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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 19.01.2005
Aktenzeichen: 10 Sa 849/04
Rechtsgebiete: KSchG, MTV, BetrVG


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 1
KSchG § 1 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 3
KSchG § 9 Abs. 1
KSchG § 14
KSchG § 14 Abs. 2
MTV § 17 Nr. 3
BetrVG § 111
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 10 Sa 849/04

Verkündet am: 19.01.2005

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 26.08.2004, AZ: 10 Ca 1492/03, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt teilweise abgeändert:

1) Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.03.2003 zum 31.03.2004 aufgelöst worden ist.

2) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3) Der Auflösungsantrag der Beklagten wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat 40 % und die Beklagte 60 % der erstinstanzlichen Kosten zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 33 % dem Kläger und zu 67 % der Beklagten auferlegt.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Der am 25.11.1953 geborene, verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war bei der Beklagten, bei der in der Regel weit mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden tätig sind und ihrer Rechtsvorgängerin, der V M eG, seit dem 01.11.1974 als Bankangestellter beschäftigt. Der zeitlich letzte, noch mit der V M eG geschlossene schriftliche Anstellungsvertrag datiert vom 26.11.1992 und beinhaltet u. a. folgende Bestimmungen:

" § 1 Berufung und Anstellung

(1) Herr A. wurde durch Beschluß von Vorstand und Aufsichtsrat mit Wirkung vom 01.01.1989 Gesamtprokura erteilt, in der Weise, dass er berechtigt ist zur rechtsgeschäftlichen Vertretung der Bank in Gemeinschaft mit einem Vorstandsmitglied oder einem Prokuristen.

Die Bestellung zum Prokuristen erfolgt auf unbestimmte Zeit. Die Prokura ist jederzeit widerruflich. Als Prokurist erfolgt die Zeichnung mit dem Zusatz "ppa".

§ 2 Allgemeine Pflichten

(1) Herr A. hat den ihm gemäß Vorstandsbeschluss übertragenen Geschäftsbereich Betriebsbereich/Marktfolge Passiv mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns im Rahmen der gesetzlichen und satzungsmäßigen Bestimmungen zu führen.

Herr A. untersteht unmittelbar dem Vorstand, dessen Anweisungen er als verbindlich anerkennt. "

Entsprechend dem Inhalt dieses Vertrages war er fortan als sog. Bereichsleiter mit dem Aufgabengebiet "Betriebsbereich/Marktfolge Passiv" beschäftigt.

Im Jahre 2002 entstand die Beklagte im Wege einer Fusion der V M eG mit der K V eG. In einem von der Beklagten nach dieser Fusion erstellten Organigrammentwurf vom April 2002 wurde der Kläger zunächst als einer von insgesamt neun Bereichsleitern geführt und dem Bereich "Unternehmensservice" zugeordnet. In der Folge entschied sich die Beklagte jedoch für eine Organisationsänderung und für die Zusammenfassung ihrer bis dahin neun in nunmehr acht unmittelbar dem Vorstand nachgeordnete Bereiche. Dabei entstanden aus den drei Bereichen IT, Unternehmensservice und Unternehmensplanung die beiden Betriebsbereiche "Organisation IT und Unternehmenssteuerung". Diese Umstrukturierung fand ihren Niederschlag in einem zum 20.08.2002 in Kraft getretenen Organigramm, in welchem der Kläger nicht mehr als Bereichsleiter aufgeführt war.

Mit Schreiben vom 15.08.2002 teilte die Beklagte dem Kläger u. a. folgendes mit:

" ....

....

Der für Sie ursprünglich angedachte Bereich entfällt. Wir bieten Ihnen an im Geschäftsbereich IT/Allgemeine Verwaltung als Gruppenleiter das Aufgabenfeld "Allgemeine Verwaltung" (Registratur, Mikromation, Telefonzentrale, allgemeine Verwaltung) mit Inkrafttreten des Organigramms vom 20.08.2002 zu übernehmen.

Da diese Aufgabe eine Erteilung von Gesamtprokura nicht erfordert, hat der Vorstand mit Beschluss vom 15.08.2002 diese aufgehoben und die Löschung im Genossenschaftsregister beantragt.

....

.... "

Das in diesem Schreiben enthaltene Angebot der Beklagten nahm der Kläger nicht an; er wurde jedoch nachfolgend von der Beklagten nicht mehr als Bereichsleiter eingesetzt. Mit Wirkung zum 01.10.2002 übertrug die Beklagte die Leitung des Bereichs Unternehmenssteuerung ihrem Mitarbeiter S . Dieser ist am 03.01.1953 geboren, ledig und ohne Unterhaltspflichten. Er war bei der K V eG seit dem 15.08.1969, zunächst als Bankangestellter und als solcher zuletzt als Bereichsleiter "Rechnungswesen" beschäftigt. Im April 1993 wechselte er unter Anhebung seiner Bezüge in den Vorstand der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin. Als Vorstandsmitglied war er u. a. zuständig für den Bereich Unternehmenssteuerung; die Bereichsleitung übte er nach der Organisationsänderung 2002 zunächst bis zum 31.12.2002 neben seinen Aufgaben im Vorstand aus. Zum 31.12.2002 trat er von seinen Aufgaben als Vorstandsmitglied zurück. Sodann kam es zwischen der Beklagten und Herrn S zum Abschluss eines neuen Anstellungsvertrages. Dieser enthält nach Behauptung der Beklagten unter § 2 folgende Formulierung:

" Die Vordienstzeiten seit Dienstantritt am 15.08.1969 werden anerkannt":

Mit Schreiben vom 27.03.2003 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger aus betrieblichen Gründen zum 31.03.2004. Hiergegen richtete sich die vom Kläger am 15.04.2003 beim Arbeitsgericht eingereichte Klage, die er u. a. auch wegen fehlerhafter Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG für unwirksam hält.

Der Kläger hat erstinstanzlich (zuletzt) beantragt,

1. festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.03.2003, zugegangen am selben Tag, nicht aufgelöst worden ist,

2. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag die Beklagte zu verpflichten, ihn weiter als Bereichsleiter zu beschäftigen, und

3. die Beklagte zu verurteilen, das ihm unter dem 31. März 2004 erteilte Zeugnis wie folgt neu zu erteilen:

Absatz 6 lautet: "Beruflich hat er sich permanent weitergebildet und Spezialseminare für das Kreditgeschäft, für Vermögensberatung und für das Rechnungswesen besucht. Weiterhin hat er das bankbetriebliche Hauptseminar sowie das genossenschaftliche Bank-Führungsseminar an der Akademie Deutscher G e.V. erfolgreich abgeschlossen. Durch die Teilnahme an weiteren Seminaren zur Bilanzierung und zum Steuerwesen ist Herr A. fachlich auf der Höhe der Zeit".

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 26.08.2004 (Bl. 178 bis 183 d. A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat den Klageanträgen zu 1. und zu 2. mit Teil - Urteil vom 26.08.2004 stattgegeben. Hinsichtlich der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 8 bis 13 des Urteils vom 26.08.2004 (Bl. 183 bis 188 d. A.) verwiesen.

Mit Schreiben vom 11.10.2004 (Bl. 278 d. A.) hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut fristlos sowie vorsorglich auch ordentlich gekündigt.

Gegen das ihr am 17.09.2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15.10.2004 Berufung beim Landesarbeitsgericht Rheinland - Pfalz eingelegt und diese gleichzeitig begründet.

Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, entgegen der vom Arbeitsgericht im erstinstanzlichen Urteil vertretenen Ansicht sei die mit dem Mitarbeiter S getroffene Vereinbarung über die Anerkennung seiner Vordienstzeiten zu dessen Gunsten im Rahmen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG zu berücksichtigen. Keineswegs handele es sich diesbezüglich um eine rechtsmissbräuchliche Kündigungsschutzvereinbarung. Vielmehr sei die betreffende Vereinbarung von einem sachlichen Grund getragen gewesen. Falls sich die streitgegenständliche Kündigung dennoch als sozialwidrig erweise, so sei das Arbeitsverhältnis jedoch jedenfalls gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Der Auflösungsantrag bedürfe keiner Begründung, da der Kläger leitender Angestellter i. S. v. § 14 Abs. 2 KSchG sei. Dies ergebe sich u. a. aus den dem Kläger nach dem Inhalt der maßgeblichen Stellenbeschreibung (Bl. 264 bis 273 d. A.) übertragenen Vollmachten und Aufgaben. Aber auch dann, wenn man die Auffassung vertrete, der Kläger sei nicht leitender Angestellter i. S. v. § 14 KSchG, so sei dem Auflösungsantrag dennoch zu entsprechen, da eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht mehr zu erwarten sei. Das Vertrauensverhältnis zwischen Vorstand und dem Kläger sei völlig zerstört. Eine weitere Zusammenarbeit mit ihm würde auch den Betriebsfrieden nachhaltig stören, so dass sich sämtliche Bereichsleiter zur Abwendung nachhaltiger Folgen gegen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger ausgesprochen hätten. Hinzu komme, dass der Kläger im Rahmen seines erstinstanzlichen Sachvortrages den Mitarbeiter H abqualifiziert habe. Ein etwaiger Weiterbeschäftigungsanspruch sei im Übrigen bereits im Hinblick auf die zwischenzeitlich ausgesprochene weitere Kündigung vom 11.10.2004 erloschen.

Zur Darstellung des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren im Weiteren wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 15.10.2004 (Bl. 250 bis 261 d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 80.000,- € nicht überschreiten sollte, zum Ablauf des 31.03.2004 aufzulösen.

Der Kläger beantragt,

1. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen,

2. den Auflösungsantrag der Beklagten abzuweisen.

Der Kläger verteidigt das mit der Berufung angefochtene Urteil und trägt hinsichtlich des Auflösungsantrages der Beklagten im Wesentlichen vor, es treffe nicht zu, dass er als leitender Angestellter i. S. v. § 14 Abs. 2 KSchG anzusehen sei. Insbesondere sei er nicht zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt gewesen. Hinsichtlich dieser Maßnahmen habe ihm keine selbständige Entscheidungsbefugnis zugestanden. Personalangelegenheiten seien von der Personalabteilung und dem Vorstand der Beklagten entschieden worden. Er selbst habe nie eigenständig eine Einstellung vorgenommen; die letzte Entscheidung über Vertragsschluss und Vertragsmodalitäten habe der Vorstand bzw. das zuständige Vorstandsmitglied getroffen. Gleiches gelte bezüglich der Entlassung von Arbeitnehmern. Dementsprechend sei auch die einzige Kündigung, die während seiner gesamten Dienstzeit vorgenommen worden sei, nicht von ihm - dem Kläger - unterschrieben worden. Warum eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen ihm und der Beklagten bzw. deren anderen Mitarbeitern nicht mehr möglich sein solle, sei nicht nachvollziehbar. Es sei auch nicht ersichtlich, warum eine weitere Zusammenarbeit den Betriebsfrieden nachhaltig stören könne. Das von der Beklagten beanstandete Prozessverhalten stelle lediglich eine Wahrnehmung berechtigter Interessen dar. Zu keinem Zeitpunkt sei es ihm darum gegangen, den Mitarbeiter H abzuqualifizieren, sondern vielmehr ausschließlich darum, seine Einschätzung hinsichtlich der sozialen Vergleichbarkeit wiederzugeben.

Zur Darstellung der weiteren Einzelheiten des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 22.11.2004 (Bl. 332 bis 350 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das somit insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch nur insoweit Erfolg, als das Arbeitsgericht im angefochtenen Urteil dem Weiterbeschäftigungsbegehren des Klägers stattgegeben hat. Im Übrigen erweist sich die Berufung als unbegründet.

II.

1.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die streitbefangene ordentliche Kündigung nicht aufgelöst worden. Dabei kann offen bleiben, ob infolge der von der Beklagten durchgeführten Umorganisation das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Bereichsleiter entfallen ist und daher u. U. dringende betriebliche Erfordernisse i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG, die den Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung rechtfertigen könnten, vorliegen. Die streitbefangene Kündigung erweist sich nämlich jedenfalls nach § 1 Abs. 3 KSchG als sozial ungerechtfertigt, da die Beklagte bei der Auswahl des Klägers als zu Kündigenden die maßgeblichen sozialen Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt hat.

2.

Bei der infolge der Reduzierung der besetzten Bereichsleiterstellen nach Ansicht der Beklagten notwendig gewordenen Kündigung (en) gemäß § 1 Abs. 3 durchzuführenden Sozialauswahl war auch der Bereichsleiter S einzubeziehen. Entgegen der Ansicht der Beklagten kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass der Mitarbeiter S nach § 17 Nr. 3 des Manteltarifvertrages für die V - und R en sowie die Genossenschaftlichen Zentralbanken tariflich unkündbar war. Dies gilt unabhängig von Inhalt und Rechtsfolgen der nach Behauptung der Beklagten mit dem Mitarbeiter S getroffenen Vereinbarung über die Anrechnung von Vordienstzeiten. Zwar bestimmt die betreffende Tarifnorm, dass Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben und dem Betrieb mindestens zehn Jahre ununterbrochen angehören, nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes und bei Betriebsänderungen im Sinne des § 111 BetrVG kündbar sind. Es ist indessen weder ausreichend dargetan noch ersichtlich, dass der betreffende Manteltarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis zwischen der Beklagten und dem Bereichsleiter S Anwendung findet. Soweit die Beklagte diesbezüglich vorträgt, der jeweils gültige Tarifvertrag für die V - und R en finde "betriebsüblich Anwendung", so erweist sich dieses Vorbringen als unsubstantiiert. Dafür, dass die Beklagte gegenüber sämtlichen Mitarbeitern die wesentlichen Vorschriften des einschlägigen Tarifvertrages anwendet, bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte.

Hinsichtlich der Vergleichbarkeit des Klägers mit dem Bereichsleiter S bestehen keinerlei Bedenken. Die Beklagte hat nicht in Abrede gestellt, dass der Kläger im Hinblick auf seine bisherige Tätigkeit und seine Qualifikation in der Lage ist, die Leitung des Bereichs "Unternehmenssteuerung", die der Mitarbeiter S inne hat, auszuüben. Vielmehr hat die Beklagte bereits erstinstanzlich in ihrer Klageerwiderung vom 21.07.2003 (dort Seite 3 = Bl. 54 d. A.) vorgetragen, dass der Kläger ursprünglich für den Bereich "Unternehmenssteuerung" vorgesehen gewesen sei, da dieser Bereich seinem vertraglich festgelegten Aufgabengebiet entspreche, das für diesen Bereich jedoch sowohl der Kläger als auch Herr S zur Verfügung gestanden hätten. Die bei der Bestimmung des auswahlrelevanten Personenkreises erforderliche Austauschbarkeit zwischen dem Kläger und dem Bereichsleiter S ist somit gegeben.

In Ansehung der im Rahmen der durchzuführenden Sozialauswahl zu berücksichtigenden Kriterien erweist sich der Kläger als deutlich sozial schutzwürdiger als der Mitarbeiter S . Dabei ist zunächst festzustellen, dass hinsichtlich des Lebensalters der beiden Mitarbeiter (der Kläger ist am 25.11.1953, Herr S am 03.01.1953 geboren) kein signifikanter Unterschied besteht. Der Kläger ist jedoch gegenüber zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet, wohingegen der Mitarbeiter S keinerlei Unterhaltspflichten hat. Darüber hinaus ist der Kläger länger betriebszugehörig als der Mitarbeiter S . Unter der Dauer der Betriebszugehörigkeit als im Rahmen der Sozialauswahl zu berücksichtigendes Kriterium ist der rechtlich ununterbrochene Bestand des Arbeitsverhältnisses zu dem Arbeitgeber zu verstehen (Ascheid, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 4. Auflage, § 1 KSchG Rd-Ziffer 494). Das Arbeitsverhältnis des Klägers hatte bei Kündigungsausspruch bereits seit über 28 Jahren ununterbrochen bestanden. Demgegenüber stand der Bereichsleiter S (zuletzt) erst ab dem 01.01.2003 wieder in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten und hatte deshalb wegen Nichterfüllung der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG keinen Kündigungsschutz, so dass er grundsätzlich vor den unter den allgemeinen Kündigungsschutz fallenden Arbeitnehmern zu entlassen war (vgl. KR-Etzel, 6. Auflage, § 1 KSchG Rd-Ziffer 636 m. w. N.).

In dem Zeitraum, in welchem Herr S Vorstandsmitglied der Beklagten war (April 1993 bis 31.12.2002) bestand kein Arbeitsverhältnis. Wird nämlich - wie im vorliegenden Fall - ein Arbeitnehmer in leitender Position (Bereichsleiter Rechnungswesen) zum Organvertreter bestellt, so ist bei Fehlen einer eindeutigen vertraglichen Vereinbarung von der Vermutung auszugehen, dass damit das ursprüngliche Arbeitsverhältnis konkludent aufgehoben wird und grundsätzlich sein Ende findet (BAG, Urteil vom 25.04.2002, AZ: 2 AZR 352/01, Urteil vom 08.06.2000, AZ: 2 AZR 207/99). Dies gilt erst recht, wenn wie vorliegend, die Bestellung zum Organmitglied mit einer Erhöhung der Bezüge verbunden ist (BAG, Beschluss vom 28.09.1995, AZ: 5 AZB 4/95). Die Vermutung, dass das frühere Arbeitsverhältnis zum 31.03.1993 aufgehoben wurde, hat die Beklagte nicht widerlegt. Soweit sie diesbezüglich vorträgt, dass ursprünglich seit 1969 bestehende Arbeitsverhältnis sei im Rahmen der Bestellung zum Vorstand nicht aufgehoben worden, bzw. die Vertragsparteien seien von einem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ausgegangen, so lässt sich aus diesem Vorbringen das Zustandekommen einer Vereinbarung über das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses nicht herleiten.

Die nach Behauptung der Beklagten in dem mit dem Bereichsleiter S mit Wirkung zum 01.01.2003 abgeschlossenen Arbeitsvertrag enthaltene Formulierung ("Die Vordienstzeiten seit Dienstantritt am 15.08.1969 werden anerkannt") führt nicht dazu, dass Herr S über eine längere Betriebszugehörigkeit i. S. v. § 1 Abs. 3 KSchG verfügt als der Kläger. Dabei kann offen bleiben, ob sich der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess gegenüber dem gekündigten Arbeitnehmer auf eine mit einem anderen Mitarbeiter vereinbarte Betriebszugehörigkeitsdauer i. S. v. § 1 Abs. 3 KSchG überhaupt mit Erfolg berufen kann oder ob es diesbezüglich allein auf die tatsächliche Dauer der Betriebszugehörigkeit ankommt. Aus der von der Beklagten isoliert wiedergegebenen Formulierung im Arbeitsvertrag des Mitarbeiters S ergibt sich nämlich nicht, ob und welche Zeiten vor dem 01.01.2003 auch im Rahmen der Sozialauswahl als Dauer der Betriebszugehörigkeit zu Gunsten des Mitarbeiters S zu berücksichtigen sind. So kann sich die Anerkennung von Vordienstzeiten eines Arbeitnehmers nach dem Willen der Vertragsparteien etwa nur auf bestimmte Tatbestände bzw. Rechtsfolgen (z. B. Erfüllung der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG, Länge der Kündigungsfrist) oder auf die Berechnungsgrundlage für bestimmte arbeitgeberseitige Leistungen (z. B. betriebliche Altersversorgung) beziehen. Ob im Streitfall die Beklagte mit Herrn S darüber hinaus auch eine in Bezug auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit nach § 1 Abs. 3 KSchG zu beachtende Anrechnung früherer Zeiten vereinbart hat, lässt sich nicht feststellen. Eine diesbezügliche Auslegung der getroffenen Vereinbarung wäre allenfalls unter Heranziehung der sonstigen Vertragsbestimmungen möglich. Zumindest müsste dargetan bzw. erkennbar sein, in welchem Zusammenhang die in § 2 des Arbeitsvertrages enthaltene Formulierung steht. Die isolierte Betrachtung des maßgeblichen Satzes aus einem Gesamt - Vertragswerk lässt keineswegs mit hinreichender Sicherheit darauf schließen, dass eine auch auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit als Sozialauswahlkriterium bedeutsame Anerkennung von Vordienstzeiten von den Vertragsparteien getroffen wurde. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Frage, ob sich die vereinbarte Anerkennung von Vordienstzeiten lediglich auf die frühere Beschäftigungszeit des Mitarbeiters S als Bankangestellter (15.08.1969 bis März 1993) oder darüber hinaus auch auf die Zeit seiner Vorstandsmitgliedschaft (April 1993 bis Dezember 2002), während derer kein Arbeitsverhältnis bestand, bezieht. Die von der Beklagten wiedergegebene Formulierung ist diesbezüglich nicht eindeutig. Eine Auslegung dahingehend, dass auch Zeiten des Nichtbestehens eines Arbeitsverhältnisses nach dem Willen der Vertragsparteien anerkannt werden sollen, ist in Ermangelung weiterer Anhaltspunkte nicht möglich. Soweit die Beklagte hierzu vorgetragen hat, gerade die Änderung der Rechtssprechung des BAG zur Frage des Fortbestehens eines Arbeitsverhältnisses bei Bestellung des Mitarbeiters zum Organmitglied sei Anlass für die Vereinbarung über eine Anrechnung der Vordienstzeiten gewesen, so erweist sich dieses Vorbringen als nicht ausreichend substantiiert. Konkrete Begleitumstände oder Äußerungen der Vertragsparteien im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss, welche darauf hindeuten könnten, dass bestimmte Zeiten (welche?) als Zeiten der Betriebszugehörigkeit - gerade auch im Sinne von § 1 Abs. 3 KSchG - Berücksichtigung finden sollten, sind weder dargetan noch ersichtlich. Berücksichtigt man im Streitfall zu Gunsten des Mitarbeiters S die Zeiten des Bestehens seines Arbeitsverhältnisses zur Beklagten vom 15.08.1969 bis März 1993, so verfügt der Kläger gleichwohl über eine um etwa fünf Jahre längere Betriebszugehörigkeit.

Nach alledem ist die streitbefangene Kündigung jedenfalls nach § 1 Abs. 3 KSchG sozial ungerechtfertigt.

2.

Der Auflösungsantrag der Beklagten ist nicht begründet.

Der Auflösungsantrag bedurfte einer Begründung, da der Kläger nicht als leitender Angestellter nach § 14 Abs. 2 KSchG anzusehen ist. Die Anwendung von § 14 Abs. 2 KSchG setzt u. a. voraus, dass der Arbeitnehmer zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt ist. Darüber hinaus muss die Einstellungs- oder Entlassungsbefugnis einen wesentlichen Teil der Tätigkeit ausmachen (BAG, AP Nr. 39 zu § 9 KSchG 1969). Die zu fordernde Selbständigkeit hinsichtlich dieser Befugnis setzt auch eine gewisse Eigenverantwortlichkeit voraus. Die Selbständigkeit fehlt daher, wenn die personelle Maßnahme der Zustimmung anderer Personen bedarf oder der Arbeitnehmer sich i. d. R. bei seinem Arbeitgeber rückversichern muss (Ascheid, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 4. Auflage, § 14 KSchG Rd-Ziffer 12 m. w. N.). Im Streitfall bezieht sich die Beklagte zur Darlegung der selbständigen Einstellungs- bzw. Entlassungsbefugnis des Klägers auf die Stellenbeschreibung "Bereichsleiter 70, Betriebsbereich Marktfolge Passiv" (Bl. 264 bis 273 d. A.). Zwar ist dort unter der Rubrik "Personaldispositions - Vollmacht" ausgeführt, dass der Stelleninhaber berechtigt ist, Neueinstellungen, Umbesetzungen und Entlassungen in diesem Bereich vorzunehmen. Aus dieser Stellenbeschreibung ergibt sich indessen nicht, dass der Kläger tatsächlich mit diesen Befugnissen ausgestattet war und dass er diesbezüglich mit der erforderlichen Selbständigkeit handeln konnte. Der Kläger hat seinerseits substantiiert vorgetragen, dass er nie eigenständig Einstellungen vorgenommen habe sondern vielmehr die letzte Entscheidung über Vertragsschluss und Vertragsmodalitäten immer beim Vorstand gelegen habe; entsprechendes gelte auch bezüglich Entlassungen. Diesem Vorbringen des Klägers ist die Beklagte nicht entgegengetreten, so dass von einer selbständigen Einstellungs- oder Entlassungsbefugnis des Klägers nicht ausgegangen werden kann. Darüber hinaus kann sich die Beklagte auf die Beschreibung der Stelle "Bereichsleiter 70/Betriebsbereich Marktfolge Passiv" ohnehin nicht mehr berufen, da dem Kläger die mit dieser Stelle verbundenen Befugnisse ebenso wie die Prokura unstreitig mit Schreiben vom 15.08.2002 entzogen wurden. Ob - und ggfls. in welchem Umfang die Position des Bereichsleiters Unternehmenssteuerung, hinsichtlich derer der Kläger sich zur Begründung der Möglichkeit seiner Weiterbeschäftigung beruft, mit einer selbständigen Anstellungs- oder Entlassungsbefugnis verbunden ist, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht erwarten lassen und somit eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 KSchG rechtfertigen könnten, sind nicht gegeben. Als solche kommen nur Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis des Arbeitnehmers zum Arbeitgeber, die Wertung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers, seiner Leistungen oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben, etwa als Vorgesetzter, und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen (BAG, AP Nr. 6 zu § 3 KSchG 1951). Für das Vorliegen der Tatsachen, welche die Auflösung rechtfertigen sollen, trägt der Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast, wobei globale und pauschale Erklärungen nicht ausreichend sind (Ascheid a. a. O. § 9 KSchG Rd-Ziffer 27 m. N. a. d. Rspr.). Soweit die Beklagte vorgetragen hat, das Vertrauensverhältnis zwischen ihrem Vorstand und dem Kläger sei völlig zerstört und eine vertrauensvolle zukünftige Zusammenarbeit ausgeschlossen, so handelt es sich um eine pauschale, nicht durch konkrete Tatsachen gestützte und somit unzureichende Behauptung. Entsprechendes gilt hinsichtlich des Vorbringens der Beklagten, eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger würde den Betriebsfrieden nachhaltig stören, so dass sich sämtliche Bereichsleiter in einer Erklärung vom 11.10.2004 (Bl. 279 d. A.) gegen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger ausgesprochen hätten. Auch insoweit fehlt es an der Darlegung konkreter Tatsachen, die eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses begründen könnten. Entgegen der Ansicht der Beklagten steht auch der Sachvortrag des Klägers bezüglich des Mitarbeiters H einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit nicht entgegen. Das diesbezügliche Vorbringen des Klägers stellte keine Abqualifizierung des Mitarbeiters H dar. Der betreffende Sachvortrag zielt vielmehr erkennbar ausschließlich darauf, darzustellen, dass die Qualifikationen des Mitarbeiters H nicht dergestalt sind, dass er im Rahmen der Sozialauswahl nicht berücksichtigt zu werden braucht. Darüber hinaus hat der Kläger im Schriftsatz vom 18.09.2003 (dort Seiten 4 und 5 = Bl. 63 und 64 d. A.) lediglich vorgetragen, dass nach seiner Kenntnis der Mitarbeiter H früher bei der K V in der Funktion eines Hausmeisters eingesetzt gewesen sei, was seitens der Beklagten nicht bestritten wurde. Es ist nicht erkennbar, dass das diesbezügliche Vorbringen des Klägers im Prozess, welches wohl ohnehin in Wahrnehmung seiner berechtigten Interesse erfolgte, sein Verhältnis wenigstens zu dem Mitarbeiter H derart gravierend beeinträchtigt bzw. belastet, dass eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit i. S. v. § 9 Abs. 1 KSchG zukünftig nicht mehr erwartet werden könnte.

3.

Der auf tatsächliche Weiterbeschäftigung gerichtete Klageantrag ist unbegründet.

Zwar besteht nach einem der Kündigungsschutzklage stattgebenden Instanzurteil grundsätzlich ein Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers. Dieser erlischt jedoch regelmäßig, wenn der Arbeitgeber eine weitere Kündigung ausspricht, ab dem Zeitpunkt, zu dem diese Kündigung wirksam werden soll. Denn durch die zweite Kündigung wird eine zusätzliche Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses begründet, die das schutzwürdige Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung wieder überwiegen lässt, solange hinsichtlich der zweiten Kündigung kein der Kündigungsschutzklage stattgebendes Urteil vorliegt. Im Streitfall hat die Beklagte mit Schreiben vom 11.10.2004 das Arbeitsverhältnis erneut gekündigt und zwar sowohl fristlos als auch vorsorglich ordentlich. Über die Rechtswirksamkeit dieser Kündigung ist - auch erstinstanzlich - noch nicht entschieden. Die Kündigung vom 11.10.2004 ist seitens der Beklagten nicht auf dieselben Gründe gestützt worden wie die Kündigung vom 27.03.2003. Anhaltspunkte dafür, dass die Kündigung vom 11.10.2004 offensichtlich unwirksam ist, sind nicht erkennbar. Der erstinstanzlich tenorierte Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers ist somit mit Zugang der fristlosen Kündigung vom 11.10.2004 erloschen.

III.

Nach alledem unterlag das erstinstanzliche Urteil nur hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsantrages des Klägers der Abänderung; im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung selbständig mit der Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG) wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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