell den Sinn, Ablagerungen zu lösen, um ein objektiveres Messergebnis zu erreichen. Ein solcher Gasstoß führe auch nicht zu Beschädigungen am Motor eines Motorrades. Hinsichtlich aller weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 24.09.2007 (Bl. 133-139 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig.

In der Sache hat die Berufung der Beklagten jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 21.09.2006 mit Ablauf der fünfmonatigen Kündigungsfrist am 28.02.2007 aufgelöst worden ist.

Dabei kann zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass der Kläger nach der dritten Abmahnung vom 04.07.2005 seine arbeitsvertraglichen Pflichten auch dadurch verletzt hat, dass er am 24.04.2006 die Abgasuntersuchung eines BMW-Motorrades fehlerhaft durchgeführt und am 10.07.2006 den Lack eines Vespa-Rollers durch ein großflächiges Abschmirgeln mit Schleifpapier beschädigt hat. Die Beschädigung der Getriebebrücke eines Pkw am 20.03.2006 beim Anheben des Fahrzeugs zur Prüfung der Vorderachse hat der Kläger eingeräumt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich auch die Berufungskammer anschließt, können auf Pflichtverletzungen beruhende Schlecht- bzw. Fehlleistungen des Arbeitnehmers nach vorheriger Abmahnung an sich eine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen sozial rechtfertigen (vgl. BAG Urteil vom 11.12.2003 - 2 AZR 667/02 - AP Nr. 48 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung).

Vorliegend hat die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 04.07.2005 unter anderem deshalb abgemahnt, weil er am 01.06.2005 den VW-Golf eines Kunden anlässlich der Abgasuntersuchung "mutwillig wie einen Rennwagen im Stand mehrmals im Leerlauf bis auf nahezu 5.000 U/min hochgejubelt" haben soll. Es mag auch hier zu Gunsten der Beklagten davon ausgegangen werden, dass die dem Kläger unter dem 04.07.2005 erteilte Abmahnung berechtigt und der Kläger damit hinreichend gewarnt war.

Zwar handelt es sich nach Auffassung der Berufungskammer bei dem am 04.07.2005 abgemahnten Verhalten im Rahmen der Abgasuntersuchung des VW-Golf und den drei Kündigungsvorwürfen vom 20.03.2006 (Beschädigung eines Pkw beim Anheben zur Prüfung der Vorderachse), vom 24.04.2006 (Abgasuntersuchung des BMW-Motorrades) und vom 10.07.2006 (Lackbeschädigung des Vespa-Rollers) auch um gleichartige Pflichtverletzungen, nämlich mögliche Fehl- bzw. Schlechtleistungen bei der Ausübung der Prüftätigkeit.

Die möglichen Pflichtverletzungen des Klägers waren jedoch unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nicht so schwer, dass die Interessen der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses stärker zu gewichten sind, als die Interessen des Klägers am Erhalt seines Arbeitsplatzes.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Berufungskammer anschließt, lassen sich die bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstände nicht abschließend für alle Fälle festlegen. Zunächst kommt der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen beanstandungsfreiem Bestand ein besonderes Gewicht zu. Ferner können das Bestehen einer Wiederholungsgefahr, das Maß der dem Arbeitgeber erstandenen Schädigung und auch die Frage in Betracht zu ziehen seien, ob dem Verhalten des Arbeitnehmers eine besondere Verwerflichkeit innewohnt. Je nach Lage des Falles können weiterhin Unterhaltspflichten und der Familienstand Bedeutung gewinnen (BAG Urteil vom 27.02.1997 - 2 AZR 302/96 - AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; BAG Urteil vom 27.04.2006 - 2 AZR 415/05 - AP Nr. 203 zu § 626 BGB, jeweils m.w.N.).

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall muss das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinter das Interesse des Klägers an dessen Fortsetzung zurücktreten.

Zu Gunsten der Beklagten ist zu berücksichtigen, dass sie vor Ausspruch der Kündigung wegen Schlechtleistung zunächst zu milderen Mitteln, nämlich der dritten Abmahnung vom 04.07.2005 gegriffen hat, dem Kläger aber gleichwohl weitere Pflichtverletzungen vorzuwerfen waren. Zumindest die Beschädigung des Fahrzeugs eines Kunden beim Anheben zur Prüfung der Vorderachse am 20.03.2006 ist unstreitig. Es kann auch nicht übersehen werden, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht beanstandungsfrei verlaufen ist. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass massive schriftliche Kundenbeschwerden nicht nur über das "unfreundliche Auftreten" des Klägers, sondern auch über seine Prüfungsleistungen vorliegen. Hinzu kommt, dass die Beklagte angesichts der Arbeitsvergütung des Klägers in Höhe von monatlich € 3.906,12 berechtigterweise erwarten darf, dass er die arbeitsvertraglich geschuldeten Prüfungstätigkeiten sorgfältig und gewissenhaft verrichtet, insbesondere die Fahrzeuge der Kunden nicht beschädigt.

Demgegenüber stehen aber folgende Gesichtspunkte, die im Rahmen der Interessenabwägung zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen sind: Bis zum Ausspruch der Kündigung am 21.09.2006 hat das mit Wirkung zum 01.04.1994 begründete Arbeitsverhältnis bereits länger als zwölf Jahre bestanden. Ebenfalls nicht unberücksichtigt bleiben kann das Lebensalter des am 27.05.1956 geborenen Klägers. Mit 50 Jahren sind seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt, als Kfz-Meister eine nur annähernd vergleichbar dotierte neue Stelle zu finden, erheblich einschränkt.

Maßgebend zu berücksichtigen ist weiterhin, dass den vermeintlichen Pflichtverletzungen des Klägers, auf welche die Beklagte die Kündigung stützt, keine besondere Verwerflichkeit innewohnt bzw. vom Kläger die Schlechtleistungen weder vorsätzlich, geschweige denn absichtlich begangen worden sind. Die Beschädigung des Pkw (Bruch der Getriebebrücke) bei der Prüfung der Vorderachse am 20.03.2006 mag zwar auf eine Unachtsamkeit des Klägers zurückzuführen sein. Dass der Kläger wissentlich und willentlich den Schaden verursacht hat, behauptet die Beklagte selbst nicht. Nichts anderes gilt für den Vorwurf, der Kläger habe bei der Abgasuntersuchung des BMW-Motorrades am 24.04.2006 das Abgasverhalten weder im Leerlauf noch bei konstanter Drehzahl, sondern unter mehrfachem Gasgeben überprüft, obwohl dies zu einem fehlerhaften Ergebnis führe, weil sich die Schadstoffwerte im Abgas erhöhten. Hier ist zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass die Abgasuntersuchung für Motorräder unstreitig erst am 01.04.2006 eingeführt worden ist, so dass ein etwaiges Fehlverhalten in einem milderen Licht erscheint. Dem weiteren Vorwurf, der Kläger habe am 10.07.2006 den Lack des Vespa-Rollers durch großflächiges Abschmirgeln beschädigt, ist ebenfalls keine besondere Verwerflichkeit immanent. Der Umstand, dass der Kollege des Klägers die Fahrgestellnummer ablesen konnte, lässt entgegen der Auffassung der Beklagten keinen Rückschluss darauf zu, dass der Kläger die Nummer absichtlich nicht lesen "können wollte". Die Leseschwierigkeit kann auf den verschiedensten Ursachen beruhen, z.B. auch Ausdruck einer altersbedingten Sehschwäche sein. Der Kunde war unstreitig damit einverstanden, dass der Kläger die Fahrgestellnummer mit Schleifpapier freigelegt. Selbst wenn der Kläger den Lack über einen Bereich von etwa einer Handfläche geschmirgelt haben sollte, kann ihm nicht unterstellt werden, dass dies bewusst oder gar in der Absicht geschah, dem Kunden einen Schaden zuzufügen.

Unabhängig von den vorangegangenen Ausführungen kann bei der vorzunehmenden Interessenabwägung auch nicht unberücksichtigt bleiben, in welcher konkreten Relation die von der Beklagten vorgetragenen Leistungsmängel des Klägers zu seinen gesamten Arbeitsleistungen standen. Hier hat der Kläger unwidersprochen vorgetragen, dass er mehr als 4.000 Fahrzeuge jährlich (ca. 20 täglich bei 220 Arbeitstagen) zu prüfen hat. Wenn ihm bei der Prüfung von vier Fahrzeugen in einem Zeitraum vom 01.06.2005 bis zum 10.07.2006 Fehler unterlaufen sein sollten, läge eine Fehlerquote von 1 Promille vor. Diese Fehlerquote macht der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar, zumal nicht ersichtlich ist, dass die Fehlerquote des Klägers das Durchschnittsniveau deutlich überschreitet.

Nach alledem ist das Interesse des Klägers am Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses stärker zu gewichten als das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der von ihr vorgetragenen Verstöße des Klägers gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten.

Die Berufung der Beklagten ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

Ende der Entscheidung

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