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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 28.10.2008
Aktenzeichen: 10 Ta 184/08
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG, EGZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 138
ZPO § 149
ZPO § 252
ZPO § 286 Abs. 1
ZPO § 567 Abs. 1 Ziff. 1
ZPO § 569 Abs. 1
ZPO § 569 Abs. 2
ArbGG § 9 Abs. 1
ArbGG § 56
ArbGG § 61 a Abs. 1
EGZPO § 14
BGB § 626
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 02.09.2008, Az.: 6 Ca 629/08, wird kostenpflichtig zurückgewiesen. 2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen. Gründe:

I. Die Klägerin (geb. am 27.07.1961, verheiratet, drei Kinder) ist seit dem 10.07.1995 bei der Beklagten angestellt. Sie wurde zuletzt als Marktleiterin der Filiale B. zu einem Bruttomonatsgehalt von € 2.917,64 eingesetzt. Die Beklagte beschäftigt weit mehr als zehn Arbeitnehmer. Mit Schreiben vom 30.04.2008, der Klägerin am gleichen Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Gegen diese Kündigung wendet sich die Klägerin mit ihrer am 19.05.2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage. Die Beklagte begründet die fristlose Kündigung damit, dass die Klägerin Anfang April 2008 Tageseinnahmen der Filiale in Höhe von € 7.070,00 unterschlagen haben soll. Sie habe den Safebag mit den Tageseinnahmen nicht in den Tresor eingelegt, sondern an sich genommen. In den Filialunterlagen seien die entsprechenden Einnahmen vermerkt, nicht jedoch, dass dieser Betrag von der Fa. C., der beauftragten Geldentsorgungsfirma, übernommen worden sei. Die Klägerin bestreitet den Vorwurf. Mit Schriftsatz vom 28.08.2008 beantragte sie, den Rechtsstreit gemäß § 149 ZPO auszusetzen. Sie habe am 14.08.2008 davon Kenntnis erlangt, dass strafrechtliche Schritte gegen sie eingeleitet worden seien. Die Ermittlungen im Strafverfahren (StA Bad Kreuznach, Az.: 1022 Js 11142/08) wegen des Verdachts der Untreue hätten, gleich zu welchem Ergebnis sie führten, Einfluss auf die Entscheidung im vorliegenden Kündigungsschutzverfahren. Das Arbeitsgericht hat den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens mit Beschluss vom 02.09.2008 (Bl. 50-53 d. A.) abgelehnt. Gegen diesen ihr am 08.09.2008 zugestellten Beschluss hat die Klägerin mit einem am 22.09.2008 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt.

Mit Beschluss vom 29.09.2008 (Bl. 63-64 d. A.) hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung ihrer sofortigen Beschwerde führt die Klägerin aus, durch das Abwarten des Ausgangs des Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens könnten die unter Umständen besseren Erkenntnismöglichkeiten im Strafverfahren nutzbar gemacht und widersprechende Entscheidungen vermieden werden. Der Beschleunigungsgrundsatz sei in einer derartigen Konstellation nur von geringem Gewicht. Überflüssige Mehrarbeit durch die erforderliche Vernehmung von Zeugen zu den Geschehensabläufen sowohl im Strafverfahren als auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren könnte vermieden werden. Im Strafverfahren seien bessere Erkenntnismöglichkeiten vorhanden, da hier festgestellt werden könne, welcher Fahrer der Geldentsorgungsfirma C. am betreffenden Tag gefahren sei. Dies werde im arbeitsgerichtlichen Verfahren bereits deshalb sehr schwierig sein, da insoweit auf Anonymität Wert gelegt werde. Ebenso werde es im strafrechtlichen Verfahren viel einfacher möglich sein, festzustellen, welche Buchungen bei der Firma C. vorgenommen worden seien. Im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen werde auch der Zugriff auf sämtliche relevante Urkunden und internen Datenabgleiche möglich sein. Im Strafverfahren würden die Ermittlungen von Dritter Seite durchgeführt. Für sie entfalle mithin der extrem belastende Konflikt, bei der Beklagten Beschäftigte in einem von ihr geführten Verfahren gegen die Beklagte als Zeugen benennen zu müssen. Das Arbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass es sich vorliegend um ein bereits seit langem gegen sie geplantes Vorgehen handele, insbesondere vor dem Hintergrund, dass ihre Stelle, also die Stelle der Filialleiterin in B., in der Job-Börse der Arbeitsagentur ausgeschrieben worden sei, wobei Bewerbungen ab dem 02.02.2008 erfolgen sollten. Soweit das Arbeitsgericht darauf abstelle, dass die Kündigung auf den Verdacht einer Straftat gestützt werde, treffe zwar zu, dass in einem Strafverfahren ein Freispruch schon dann in Betracht komme, wenn verbliebene Zweifel an ihrer Täterschaft nicht ausgeräumt werden könnten, jedoch schließe dies keineswegs aus, dass im Strafverfahren Umstände ermittelt werden, die ihre Unschuld erweisen. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts könne es nicht maßgebend darauf ankommen, dass sie etwas vorzutragen hätte, was das Strafverfahren im Einzelnen zu Tage bringen sollte. Sie sei schließlich nicht in der Lage, gerichtlichen oder staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen vorzugreifen. Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. II. Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist gemäß §§ 567 Abs. 1 Ziff. 1, 252 ZPO statthaft und gemäß § 569 Abs. 1, 2 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig. In der Sache hat die sofortige Beschwerde keinen Erfolg. Die Ermessensentscheidung des Arbeitsgerichts, den Rechtsstreit nicht auszusetzen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Gemäß § 149 ZPO kann das Gericht, wenn sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist, die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen. Die Aussetzung steht im Ermessen des im Verfahren zur Entscheidung berufenen Gerichts. Die Ermessensentscheidung muss sich zum einen am Gesetzeszweck der Aussetzung orientieren, der dahin geht, durch das Abwarten des Ausgangs eines Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens die unter Umständen besseren Erkenntnismöglichkeiten im Strafverfahren nutzbar zu machen und sich widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Andererseits muss das Gericht bei seiner Ermessensentscheidung die Verzögerung des Zivilprozesses gegen den möglichen Erkenntnisgewinn abwägen. Hierbei ist bei einer Aussetzung im Rahmen einer arbeitsgerichtlichen Bestandsstreitigkeit insbesondere in Rechnung zu stellen, dass der Gesetzgeber in Kündigungsverfahren dem Beschleunigungsgrundsatz besondere Bedeutung zumisst, wie sich aus §§ 9 Abs. 1, 56, 61 a Abs. 1 ArbGG ergibt (st. Rspr. LAG Rheinland-Pfalz, vgl. unter vielen: Beschluss vom 23.05.2008 - 9 Ta 87/08; Beschluss vom 14.05.2007 - 2 Ta 109/07; Beschluss vom 11.04.2007 - 11 Ta 88/07; jeweils dokumentiert in Juris). Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Arbeitsgericht im Rahmen seiner Ermessensentscheidung diese Abwägung sorgfältig und unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände vorgenommen. Das Arbeitsgericht hat der Beschleunigungspflicht in Kündigungsverfahren, die in § 61 a ArbGG ausdrücklich geregelt ist, besondere Bedeutung zugemessen. Das ist nicht ermessensfehlerhaft, sondern sachlich gerechtfertigt. Anders als in der von der Klägerin zur Stützung ihres Aussetzungsantrags herangezogenen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts vom 23.05.2008 (9 Ta 87/08) hat der Beschleunigungsgedanke im vorliegenden Fall nicht nur geringes Gewicht. Die herangezogene Entscheidung betrifft einen gänzlich anderen Fall. Dort konnte die fristlose Kündigung der Arbeitgeberin vom 19.11.2007 mangels Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes jedenfalls in eine ordentliche Kündigung zum 31.12.2007 umgedeutet werden. In einer derartigen Konstellation hat die 9. Kammer des Landesarbeitsgerichts angenommen, dass der den Beschleunigungsbestimmungen zu Grunde liegende Gedanke des Gesetzgebers, es solle möglichst schnell Klarheit darüber bestehen, ob das Arbeitsverhältnis fortbesteht oder nicht, nur ein geringes Gewicht beizumessen sei. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Es geht vorliegend nicht nur um einen Zeitraum von sechs Wochen, in dem der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses streitig ist und der in der herangezogenen Entscheidung eine Verfahrensverzögerung durch die Aussetzung hinnehmbar erscheinen ließ. Die Klägerin stellt in ihrer Beschwerde auf die angeblich besseren Aufklärungs- und Erkenntnismöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden bzw. der Strafgerichte ab. Im Strafverfahren könne festgestellt werden, welcher Fahrer der Geldentsorgungsfirma C. am betreffenden Tag gefahren sei. Dies werde im arbeitsgerichtlichen Verfahren bereits deshalb sehr schwierig sein, da insoweit auf Anonymität Wert gelegt werde. Ebenso werde es im strafrechtlichen Verfahren viel einfacher möglich sein, festzustellen, welche Buchungen bei der Firma C. vorgenommen worden seien. Im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen werde auch der Zugriff auf sämtliche relevante Urkunden und internen Datenabgleiche möglich sein. Mit dieser Argumentation vermag die Klägerin keinen Ermessensfehler des Arbeitsgerichts aufzuzeigen. Die Klägerin hat im Kündigungsschutzverfahren zum substantiierten Sachvortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 17.07.2008 noch keine Stellung genommen, obwohl ihr hierzu bis zum 17.08.2008 eine Frist gesetzt worden ist. Sie hat insbesondere keine Umstände dargelegt, die eine Vernehmung des Fahrers der Firma C. als Zeugen oder eine Beiziehung "relevanter" Urkunden für die Entscheidung des Arbeitsgerichts erforderlich machten. Es fehlt jedweder konkrete Sachvortrag dazu, aus welchen Gründen die detaillierte Darstellung der Beklagten unzutreffend sein soll. Es sind nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand im Kündigungsschutzprozess keine konkreten Punkte streitig, deren bessere Aufklärung im Strafverfahren zu erwarten ist. Die Aussetzung des Verfahrens ist nicht etwa deshalb geboten, um der Klägerin eine konkrete Einlassung im arbeitsgerichtlichen Verfahren wegen der Erklärungspflicht nach § 138 ZPO zu ersparen. Dieser Aspekt ist bei der Abwägung der Interessen nicht zu berücksichtigen. Lag tatsächlich ein strafrechtlich relevantes Verhalten vor, bleibt es allein Sache des Täters, den Konflikt zwischen der zivilprozessualen Wahrheitspflicht und der ihm im Ermittlungsverfahren von der Strafprozessordnung eingeräumten Möglichkeiten zu lösen (vgl. OLG Köln Beschluss vom 03.03.2004 - 2 W 19/04, dokumentiert in Juris). Hinzu kommt, dass eine wie auch immer geartete Bindung zwischen den Ergebnissen (auch Beweisergebnissen) eines Strafverfahrens und dem arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht stattfindet. Dies folgt zum einen aus dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 14 EGZPO und der freien Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO. So kann auch die Verwertung der Ermittlungs- bzw. Strafakte im Wege des Urkundsbeweises durch den Antrag auf erneute Zeugeneinvernahme "blockiert" werden. Die Beweisergebnisse anderer gerichtlicher Verfahren können zwar urkundenbeweislich in einen Zivilprozess eingeführt werden. Das berührt aber nicht den Anspruch der Parteien darauf, dass zum maßgeblichen Sachverhalt Zeugen befragt werden. Der Urkundenbeweis ist nicht dazu da, das grundlegende Recht auf eine unmittelbare Beweisaufnahme zu verkürzen. Der prozessuale Erkenntnisgewinn im Strafverfahren kann also im Kündigungsschutzprozess gegen Null tendieren. Materiellrechtlich ist von Bedeutung, dass das Arbeitsgericht die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung gänzlich eigenständig nach § 626 BGB zu prüfen hat, also ob eine "an sich" schwere Pflichtverletzung und eine daraus resultierende Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung vorliegt. Im Übrigen kommt es bei einer außerordentlichen Kündigung nach der ständigen Rechtsprechung des BAG nicht entscheidend auf die strafrechtliche Bewertung des Pflichtverstoßes an, sondern darauf, ob dem Arbeitgeber wegen des Verhaltens des Arbeitnehmers nach dem gesamten Sachverhalt die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch zuzumuten ist (vgl. z.B. BAG Urteil vom 20.08.1997 - 2 AZR 620/96 - NZA 1997, 1340). Dem (beschränkten) Erkenntniswert eines durchgeführten Strafverfahrens steht im Fall der Aussetzung eine regelmäßig erhebliche Verzögerung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens gegenüber. Dies kann gerade für eine Bestandsstreitigkeit nur hingenommen werden, wenn gewichtige Gründe für den Vorrang des Ermittlungs- oder Strafverfahrens vorliegen. Derartige Gründe sind hier nicht ersichtlich. Die Klägerin kann ihren Aussetzungsantrag auch nicht mit Erfolg darauf stützen, es sei für sie "extrem belastend", im vorliegenden Verfahren Zeugen benennen zu müssen, die bei der Beklagten beschäftigt seien. Das gleiche gilt für ihr Vorbringen, es sei "sehr schwierig", Fahrer der Firma C. als Zeugen zu benennen, da "insoweit auf Anonymität Wert" gelegt werde. Damit lässt sich ein Überwiegen des Vorteils einer Klärung des streitgegenständlichen Sachverhaltes durch die Strafverfolgungsbehörden gegenüber dem Nachteil einer Verfahrensverzögerung nicht begründen. Wie bereits ausgeführt, dient die Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens nicht dazu, der Klägerin konkreten Sachvortrag zu ersparen. Vorliegend dürfte aufgrund der Sachlage und der Beweisangebote, die ausschließlich durch die Beklagte erfolgt sind, eine Aufklärung des Sachverhaltes ohne größeren Aufwand möglich sein. Insgesamt hat die Beklagte drei Zeuginnen für ihre Behauptungen benannt. Im Hinblick auf diese Umstände erscheint der Kündigungssachverhalt nicht so unübersichtlich, dass das Arbeitsgericht nicht selbst in der Lage wäre, eine sichere und in der Sache zutreffende Entscheidung zu treffen, so dass auch nicht erkennbar ist, welche besseren Erkenntnismöglichkeiten im Strafverfahren für das vorliegende arbeitsgerichtliche Verfahren nutzbar gemacht werden können. Das Arbeitsgericht kann insbesondere auch selbst überprüfen, ob ein Komplott gegen die Klägerin vorliegt, die vor dem Hintergrund, dass bereits drei Monate vor Ausspruch der Kündigung ihre Stelle ausgeschrieben worden ist, der Beklagten ein "geplantes Vorgehen" vorwirft. Nach alledem hat das Arbeitsgericht im Hinblick auf die besondere Beschleunigungs- und Prozessförderungspflicht in Kündigungsschutzverfahren sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt und dem Aussetzungsantrag der Klägerin zu Recht nicht stattgegeben. III. Die sofortige Beschwerde der Klägerin war daher mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Diese Entscheidung ist daher nicht anfechtbar.

Ende der Entscheidung

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