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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 24.08.2005
Aktenzeichen: 10 Sa 475/05
Rechtsgebiete: ArbGG, BGB


Vorschriften:

ArbGG § 69 Abs. 2
BGB § 623
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 10 Sa 475/05

Entscheidung vom 24.08.2005

Tenor:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 15.04.2005, AZ: 2 Ca 2274/04, wie folgt abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 30.04.2004 hinaus fortbesteht.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses.

Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 23.10.2003 als Verkäuferin beschäftigt. Mit Telefax - Schreiben vom 06.04.2004, welches der Klägerin am selben Tag zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30.04.2004. Die Klägerin hat den Erhalt des Fax - Schreibens auf dem betreffenden Schriftstück unterschriftlich quittiert.

Mit ihrer am 13.08.2004 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat die Klägerin die Formnichtigkeit der Kündigung geltend gemacht.

Die Klägerin hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, sie habe den Erhalt des Kündigungsschreibens unterschriftlich quittiert, weil die Beklagte ihr eine Wiedereinstellung zum 15.06.2004 versprochen habe. Diesbezüglich habe sie mehrere Telefongespräche mit der Beklagten geführt. Die Wiedereinstellungszusage ergebe sich auch unzweifelhaft aus der von der Beklagten ausgestellten "Bescheinigung" vom 30.06.2004, worin die betreffende Zusicherung ausdrücklich bestätigt werde. Wegen der Zusage habe sie - die Klägerin - ein anderweitiges Arbeitsstellenangebot abgelehnt. Im Hinblick auf die von der Bundesagentur für Arbeit verhängte Sperrzeit behalte sie sich Schadensersatzansprüche gegenüber der Beklagten vor.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass die Kündigung der Beklagten vom 06.04.2004 zum 30.04.2004 nichtig ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, das Kündigungsschreiben sei der Klägerin nicht nur am 06.04.2004 per Fax sondern vielmehr auch mit normaler Post zugesandt worden. Zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs habe keinerlei Aussicht auf Eröffnung eines neuen Ladenlokals und auf eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bestanden. Erst im Juni 2004 habe die Anmietung eines neuen Ladenlokals in Aussicht gestanden. Daraufhin sei telefonisch bei der Klägerin eine unverbindliche Anfrage erfolgt, ob diese evtl. ab dem 15.06.2004 wieder als Verkäuferin tätig werden könne. Es sei jedoch nicht zum Vertragsschluss mit dem Vermieter des Ladenlokals gekommen, was der Klägerin sodann telefonisch mitgeteilt worden sei. Soweit sich die Klägerin auf die Unwirksamkeit der Kündigungserklärung vom 06.04.2004 berufe, verstoße dies gegen Treu und Glauben.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 15.04.2005 abgewiesen. Hinsichtlich der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5 bis 8 dieses Urteils (= Bl. 61 bis 64 d. A.) verwiesen.

Gegen das ihr am 13.05.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13.06.2005 Berufung eingelegt und diese am 12.07.2005 begründet.

Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts habe sie das Recht, sich auf die Formnichtigkeit der Kündigung vom 06.04.2004 zu berufen, nicht verwirkt. Diesbezüglich seien weder das Zeitmoment noch das erforderliche Umstandsmoment erfüllt.

Die Klägerin beantragt,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 30.04.2004 hinaus fortbesteht.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das mit der Berufung angefochtene Urteil.

Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 59 bis 61 d. A.), auf die Berufungsbegründungsschrift der Klägerin vom 28.06.2005 (Bl. 104 bis 111 d. A.), auf den weiteren Schriftsatz der Klägerin vom 23.08.2005 (Bl. 124 bis 126 d. A.) sowie auf die Berufungserwiderungsschrift der Beklagten vom 15.08.2005 (Bl. 122 und 123 d. A.).

Entscheidungsgründe:

I.

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

II.

Die zulässige Klage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien besteht über den 30.04.2004 hinaus fort, da sich die Kündigung vom 06.04.2004 als formnichtig erweist und sonstige Beendigungstatbestände nicht ersichtlich sind. Der Klägerin ist es auch nicht nach Treu und Glauben verwehrt, die Unwirksamkeit der Kündigung geltend zu machen.

1.

Die von der Beklagten am 06.04.2004 ausgesprochene Kündigung erweist sich in Ermangelung der nach § 623 BGB gebotenen Schriftform als nichtig (§ 125 BGB).

Die Einhaltung der gesetzlichen Schriftform erfordert, dass die Urkunde eigenhändig durch Namensunterschrift unterzeichnet ist. Empfangsbedürftige Willenserklärungen müssen in der Form zugehen, die für ihre Abgabe erforderlich ist. Ein Telefax genügt daher trotz eigenhändiger Unterzeichnung der sodann per Telekopie übermittelten Erklärung nicht der gesetzlichen Schriftform. Die prozessrechtliche Rechtssprechung zur Wahrung von Rechtsmittel - und Rechtsmittelbegründungen durch Telefax kann wegen ihrer unterschiedlichen Zielrichtung nicht auf materiellrechtlich angeordnete Schriftformerfordernisse übertragen werden (LAG Rheinland - Pfalz, Urteil vom 21.01.2004, AZ: 10 Sa 475/03, LAGReport 2005 43 ff. m. w. N.).

Die der Klägerin am 06.04.2004 per Telefax zugegangene Kündigungserklärung ist somit nichtig.

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Klägerin das Kündigungsschreiben im Original per Post zugegangen ist. Zwar hat die Beklagte die Absendung des Schreibens behauptet, nicht jedoch dessen Zugang an die Klägerin unter Beweis gestellt. Diese hat ausdrücklich bestritten, das Kündigungsschreiben (auch) auf dem Postweg erhalten zu haben. Die Beklagte ist somit hinsichtlich eines etwaigen Zugangs einer formwirksamen Kündigungserklärung beweisfällig geblieben.

2.

Der Klägerin ist es auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, die Formunwirksamkeit der Kündigung geltend zu machen. Die Voraussetzungen der Verwirkung sind nicht erfüllt.

Die Bejahung der Verwirkung eines Rechts setzt voraus, dass der Anspruchsteller seine Klage erst nach Ablauf eines längeren Zeitraumes erhebt (Zeitmoment) und dadurch ein Vertrauenstatbestand beim Anspruchsgegner geschaffen wurde, er werde nicht mehr gerichtlich belangt werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes das Interesse des Berechtigten an einer sachlichen Prüfung des von ihm behaupteten Anspruchs derart überwiegen, dass dem Gegner die Einlassung auf die nicht mehr innerhalb angemessener Frist erhobene Klage nicht mehr zuzumuten ist (BAG, AP Nr. 5 zu § 242 BGB Prozessverwirkung). Das Zeitmoment und das Umstandsmoment sind ohne kausalen Bezug zueinander zu prüfen, d. h. das Vorliegen des Zeitmomentes indiziert nicht das sog. Umstandsmoment, sondern es bedarf besonderer Umstände für die berechtigte Erwartung des Schuldners, er werde nicht mehr in Anspruch genommen werden (BAG a. a. O.).

Im Streitfall kann offen bleiben, ob das sog. Zeitmoment dadurch erfüllt ist, dass die Klägerin die Unwirksamkeit der ihr am 06.04.2004 zugegangenen Kündigungserklärung erst am 13.08.2004 und somit nach Ablauf eines Zeitraumes von über vier Monaten geltend gemacht hat. Es fehlt nämlich jedenfalls an den Voraussetzungen für die Bejahung des sog. Umstandsmomentes. Allein der Zeitablauf und die Untätigkeit der Klägerin sind diesbezüglich nicht ausreichend (BAG, AP Nr. 1 zu § 242 BGB Prozessverwirkung; AP Nr. 3 zu § 242 BGB Verwirkung, AP Nr. 5 zu § 242 BGB Prozessverwirkung). Sonstige Umstände, aus denen für die Beklagte die berechtigte Erwartung entstehen konnte, die Klägerin werde die Unwirksamkeit der Kündigung nicht mehr geltend machen, sind nicht gegeben. Ebenso wenig ist erkennbar, dass sich die Beklagte in irgendeiner Weise auf die Nichtgeltendmachung des Fortbestandes des Arbeitverhältnisses eingerichtet hat.

Aus dem Umstand, dass die Klägerin den Erhalt der per Telefax abgegebenen Kündigungserklärung unterschriftlich quittiert hat, konnte die Beklagte keinesfalls herleiten, die Klägerin werde die Kündigung hinnehmen. Die Klägerin hat lediglich (wahrheitsgemäß) den Empfang des betreffenden Schriftstücks bestätigt. In dieser Bestätigung kommt jedoch nicht ansatzweise der Wille zum Ausdruck, die Kündigungserklärung als formwirksam anzuerkennen bzw. die Kündigung hinnehmen zu wollen. Ebenso wenig kann zu Gunsten der Beklagten etwas daraus abgeleitet werden, dass die Klägerin nach dem 30.04.2004 ihre Arbeitskraft nicht mehr angeboten hat. Zum Einen war der Betrieb der Beklagten unstreitig ab dem 01.05.2004 geschlossen, so dass sich ein etwaiges Arbeitsangebot seitens der Klägerin von vornherein als sinnlos erwiesen hätte. Zum Anderen hatte die Beklagte mit ihrer Kündigung vom 06.04.2004 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, die Arbeitskraft der Klägerin ab dem 01.05.2004 nicht mehr annehmen zu wollen. Letztlich kann auch aus dem Umstand, dass sich die Klägerin arbeitslos gemeldet hat, nichts für das Vorliegen des Umstandsmomentes hergeleitet werden. Hierzu war die Klägerin nämlich bereits zur Vermeidung weiterer Nachteile gehalten.

Es kann mithin offen bleiben, ob und wann im Zusammenhang mit dem Kündigungsausspruch oder danach Gespräche zwischen den Parteien stattgefunden haben, welche eine etwaige Wiedereinstellung der Klägerin betrafen. Auch dann, wenn man unter Zugrundelegung des Vorbringens der hinsichtlich der Voraussetzungen der Verwirkung darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten davon ausgeht, dass der Klägerin zu keinem Zeitpunkt eine Wiedereinstellungszusage gemacht wurde, so ergibt sich hieraus nichts für die Annahme, die Beklagte habe berechtigterweise darauf vertrauen können, die Klägerin werde die Nichtigkeit der Kündigung und den damit verbundenen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht mehr geltend machen.

III.

Der Klage war daher unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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