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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 09.11.2005
Aktenzeichen: 10 Sa 686/05
Rechtsgebiete: ArbGG, BBiG


Vorschriften:

ArbGG § 69 Abs. 2
BBiG § 22 Abs. 1 Nr. 1
BBiG § 22 Abs. 2
BBiG § 22 Abs. 2 Nr. 1
BBiG § 22 Abs. 4
Kündigung eines Ausbildungsverhältnisses.
Aktenzeichen: 10 Sa 686/05

Entscheidung vom 09.11.2005

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 01.06.2005, AZ: 4 Ca 1969/04, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Der am 03.04.1986 geborene Kläger war bei der Beklagten seit dem 01.08.2002 als Auszubildender im Ausbildungsberuf Kfz-Mechaniker/Pkw-Instandsetzer beschäftigt. Nach dem Inhalt des zwischen den Parteien am 19.07.2002 geschlossenen Berufungsausbildungsvertrages (Bl. 7 d. A.) sollte sich die Ausbildungszeit - unter Zugrundelegung der einschlägigen Ausbildungsordnung - auf 42 Monate belaufen und demnach am 31.01.2006 enden.

Mit Schreiben ihrer Rechtsanwälte vom 16.06.2004, welches dem Kläger am 18.06.2004 zuging, kündigte die Beklagte das Ausbildungsverhältnis fristlos. Das Kündigungsschreiben, hinsichtlich dessen vollständigen Inhalts auf Bl. 9 und 10 d. A. Bezug genommen wird, enthält u. a. folgende Ausführungen:

"...

In der Woche des 11.06.2004 wollten Sie am Freitag, den 11.06.2004 Urlaub haben. Sie wussten, dass an diesem Wochenende das Autohaus K. eine Ausstellung hatte, so dass grundsätzlich für alle Beschäftigten Urlaubssperre galt. Sie erklärten dem Werkstattleiter gegenüber, Sie müssten dennoch Urlaub haben, da angeblich Ihre langjährige Freundin an Krebs gestorben sei und am Freitag die Beerdigung wäre. Sie haben ihm darüber hinaus gleichzeitig einen Urlaubsantrag zur Unterschrift vorgelegt und erklärten weiterhin, dass der diesbezügliche Urlaub mit dem Chef, Herrn K. abgesprochen sei und dieser habe ihn genehmigt. Der Werkstattleiter hegte doch gewisse Zweifel und sagte daraufhin, dass Sie dann sich bitte an Herrn K. persönlich wenden und den Urlaubsantrag dort abzeichnen lassen sollten. Es stellte sich nunmehr heraus, dass die diesbezügliche Aussage Ihrerseits gelogen war.

Am Freitag, den 11.06.2004 sind Sie dann wider Erwarten nicht im Betrieb unseres Mandanten erschienen. Es wurde daraufhin zu Hause bei Ihnen angerufen. Ihre Mutter erklärte, dass Sie nach E. verreist seien.

..."

Gegen diese Kündigung richtet sich die vom Kläger am 12.07.2004 beim Arbeitsgericht eingereichte Klage.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 17.11.2004 (Bl. 60 und 61 d. A.) durch Vernehmung des Zeugen R.. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 01.06.2005 (dort Seiten 2 bis 6 = Bl. 78 bis 82 d. A.) verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 01.06.2005 abgewiesen. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 6 bis 10 dieses Urteils (= Bl. 90 bis 94 d. A.) verwiesen.

Gegen das ihm am 13.07.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11.08.2005 Berufung eingelegt und diese am 13.09.2005 begründet.

Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts seien die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses nicht erfüllt. Bereits nach den Sommerferien des Jahres 2003 habe er einen Urlaubsantrag für den 11.06.2004 wegen einer geplanten Chorreise eingereicht. Hierauf sei seitens der Beklagten keine Reaktion erfolgt. Daher habe er den Urlaubsantrag vorsorglich nochmals im November/Dezember 2003 eingereicht. Eine Ablehnung sei nicht erfolgt. Es treffe auch nicht zu, dass er wegen der Beerdigung einer Freundin gebeten habe, am 11.06.2004 beurlaubt zu werden. Die betreffende Beerdigung habe nämlich erst eine Woche nach dem 11.06.2004 stattgefunden. Aber selbst dann, wenn man ihm einen unberechtigten Urlaubsantritt am 11.06.2004 unterstelle, so rechtfertige dies nicht eine außerordentliche Kündigung. Dies gelte insbesondere im Hinblick darauf, dass es diesbezüglich an einer einschlägigen Abmahnung fehle.

Der Kläger beantragt,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und festzustellen, dass das Ausbildungsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 16.06.2004 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das mit der Berufung angefochtene Urteil.

Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 86 bis 90 d. A.), auf die Berufungsbegründungsschrift des Klägers vom 13.09.2005 (Bl. 131 bis 137 d. A.), auf den Schriftsatz des Klägers vom 25.10.2005 (Bl. 152 bis 155 d. A.) sowie auf die Berufungserwiderungsschrift der Beklagten vom 05.10.2005 (Bl. 142 bis 144 d. A.).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das somit insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat vielmehr die Klage zu Recht abgewiesen.

Die Klage ist nicht begründet. Das Ausbildungsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die streitbefangene außerordentliche Kündigung aufgelöst worden.

Nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG kann ein Berufsausbildungsverhältnis nach Ablauf der Probezeit vom Ausbildenden nur aus wichtigem Grund gekündigt werden. Dazu müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Berufsausbildungsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung nicht zugemutet werden kann. Wird, wie vorliegend, das Ausbildungsverhältnis aus Gründen gekündigt, die im Verhalten des Auszubildenden liegen, so ist bei der Prüfung des wichtigen Grundes nicht nur die Zweckbestimmung des Vertrages, nämlich zu einem Berufsabschluss zu führen, sondern auch die im Zeitpunkt der Kündigung bereits zurückgelegte Ausbildungszeit im Verhältnis zur Gesamtdauer der Ausbildung zu berücksichtigen. Wegen der Zweckbestimmung des Berufsausbildungsverhältnisses entspricht es allgemeiner Auffassung, dass dieses nur unter erschwerten Voraussetzungen vorzeitig einseitig beendet werden kann (BAG, AP Nr. 3 zu § 15 BBiG; LAG Berlin, LAGE § 15 BBiG Nr. 2).

Auch bei Anlegen dieser strengen Maßstäbe war es für die Beklagte nicht mehr zumutbar, das Ausbildungsverhältnis fortzusetzen. Der Kläger hat durch sein Verhalten in schwerwiegender Weise gegen seine vertraglichen Pflichten verstoßen und das für eine Fortführung seiner Ausbildung bei der Beklagten notwendige Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragsparteien zerstört.

Der Kläger hat sich unstreitig am 11.06.2004 in Urlaub begeben, ohne dass dieser Urlaub von der Beklagten genehmigt war. Zwar stellt ein eigenmächtiger Urlaubsantritt des Auszubildenden - im Gegensatz zum entsprechenden Verhalten eines Arbeitnehmers in einem Arbeitsverhältnis - in Ansehung des strengen Maßstabes des § 22 Abs. 1 Nr. 1 BBiG nicht in jedem Fall einen zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung geeigneten Grund dar. Im Streitfall kommen jedoch besondere, erschwerende Umstände hinzu, welche - zusammen mit dem eigenmächtigen Urlaubsantritt - einen wichtigen Grund i. S. v. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG bilden.

Der Kläger hat vor seinem Urlaubsantritt zwei Versuche unternommen, sich eine Urlaubsgenehmigung bzw. eine Arbeitsbefreiung für den betreffenden Tag (11.06.2004) durch Vortäuschen falscher Tatsachen zu erschleichen. Der Ausbilder des Klägers, der Zeuge R., hat bei seiner Vernehmung glaubhaft und widerspruchsfrei bekundet, dass der Kläger ihn am Montag, dem 07.06.2004, um eine Urlaubserteilung für den 11.06.2004 gebeten hat mit der Begründung, eine Freundin von ihm - dem Kläger - sei verstorben und werde an dem betreffenden Tag beerdigt. Diese vom Kläger abgegebene Begründung für die gewünschte Arbeitsbefreiung beinhaltete in zweifacher Hinsicht eine Täuschung seines Ausbilders. Zum Einen beabsichtigte der Kläger zu keinem Zeitpunkt, am 11.06.2004 einer Bestattung beizuwohnen; vielmehr begab er sich unstreitig auf eine Auslandsreise. Darüber hinaus fand am 11.06.2004, wie der Kläger selbst vorträgt, die angebliche Beerdigung einer Freundin auch gar nicht statt. Noch weitaus gravierender erweist sich jedoch der anschließende Versuch des Klägers, seinen Ausbilder unter Vortäuschung unwahrer Tatsachen zur Unterzeichnung und damit zur Genehmigung eines schriftlichen Urlaubsantrages für den 11.06.2004 zu veranlassen. Nach dem unbestrittenen Sachvortrag der Beklagten, welcher überdies durch die Aussage des Zeugen R. bestätigt wurde, hat der Kläger am Vormittag des 08.06.2004 seinem Ausbilder den Urlaubsantrag zur Unterschrift vorgelegt und dabei erklärt, dass der Urlaub mit dem Inhaber der Beklagten abgesprochen sei und dieser ihn genehmigt habe. Diese Angaben des Klägers entsprachen unstreitig nicht der Wahrheit; vielmehr hatte der Kläger mit dem Inhaber der Beklagten über den Urlaub überhaupt nicht gesprochen.

Das Verhalten des Klägers (eigenmächtiger Urlaubsantritt nach zweimaligem Versuch, sich eine Arbeitsbefreiung durch Täuschung zu erschleichen) stellt zweifellos einen an sich zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung eines Ausbildungsverhältnisses geeigneten Grund dar.

Die Wirksamkeit der Kündigung scheitert nicht am Fehlen einer vorherigen einschlägigen Abmahnung. Zwar ist die Erteilung einer Abmahnung vor Kündigungsausspruch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit auch bei solchen Handlungsweisen nicht stets entbehrlich, die den sog. Vertrauensbereich berühren; eine Abmahnung ist vielmehr erforderlich, wenn ein steuerbares Verhalten des Auszubildenden in Rede steht und erwartet werden kann, dass das Vertrauen wieder hergestellt wird. Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn der Auszubildende mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Ausbildenden nicht als ein erhebliches, den Bestand des Ausbildungsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen. Eine Abmahnung hat jedoch nicht stets schon dann Vorrang vor einer außerordentlichen Kündigung, wenn eine Wiederholung des pflichtwidrigen Verhaltens aufgrund der Abmahnung nicht zu erwarten steht. Bei besonders schwerwiegenden Verstößen ist eine Abmahnung grundsätzlich entbehrlich, weil in diesen Fällen regelmäßig davon auszugehen ist, dass das pflichtwidrige Verhalten das für ein Ausbildungsverhältnis notwendige Vertrauen auf Dauer zerstört hat. Im Streitfall konnte der Kläger nicht davon ausgehen, die Beklagte werde sein schwerwiegendes Fehlverhalten (eigenmächtiger Urlaubsantritt nach zwei vorhergehenden Täuschungsversuchen) noch in irgendeiner Weise dulden. Vielmehr musste er damit rechnen, dass dieses Fehlverhalten den Fortbestand des Ausbildungsverhältnisses gefährdet. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass dem Kläger bewusst sein musste, dass seine Handlungsweise geeignet ist, das Vertrauen der Beklagten in seine Redlichkeit und Ehrlichkeit restlos zu zerstören.

Auch die vorzunehmende Abwägung der Interessen beider Vertragsteile führt nicht zu dem Ergebnis, dass der Beklagten eine Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses noch zumutbar war. Zwar ist zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass die Ausbildungszeit bei Kündigungsausspruch bereits um mehr als die Hälfte absolviert war. Entgegen seiner Behauptung kann indessen nicht davon ausgegangen werden, dass er bereits nach den Sommerferien 2003 und nochmals im November/Dezember 2003 einen Urlaubsantrag für den 11.06.2004 eingereicht hatte und über diesen Antrag seitens der Beklagten noch nicht entschieden worden war. Zwar obliegt dem Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast auch hinsichtlich des Fehlens der vom Arbeitnehmer geltend gemachten Rechtfertigungsgründe und entlastenden Umstände. Diesbezüglich gilt jedoch eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast, d. h. der Arbeitnehmer ist seinerseits zunächst gehalten, die geltend gemachten Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe substantiiert darzulegen (vgl. KR-Etzel, 6. Auflage, § 1 KSchG Rd-Ziffer 262; KR-Fischermeier, 6. Auflage, § 626 BGB Rd-Ziffer 382; jeweils m. w. N.). Im Streitfall erweist sich das Vorbringen des Klägers bezüglich der behaupteten Urlaubsbeantragung als substanzlos, da es nicht ansatzweise erkennen lässt, auf welche Art und Weise (schriftlich oder mündlich) und insbesondere bei welcher Person (Ausbilder oder Firmeninhaber) ein solcher Urlaubsantrag gestellt wurde. Darüber hinaus spricht der Umstand, dass der Kläger - wie bereits ausgeführt - am 07.06.2004 unter dem Vorwand einer Beerdigung um Arbeitsbefreiung für den 11.06.2004 nachgesucht hat, eindeutig gegen die Annahme einer bereits im Jahr 2003 erfolgten Urlaubsbeantragung für den betreffenden Tag. Auch ist festzuhalten, dass der Kläger zum Zeitpunkt seines Fehlverhaltens kein unbedarfter Jugendlicher mehr sondern bereits volljährig war. Er musste also wissen, was er tat. Zu Gunsten der Beklagten ist zu berücksichtigen, dass durch die Handlungsweise des Klägers das für eine Fortsetzung der Ausbildung erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen ihr und dem Kläger restlos zerstört ist und auch nicht mehr wieder herstellbar erscheint. Von der Beklagten kann keinerlei Vertrauen mehr in die Redlichkeit und Ehrlichkeit des Klägers erwartet werden. Das Verhalten des Klägers lässt auch deutlich erkennen, dass er nicht gewillt ist, seinen Pflichten als Auszubildender nachzukommen, sondern vielmehr seine privaten Interessen auch mit unlauteren Mitteln gegenüber der Beklagten durchzusetzen versucht. In Ansehung all dieser Umstände war der Beklagten eine Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses nicht mehr zumutbar. Ihr Interesse an der sofortigen Beendigung des Ausbildungsverhältnisses überwiegt deutlich das Interesse des Klägers an dessen Fortsetzung.

Die in § 22 Abs. 2 BBiG normierten Formerfordernisse sind erfüllt. Die Kündigung erfolgte schriftlich unter Angabe der vorliegend maßgeblichen Kündigungsgründe. Hinsichtlich der Einhaltung der 2 - Wochen - Frist des § 22 Abs. 4 BBiG bestehen ebenfalls keinerlei Bedenken.

Nach alledem war die Berufung des Klägers mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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