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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 14.12.2005
Aktenzeichen: 10 Sa 721/05
Rechtsgebiete: ArbGG, GewO


Vorschriften:

ArbGG § 69 Abs. 2
GewO § 106
GewO § 106 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 10 Sa 721/05

Entscheidung vom 14.12.2005

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 28.07.2005, AZ: 5 Ca 1000/05, wie folgt abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass der Kläger nicht verpflichtet ist, entsprechend der Anordnung der Beklagten vom 26.04.2005 in der Kommissionierung im Zentrallager B.-Stadt zu arbeiten.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer von der Beklagten getroffenen Anordnung.

Der Kläger war bei der Beklagten, die einen Elektrofachgroßhandel betreibt, seit dem 04.06.1992, zunächst als Kraftfahrer, beschäftigt. Seit 1995 wurde er als Angestellter in der Abteilung Logistik im dortigen Bereich Warenannahme eingesetzt. In diesem Arbeitsbereich wird in einer Tagesschicht (06:00 Uhr bis 14.45 Uhr oder 07:45 Uhr bis 16:30 Uhr) gearbeitet.

Mit Schreiben vom 26.04.2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er ab dem 02.05.2005 in der Kommissionierung eingesetzt werde. Dort wird in einem Zwei-Schicht-Betrieb gearbeitet (Schicht 1: montags bis donnerstags von 07:45 Uhr bis 16:30 Uhr und freitags von 07:30 Uhr bis 14:30 Uhr; Schicht 2: montags bis donnerstags von 14:15 Uhr bis 23:00 Uhr und freitags von 12:00 Uhr bis 19:00 Uhr). Gegen diese Anordnung richtet sich die vom Kläger am 19.05.2005 beim Arbeitsgericht eingereichte Klage.

Der Kläger hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, die mit Schreiben der Beklagten vom 26.04.2005 getroffene Anordnung sei nicht vom arbeitgeberseitigen Direktionsrecht gedeckt. Durch den langjährigen ausschließlichen Einsatz im Wareneingang habe sich die von ihm zu erbringende Arbeitsleistung auf diese Tätigkeit konkretisiert, sodass die Beklagte eine Versetzung in die Kommissionierung nur im Wege einer Änderungskündigung herbeiführen könne. Jedenfalls aber verstoße die Maßnahme der Beklagten gegen die Grundsätze billigen Ermessens. Diesbezüglich sei nämlich insbesondere zu berücksichtigen, dass seine als Bankangestellte tätige Ehefrau im Jahr 2004 Opfer eines bewaffneten Banküberfalls gewesen sei, infolge dessen sie seitdem insbesondere in den Abendstunden unter Angstzuständen leide und es daher - wie durch ärztliches Attest vom 28.04.2005 (Bl. 10 d. A.) nachgewiesen - zur Vermeidung von Panikattacken seiner Anwesenheit zu Hause in den Abendstunden bedürfe.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass die Versetzung mit Schreiben vom 26.04.2005 rechtswidrig ist und er nicht verpflichtet ist, in der Kommissionierung im Zentrallager B-Stadt tätig zu sein.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, die streitbefangene Maßnahme stelle keine Versetzung dar. Auch durch die neunjährige Tätigkeit des Klägers im Wareneingang habe sich das Arbeitsverhältnis nicht auf diese Tätigkeit konkretisiert. Eine Änderungskündigung sei daher nicht erforderlich gewesen. Entsprechend ihren Bedürfnissen könne sie den Kläger auch in der Kommissionierung einsetzen. Die kraft Direktionsrechts getroffene Anweisung entspreche auch billigem Ermessen. Sie benötige in der Kommissionierung tüchtige Mitarbeiter wie den Kläger. Der Zwei-Schicht-Betrieb sei bei allen Arbeitnehmern unbeliebt, so dass es schwer sei, Mitarbeiter zu finden, welche bereit seien, in den betreffenden Schichten zu arbeiten. Sie bestreite, dass ausschließlich die Anwesenheit des Klägers zu Hause die Verstärkung von Panikattacken seiner Ehefrau bei Dunkelheit in den Abendstunden verhindern könne. Dem Kläger gehe es vielmehr u. a. auch darum, während der Abendstunden seine Tätigkeit als Fußballtrainer ausüben zu können.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 28.07.2005 abgewiesen. Wegen der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5 bis 8 dieses Urteils (= Bl. 40 bis 43 d. A.) verwiesen.

Gegen das ihm am 09.08.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 25.08.2005 Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter fort.

Der Kläger beantragt,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und festzustellen, dass er nicht verpflichtet ist, entsprechend der Anordnung der Beklagten vom 26.04.2005 in der Kommissionierung im Zentrallager B-Stadt zu arbeiten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das mit der Berufung angefochtene Urteil.

Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 37 bis 39 d. A.), auf die Berufungsbegründungsschrift des Klägers vom 23.08.2005 (Bl. 49 bis 53 d. A.) sowie auf die Berufungserwiderungsschrift der Beklagten vom 26.09.2005 (Bl. 81 bis 83 d. A.).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

Die zulässige Feststellungsklage ist begründet. Der Kläger ist nicht verpflichtet, gemäß der Anordnung der Beklagten vom 26.04.2005 in der Kommissionierung zu arbeiten.

Zwar hat sich die vom Kläger arbeitsvertraglich geschuldete Arbeit nicht auf die Tätigkeit im Bereich Wareneingang konkretisiert. Allein der Zeitablauf führt nämlich auch bei langjähriger Tätigkeit nicht zu einer solchen Konkretisierung. Es bedarf vielmehr zusätzlicher Umstände (vgl. LAG Rheinland - Pfalz vom 13.10.1987, NZA 1988, 471 und vom 05.07.1996, NZA 1997, 1113), die im Streitfall jedoch nicht gegeben sind. Eine Umsetzung des Klägers vom Bereich Wareneingang in die Kommissionierung bedarf daher keiner einvernehmlichen oder im Wege einer Änderungskündigung herbeigeführten Vertragsänderung, sondern unterliegt vielmehr dem Direktionsrecht der Beklagten.

Nach § 106 Satz 1 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dieses Direktionsrecht ist Wesensmerkmal eines jeden Arbeitsverhältnisses und ermöglicht es dem Arbeitgeber, die im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschriebene Leistungspflicht im Einzelnen nach Zeit, Art und Ort zu bestimmen, wobei dieses Recht nicht willkürlich, sondern nur nach billigem Ermessen ausgeübt werden darf. Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Zu den auf Seiten des Arbeitnehmers zu berücksichtigenden Umständen gehören auch insbesondere dessen schutzwürdige familiäre Belange (BAG vom 23.09.2004 - 6 AZR 567/03 - m. w. N.). Bei der Bestimmung der Lage der Arbeitszeit muss der Arbeitgeber auf die Personensorgepflichten (§§ 1626, 1627 BGB) des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen, soweit einer vom Arbeitnehmer gewünschten Verteilung der Arbeitszeit nicht betriebliche Belange oder berechtigte Belange anderer Arbeitnehmer entgegenstehen (LAG Rheinland - Pfalz vom 19.01.2005, AZ: 10 Sa 820/04, DB 2005, 1522; vgl. auch LAG Nürnberg, NZA 1999, 263).

Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich im Streitfall, dass die Beklagte bei der Umsetzung des Klägers in die Kommissionierung mit den dort vorgegebenen Arbeitszeiten die berechtigten Interessen des Klägers nicht angemessen berücksichtigt hat. Das Interesse des Klägers geht dahin, dass die Verteilung seiner wöchentlichen Arbeitszeit es ihm ermöglicht, in den Abendstunden bei seiner Ehefrau zu sein, die - wie ärztlich bescheinigt - unter Angstzuständen leidet, welche sich in den Abendstunden bei Dunkelheit mit der Gefahr eintretender Panikattacken verstärken, was nach dem Inhalt des ärztlichen Attestes vom 28.04.2005 die Anwesenheit des Klägers während dieser Zeiten erforderlich macht. Diesem Interesse des Klägers stehen die in der Kommissionierung vorgegebenen Arbeitszeiten, die in der Schicht 2 eine Arbeitspflicht bis 23:00 Uhr umfassen, entgegen. Das sich hieraus ergebende Interesse des Klägers an einem Verbleib im Arbeitsbereich im Wareneingang wird nicht dadurch entkräftet, dass er außerhalb seiner Arbeitszeit eine Tätigkeit als Fußballtrainer wahrnimmt. Nach seinem unbestrittenen Sachvortrag leitet er lediglich zweimal pro Woche ein Training in der Zeit von 19:00 Uhr bis 20:15 Uhr, was sich hinsichtlich des Bedürfnisses, sich um seine Ehefrau zu kümmern, nicht ansatzweise so erschwerend bzw. nachteilig auswirkt wie eine bis 23.00 Uhr andauernde Arbeitsschicht. Im Übrigen könnte auch der Wunsch des Klägers, seiner Trainertätigkeit weiterhin nachzugehen, im Rahmen des nach § 106 GewO auszuübenden billigen Ermessens nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Aber selbst dann, wenn man die Interessen des Klägers an einer Beibehaltung seiner bisherigen Arbeitszeiten als nicht besonders hoch bewerten würde, erweist sich die streitbefangene Maßnahme der Beklagten als unwirksam. Es sind nämlich keinerlei betrieblichen Gründe oder berechtigte Belange anderer Arbeitnehmer erkennbar, die einem Verbleib des Klägers im Bereich Wareneingang entgegenstehen könnten. Solche Umstände hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht dargetan. Es ist bereits weder vorgetragen noch ersichtlich, dass für einen Einsatz des Klägers in der Kommissionierung überhaupt ein Bedarf besteht. Eine personelle Unterbesetzung in der Kommissionierung war nach dem unbestrittenen Vorbringen des Klägers zu keinem Zeitpunkt gegeben. Vielmehr werden des Öfteren - auch diesem Vorbringen des Klägers ist die Beklagte nicht entgegengetreten - kurzfristig Mitarbeiter aus der Kommissionierung abgezogen und im Wareneingangsbereich eingesetzt, da dieser bei größerem Arbeitsanfall unterbesetzt ist. Soweit die Beklagte vorträgt, man benötige in der Kommissionierung tüchtige Mitarbeiter und ein solcher sei der Kläger, so erweist sich dieses Vorbringen als völlig substanzlos. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Behauptung, es sei notwendig, die betriebliche Organisation so einzurichten, dass innerhalb der Logistik alle Mitarbeiter nach kurzer Einweisung alle Logistiktätigkeiten ausüben könnten. Insgesamt sind keinerlei Umstände vorgetragen oder ersichtlich, welche die mit Schreiben der Beklagten vom 26.04.2005 angeordnete Umsetzung des Klägers in irgendeiner Weise bedingen könnten. Betriebliche Gründe oder berechtigte Belange anderer Arbeitnehmer, die dem Interesse des Klägers an der Beibehaltung seiner bisherigen Arbeitszeiten entgegenstehen könnten, sind daher nicht gegeben. Die streitbefangene Maßnahme wird daher dem Erfordernis billigen Ermessens i. S. v. § 106 GewO in keiner Weise gerecht.

Nach alledem war der Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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